Sozialgericht Dresden S 18 KR 252/07

Sozialgericht Dresden

Gerichtsbescheid vom 14.08.2009 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dresden S 18 KR 252/07
  • Sächsisches Landessozialgericht L 1 KR 158/09

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

III. Der Streitwert wird auf 1.787,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen.

Der bei der Beklagten gesetzlich versicherte, 1935 geborene H. G., wurde am 12.07.2006 zur Abklärung unspezifischer Beschwerden in das Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Während des Krankenhausaufenthaltes wurde ein kleinzelliges Bronchialkarzinom diagnostiziert und eine kombinierte Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid eingeleitet. Nach Abschluss des ersten Therapiezyklus wurde der Versicherte am 26.07.2006 zunächst in die ambulante Weiterbehandlung entlassen. Eine Wiederaufnahme zur Fortführung der Chemotherapie war für den 08.08.2006 geplant.

Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten für diese Krankenhausbehandlung als Vergütung ab:

G-DRG (2006) Nr. E02B – Andere OR-Prozeduren an den Atmungsorganen ohne aufwändigen Eingriff 3.908,25 EUR Qualitätssicherungs-Zuschlag 1,29 EUR Zuschlag Arbeitszeit/AIP § 4 Abs. 13 und 14 KHEntgG 37,91 EUR Ausbildungszuschlag § 17a KHG 23,06 EUR Systemzuschlag §§ 91, 139a SGB V 0,65 EUR DRG-Systemzuschlag § 17b Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KHG 0,90 EUR Investitionszuschlag neue Länder § 8 Abs. 3 KHEntG, § 14 Abs. 3 GSG 78,68 EUR Rechnungssumme 4.050,74 EUR

Am 30.07.2006 wurde der Versicherte in verschlechtertem Allgemeinzustand mit Fieber nach anhaltenden Durchfällen und Inappetenz als Notfall erneut stationär aufgenommen. Laborchemisch wurden eine Leukopenie sowie eine Thrombozytopanie festgestellt, die als unerwünschte Arzneimittelwirkung der vorangegangenen Chemotherapie zugeschrieben wurden. Nach Stabilisierung des Zustands, namentlich der Entzündungsparameter, wurde der Versicherte am 15.08.2006 entlassen. Die geplante Wiederaufnahme zur Fortsetzung der Chemotherapie wurde auf den 21.08.2006 verschoben.

Für diesen Aufenthalt stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 20.08.2006 folgende Vergütung in Rechnung:

G-DRG (2006) Nr. E71A – Neubildungen der Atmungsorgane, mehr als ein Belegungstag, mit äußerst schweren CC oder starrer Bronchoskopie 2.905,30 EUR Qualitätssicherungs-Zuschlag 1,29 EUR Zuschlag Arbeitszeit/AIP § 4 Abs. 13 und 14 KHEntgG 28,18 EUR Zuschlag Arbeitszeit/AIP § 4 Abs. 13 und 14 KHEntgG 11,36 EUR ZE 40.06 (Gabe von Filgrastim parenteral, 450 bis unter 550 Mio. IE) 1.171,59 EUR Ausbildungszuschlag § 17a KHG 23,06 EUR Systemzuschlag §§ 91, 139a SGB V 0,65 EUR DRG-Systemzuschlag § 17b Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KHG 0,90 EUR Investitionszuschlag neue Länder § 8 Abs. 3 KHEntG, § 14 Abs. 3 GSG 89,92 EUR Rechnungssumme 4.232,25 EUR

Die Beklagte, die zunächst beide Rechnungen in der geforderten Höhe beglichen hatte, erklärte nach Prüfung der Abrechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit Schreiben vom 13.10.2006, für beide Krankenhausaufenthalte könne nur einmal die Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. E02B mit Zuschlag abgerechnet werden, weil die Wiederaufnahme wegen einer Komplikation der vorangegangenen Chemotherapie nötig gewesen sei, und forderte den Differenzbetrag von 1.787,12 EUR zurück.

Die Klägerin widersprach dem mit Schreiben vom 17.10.2006. Der Versicherte sei nicht wegen einer Komplikation, sondern wegen einer bekannten Nebenwirkung der Chemotherapie wieder aufgenommen worden, die nicht zu Lasten des Krankenhauses gehen könne. Es widerspreche dem Sinn des § 2 Abs. 3 FPV 2006, unvermeidbare Nebenwirkungen einer Therapie als durch das Krankenhaus vermeidbare Komplikation zu werten.

