Sozialgericht Aachen S 13 KR 384/14

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 04.08.2015 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Aachen S 13 KR 384/14

Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 178.799,66 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Vergütung in Höhe von 178.799,66 EUR für stationäre Behandlungen von 18 Versicherten der Klägerin im Krankenhaus des Beklagten in den Jahren 2010 und 2011.

Der Beklagte betreibt ein zugelassenes Krankenhaus. Dort wurden in den Jahren 2010 und 2011 18 Versicherte der Klägerin komplex intensivmedizinisch behandelt. Die Klägerin bezahlte die von dem Beklagten in Rechnung gestellten Behandlungskosten zunächst ohne Beanstandung in voller Höhe. Im Rahmen einer Überprüfung des Krankenhauses des Beklagten bezüglich der Strukturmerkmale des OPS-Kodes 8-980 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur]) kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein in einer von der KKH-Allianz-Krankenkasse in Auftrag gegebenen gutachtlichen Stellungnahme von Dr. I. und Dr. N. vom 05.10.2010 zu dem Ergebnis, dass eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen, sowie eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation nicht gewährleistet sei. Nach dem seinerzeitigen Versorgungskonzept der Klinik des Beklagten war auf der Intensivstation ständig ein Anästhesist eingesetzt; gleichzeitig war dort zusätzlich ein Internist ebenfalls als Intensivmediziner fest eingeteilt; dies wurde durch ein 3-Schichten-Dienstmodell sichergestellt. Während des Nachtdienstes hatte der Internist im Bedarfsfall Aufgaben auf der internistischen Normalstation wahrzunehmen. Zusätzlich bestand ab 20.00 Uhr ein Bereitschaftsdienst der Stufe D für die Intensivstation; dies bedeutet, dass ein Arzt im Haus anwesend und jederzeit abrufbar ist; er verweilt auch auf der Intensivstation. Aufgrund einer Befragung sowie schriftlichen Ergänzungen von Vertretern des Krankenhauses kam der MDK in der gutachtlichen Stellungnahme zu der Beurteilung, dass die Strukturvoraussetzungen des OPS-Kodes 8-980 formal nicht erfüllt würden, weil die ständige Arztanwesenheit auf der Intensivstation nicht in allen Fällen gewährleistet sei. Das Kriterium würde dann nicht erfüllt, wenn der diensthabende anästhesiologische Intensivmediziner im Rahmen einer Notfalloperation oder einer geburtshilflichen Notsituation unverzüglich tätig werden müsse. In diesen Fällen werde die Situation von dem internistischen Kollegen, dessen Aufgabengebiet nicht primär die Intensivstation sei, übernommen.

Mit Schreiben vom 06.02.2013 übermittelte die Klägerin dem Beklagten eine Listen mit 20 Behandlungsfällen aus den Jahren 2009, 2010 und 2011; sie verwies auf das MDK-Gutachten vom 05.10.2010 und erklärte, sie gehe davon aus, dass die dort festgestellten Strukturmerkmale nicht zur Abrechnung des OPS-Kodes 8-980 berechtigt hätten. Für die 20 Behandlungsfälle habe sie daher 270.441,02 EUR zu viel gezahlt. Die Klägerin bat darum, die zu viel gezahlten Beträge gutzuschreiben. Dem folgte der Beklagte nicht.

