Sozialgericht Dresden S 18 KR 242/07

Sozialgericht Dresden

Gerichtsbescheid vom 02.05.2008 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dresden S 18 KR 242/07

 
 

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 879,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2007 zu zahlen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III. Der Streitwert wird auf 879,23 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen. Am 09.12.2005 wurde der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Patient (Vers.-Nr. ) auf ärztliche Einweisung wegen einer Makrohämaturie bei Therapie mit Falithrom im Zentrum für Innere Medizin der Klägerin stationär zur Behandlung aufgenommen. Der Versicherte hatte nach einer früheren Herzoperation laufend Antikoagulanzien einzunehmen. Außerdem wurde laborchemisch ein Harnwegsinfekt diagnostiziert. Im Zuge der Behandlung wurde das Falithrom abgesetzt und der Infekt medikamentös behandelt. Bei Entlassung am 11.12.2005 ließ sich kein Hinweis auf eine Makrohämaturie mehr finden; die Gerinnungswerte befanden sich innerhalb des therapeutischen Bereichs, wegen der weiteren Einstellung wurde die Betreuerin an den Hausarzt verwiesen; bei noch immer massenhaft Leukozyten und reichlich Bakterien im Blut empfahlen die Ärzte eine Fortsetzung der medikamentösen Behandlung des Harnweginfekts für weitere 7 Tage. Die Klägerin rechnete die erbrachten Leistungen mit Rechnung Nr. 6060000012 vom 16.01.2006 in Höhe von insgesamt 2.456,65 EUR auf Grundlage der Fallpauschale G-DRG (2005) Q60A ab. Dem lag die Kodierung der ICD-10-GM (2005) 68.3 Hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper als Hauptdiagnose zu Grunde. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit einer Überprüfung der Abrechnung. Dieser kam in einer Stellungnahme vom 24.02.2006 zunächst zu dem Ergebnis, als Hauptdiagnose sei richtigerweise ICD-10-GM (2005) N39.0 Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet zu verschlüsseln; die Beklagte bat die Klägerin deshalb um eine Rechnungskorrektur auf Basis der Fallpauschale G-DRG (2005) L63B. Auf den Widerspruch der Klägerin hin votierte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in einer weiteren Stellungnahme vom 08.05.2006 für eine Abrechnung auf Basis der Fallpauschale G-DRG (2005) L65Z, ausgehend von der Kodierung der ICD-10-GM (2005) R31 Nicht näher bezeichnete Hämaturie als Hauptdiagnose. Die Beklagte hat den Rechnungsbetrag deshalb um 879,23 EUR gekürzt. Mit ihrer am 15.05.2007 beim Sozialgericht Dresden eingegangenen Klage macht die Klägerin die Auszahlung des Differenzbetrags von 879,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit geltend. Hauptdiagnose sei die ICD-10-GM (2005) 68.3, weil die Blutung bei Antikoagulation zur Aufnahme geführt habe und nicht der banale Harnwegsinfekt, der auch ambulant hätte behandelt werden können. Es sei auch nicht die Blutungsquelle behandelt worden, sondern lediglich die hämorrhagische Diathese durch Dosisänderung der Falithromtherapie. Die Beklagte stützt ihren Antrag auf Abweisung der Klage auf die weitere Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 11.02.2008, es könne nicht davon ausgegangen werden, die Hämaturie liege ursächlich allein in der Antikoagulation begründet; der gleichzeitig vorliegende Harnwegsinfekt stelle gleichermaßen eine mögliche Ursache für die Hämaturie dar.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann über den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten auf Anfrage keine Gründe vorgetragen haben, die einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegen stehen würden. Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat der Klägerin weitere 879,23 EUR zu zahlen. Zu Recht erhebt die Klägerin Anspruch auf Vergütung der erbrachten Krankenhausbehandlungsleistungen in Höhe von insgesamt 2.456,65 EUR auf Grundlage der Fallpauschale G-DRG (2005) Q60A. Die von der Beklagten anerkannte Fallpauschale G-DRG (2005) L65Z beruht auf der unzutreffenden Kodierung der ICD-10-GM (2005) R31 als Hauptdiagnose. Nach DKR (2005) D002d Seite 6 sind die ICD-Schlüssel des ICD-10-GM (2005) Kapitel XVIII nicht als Hauptdiagnose zu verwenden, sobald eine die Symptomatik, etc. erklärende definitive Diagnose ermittelt wurde. Zutreffend stellt zwar der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in seiner Stellungnahme vom 07.02.2008 fest, dass nicht davon ausgegangen werden könne, die Hämaturie liege ursächlich allein in der Antikoagulation begründet; der gleichzeitig vorliegende Harnwegsinfekt stelle gleichermaßen eine mögliche Ursache für die Hämaturie dar. Für die Kodierung der ICD-10-GM (2005) R31 spricht vor diesem Hintergrund, dass die Kategorien des Kapitels XVIII (R00 – R99) im Allgemeinen weniger genau bezeichnete Zustände und Symptome enthalten, die ohne die zur Feststellung einer endgültigen Diagnose notwendigen Untersuchungen des Patienten mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit auf zwei oder mehr Krankheiten oder auf zwei oder mehr Organsysteme hindeuten (ICD-10-GM [2005] Kapitel XVIII pr. Satz 3) und insbesondere Zustände und Symptome von Patienten betreffen, bei denen keine genauere Diagnose gestellt werden kann, obwohl alle für den Krankheitsfall bedeutungsvollen Fakten untersucht worden sind (Kapitel XVIII pr. Satz 7 Buchst. a), oder von Patienten, bei denen aus irgendeinem anderen Grunde keine genauere Diagnose gestellt wurde (ICD-10-GM [2005] Kapitel XVIII pr. Satz 7 Buchst. e). Trotz der hier nicht abschließend geklärten Pathogenese der Hämaturie, namentlich der offen gebliebenen alternativen oder kumulativen (Mit )Ursächlichkeit des Harnwegsinfekts einerseits und der Antikoagulationseinstellung andererseits, liegen die genannten Voraussetzungen für die Verschlüsselung der ICD-10-GM (2005) R31 nicht vor, weil die Voraussetzungen für die Verschlüsselung der ICD-10-GM (2005) D68.3 auf jeden Fall erfüllt sind. Dass eine Blutung unter laufender Antikoagulation eintritt, genügt, um nach der Systematik des ICD-10-GM (2005) davon auszugehen, dass es sich dabei um Symptome handelt, die mit ziemlicher Sicherheit auf die bestimmte Diagnose hindeuten und deshalb unter den entsprechenden Kategorien in den Kapiteln I bis XVII ICD-10-GM (2005) aufgeführt sind (vgl. ICD-10-GM [2005] Kapitel XVIII pr. Satz 2). Denn der Diagnoseschlüssel ICD-10-GM (2005) D68.3 ist durch konkrete Diagnosen und Leitsymptome definiert, unter Anderem “Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien”. Eine solche liegt hier unstreitig vor. Auf die konkrete Pathogenese der Blutung kommt es dabei nicht an, wie durch das Wort “bei” zum Ausdruck kommt; hierfür spricht schon, dass die Antikoagulation an sich keine Gewebeverletzungen bewirkt, sondern lediglich die Blutgerinnung hemmt und deshalb ohnehin nicht die Alleinursache einer Blutung im Sinne eines strengen Kausalitätsbegriffs (wie ein Trauma oder zellschädigende Prozesse), sondern einen für die Entstehung und Ausprägung einer Blutung wesentlichen Umstand im Sinne einer Mitursache darstellt. Nach ICD-10-GM (2005) Kapitel XVIII pr. Satz 5 sollte, um festzustellen, welche Symptome in die-ses Kapitel und welche in die anderen Kapitel einzuordnen sind, das Alphabetische Verzeichnis benutzt werden. Der Diagnosenthesaurus zum ICD-10-GM (2005) verweist ebenfalls auf Seite 65, 124 und 328 unter den Stichworten “Antikoagulanzien” (Therapie mit Hämaturie), “Blutung” (bei Dauertherapie, Antikoagulanzien) und