Sächsisches Landessozialgericht L 1 KR 82/08

Sächsisches Landessozialgericht

Urteil vom 27.05.2009 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Leipzig S 13 KR 442/05
Sächsisches Landessozialgericht L 1 KR 82/08

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Berufungsverfahren noch die Erstattung der Kosten für eine Krampfaderoperation nach der CHIVA-Methode einschließlich voraus- und nachgehender ärztlicher Maßnahmen in der Zeit vom 19.01. bis 20.03.2006.

Die am. 1950 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist als Krankenschwester in einer orthopädischen Abteilung tätig und muss dabei schwer heben und tragen, nach ihren Angaben überwiegend im Stehen und Gehen. Im Dezember 2000 wurde bei ihr eine tiefe Beinvenenthrombose nach einem Langstreckenflug diagnostiziert. Bei bekannter fortgeschrittener Valgusgonarthrose beidseits erfolgte die arthroskopische Versorgung (1996 links, 2002 rechts). Wegen zunehmender Kniegelenksbeschwerden wurde die Klägerin im Oktober 2005 mit einer Knie-Totalendoprothese links versorgt, im Jahr 2006 folgte die Versorgung des rechten Kniegelenks. Im Vorgriff auf diese beiden Operationen unterzog sich die Klägerin im Juli 2005 sowie in der Zeit von Januar 2006 bis März 2006 Krampfaderbehandlungen an beiden Beinen. Die operativen Eingriffe wurden jeweils von Dr. H1 nach der CHIVA-Methode vorgenommen.

Die Beklagte lehnte die Erstattung der Kosten bzw. die Übernahme der Kosten für diese Behandlung ab (Bescheid vom 20.07.2005, Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005; Bescheid vom 05.01.2006, Widerspruchsbescheid vom 21.06.2006). Die CHIVA-Methode sei keine anerkannte Behandlungsmethode und zähle deshalb nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim hier allein noch streitigen Bescheid vom 05.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 stützte sich die Beklagte insbesondere auf das MDK-Gutachten vom 25.01.2006 (erstellt von Dipl.-Med. S1 ). Hiernach basiere die CHIVA-Methode auf dem theoretischen Ansatz, dass die bestehenden Rezirkulierungskreisläufe (des venösen Rückstroms) unterbrochen würden und sich im weiteren Verlauf die Krampfadern zu normalen Venen zurückbilden könnten. Nach aktueller Datenrecherche habe keine Phase III-Studie zur CHIVA-Methode identifiziert werden können. Bislang lägen nur Fallserien und Verlaufsbeschreibungen vor. Die berichteten Nachbeobachtungszeiten seien mit einer Ausnahme so kurz, dass diesen Veröffentlichungen Angaben zu Rezidivraten nicht zu entnehmen seien. In den AWMF-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie bzw. der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie würden Operationsverfahren mit dem Anspruch, rekonstruktiv zu wirken (CHIVA), bei primärer Varikosis als noch in der Erprobung eingestuft. Die Krampfaderbehandlung hänge vom angiologischen Befundbericht ab. Venenhygienische Maßnahmen, Kompression und etablierte operative Behandlungsmethoden seien verfügbar. Zu den anerkannten operativen Verfahren zählten nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie die Crossektomie, das Venenziehen, die Perforansligatur, die Miniphlebektomie der Seitenäste und die Sklerosierung. Eine Kostenübernahme für die CHIVA-Methode könne nicht empfohlen werden.

Dagegen haben sich die am 03.11.2005 und am 03.07.2006 unter den Az. S 13 KR 442/05 und S 13 KR 260/06 erhobenen Klagen gerichtet, die das Sozialgericht Leipzig (SG) durch Beschluss vom 13.05.2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Az. S 13 KR 442/05 verbunden hat. Zur Begründung hat die Klägerin insbesondere ausgeführt: Der Einwand, das die CHIVA-Methode keinen diagnostischen oder therapeutischen Nutzen habe, sei durch die Praxis widerlegt. Trotz fehlender Anerkennung der Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sei die Beklagte leistungspflichtig, weil ein Systemmangel vorliege. Denn der Eingriff nach der CHIVA-Methode sei den herkömmlichen Operationsverfahren überlegen. Die CHIVA-Methode beinhalte für den Patienten die ihn am wenigsten belastende Eingriffsart. Außerdem erlaube sie dem Operierten die schnellstmögliche Rückkehr in das Berufsleben.

