Sozialgericht Aachen S 13 KR 62/10

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 13.07.2010 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Aachen S 13 KR 62/10
 
 

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf eine Liposuktion (Fettabsaugung) zur Behandlung eines Lipödems (Schwellung des Fettgewebes) zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet seit vielen Jahren an einem Lipödem der Beine und Arme sowie an Übergewicht. Am 21.07.2009 beantragte sie durch Prof. Dr. I. die Übernahme der Kosten für eine Liposuktion zur Behandlung des Lipödems unter stationären Bedingungen. Der Antrag wurde damit begründet, dass trotz langfristiger manueller Entlastungstherapien bisher keine signifikante Besserung der Beschwerden habe erzielt werden können.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dr. O. kam im Gutachten vom 25.08.2009 zum Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Da die Ursache des Lipödems bis heute noch nicht hinreichend geklärt sei, gebe es keine kausale Behandlung. Zwar könne zur Reduktion des Fettgewebes auch die operative Therapie mittels Fettabsaugen (Liposuktion) eingesetzt werden. Jedoch habe das Bundessozialgericht (BSG) unlängst entschieden, dass die Liposuktion als nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) empfohlene neue Methode grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV sei; das BSG habe in der Urteilsbegründung auch darauf hingewiesen, dass für ein Systemversagen bei der Liposuktion jeglicher Anhaltspunkt fehle.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 04.09.2009 ab. Den dagegen am 06.10.2009 eingelegten Widerspruch wies sie nach Einholung eines weiteren MDK-Gutachtens von Dr. G. vom 20.11.2009 durch Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 12.03.2010 Klage erhoben. Sie räumt ein, dass die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems derzeit kein Leistungsgegenstand der GKV sei. Allein der Umstand, dass sie bisher noch nicht vom G-BA geprüft und deshalb auch noch nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV sei, könne eine Kostenübernahme nicht ausschließen. Im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung bedürften neuartige Verfahren keiner vorherigen Zulassung. Vorliegend sei auch ein Fall des Systemversagens gegeben: – die konservativen Therapieverfahren seien bei der Klägerin negativ verlaufen; – offenbar und unverständlicher Weise habe sich der G-BA bisher nicht mit der Liposuktion befasst, obwohl dazu Anlass bestanden hätte; – es spreche einiges dafür, dass das Verfahren des G-BA insoweit pflichtwidrig sei. Ein “Systemversagen” beziehe sich nicht nur auf Verfahrensfehler des G-BA; vielmehr seien die Voraussetzungen auch dann gegeben, wenn die vertraglichen Methoden im Einzelfall ausgeschöpft seien und Wirksamkeit der Methode indikationsbezogen nachgewiesen sei. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.09.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 zu verurteilen, ihr eine Liposuktion zur Behandlung ihres Lipödems im Bereich der Arme und Beine zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und ergänzt ihre im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vertretene Auffassung.

Das Gericht hat zur Frage, ob sich der G-BA mit der Behandlungsmethode “Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems” befasst habe, gegebenenfalls mit welchem Ergebnis bzw. warum nicht, eine Auskunft des G-BA vom 06.05.2010 eingeholt, auf die verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Naturalleistungsanspruch auf eine Liposuktion zur Behandlung ihres Lipödems, und zwar weder im Rahmen ambulanter vertragsärztlicher Versorgung, noch in Form einer Kranken- hausbehandlung.

Ein Anspruch auf eine ambulante ärztliche Liposuktion scheitert daran, dass der G-BA die neue Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlenen hat und kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist.

Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist – wie hier – bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinie auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. “Neu” ist eine Methode, wenn sie – wie hier die Liposuktion – zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R m.w.N.).

Auf ausdrückliches Befragen der Kammer hat der G-BA am 06.05.2010 mitgeteilt, dass die Methode der Liposuktionbehandlung eines Lipödems bisher weder im G-BA noch im vormals zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen überprüft worden ist. Weder der G-BA noch seine Rechtsvorgänger hätten zu dieser Therapieform bisher eine Empfehlung abgegeben. Als nicht vom G-BA empfohlene neue Methode ist die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen mithin grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des G-BA bedarf, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es liegt weder ein so genannter Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte, noch ein so genanntes Systemversagen vor. Auch Anhaltspunkte für eine hier gebotene grundrechtsorientierte Auslegung sind nicht ersichtlich. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Einen solchen Schwergrad erreichen die – wenn auch schmerzhaften – Lipödeme der Klägerin nach dem gesamten Vorbringen nicht (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R m.w.N.).

Die Klägerin kann auch nicht eine Liposuktion in Form einer Krankenhausbehandllung als Naturalleistung beanspruchen. Zwar ist ein Anspruch hierauf nicht schon wegen des Fehlens einer positiven Empfehlung des G-BA zu verneinen. Insofern schließt § 137c SGB V grundsätzlich (auch neue) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht aus, solange der G-BA kein Negativvotum ausgesprochen hat. Ein solches Negativvotum existiert für die Liposuktion nicht. Die Klägerin hat jedoch deshalb keinen Anspruch auf eine Krankenhausbehandlung, weil eine solche nicht im Rechtssinne notwendig bzw. erforderlich war (§ 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Das Gesetz regelt die Voraussetzungen des Anspruchs auf vollstationäre Krankenhausbehandlung in § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach muss die Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus erforderlich sein, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach medizinischen Erfordernissen. Reicht nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen im Krankenhaus verbleibt (Großer Senat des BSG, Beschluss vom 25.09.2007 – GS 1/06). Zwar hat Prof. Dr. I. im Antrag vom 16.07.2009 die Kostenübernahme für eine Liposuktion unter stationären Bedingungen begehrt. Jedoch hat Prof. Dr. D. in der ärztlichen Bescheinigung vom 03.02.2009 konkret auf die Klägerin bezogen dargelegt, dass als Therapie der Wahl zur Verhinderung der Chronizität bei der Klägerin eine Liposuktion erfolgversprechend sei, die ambulant oder stationär durchgeführt werden könne. Wenn aber die Liposuktion ambulant möglich ist, besteht kein Anspruch auf eine entsprechende stationäre Behandlung. Dass eine Liposuktion nicht nur im Fall der Klägerin, sondern regelmäßig ambulant durchgeführt werden kann, ergibt sich auch aus zahlreichen sozialgerichtlichen Urteilen, in denen der Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten einer Liposuktion zu Lasten der GKV abgelehnt worden ist (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss vom 22.01.2010 – L 5 KR 145/09; LSG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 24.11.2009 – L 9 KR 29/08; Bayerisches LSG, Urteil vom 13.11.2008 – L 4 KR 437/07).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.