Die Beklagte forderte die Klägerin unter Hinweis darauf, dass die Frage nach der Vermeidbarkeit einer Komplikation im Rahmen der Regelung belanglos sei, nochmals mit Schreiben vom 30.10.2006 zur Erstattung des Differenzbetrages auf und rechnete nach fruchtlosem Ablauf der hierfür gesetzten Frist den Rückforderungsbetrag von 1.787,12 EUR gegenüber dem unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Rechnung Nr. 0073029656 (Patientin E. M. ) auf.

Mit ihrer am 21.05.2007 zum Sozialgericht Dresden erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Auszahlung des im Wege der Aufrechnung einbehaltenen Differenzbetrags zur ursprünglichen Abrechnung. Sie habe zu Recht für beide Krankenhausaufenthalte zwei Fallpauschalen abgerechnet. Die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs. 3 FPV 2006 seien nicht erfüllt, weil die Wiederaufnahme nicht auf Grund einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung des ersten Aufenthalts erfolgt sei. Abgesehen davon, dass schon der Zusammenhang zwischen Leukozytopenie als typische Nebenwirkung der Chemotherapie einerseits und dem verschlechterten Allgemeinzustand und der Infektion des Versicherten bei der zweiten Krankenhausaufnahme andererseits fraglich sei, handele es sich bei den Nebenwirkungen der Chemotherapie schon begrifflich nicht um eine Komplikation. Für Letztere sei kennzeichnend, dass der gewohnte Krankheits- oder Behandlungsablauf unvorhergesehen ungünstig beeinflusst werde. Die Nebenwirkungen des Chemotherapeutikums träten dagegen vorhersehbar und unvermeidbar ein. § 2 Abs. 3 FPV 2006 solle dazu beitragen, vorzeitige Entlassungen und unvollständige Behandlungsabschlüsse zu vermeiden, indem das Risiko für unvorhergesehene Ereignisse, die in die Risikosphäre des Krankenhauses fallen und durch ordnungsgemäße Leistungserbringung hätten verhindert werden können, dem Krankenhaus auferlegt werde. Dagegen würden Umstände, die nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen, sondern beispielsweise durch das Verhalten des Patienten oder sonstige äußere Umstände verursacht werden, nicht erfasst. Dies entspreche auch der Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit, das in seinem Schreiben an die Partner der Selbstverwaltung vom 02.04.2007, Az. 215-43546-8, unvermeidbare oder typische Nebenwirkungen einer Erkrankung und deren Behandlung einerseits und unerwünschten behandlungsbedingte Komplikationen, z. B. bei einer nicht lege artis erfolgenden Behandlung, andererseits einander gegenüber stellt und nur bei Letzteren eine Fallzusammenführung als akzeptabel erachtet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.787,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 09.01.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält der Klägerin hinsichtlich der Frage nach der Veranlassung des Krankenhausaufenthaltes die Stellungnahme des Medizincontrollers der Klägerin in deren Schreiben vom 17.10.2006 entgegen. In ICD-10 (2006) Kapitel XX Abschnitt Y40-Y84 – Komplikationen bei der medizinischen und chirurgischen Behandlung – sei in Nr. Y57.9 ausdrücklich die unerwünschte Nebenwirkung von Arzneimitteln und Drogen bei indikationsgerechter Anwendung und in korrekter therapeutischer oder prophylaktischer Dosierung in die Definition von “Komplikationen durch Arzneimittel oder Drogen” eingeschlossen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann über den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten auf Anfrage keine Gründe vorgetragen haben, die einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegen stehen würden. Auch eine – dem Erlass eines Gerichtsbescheids grundsätzlich entgegen stehende – grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nicht mehr zu, nachdem sich durch die neue Fassung des § 2 Abs. 3 in den FPV 2008 und 2009 mit Wirkung ab dem 01.01.2008 die Rechtslage in Bezug auf die für Entscheidung maßgebliche Rechtsnorm inzwischen geändert und der Rechtsstreit nur noch Bedeutung für den Einzelfall hat.

