Sozialgericht Berlin S 76 KR 833/10

Sozialgericht Berlin

Urteil vom 05.04.2011 (rechtskräftig)

Sozialgericht Berlin S 76 KR 833/10

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2009 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Behandlungskosten in Höhe von 100,72 EUR. Im als Plankrankenhaus zur vollstationären Versorgung zugelassenen Krankenhaus der Klägerin erschien der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte, 1929 geborene A K (künftig: Versicherter) am 31. August 2009 zur Operation eines Leistenbruchs. Nach Untersuchung wurde er zur Weiterbehandlung durch seinen Hausarzt aus dem Krankenhaus der Klägerin entlassen, da sich die Operation aufgrund erhöhter Blutdruckwerte als nicht durchführbar erwies. Mit Schlussrechnung vom 11. September 2009 wurden der Beklagten aus diesem Anlass 100,72 EUR für eine vorstationäre Versorgung in Rechnung gestellt, die die Beklagte am 22. September 2009 an die Klägerin zahlte. Der Versicherte erschien am 19. Oktober 2009 erneut im Krankenhaus der Klägerin und wurde nach Verminderung der Blutdruckwerte bis zum 21. Oktober 2009 stationär behandelt und operiert. Die hierfür erstellte Schlussrechnung wurde von der Beklagten ebenfalls bezahlt. Mit Schreiben vom 05. November 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Berechnung einer vorstationären Pauschale bei einer sich anschließenden vollstationären Behandlung mit Berechnung nach DRG nicht möglich sei – die vorstationäre Leistung solle sich nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 Hs. 2 KHEntgG nicht Erlös steigernd auswirken – und verrechnete den Rechnungsbetrag von 100,72 EUR am 18. November 2009 mit einem anderen Behandlungsfall. Dagegen richtet sich die am 14. Mai 2010 zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobene Klage der Klägerin. Diese führt aus, eine vorstationäre Behandlung habe am 31. August 2009 gar nicht stattgefunden, vielmehr handele es sich um zwei verschiedene Behandlungsfälle, was schon aus § 115a Abs. 2 SGB V folge. § 8 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 KHEntgG sei daher nicht anwendbar.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, die Rechnung sei zu Recht gekürzt worden. Denn gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 KHEntgG sei eine vorstationäre Behandlung neben der Fallpauschale nicht gesondert abrechenbar. Hier liege aber ein einheitlicher Behandlungsfall vor. Die in § 115a Abs. 2 Satz 1 SGB V normierte Frist von fünf Tagen sei nicht Teil des in § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V legal definierten Begriffs der vorstationären Behandlung, sondern setze eine solche vielmehr voraus. Die Abrechnungssperre könne auch nicht durch Überschreiten der Frist von fünf Tagen umgangen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten übersandten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte hier gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist als echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG zulässig, denn die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zu einer Leistung, auf die bei gegebenen Leistungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht. Die Klage ist auch begründet.

Der Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten kann allein aus § 109 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Verbindung mit dem Grundverhältnis folgen, das zwischen den Beteiligten auf der Grundlage des Versorgungs- und Sicherstellungsvertrages und der Pflegesatzvereinbarung beruht, die zwischen der Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassenverbänden sowie der Klägerin abgeschlossen worden sind. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse im konkreten Einzelfall entsteht grundsätzlich durch die Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 17. Mai 2000, Az.: B 3 KR 33/99 R = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1). Insoweit ist der Anspruch dem Grund und der Höhe nach hier unstreitig. Allerdings ist entgegen der Auffassung der Beklagte die Bestimmung des § 8 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 KHEntgG hier nicht anwendbar. Danach ist eine vorstationäre Behandlung neben der Fallpauschale nicht gesondert berechenbar. Denn eine vorstationäre Behandlung im Sinne von § 115a Abs. 1 Nr. 1. SGB V, d. h. eine Behandlung zu dem Zweck, die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären oder die vollstationäre Krankenhausbehandlung vorzubereiten, liegt nicht vor. Dies folgt daraus, dass die vorstationäre Behandlung auf längstens drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung begrenzt ist (§ 115a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Ist die Frist des § 115a Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht eingehalten, liegt eine vorstationäre Behandlung im Grundsatz nicht vor. Vorliegend fand die von der Beklagten als vorstationäre Behandlung gesehene Behandlung am 31. August 2009 statt, am 19. Oktober 2009 folgte die eigentliche stationäre Behandlung. Soweit die Beklagte ausführt, es sei nicht möglich, die Abrechnungssperre durch die Überschreitung der Fünftagesfrist zu umgehen, so ist nichts dafür ersichtlich, dass die Frist des § 115a Abs. 2 Satz 1 SGB V hier “umgangen” wurde. Sinn und Zweck der Regelung ist, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt, die Sicherstellung des Vorrangs der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung außerhalb des genannten Zeitraums (BT-Drs. 12/3608, S. 102). Daher gebietet es auch nicht der Schutzzweck der Norm, hier eine vorstationäre Behandlung mit der Folge der Einschlägigkeit von § 8 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 KHEntgG anzunehmen. Vorliegend waren vielmehr allein medizinische Gründe (Absenkung der Blutdruckwerte bei dem Versicherten) für den konkreten Ablauf ausschlaggebend.

Nach alledem hatte die Klage vollumfänglich Erfolg.

Der Zinsanspruch folgt aus dem offensichtlich zwischen den Beteiligten anwendbaren § 12 Abs. 5 des Vertrages über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen diversen Krankenkassen und Krankenkassenverbänden und der Berliner Krankenhausgesellschaft e.V. vom 01. November 1994 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 22. Dezember 1997 (Krankenhausbehandlungsvertrag), wonach das Krankenhaus ab Fälligkeitstag ohne vorherige Mahnung Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz berechnen kann. Sofern der Krankenhausbehandlungsvertrag zwischen den Beteiligten keine Anwendung fände, würde sich der Zinsanspruch aus § 69 Abs. 3 SGB V i. V. m. § 288 BGB ergeben (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19. April 2007, Az.: B 3 KR 10/06 R), wobei der Klägerin dann sogar ein Zinssatz in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zustünde, mithin der geltend gemachte Zinsanspruch von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in jedem Fall gerechtfertigt ist. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Gründe für die Zulassung der Berufung waren nicht gegeben.