Das SG hat die Krankenunterlagen von Dr. H1 beigezogen und anschließend Dr. P1 , Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum L. , mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (Beweisanordnung vom 10.04.2007), welches diese am 14.03.2008 vorgelegt hat. Die Sachverständige hat die Auffassung vertreten, dass es bei der Operation um eine Frühoperation im Sinne eines elektiven Eingriffs gehandelt habe. Die Klägerin hätte auch nach einer der herkömmlichen Methoden operiert werden können. Die AWMF-Leitlinie Nr. 37/010 (Leitlinie zur operativen Behandlung von Venenkrankheiten) sei am 28.02.1998 zuletzt aktualisiert worden. Innovative Verfahren könnten erst in einer Überarbeitung dieser Leitlinie berücksichtigt und gewertet werden. Zu den neuen Verfahren der operativen Therapie in der Phlebologie zähle die CHIVA-Methode. Die theoretischen Grundlagen seien von Dipl.-Med. S1 im MDK-Gutachten richtig dargestellt worden. Anfang 2006 sei die Datenlage für die CHIVA-Methode im Vergleich mit herkömmlichen Methoden auf Fallserien beschränkt gewesen. Aktuelle Daten zur CHIVA-Behandlung seien am 01.07.2006 im Rahmen der Jahrestagung des European Venous Forum vorgetragen worden. Ziel der Untersuchungen sei der Vergleich der Langzeitergebnisse nach dem Stripping-Verfahren und der CHIVA-Methode in einer prospektiven randomisierten Studie bei der Behandlung von Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz gewesen. Dabei seien jedoch die Komplikationsraten beider Verfahren nicht ausgewertet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Blatt 142 bis 159 der Akte S 13 KR 442/05 verwiesen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.06.2008). Die Voraussetzungen für die geltend gemachten Kostenerstattungsansprüche lägen nicht vor, da es sich bei der CHIVA-Methode um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handele, für die keine Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen vorlägen. Ein Systemversagen bestehe nicht. Denn es sei nicht festzustellen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss ohne hinreichenden Grund untätig geblieben sei. Die streitgegenständliche Methode sei auch nicht die einzig mögliche gewesen. Denn nach Einschätzung der Sachverständigen P1 habe keine Situation bestanden, in der der Klägerin von herkömmlichen Krampfaderoperationen habe abgeraten werden müssen.

Gegen das ihr am 28.07.2008 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 31.07.2008 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und meint ergänzend, § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei verfassungswidrig. Die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses seien nicht auch von den Versicherten gewählt worden. Eine unabhängige Rechtsprechung sei daher nicht gewährleistet. Der Gemeinsame Bundesausschuss gleiche der „Geheimen Inquisition“, der über „Wohl und Wehe“ der Patienten im Interesse der Ärzte und Krankenkassen entscheide.

In der mündlichen Verhandlung am 27.05.2009 hat die Klägerin – nach Hinweis des Senats – die Berufung auf den Zeitraum vom 19.01. bis 20.03.2006 beschränkt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 11. Juni 2008 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2006 zu verurteilen, die Kosten für die in der Zeit vom 19. Januar 2006 bis zum 20. März 2006 erfolgten Krampfaderbehandlungen nach der Rechnung von Dr. H1 vom 25. März 2006 in Höhe von 1.189,49 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.04.2009 mitgeteilt, dass die Klägerin am 24.07.2008 einen weiteren Antrag auf Erstattung der Kosten für die erwähnten beiden Krampfaderoperationen gestellt habe, der mit Bescheid vom 07.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2009 abgelehnt worden sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat während der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mitgeteilt, dass er deshalb Klage vor dem SG erhoben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist allein der Bescheid vom 05.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006. Soweit die Klägerin am 24.07.2008 einen erneuten Antrag auf Kostenerstattung an die Beklagte gestellt hat, ist der daraufhin ergangene Ablehnungsbescheid vom 07.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2009 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens im Sinne des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ergangen. Dieser Bescheid hat den angefochtenen Bescheid nicht abgeändert oder ersetzt und ist demgemäß nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (§ 96 SGG). Ob die Klägerin vor Eintritt der Bestandskraft des hier noch angegriffenen Bescheides überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Überprüfungsverfahren hat, kann dahingestellt bleiben.

Die Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die Klägerin ist durch den Bescheid vom 05.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2006 nicht in rechtswidriger Weise beschwert. Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der nach der CHIVA-Methode erfolgten Operation. Denn dabei handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht anerkannt worden ist (1). Ein Systemversagen besteht nicht (2). Eine notstandsähnliche Situation im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat ebenfalls nicht vorgelegen (3).

Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V. Die Norm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 Rn. 11 m.w.N.; Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 16/07 R – SozR 4-2500 § 31 Nr. 9 Rn. 13).