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat gegen die spätere Vergütungsforderung der Klägerin wirksam mit ihrem Rückforderungsbegehren aufgerechnet. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Vergütung der beiden Krankenhausbehandlungen auf Grundlage von § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG sowie § 17b Abs. 1 Satz 3 KHG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB V, § 1 Abs. 1 Satz 1 und Anlage 1 Teil a FPV 2006 nach Maßgabe sowohl der G-DRG (2006) Nr. E71A als auch der G-DRG (2006) Nr. E02B.

Beide Fälle sind gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 KHEntG und § 2 Abs. 3 Satz 1 FPV 2006 zusammenzuführen. Nach diesen insoweit gleich lautenden Vorschriften hat das Krankenhaus, wenn Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen werden, eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Wiederaufnahme des Versicherten auf Grund unerwünschter Arzneimittelwirkungen des beim ersten Krankenhausaufenthalt verabreichten Chemotherapeutikums erforderlich war. Dies hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 17.10.2006 selbst ausdrücklich erklärt. Die von den Bevollmächtigten der Klägerin zunächst unsubstantiiert in den Raum gestellten Zweifel am Zusammenhang zwischen der Chemotherapie und der Veranlassung des Krankenhausaufenthalts haben insoweit keinen konkreten Anlass zu weiteren Ermittlungen gleichsam ins Blaue hinein geboten und sind von der Klägerin inzwischen mit der Beschränkung des Klagegegenstandes auf die Rechtsfrage im Schreiben vom 18.06.2009 aufgegeben worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellen die zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit führenden Arzneimittelwirkungen eine Komplikation im Sinne von § 8 Abs. 5 Satz 1 KHEntG und § 2 Abs. 3 Satz 1 FPV 2006 dar.

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass durch ICD-10 (2006) Nr. Y57.9 die unerwünschte Nebenwirkung von Arzneimitteln und Drogen bei indikationsgerechter Anwendung und in korrekter therapeutischer oder prophylaktischer Dosierung von der Definition einer “Komplikation durch Arzneimittel oder Drogen” begrifflich mit umfasst ist. Nr. 1917d der auf Grundlage von § 17 Abs. 2 KHG und § 1 Nr. 5 der hierauf beruhenden Vereinbarung zwischen der Deutsche Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverbände der Krankenkassen vom 30.06.2000 über die Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems nach § 17b KHG beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Systemjahr 2006 sehen die Kodierung der ICD-10 (2006) Nr. 57.9 bei unerwünschten Nebenwirkungen der verordnungsgemäßen Einnahme indikationsgerechter Arzneimittel ausdrücklich als Option vor. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 5 Satz 1 KHEntG und des § 2 Abs. 3 Satz 1 FPV 2006 zu beachten. Gemäß § 301 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, hier: ICD-10 (2006), für die Abrechnung von Krankenhausbehandlungsleistungen verbindlich. Soweit Rechtsvorschriften über die Abrechnung von Krankenhausleistungen an empirische Begriffe aus der Medizin anknüpfen, welche Eingang in die Klassifikation gefunden haben, erlangt diese hierdurch normative Geltung.

Eine vergleichbare Normativität kommt der von der Klägerin zitierten Umschreibungen des Begriffs “Komplikation”, nach der es maßgeblich auf die Unvorhersehbarkeit eines Umstandes ankommen soll, nicht zu. Diese Umschreibung gibt für die Abgrenzung im vorliegenden Fall nichts her.