Am 31.12.2014 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 178.799,66 EUR erhoben. Dieser Betrag bezieht sich auf die Behandlungen von nur noch 18 Versicherten der Klägerin in den Jahren 2010 und 2011, da die beiden Fälle auf der Liste aus dem Jahr 2009 bei Klageerhebung verjährt waren. Die Klägerin ist der Auffassung, Grundlage der Forderung sei ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, da für den streitbefangenen Zeitraum keine Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung vorgelegen und die Klägerin die Behandlungskosten ohne Rechtsgrund geleistet habe, soweit es um die Abrechnung/Kodierung des OPS 8-980 gehe. Die Klägerin beruft sich für ihre Auffassung auf die gutachtliche Stellungnahme des MDK vom 05.10.2010, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.07.2013 (B 3 KR 25/12 R) sowie zwei Urteile des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 10.11.2014 (S 9 KR 1240/11) und vom 27.01.2015 (S 11 KR 1238/11). Die Klägerin meint, es komme bei der Entscheidung über die Erstattungsforderung nicht auf eine einzelfallbezogene Beurteilung an. Im Laufe des Verfahrens hat die Klägerin ein weiteres MDK-Gutachten vom 11.04.2013 vorgelegt; darin kommen die Ärztinnen Dr. I. und Dr. N. zum Ergebnis, dass inzwischen die Strukturvoraussetzungen des OPS-Kodes 8-980 sowohl für den anästhesiologischen als auch den internistischen Fachbereich formal erfüllt seien; die ständige ärztliche Anwesenheit werde durch das nun vorgelegte Dienstmodell und die dargestellte Struktur gewährleistet. Die Klägerin erkennt deshalb die Abrechenbarkeit/Kodierung des OPS 8-980 seit dem Jahre 2012 für das Krankenhaus des Beklagten (wieder) an und bezahlt die insoweit abgerechneten Leistungen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr 178.799,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.12.2014 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er rügt, dass – da hier mehrere Einzelfälle streitig seien – eine Einzelfallprüfung im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) unzulässig sei; die Prüfung durch den MDK sei nicht spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse eingeleitet worden. Unabhängig davon sei die Kodierung des OPS 8-980 korrekt gewesen. Der Beklagte hat hierzu beispielhaft Dienstpläne aus den Jahren 2009, 2011 und 2012 vorgelegt, desweiteren ein MDK-Gutachten vom 21.12.2010. In diesem Gutachten ist Dr. I., die auch die gutachtliche Stellungnahme vom 05.10.2010 mit erstellt hatte, zum Ergebnis gelangt, dass in dem von ihr zu beurteilenden Behandlungsfall (27.07.2009 bis 24.02.2010) “die OPS 8-980.30 korrekt” sei. Der Beklagte ist der Auffassung, dass sein Versorgungskonzept auch in den Jahren 2010 und 2011 eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet habe. Zwar habe es speziell während des Nachtdienstes vorgesehen, dass der neben dem Anästhesisten für die Intensivstation eingeteilte Internist im Bedarfsfall auch die (internistische) Normalstation zu betreuen hatte und es vorkommen konnte, dass der auf der Intensivstation eingesetzte Anästhesist, wenn der Internist gerade auf der Normalstation war, kurzzeitig für Notfälle (Reanimation oder Notfallsectio) die Intensivstation verlassen musste; diese Abwesenheit hätte jedoch maximal 15 Minuten betragen. Aus Sicht des Beklagten war auch durch dieses Versorgungskonzept das hier streitige Mindestmerkmal des OPS-Kodes 8-980, dass eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet sein muss, erfüllt gewesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die ständige ärztliche Anwesenheit nicht schon deshalb zu verneinen, weil der diensthabende Arzt der Intensivstation kurzfristig zu Notfalleinsätzen innerhalb des Krankenhauses hinzugezogen werde. Dies werde auch durch die Auslegungshinweise des DIMDI zu dieser OPS-Ziffer bestätigt.

Seit dem Jahre 2012 hat sich die Versorgungsstruktur auf der Intensivstation im Krankenhaus des Beklagten insofern geändert, als nunmehr der Spät- und Nachtdienst abwechselnd von einem Anästhesisten und einem Internisten in ständiger Anwesenheit betreut wird. Zusätzlich gibt es für die Normalstation einen Hausdienst, sodass es auch im Notfall keinen Abzug des diensthabenden Arztes von der Intensivstation mehr gibt. Nach Angaben des Beklagten besteht der Unterschied zwischen dem Versorgungskonzept der Jahre 2010/2011 gegenüber dem seit 2012 darin, dass 2010/2011 der – neben dem Anästhesisten für die Intensivstation eingeteilte – Internist im Bedarfsfall auch Aufgaben auf der Normalstation wahrzunehmen hatte, während es seit 2012 so ist, dass für die Normalstation ein regelhafter Hausdienst zuständig ist, der Internist also nicht mehr neben seiner Tätigkeit auf der Intensivstation im Bedarfsfall die Normalstation bedienen muss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Erstattung überzahlter Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus geht es um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 – B 3 KR 33/99 R = BSGE 86,166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Allerdings greifen die erhobenen Einwendungen des Beklagten Hinsichtlich der Prüfungsfrist nach § 275 Abs. 1c i.V.m. Abs. 1 SGB V nicht durch. Denn die Überprüfung der Abrechenbarkeit des OPS-Kodes 8-890 im Rahmen einer (bzw. hier mehrerer) Krankenhausbehandlung(en) beinhaltet keine Auffälligkeitsprüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V, sondern eine Überprüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit von Krankenhausabrechnungen. Dieses Überprüfungsrecht besteht unabhängig von den engeren Anforderungen einer Auffälligkeitsprüfung und unterliegt einem eigenen Prüfungsregime (vgl. zu den Einzelheiten und zur Abgrenzung: BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R, Rdnrn. 15 ff.).

