Sozialgericht Dresden S 18 KR 295/02

Sozialgericht Dresden

Urteil vom 09.12.2004 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dresden S 18 KR 295/02
  • Sächsisches Landessozialgericht L 1 KR 1/05

 

I. Der Bescheid vom 15.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 22.04.2002 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine brustverkleinernde Operation zu gewähren.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine brustverkleinernde Operation. Die 1965 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin ist von Beruf Kran-kenpflegerin. Am 17.07.2001 beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage einer Verordnung ihres behandelnden Facharztes für Orthopädie Dr. med. G vom 12.06.2001 die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik wegen eines Schulter-Arm-Syndroms. Mit ärztlichem Attest vom 03.09.2001 bescheinigte der Chefarzt der Frauenklinik des Krankenhauses F, Dr. med. M, der Kläge-rin Hals- und Brustwirbelsäulenbeschwerden sowie eine Mastodynie mit Krankheitswert, verbunden mit Schnürfurchenbildung und Neigung zur Ekzembildung in der Submammarfalte. Der Gutachterarzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dipl.-Med. R kam in einem daraufhin von der Beklagten angeforderten Gutachten auf Grund der Untersuchung vom 02.08.2001 zu dem Ergebnis, hinsichtlich der Größe und des Volumens der Brust liege kein krankheitswertiger Befund vor. Er habe den Eindruck, dass die Klägerin die Operation wegen der ausgeprägten Ptose wünsche. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen den geklagten Schultergelenkbeschwerden und dem Brustgewicht. Die Beklagte lehnte, gestützt auf das Gutachten Dipl.-Med. R s, den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15.08.2001 ab. Gegen die Ablehnung erhob die Klägerin am 13.09.2001 mit Schreiben vom 11.09.2001 Widerspruch. Sie leide seit ca. 10 Jahren an zunehmenden Rückenschmerzen und zusätz-lich an einem Schulter-Arm-Syndrom. Orthopäde und Gynäkologe seien übereinstimmend der Auffas-sung, die Brustverkleinerung sei zur Linderung bzw. Heilung medizinisch dringend notwendig. Die Beklagte holte einen Befundbericht beim Facharzt für Orthopädie Dr. med. S vom 23.10.2001 ein, in dem jener über rezidivierende Beschwerden im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule mit deutlicher Rundrückenbildung und der Unmöglichkeit zum Aufrichten der Brustwirbelsäulen-Kyphose berichtete. Die Brüste seien auf beiden Seiten zu schwer. Eine Mammareduktion würde die Belastungswerte der vorgeschädigten Brustwirbelsäule und damit die Gesamtsymptomatik verbessern. Auf Grund einer weiteren Begutachtung diagnostizierte der Gutachterarzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. med. T eine Zervikozephalobrachialgie (M53.1) und Mammaptosis (N64.8) mit therapieresistenten Nacken-Schulter-Beschwerden und ptotischen Mammae beidseits bei fixierter Fehlhaltung der Brustwirbelsäule und schmerzhafter Verspannung der Nacken-Schulter-Muskulatur. Schnürfurchen oder ein intertrigöses Ekzem seien nicht feststellbar. Er empfehle, die Kostenübernahme abzulehnen, und verwies die Klägerin auf das Tragen eines Reha-Entlastungs-BH s. Außerdem legte die Klägerin ein Attest des Chefarztes der Abteilung Gynäkologie der S Klinik S, Dr. med. B, vom 01.03.2002 vor, der das Resektionsgewicht angesichts einer ausgeprägten Makromastie rechts auf 700 g und links auf 850 g schätzte. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2002, der am 23.04.2002 abgesandt wurde, zurück. Für die beantragte Operation bestehe keine medizinische Notwendigkeit, die Mamahypertrophie sei eine Normvariante und nicht entstellend, es bestehe kein Zusammenhang mit den Schulterbeschwerden. Hiergegen richtet sich die am 14.05.2002 bei Sozialgericht eingegangene Klage vom 13.05.2002. Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.08.2001 in der Fas-sung des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2002 zu verpflichten, der Klä-gerin Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V zukommen zu lassen, die darauf gerichtet ist, eine Mammareduktionsplastik durchzuführen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Eingriff in ein gesundes Organ als mittelbare Krankenbehandlung sei hier nicht gerechtfertigt. Die von den Krankenkassen geschuldete Krankenbehandlung umfasse nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzten. Krankengymnastik und physikalische Therapie ? wie bereits bisher verordnet und in Anspruch genommen ? seien daher vorrangig durchzuführen. Ei-ne mittelbare Behandlung, erst recht, wenn sie eine gezielte Verletzung gesunder Körpersubstanz vor-aussetzt, bedürfe einer umfassenden Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nut-zen und dem möglichen Schaden sowie den damit möglicherweise verbundenen Folgekosten. Bislang gebe es keine einzige wissenschaftliche Studie, die den Zusammenhang zwischen der Größe der Brüs-te und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden belege. Der Nutzen der Operation sei nicht wis-senschaftlich belegt und die Folgen nicht abzuschätzen. Der mittelbare Eingriff sei deshalb nicht ver-tretbar. Der gewünschte Eingriff werde auch nicht zur Beseitigung der Beschwerden führen. Das Gericht hat nochmals Befundberichte beim Facharzt für Orthopädie Dr. med. S vom 11.10.2002 (Subacromiales Impingementsyndrom), beim behandelnden Gynäkologen Dr. med. Sch vom 30.10.2002 (Makromastie, Mastoptose) und bei den Fachärzten für Innere Medizin Dres. med. P. und A. H vom 12.11.2002 eingeholt. Darüber hinaus hat es Dr. med. P mit der Anfertigung eines othopädischen Gutachtens beauftragt. Dieser schätzte auf Grund der Untersuchung vom 14.08.2003 ein, dass die Brustgröße, ?form und ?stabilität das Krankheitsbild eines zervikobrachialen Schmerzsyndroms rechts und die schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks verstärkten. Die Hypertrophie und die Fehl-form und der Brüste hätten mittelbaren Einfluss auf die Beschwerden. Der Eingriff werde zu einer Linderung, aber nicht zur Beseitigung der Beschwerden führen. Hauptursache für das Beschwerdebild seien wohl die Folgen einer Scheuermann schen Erkrankung im Jugendalter. Die Verursachungsantei-le seien nicht klar bestimmbar. Zur operativen Brustverkleinerung gebe es keine Therapiealternative. Krankengymnastik lindere die Beschwerden allenfalls. Die Mehrbelastung durch das über die BH-Träger auf die Schulter übertragene Brustgewicht wirke den physikalischen Behandlungen entgegen. Ein operativer Eingriff sei nicht mit einem unvertretbaren Risiko verbunden. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens mit der ergänzenden Stellungnahme vom 19.12.2003 wird auf Blatt 83 bis 97 und Blatt 116 der Sozialgerichtsakte, im Übrigen auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Übernahme der Kosten der begehrten brustverkleinernden Operation durch die Beklagte. 1. Gemäß § 11 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) ? Gesetzliche Krankenversicherung ? haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und die Krankenhausbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu er-kennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die beantragte Mammareduktionsplastik ist zur Linde-rung krankheitsbedingter Beschwerden der Klägerin notwendig, zweckmäßig, wirtschaftlich und ? im Rahmen des Erreichbaren ? ausreichend. Die Kammer gelangt zu dieser Einschätzung auf Grund des von Dr. med. P angefertigten Gutach-tens und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.12.2003. Das Gutachten des Sachverständigen ist ? insbesondere in der Aufnahme und Bewertung der Befunde unter Berücksichtigung der Vor-geschichte und der eingeholten Befundberichte sowie in der Beantwortung der Beweisfragen ? sorgfältig, nachvollziehbar und lässt keine Mängel der Sachkunde oder der Darstellung erkennen. Im Ergebnis des Gutachtes geht die Kammer von Folgendem aus: – Bei der Klägerin liegt eine Krankheit des Stütz- und Bewegungsapparates im Bereich der Hals-wirbelsäule und der Schulter in Gestalt eines Impingement? und eines Zervikobrachial-Syndroms mit Ausstrahlung in die Arme vor. Die damit verbundenen schmerzhaften und funktionellen Krankheitsbeschwerden beruhen hauptsächlich auf Veränderungen der Schulter und Halswirbel-säule als Folge einer Scheuermann schen Erkrankung im Jugendalter und einer Einengung des Supraspinatusmuskels sowie auf einer Fehlstatik des oberen Stütz- und Bewegungsapparats. – Größe, Form, Stabilität und Gewicht der Brust sind nicht Hauptursache, sie beeinflussen aber die Fehlstatik und die Nervenirritationen an der rechten Schulter und damit als wesentliche Mitursa-che auch die aus dem Befund des oberen Stütz- und Bewegungsapparats als erkranktem Funkti-onssystem resultierenden Beschwerden mit. Die Verursachungsanteile lassen sich nicht genau quantifizieren, darauf kommt es aber auch nicht an. – Eine operative Verkleinerung der Brust würde zu einer ? wenn auch nicht näher zu quantifizie-renden ? Linderung der Beschwerden im Vergleich zum Zustand ohne die Operation führen. – Die im Sinne des ultima ratio-Prinzips vorrangigen Behandlungsalternativen sind ausgeschöpft. – Die zu erwartende Linderung der Beschwerden rechtfertigt den mit dem Eingriff verbundenen Aufwand und die damit verbundenen Risiken von Komplikationen und Folgeerkrankungen. 2. Nicht ohne Weiteres auf die rechtliche Beurteilung übertragen werden kann allerdings die Ein-schätzung des Sachverständigen, die Gestalt der Brust selbst habe Krankheitswert. Dr. med. P verwendet den Begriff der Krankheit hier im medizinischen Sinne. Der Rechtsstreit gibt keinen Anlass zu weitergehenden Erörterungen über Reichweite und Richtigkeit des medizinischen Krankheitsbegriffs. Maßgeblich ist allein, ob nach den medizinischen Tatsachenfeststellungen des Sachverständigen eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts vorliegt. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die nicht durch ein medizinisches Sachverständigengutachten beant-wortet werden kann, sondern Gegenstand der richterlichen Beurteilung ist. Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts ist ein behandlungsbedürftiger regelwidriger Körper- oder Geisteszu-stand. Wenn dadurch keine Körperfunktionen, sondern nur das Aussehen des Menschen beein-trächtigt wird, muss eine entstellende Wirkung vorliegen, um als Krankheit eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse auslösen zu können. Ein regelwidriger Körperzustand ohne entstel-lende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkung ist nicht als Krankheit zu werten, selbst wenn er eine psychische Belastung für den Betroffenen darstellt. