Sozialgericht Berlin S 112 KR 1664/07

Sozialgericht Berlin

Urteil vom 16.12.2009 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Berlin S 112 KR 1664/07

 
 

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Erstattung von 2.835 EUR. Diesen Betrag hat die Klägerin für eine Ende 2006 durchgeführte Behandlung in der Migräne-Klinik K GmbH & Co. KG aufgewendet.

Die 1973 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet seit Jahren an Migräne und Spannungskopfschmerzen. Die medikamentöse Behandlung dieser Krankheiten hatte ein analgetikainduziertes Dauerkopfschmerzsyndrom zur Folge. Im Frühjahr 2004 ließ sich die Klägerin auf eigene Kosten in der Migräne-Klinik K. stationär behandeln. Auf den hierüber erstellten Arztbrief wird verwiesen.

Am 13. Oktober 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine stationäre Behandlungsmaßnahme in der Migräne-Klinik K … Sie fügte u. a. eine Bescheinigung des Vertragsarztes Dr. B bei, der gleichzeitig (einer der) Geschäftsführer der Klinik ist. In dessen ambulante Spezialsprechstunde hatte sich die Klägerin zwei Tage zuvor begeben. Die Beklagte teilte der Klägerin unter dem 18. Oktober 2006 mit, sie habe die Unterlagen zuständigkeitshalber an den (beigeladenen) Rentenversicherungsträger weitergeleitet, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne der Rentenversicherung erfüllt seien. Nachdem die Klägerin anforderungsgemäß die ihr übersandten Antragsvordrucke zurückgesandt hatte, lehnte die Beigeladene durch bindend gewordenen Bescheid vom 16. November 2006 den Antrag “auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation” ab. Ein Rehabilitationsbedarf liege nicht vor. Bei den vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei eine akutstationäre Behandlung erforderlich.

Bereits Anfang November 2006 hatte sich die Klägerin mittels eines von der Klinik verwendeten Formulars zur stationären Migräne-Therapie angemeldet. Unter dem 3. November 2006 bestätigte die Klinik als verbindlichen Aufnahmetermin den 10. November 2006. Für die bis zum 18. November 2006 sowie – nach einer Unterbrechung – vom 28. November bis 12. Dezember 2006 durchgeführte Behandlung zahlte die Klägerin drei Wochenpauschalen á 945 EUR, insgesamt 2.835 EUR. Auf den Bericht (“Arztbrief”) der Klinikärzte vom 21. Dezember 2006 wird verwiesen.

Unmittelbar nach der Entlassung wandte sich die Klägerin nochmals an die Beklagte. Die Weiterleitung des Antrages an den Rentenversicherungsträger sei ihr unverständlich. Sie habe sich die dringend erforderliche stationäre Behandlung zwischenzeitlich selbst beschafft und erwarte die Erstattung des Rechnungsbetrages. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, der einen Rehabilitationsbedarf gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) bejahte. Mit Bescheid vom 3. Januar 2007 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für Maßnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ab. Auf den Widerspruch der Klägerin wandte sich die Beklagte nochmals an den MDK (Stellungnahme vom 6. März 2007) und wies den Rechtsbehelf schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 zurück.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Erstattungsbegehren weiter. Sie trägt vor: Die Beklagte habe den Leistungsantrag in rechtswidriger Weise an die Beigeladene weitergeleitet und damit der Sache nach – zu Unrecht – die Übernahme der Kosten für eine medizinische Heilbehandlung abgelehnt. Die Behandlung in der Migräne-Klinik sei keine medizinische Leistung zur Rehabilitation, sondern eine Krankenhausbehandlung. Damit sei die Beklagte zuständiger Träger. Sie habe es im Übrigen vorwerfbar unterlassen, eine nachvollziehbare Begründung für die Weiterleitung des Antrages zu geben. Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf die Klageschrift vom 24. Mai 2007 sowie die Schriftsätze vom 26. Juli 2007 und 6. Februar 2008 nebst Anlagen K 1 bis K 8 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2007 aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene, zu verurteilen, ihr (der Klägerin) 2.835 EUR zu erstatten.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen, die sie für unbegründet halten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und zur Ergänzung des Sachverhalts wird schließlich Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat weder gegen die Beklagte noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Erstattung von 2.835 EUR.

Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung bei Nichtleistung der Krankenkasse gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt (dazu unter a). Die Klägerin kann Erstattung der ihr entstandenen Kosten auch nicht nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V verlangen, und zwar weder von der Beklagten (dazu unter b) noch von der Beigeladenen (dazu unter c).

a) § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Klägerin kann den erhobenen Anspruch nicht auf die erste Tatbestandsalternative des Satzes 1 a. a. O. stützen. Mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung kann der Kostenerstattungsanspruch nur begründet werden, wenn es dem Versicherten aus medizinischen oder anderen Gründen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25. September 2000, B 1 KR 5/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16). So lag es hier nicht. Die Klägerin konnte, nachdem sie sich bereits am 11. Oktober 2006 in die ambulante Spezialsprechstunde des Dr. B begeben hatte, die schließlich ab 10. November 2006 in Anspruch genommene Behandlung zumindest über einige Wochen hinweg planen und wandte sich in diesem Rahmen auch an die Beklagte. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die Klägerin die Behandlung aus eigenem Entschluss für eine gute Woche unterbrochen hat.

Die Beklagte hat die in Rede stehende Leistung nicht im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Regelung 2 SGB V zu Unrecht abgelehnt. Eine rechtswidrige Ablehnung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Kasse eine vom Versicherten beantragte und ihm rechtlich zustehende Leistung (Primäranspruch) objektiv rechtswidrig verweigert. Typischerweise verweigert die vom Versicherten angegangene Krankenkasse eine Leistung durch formellen Ablehnungsbescheid (“abgelehnt”). Hinreichend deutliche Versagungen können aber bereits in (einfachen) Schreiben (ohne Rechtsmittelbelehrung) der Kasse enthalten sein, die einem förmlichen Bescheid vorausgehen (BSG, Urteil vom 24. September 1996 – 1 RK 33/95 – SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). In erweiternder Auslegung hält das Gericht darüber hinaus jedes einer formellen Entscheidung entsprechende rechtliche oder tatsächliche Verhalten für ausreichend, das ursächlich für den Zwang zur Selbstbeschaffung ist (vgl. Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rn. 52). Darunter fallen auch Beratungsfehler. Hiervon ausgehend kann das Schreiben der Beklagten vom 18. Oktober 2006 nicht als Ablehnung der begehrten Leistung verstanden werden. Die Beklagte hat darin zwar auf die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers hingewiesen und also (mittelbar) ihre eigene Zuständigkeit verneint. Eine Entscheidung im Sinne einer die Klägerin zur Selbstbeschaffung zwingenden Verweigerung der Leistung hat die Beklagte damit aber nicht getroffen. Für den Empfänger des Weiterleitungsschreibens ist nach dessen Wortlaut klar, dass eine Entscheidung über den Kostenübernahmeantrag erst noch getroffen werden wird. Auch die Klägerin hat das Schreiben vom 18. Oktober 2006 offenbar so verstanden wie ihre Mitwirkung in dem von der Beigeladenen fortgeführten Verfahren zeigt.

b) Die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. V. m. § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) sind nicht erfüllt. Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V werden die Kosten für selbst beschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB IX nach § 15 SGB IX erstattet. § 15 Abs. 1 SGB IX bestimmt: Kann über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb der in § 14 Abs. 2 genannten Fristen entschieden werden, teilt der Rehabilitationsträger dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mit. Erfolgt die Mitteilung nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor, können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen und dabei erklären, dass sie sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Zwar ist der Anwendungsbereich des § 15 SGB IX eröffnet, da es sich bei der in Rede stehenden Maßnahme um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation handelt. Die weiteren Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch aus § 15 Abs. 1 SGB IX sind jedoch nicht erfüllt. Was die – § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nachgebildete – Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX angeht fehlt es an dem (auch) insoweit erforderlichen Ursachenzusammenhang. Hier kann auf die Ausführungen zu § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V verwiesen werden. Die Klägerin kann den Erstattungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX stützen. Sie hat der Beklagten schon keine Frist im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IX gesetzt. Ferner ist das weitere Erfordernis, vor der Selbstbeschaffung den Ablauf der Frist abgewartet zu haben, nicht gegeben.

c) Aus den zuletzt genannten Gründen steht der Klägerin auch der hilfsweise gegen den beigeladenen Rentenversicherungsträger erhobene Erstattungsanspruch nicht zu. Einer – nach Maßgabe des § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) möglichen – Verurteilung der Beigeladenen steht zudem deren bindende Ablehnung durch den Bescheid vom 16. November 2006 entgegen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Aufl. 2008, § 75, Rn. 18b m. w. N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.