1. Die Beklagte hat die streitgegenständliche Behandlung zu Recht abgelehnt. Weil die CHIVA-Methode jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitraum noch keine zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zählende Behandlungsmethode war.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Insbesondere umfasst die Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Die ärztliche Behandlung beinhaltet die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Klägerin ist krank, da bei ihr ein regelwidriger Körperzustand in Gestalt einer chronischen venösen Insuffizienz Stadium I nach Widmer bei Stammvarikosis der Vena saphena magna Stadium III nach Hach besteht, der ärztliche Heilbehandlung erfordert.

Die Krampfaderbehandlung nach der CHIVA-Methode ist jedoch keine Maßnahme der Krankenbehandlung, die zulässigerweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen von Vertragsärzten erbracht werden darf.

Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 SGB V und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie – wie im Falle der Klägerin – nach eigener Einschätzung des Versicherten positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 Rn. 12).

Im Gegensatz zur Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verstößt § 135 SGB V nicht gegen Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat ausdrücklich festgestellt, dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt ist, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 Rn. 28). Allerdings hat das BVerfG ausdrücklich offen gelassen, ob der Gemeinsame Bundesausschuss verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (a.a.O. Rn. 29). Der Senat geht jedoch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BSG hiervon aus.

Die streitgegenständliche Behandlungsmethode wäre nur dann ambulant zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen gewesen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Behandlung eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgelegen hätte (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 Rn. 16). Verwaltung und Gerichte sind an dessen Entscheidungen bzw. an die des Gemeinsamen Bundesausschusses über bestimmte Methoden im Grundsatz ebenso gebunden, als wenn der Gesetzgeber selbst die Entscheidung getroffen hätte. Bereits im Zeitpunkt der Behandlung in dem dafür jeweils vorgesehenen Verfahren muss zweifelsfrei geklärt sein, ob die erhofften Vorteile einer Therapie die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwiegen (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 Rn. 20).

Die Krampfaderbehandlung nach der CHIVA-Methode ist eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Unter dem Begriff der Methode ist dabei nicht jede einzelne diagnostische oder therapeutische ärztliche Leistung gemeint, die vom Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 2 SGB V in den EBM-Ä aufzunehmen ist; regelmäßig wird die Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode die Einführung mehrerer neuer ärztlicher Leistungen in den EBM-Ä nach sich ziehen. Der Begriff der „Methode“ nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellt sich im Verhältnis zur ärztlichen Leistung nach § 87 SGB V als der umfassendere dar. Dies ergibt sich aus der Bestimmung des § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V, nach der der Gemeinsame Bundesausschuss die qualitativen Anforderungen für die Anwendung einer neuen Methode vorzugeben hat. Dabei ist typischerweise nicht die Erbringung einer einzelnen ärztlichen Leistung gemeint, denn für eine solche sind besondere Anforderungen im Regelfall nicht festzulegen (BSG, Urteil vom 25.08.1999 – B 6 KA 39/98 R – SozR 3-2500 § 135 Nr. 11 S. 50). Für das Vorliegen einer Behandlungsmethode ist erforderlich, dass einer medizinischen Vorgehensweise ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegen muss, die sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSG, Urteil vom 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R – SozR 3-2500 § 31 Nr. 5 S. 10). Ausweislich des Gutachtens des MDK vom 25.01.2006 und des Gutachtens der Sachverständigen Dr. P1 wird ein solches Konzept für die streitgegenständliche CHIVA-Methode geltend gemacht (wobei zu seiner Funktionsweise auf die Ausführungen im Tatbestand verwiesen wird).

Ob es auf diesen Methodenbegriff auch dann ankäme, wenn der von der CHIVA-Methode ausgelöste Bedarf vollumfänglich nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für vertragsärztliche Leistungen abgerechnet werden könnte, kann dahingestellt bleiben, da die zentrale Operationsleistung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM enthalten und damit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. zu dem rechtlichen Gesichtspunkt BSG, Urteil vom 27.09.2005 – B 1 KR 28/03 R – juris Rn. 17 m.w.N.).