Rechtsgrundlage der in den Jahren 2010 und 2011 geltenden gemachten Vergütungsansprüche des Beklagten für die Behandlung von 18 namentlich in der Anlage zur Klageschrift benannten Versicherten der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 13.12.2001 – B 3 KR 11/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 2; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3). Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung ist in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkassen sowie Landesverbänden der Krankenkassen andererseits geschlossenen Verträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt.

Die Krankenhausleistungen werden nach § 7 Abs. 1 S 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) u.a. mit Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 9 KHEntgG) abgerechnet. Dieser umfasst gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG insbesondere den Fallpauschalen-Katalog nach § 17b Abs. 1 KHG. Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (Diagnosis Related Groups = DRG) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen “Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V” (bis 2004: OPS-301; seit 2005: OPS) verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 S. 2 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung (“Kodierung”) haben die Vertragspartner auf Bundesebene “Kodierrichtlinien” beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als “Groupierung” bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS eine bestimmte DRG angesteuert (BSG, Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R – m.w.N.).

Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Kodes und der Kodierrichtlinien in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen. Diese Auslegungs- und Anwendungsprinzipien für die vereinbarten Vergütungsregelungen gelten in vergleichbarer Weise auch für die vom DIMDI erteilten “Hinweise” zur Auslegung und Anwendung einzelner OPS-Kodes. Denn das DIMDI hat nach § 301 Abs. 2 SGB V die Pflicht, für eine sachgerechte Handhabung der Verschlüsselungshinweise zu sorgen. Dazu muss es die tägliche Praxis beobachten und durch regelmäßige Anpassung seiner Hinweise zu den diversen OPS-Kodes beobachtete Lücken und Unklarheiten beseitigen (BSG, Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 25/12 R – m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen haben zu Recht der Beklagte für die Behandlung der in der Anlage zur Klageschrift benannten 18 Versicherten 961.592,91 EUR in Rechnung gestellt und die Klägerin diese Forderung beglichen; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der mit der Klage begehrten 178.799,66 EUR. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die durchgeführten Behandlungen die Voraussetzungen des OPS-Kodes 8-980 erfüllt haben.

Nach dem OPS-Kode 8-980 ist die intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur) zu verschlüsseln. Hierunter fällt nach dem Wortlaut des Kodes die Intensivüberwachung ohne akute Behandlung lebenswichtiger Organsysteme oder kurzfristige (( 24 Stunden) Intensivbehandlung sowie die kurzfristige (( 24 Stunden) Stabilisierung von Patienten nach operativen Eingriffen. Unter den “Hinweisen” des DIMDI finden sich die Mindestmerkmale zur Kodierung dieser Prozedur. Danach (OPS-Versionen 2010 und 2011) müssen unter anderem folgende Mindestmerkmale kumulativ vorliegen: • Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen • Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein. Neben den weiteren – nicht streitigen – Mindestmerkmalen hat der Beklagte auch diese beiden Merkmale in den Jahren 2010 und 2011 erfüllt. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.07.2013 (B 3 KR 25/12 R) und die beiden Urteile des Sozialgericht Düsseldorf vom 10.11.2014 (S 9 KR 1240/11) und vom 27.01.2015 (S 11 KR 1238/11), auf die sich die Klägerin für ihre entgegenstehende Auffassung beruft, betreffen andere Krankenhäuser und andere Intensivstationsstrukturen und sind auf die konkrete Situation im Krankenhaus des Beklagten in den hier allein streitigen Behandlungsfällen aus den Jahren 2010 und 2011 nicht übertragbar. Die Kammer schließt sich den allgemeinen Grundsätzen des BSG zur Auslegung des OPS-Kodes 8-980 an. Gerade dies führt aber im Fall der hier zu beurteilenden Struktur der Intensivstation im Krankenhaus des Beklagten in den Jahren 2010 und 2011 zu anderen Schlussfolgerungen, als sie das BSG für die in seinem Fall zu beurteilende Krankenhausstruktur bezogen hat. Denn das Versorgungskonzept des Krankenhauses des Beklagten unterschied sich (auch) 2010 und 2011 wesentlich von demjenigen, über das das BSG zu entscheiden hatte.