Zwischen den Begriffen “Komplikation” und “Nebenwirkung” gibt es einen weiten Überschneidungsbereich. Es handelt sich nicht um einander ausschließende Tatbestände. Auch Arzneimittelnebenwirkungen können eine Komplikation darstellen. Der Bedeutungskern des Begriffs “Komplikation” beschränkt sich darauf, dass der Krankheits- bzw. Behandlungsverlauf eine nicht gewollte ungünstige Wendung nimmt. Auf die Vorhersehbarkeit oder Unerwartetheit ihres Eintritts kommt es nicht zwingend an (vgl. “Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch” zum Einen 257. Auflage 1994: Ereignis oder Umstand, wodurch der gewohnte Ablauf einer Erkrankung, eines ärztlichen Eingriffs oder natürlichen Vorgangs ungünstig beeinflusst werden kann; zum Anderen 260. Auflage 2004: Ereignis oder Umstand, wodurch der durchschnittliche Ablauf einer Erkrankung, eines ärztlichen Eingriffs oder natürlichen Vorgangs gestört werden kann). Soweit dem Wortlaut im fachlichen Sprachgebrauch ein gewisses “Überraschungselement” beigemessen wird, bezieht sich das auf die konkrete Vorhersehbarkeit des tatsächlichen Eintritts und das Ausmaß des Störfaktors im konkreten Einzelfall. Die im Einzelfall von vorn herein bestehende Möglichkeit, dass es zu solchen Ereignissen kommt, wie auch die generelle, oft sogar statistisch erfassbare Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts stehen der Einordnung als Komplikation dagegen begrifflich nicht entgegen. Dass der Eintritt von Komplikationen nicht sicher vorhergesagt, aber gleichwohl erwartet werden kann, ist gerade eine unentbehrliche Voraussetzung, um anhand statistischer Erhebungen Aussagen zur Behandlungsqualität treffen zu können.

Für den Eintritt konkreter Nebenwirkungen einer Arzneimitteltherapie mit einem Chemotherapeutikum und der hierdurch evtl. bedingten Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bei einem bestimmten Patienten gilt dabei nichts anderes als hinsichtlich sonstiger Komplikationen einer Erkrankung oder eines Eingriffs. Auch ihr Eintritt ist generell wahrscheinlich, das Auftreten und ihr Ausmaß im Einzelfall aber nicht sicher vorhersagbar. So heißt es in den Fachinformationen zu dem beim Versicherten eingesetzten Chemotherapeutikum Cisplatin (Bl. 23 der Verwaltungsakte), dieses habe meist nur eine schwache, reversible und dosisabhängige Hemmwirkung auf die Knochenmarkfunktion bei 25 bis 30 % der Patienten; die Knochenmarkschädigung äußere sich unter anderem in einem Abfall der Leukozyten (bei 5 % der Patienten unter 1,5 109/l) und Thrombozyten (bei weniger als 10 % der Patienten unter 50 109/l). Mit gastrointestinalen Nebenwirkungen in Form von Appetitlosigkeit, Übelkeit, zum Teil mit Erbrechen sowie Durchfall und Bauchschmerzen sei bei 70 bis 80 % der Patienten zu rechnen. Damit bestand eine statistisch hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der zur erneuten Einweisung führenden Beschwerden, ihr Eintritt und ihr konkretes Ausmaß, namentlich die erneute Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit, standen indessen nicht fest. Dies ist bei anderen Komplikationen während oder nach einer (nicht in erster Linie medikamentösen) Krankenhausbehandlung – zum Beispiel Sepsis, Thrombose, Nachblutungen oder komorbiditäts- oder anlagebedingte oder schlechthin schicksalhafte schwere Verläufe – prinzipiell nicht anders.

Die Fallzusammenführung war im hier streitgegenständlichen Jahr 2006 auch noch nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Versicherte wegen einer “in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation” wieder aufgenommen wird, wie es in § 2 Abs. 3 FPV 2008 und FPV 2009 heißt. Die zum 01.01.2008 in Kraft getretene Neufassung bestätigt zunächst begrifflich, dass nicht nur in der Verantwortung des Krankenhauses liegende Umstände eine Komplikation im Sinne der Vereinbarung darstellen, weil es anderenfalls des einschränkenden Zusatzes nicht bedurft hätte. Ob eine Komplikation vorliegt, hängt nicht davon ab, ob jemand, ggf. wer, die Verantwortung für den Eintritt der Erschwernisse trägt. Insbesondere ist die Fallzusammenführung keine Sanktion, um Kliniken für vermeidbare Kunstfehler zu bestrafen.

Gerade weil die Arzneimittelnebenwirkungen des im Krankenhaus durchgeführten ersten Chemotherapiezyklus hier typisch und für das Krankenhaus unvermeidbar waren, ist eine Fallzusammenführung geboten. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelung.

Ziel der Fallzusammenführung ist es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen der Patienten zu vermeiden, zumindest keinen finanziellen Anreiz in diese Richtung zu geben. Da mit der Fallpauschale die Behandlung eines Patienten bis zur festgelegten Grenzverweildauer vergütet wird, muss das Krankenhaus auch bei der Wiederaufnahme eines Patienten wegen einer Komplikation in diesem Zeitraum seine Leistungen grundsätzlich ohne zusätzliche Vergütung erbringen. Das Krankenhaus trägt somit das Risiko von auftretenden Komplikationen (vgl. die Begründung zu § 8 Abs. 5 Satz 1 KHEntG, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/994 S. 22).