Die CHIVA-Methode ist auch danach „neu“ im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach § 2 der im Falle der Klägerin noch heranzuziehenden Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinie) gelten als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Leistungen, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im EBM enthalten sind oder die als ärztliche Leistungen im EBM aufgeführt sind, deren Indikationen aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren haben. So verhält es sich hier. Zwar ist die Operation nach der CHIVA-Methode zumindest teilweise nach dem EBM abrechenbar; insbesondere zählen hierzu die diagnostischen EBM-Ziffern. Die Vena saphena magna wird im hier maßgeblichen EBM 2000plus ab OPS 5-385.4 zu Kapitel 31 Abschnitt 2 lediglich im Zusammenhang mit einer Crossektomie und/oder Stripping bzw. im Zusammenhang mit einer Exhairese – also dem völligen oder teilweise Entfernen des erkrankten Organs, das bei der Operation nach der CHIVA-Methode gerade vermieden werden soll – erwähnt. Aber auch OPS 5-385.4 i.V.m Ziffer 31201 EBM („transkutane Unterbindung der Vv. perforantes“) ist keine Grundlage für eine Abrechnung der Operationsleistung, weil sie nur einen Teil des mit der CHIVA-Methode verbundenen erhöhten Leistungsaufwandes abbildet. Sie betrifft nur die Ligatur von Venae perforantes, also die Unterbindung von Verbindungsvenen zwischen den oberflächlichen Sammelvenen (Vv. saphena magna et parva) und den tiefer im Bein gelegenen Sammelvenen. Nach der CHIVA-Methode müssen aber auch und vor allem Abschnitte der Vena saphena magna unterbunden werden. Daraus folgt, dass die Methode insgesamt nicht nach EBM abrechnungsfähig ist und daher eine Überprüfung als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 SGB V zu erfolgen hat (vgl. auch LSG Thüringen, Urteil vom 06.06.2005 – L 6 KR 132/03 – juris Rn. 33, 34).

Somit war für die streitige Therapie als neue Behandlungsmethode eine befürwortende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses erforderlich, bevor sie in der vertragsärztlichen Versorgung auf Kosten der Krankenkassen erbracht werden konnte. Eine solche Entscheidung fehlte zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin. Eine derartige Empfehlung hat der Gemeinsame Bundesausschuss jedoch bis heute nicht abgegeben. Ob nunmehr die Verhältnisse anders liegen, bedarf hier keiner Entscheidung. Hat demnach die Krampfaderbehandlung nach der CHIVA-Methode nicht zu Lasten der Beklagten als Sachleistung erbracht werden dürfen, scheidet auch der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch der Klägerin aus.

2. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht wegen eines von der Klägerin angenommenen Systemversagens.

Die Fallgruppe „Seltenheitsfall“ scheidet hier schon aus tatsächlichen Gründen aus. Daneben kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das neue Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss bzw. früher vor dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG, Urteil vom 27.03.2007 – B 1 KR 30/06 R – juris Rn. 13 m.w.N.; Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 Rn. 18 m.w.N. = BSGE 97, 190).

Ein – vom Gesetz vorgesehener – Prüfantrag für die streitgegenständliche Behandlungsmethode ist an den Gemeinsamen Bundesausschuss im hier maßgeblichen Zeitraum nicht gerichtet worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die antragsberechtigten Stellen oder der Gemeinsame Bundesausschuss aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen mit der Materie nicht oder zögerlich befasst haben, sind nicht ersichtlich. Ausweislich des vom SG eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Dr. P1 gab es auch inhaltlich keinen Anlass für eine solche Antragstellung. Denn diese Behandlungsmethode befand sich zumindest seinerzeit (Anfang 2006) noch im Erprobungsstadium. Aktuelle Daten sind erst im Juli 2006 vorgetragen worden, wobei Langzeitergebnisse über Komplikationsraten nach wie vor nicht vorliegen.

Die Bewertung des Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Behandlungsmethode beruht auf den Grundlagen der evidenzbasierten Medizin. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung diese Bewertungsgrundlage als rechtmäßig bestätigt, dabei aber betont, dass der (Gemeinsame) Bundesausschuss nicht selbst über den Nutzen einer Methode zu entscheiden hat, sondern an Hand eines Überblicks relevanter Meinungen der medizinischen Fachkreise festzustellen hat, ob ein durch wissenschaftliche Studien belegter hinreichend untermauerter Konsens über Qualität und Wirtschaftlichkeit der Methode besteht (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2005 – B 1 KR 28/03 R – juris Rn. 23).

3. Die sich aus dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 ergebenden weitergehende Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (1 BvR 347/98 – SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) greift nicht ein, weil eine für das Leben oder ein wichtiges Organsystem bedrohliche notstandsähnliche Situation nicht vorgelegen hat. Die Sachverständige Dr. P1 hat zudem die Notwendigkeit der vorgenommenen Venenoperationen überhaupt in Zweifel gezogen und in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, dass – sollte man die Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. H1 zum Vorliegen einer „Frühindikation“ zur Operation teilen – der Klägerin jedenfalls nicht von den herkömmlichen Operationsmethoden abgeraten werden musste.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 SGG.