Zunächst ist festzustellen, dass das Mindestmerkmal einer “kontinuierlichen, 24-ständigen Überwachung und akuten Behandlungsbereitschaft” sowohl vom MDK als auch von der Klägerin zusammen mit dem Merkmal der “ständigen ärztlichen Anwesenheit” auf der Intensivstation” betrachtet und beurteilt worden ist. MDK und Klägerin verneinen die akute Behandlungsbereitschaft nicht isoliert, sondern im Hinblick auf das – von ihnen angenommene – Fehlen der ständigen ärztlichen Anwesenheit. Auch und gerade dieses zweite Merkmal war aber im streitigen Zeitraum auf der Intensivstation des Krankenhauses des Beklagten erfüllt. Anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall, in dem planmäßig lediglich montags bis freitags zwischen 08.00 und 16.30 Uhr ein Arzt auf der Intensivstation anwesend war, in der übrigen Zeit vor 08.00 Uhr und nach 16.30 Uhr sowie am Wochenende jedoch nur ein Bereitschaftsdienst der Stufe D für die gesamte Abteilung für Innere Medizin einschließlich der Intensivstation eingerichtet war, sah das Versorgungskonzept der Intensivstation des Krankenhauses des Beklagten wie folgt aus: &61485; Tagsüber waren in zwei Schichten von 07.15 bis 16.15 Uhr und 13.30 bis 22.00 Uhr zwei Ärzte, nämlich ein Anästhesist und Internist, eingesetzt. &61485; In der Nachtschicht (von 22.00 bis 08.00 Uhr) war die Besetzung genauso, allerdings hatte in dieser Schicht der internistische Intensivmediziner im Bedarfsfall auch die internistische Normalstation zu versorgen. &61485; Zusätzlich bestand ein auf der Intensivstation angesiedelter Bereitschaftsdienst der Stufe D. Das BSG hat im Urteil vom 18.07.2013 (B 3 KR 25/12 R) zu den streitigen Mindestmerkmalen des OPS-Kodes 8-980 ausgeführt: “Zu dem Merkmal der “akuten Behandlungsbereitschaft” muss das Merkmal der “ständigen ärztlichen Anwesenheit” nach dem eindeutigen Wortlaut des Kodes notwendig hinzutreten. Von einer ständigen ärztlichen Anwesenheit gemäß dem zweiten Mindestmerkmal kann aber nicht gesprochen werden, wenn ein Arzt auf der Intensivstation nicht durchgehend, sondern nur im Notfall bzw. nach Bedarf anwesend ist.” Gerade so lag es aber – anders als in dem BSG-Fall – im Krankenhaus des Beklagten im streitigen Zeitraum nicht. Wenn der für die Intensivstation eingeteilte Internist im Nachtdienst im Bedarfsfall auf der Normalstation Dienst tat, war auf der Intensivstation immer noch – planmäßig – der Anästhesist anwesend. Wäre dieser zu einem Notfall innerhalb des Krankenhauses (z.B. Reanimation) gerufen worden, wäre die Intensivstation nicht zwingend ohne ärztliche Anwesenheit gewesen, sondern nur dann, wenn die bedarfsabhängige Abwesenheit des Internisten mit einem Notfalleinsatz des Anästhesisten zusammengefallen wäre. Ob diese Ausnahmekonstellation jemals eingetreten ist, hat weder die Klägerin noch der Beklagte vorgetragen.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass diese Konstellation aber eintreten konnte und dann – bei wortgetreuer Anwendung der Vorgabe einer “ständigen ärztlichen Anwesenheit auf der Intensivstation” – dieses Mindestmerkmal nicht mehr erfüllt gewesen wäre. Eine derart enge Interpretation wird aber dem Sinn und Zweck des OPS-Kodes 8-980 nicht gerecht.