Hämaturie (bei Therapie, Antikoagulanzien) auf die Kodierung der ICD-10-GM (2005) D68.3. Dagegen fehlt eine spezifische Kodierempfehlung für den Diagnose-schlüssel R31 bei laufender Antikoagulation. Ist somit der spezifische Diagnoseschlüssel ICD-10-GM (2005) D68.3 mit Sicherheit und deshalb der Diagnoseschlüssel R31 nicht kodierbar, so kann die G-DRG (2005) L65Z nach den im Definitionshandbuch des G-DRG-Systems 2005 vorgegebenen Kriterien für die Gruppierung der Fallpauschale nicht abgerechnet werden. Fraglich ist damit allein, ob nicht vor dem Hintergrund des Harnwegsinfekts als mögliche (Mit )Ursache der Blutung der Diagnoseschlüssel ICD-10-GM (2005) N39.0 als Hauptdiagnose und ICD-10-GM (2005) D68.3 lediglich als Nebendiagnose zu kodieren ist; dies würde zur Abrechenbarkeit der Fall-pauschale G-DRG (2005) L63B führen (mit einem effektiven Kostengewicht von 0,567 und damit nur wenig mehr als nach Fallpauschale G-DRG [2005] L65Z mit einem effektiven Kostengewicht von 0,517). Diese Frage ist zu verneinen. Nach DKR (2005) D002d Seite 4 wird die Hauptdiagnose definiert als die Diagnose, die nach Analy-se als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Als Hauptdiagnose ist dabei in erster Linie entweder die zu Grunde liegende Krankheit oder, wenn nur ein Symptom behandelt wird, das Symptom zu kodieren. Gegen die Heranziehung des Diagnoseschlüssel ICD-10-GM (2005) N39.0 als Hauptdiagnose spricht dabei zum Einen, dass der Harnwegsinfekt zwar der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 11.02.2008 zufolge eine mögliche Ursache der Hämaturie darstellt, wobei der Prüfarzt von einer nichttraumatischen Blutung ausgeht; als gesichert bezeichnet er die Kausalität indessen selbst nicht. Dagegen sind die Definitionskriterien der ICD-10-GM (2005) N68.3 auf jeden Fall erfüllt. Zum Anderen ist die Kodierung immer so spezifisch wie möglich zu wählen. Die Blutung, welche den symptomatischen Anlass für die Krankenhausbehandlung gegeben hat, wird aber nur durch die ICD-10-GM (2005) N68.3 spezifisch abgebildet, nicht dagegen durch die ICD-10-GM (2005) N39.0, welche auch Harnwegsinfektionen ohne Blutung beschreibt. Dafür, dass die Wahl der ICD-10-GM (2005) N68.3 als Hauptdiagnose und die Verschlüsselung der ICD-10-GM (2005) N39.0 nur als Nebendiagnose die Besonderheiten des Erkrankungs- und Behand-lungsverlaufs angemessen widerspiegelt, spricht letztlich, dass die zur Krankenhauseinweisung führende Hämaturie nach Absetzen des Falithrom während des stationären Aufenthalts gestoppt werden konnte, während die möglicherweise zum Entstehen der Blutung beitragende Infektion noch immer vorlag und der medikamentösen Weiterbehandlung im häuslichen Bereich bedurfte. Die Verschlüsselung der ICD-10-GM (2005) N68.3 als Hauptdiagnose und der ICD-10-GM (2005) N39.0 und Z95.4 als Nebendiagnosen führt zur Gruppierung unter der von der Klägerin zutreffend abgerechneten Fallpauschale G-DRG (2005) Q60A. Dass die Klägerin daneben möglicherweise noch die ICD-10-GM (2005) R31 als Nebendiagnose verschlüsselt hat, wirkt sich dabei auf das Gruppierungsergebnis nicht aus. Der Rechnungssatz der Klägerin vom 16.01.2006 weist im Übrigen keine erkennbaren sachlichen oder rechtlichen Fehler auf. Dem Antrag in der Hauptsache ist somit in vollem Umfang stattzugeben. Der Zinsanspruch ergibt sich unter Beschränkung auf die Höhe des bezifferten Anspruchs (§ 123 SGG) aus § 291 Satz 1 Halbs. 1, Satz 2 in Verbindung mit § 288 Abs. 2 BGB und § 69 Satz 2 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der gemäß § 52 Abs. 3 GKG in Verbindung mit § 1 Nr. 4 GKG und § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG festgesetzte Streitwert entspricht der Höhe der streitgegenständlichen Forderung.