Stellt sich ein konkreter Behandlungsbedarf als spezifische Folge einer Erkrankung bzw. deren Behandlung dar, auf die sich der Behandlungsauftrag des Krankenhauses bereits während des vorangegangenen Krankenhausaufenthalts erstreckt hat, so bleibt das Krankenhaus auf Grund des selben Behandlungsauftrags auch für die weitere Krankenhausbehandlung verantwortlich und hat innerhalb der Grenzverweildauer Anspruch auf eine einheitliche Pauschalvergütung. Wenn die nach Beginn der Behandlung eingetretenen Komplikationen innerhalb der Grenzverweildauer auftreten und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begründen, kann es keinen Unterschied machen, ob der Patient sich ununterbrochen in der Klinik aufgehalten hat oder ob das Krankenhaus ihn zwischenzeitlich entlassen hatte. Denn mit dem Eintritt der Komplikation verwirklicht sich gerade das spezifische Gesundheitsrisiko des Behandlungsfalles, das zu bekämpfen das Krankenhaus gegen Zahlung der Fallpauschale beauftragt worden ist.

Trifft dies schon auf Fälle unvorhergesehener, atypischer Komplikationen zu, so muss es für absehbare, behandlungstypische Nebenwirkungen erst recht gelten. Nur wenn die erneute Einweisung auf Umständen beruht, die mit der früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt.

Das Krankenhaus wird durch die Anwendung dieser Regelung nicht ungerechtfertigt aus Gründen benachteiligt, die außerhalb seiner Verantwortung liegen. Die Verantwortung des Krankenhauses wird durch den Auftrag zur Behandlung der Erkrankung bestimmt, welche die Veranlassung für den (ersten) Krankenhausaufenthalt gegeben oder auf die sich die Behandlung sonst erstreckt hat. Auf ein Verschulden hinsichtlich der erneuten Behandlungsbedürftigkeit kommt es dabei nicht an. Ungerechtfertigt wäre es vielmehr, einen zusammenhängenden Krankheits- und Behandlungsfall innerhalb der Grenzverweildauer in zwei Behandlungsfälle aufzuspalten und dem Krankenhaus so einen Anreiz zu bieten, durch die – mehr oder weniger zufällige oder willkürliche – zwischenzeitliche Entlassung des Patienten eine weitere Fallpauschale geltend zu machen, obwohl der ursprüngliche Behandlungsfall im Ganzen betrachtet noch nicht abgeschlossen war.

Vielmehr würde die gegenteilige Auffassung der Klägerin Krankenhäuser begünstigen, die das einheitliche Therapiegeschehen durch eine vorübergehende Entlassung des Patienten zwischen der Verabreichung des Chemotherapeutikums und dem Eintritt der schweren Nebenwirkungen künstlich in zwei getrennte Behandlungsfälle aufspalten. Dies schafft nicht nur einen falschen Anreiz zur vorschnellen Entlassung tatsächlich stationär überwachungsbedürftiger Patienten. Es führt darüber hinaus zu der paradoxen Folge einer effektiv höheren Vergütung ausgerechnet der leichteren Fälle, in denen eine zwischenzeitliche Entlassung möglich ist, gegenüber den schwereren Fällen, in denen wegen des ununterbrochenen Krankenhausaufenthalts nur eine Fallpauschale abgerechnet werden kann.

Es spielt für die Auslegung des § 2 Abs. 3 FPV 2006 auch keine Rolle, ob mit der Fallpauschale des ersten Aufenthalts der Aufwand für die Weiterbehandlung des Patienten nach der erneuten Aufnahme wirtschaftlich adäquat mit abgebildet wird. Denn die einheitliche und konsequente Anwendung der Abrechnungsregelungen schafft erst die Voraussetzungen dafür, dass der mit der Behandlung der unerwünschten Arzneimittelwirkungen verbundene Mehraufwand nach der Wiederaufnahme in die Kalkulation der zutreffenden Fallpauschale einfließt und durch die Bewertungsrelation abgegolten werden kann. Eine stringente Anwendung der Fallzusammenführung wertet die Fallpauschale in der Kalkulation perspektivisch letztlich auf, während bei Annahme eines neuen Behandlungsfalles der Ressourcenverbrauch nach Wiederaufnahme auch kalkulatorisch nicht bei der Fallpauschale der ersten Behandlung erfasst werden kann. Bei konsequenter Umsetzung der Abrechnungsvorschriften innerhalb des Systems sowohl auf der Kalkulations- als auch auf der Vergütungsseite ist das Ergebnis für die betroffenen Kliniken ergebnisneutral.