Nach den Auslegungshinweisen des DIMDI bedeutet “ständige Anwesenheit”, dass “der Arzt ständig auf der Intensivstation anwesend, d.h. innerhalb kürzester Zeit (etwa 5 Minuten direkt handlungsfähig am Patienten sein” muss. In diesem Zusammenhang erläutert das DIMDI: “Es ist also durchaus denkbar, dass er sich während des Dienstes auf der Station in einem Nebenraum kurz ausruht, genauso wie er in einem anderen Bereich der Intensivstation beschäftigt sein kann. Also wäre außer einem Schichtdienst auch ein Bereitschaftsdienst D (für diese Intensivstation!) denkbar, wenn die geringere Belastung durch das Spektrum der Intensivpatienten dieses üblicherweise zulässt. Es ist allerdings nicht damit gemeint, dass er neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle des Krankenhauses weitere Aufgaben erfüllen muss (z.B. im OP Narkose machen, ein Normalstation bzw. eine Aufnahmestation betreuen o.ä). Der Arzt der Intensivstation kann kurzfristig zu einem Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses (z.B. Reanimation) hinzugezogen werden.” Im Krankenhaus des Beklagten war es im streitigen Zeitraum so, dass grundsätzlich nicht nur ein Arzt auf der Intensivstation eingesetzt war, der daneben noch an anderer Stelle des Krankenhauses weitere Aufgaben zu erfüllen hatte, sondern es waren regelhaft zwei Ärzte für die Intensivstation eingeteilt. Nur im Nachtdienst konnte es vorkommen, dass der eine Arzt (Internist) vorübergehend auf der Normalstation war und der andere Arzt (Anästhesist) zu einem Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses gerufen wurde. Abgesehen davon, dass dann immer noch der Bereitschaftsdienst der Stufe D zur Verfügung stand und ein außerhalb des Krankenhauses angesiedelter Rufbereitschaftsdienst innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung stand, war die 2010/2011 mögliche Ausnahmesituation einer gleichzeitigen Abwesenheit beider Intensivstationsärzte derart theoretisch und im Übrigen nach den glaubhaften Darlegungen des Beklagten für allenfalls fünfzehn Minuten gegeben, dass zur Überzeugung der Kammer strukturell auch unter diesen Umständen das Versorgungskonzept der Intensivstation im Krankenhaus des Beklagten in Jahren 2010 und 2011 die Mindestmerkmale des OP-Kodes 8-980 (noch) erfüllt hat. Soweit in den DIMDI-Auslegungshinweisen die “kürzeste Zeit”, innerhalb der ein Arzt auf der Intensivstation direkt am Patienten handlungsfähig sein muss mit “etwa 5 Minuten” erläutert wird, hält die Kammer die für die beschriebene Ausnahmesituation im Krankenhaus des Beklagten von diesem geschätzte Maximalabwesenheit von 15 Minuten im Hinblick auf die sonstigen Versorgungs- und Besetzungsstrukturen auf der Intensivstation nicht für geeignet und ausreichend, die Voraussetzungen des OPS-Kodes 8-980 für die Jahre 2010 und 2011 zu verneinen. Soweit das SG Düsseldorf dies für die von ihm zu beurteilenden Intensivstationen anderer Krankenhäuser anders sieht, ist dies auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da – wie dargelegt – die Strukturen im Krankenhaus der Klägerin anders gelagert waren als in den vom SG Düsseldorf zu entschiedenen Fällen.

Die Beurteilung des MDK in der gutachtlichen Stellungnahme vom 05.10.2010, welche allein Grundlage der Erstattungsklage der Klägerin ist, geht von Annahmen aus, die sich mit dem Gesamtbild der dargelegten Versorgungsstruktur auf der Intensivstation des Krankenhauses des Beklagten nicht in Einklang bringen lassen; sie überzeugt die Kammer nicht. Der MDK selbst hat im Rahmen einer “Gutachtlichen Stellungnahme/Krankenhausmanagement/DRG-Begutachtung” vom 21.12.2010 über einen Behandlungsfall, der vom 27.07.2009 bis 24.02.2010 im Krankenhaus des Beklagten stattfand, festgestellt, dass “die OPS 8-980.30 korrekt” war. Dieses Gutachten ist von derselben Ärztin (Dr. I.) erstellt worden, die auch zweieinhalb Monate zuvor das MDK-Gutachten vom 05.10.2010 mit gefertigt hatte. Die Widersprüchlichkeit, die sich aus den beiden MDK-Gutachten ergibt, vermochte die Klägerin nicht zu erklären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).