Der Empfehlung des Bundesministeriums für Gesundheit an die Selbstverwaltungspartner vom 02.04.2007 zur Neufassung des § 2 Abs. 3 FPV ab 2008 lässt sich für die Auslegung der hier maßgeblichen FPV 2006 nichts Gegenteiliges entnehmen. Mit Wirkung ab dem 01.01.2008 haben die Vertragspartner der FPV 2008 und der FPV 2009 in Satz 2 des § 2 Abs. 3 ausdrücklich die Fälle der Wiederaufnahme wegen unvermeidbarer Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapien von der Fallzusammenführung ausgenommen. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Vorschrift gegenüber dem ebenfalls neu formulierten Satz 1, wonach eine Fallzusammenführung nur dann ausgeschlossen ist, wenn die zur Wiederaufnahme führenden Komplikationen im Zusammenhang mit der Leistung außerhalb der (Behandlungs-)Verantwortung des Krankenhauses liegen, sich also in Gestalt des Mehraufwandes Risiken verwirklicht haben, die gerade nicht mehr den der Erkrankung und deren Therapie eigentümlichen Gefahren zuzurechnen sind, für deren Behandlung das Krankenhaus vergütet wird.

Die innere Rechtfertigung für diese Durchbrechung des Grundsatzes der einheitlichen Vergütung des Behandlungsfalles ausschließlich für den Bereich der onkologischen Arzneimittel- und Strahlentherapie erschließt sich objektiv nicht. Die Vereinbarkeit der Regelung mit der gesetzlichen Vorgabe des § 8 Abs. 5 KHEntgG ist zweifelhaft, da die Neuregelung den – vom Gesetz gerade verbotenen – Anreiz bietet, onkologische Patienten nach Applikation des Chemotherapeutikums oder der Bestrahlung pro forma kurzzeitig zu entlassen, um – wie hier – mit der in Kürze absehbaren Wiederaufnahme nach dem Einsetzen der Nebenwirkungen einen zweiten Behandlungsfall abrechnen zu können. Kliniken dagegen, die den Patienten im Hinblick auf den bereits krankheitsbedingt reduzierten Allgemeinzustand und den in Kürze drohenden Eintritt der Therapienebenwirkungen fürsorglich auf Station behalten, können nur einen Fall abrechnen. Gerade die schweren, mit einem höheren Behandlungsaufwand verbundenen Fälle, in denen der Zustand des Patienten eine zwischenzeitliche Entlassung verbietet, werden dadurch schlechter vergütet als die leichteren Fälle, in denen durch die zwischenzeitlich mögliche “Beurlaubung” des Patienten ein neuer Abrechnungsfall ausgelöst wird.

Abgesehen von dieser – hier noch nicht zum Tragen kommenden – Problematik bestätigt die Aufnahme der speziellen Regelung indessen indirekt, dass die nunmehr in § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 und FPV 2009 geregelten Fälle anderenfalls in den Anwendungsbereich der Fallzusammenführung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 fallen würden. Denn selbstverständlich hat das Krankenhaus nach stationärer Applikation eines Chemotherapeutikums auch für die Behandlung der damit einhergehenden Nebenwirkungen innerhalb der Grenzverweildauer ohne zusätzliches Entgelt aufzukommen und zwar unabhängig davon, ob diese binnen Kürze eintreten, so dass der Patient gleich auf Station verbleibt, oder verzögert, so dass das Krankenhaus den Patienten zwischenzeitlich entlässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 1 Nr. 4 GKG und § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG nach der sich aus dem Klageantrag ergebenden Bedeutung der Sache festzusetzende Streitwert entspricht der Höhe der streitgegenständlichen Forderung.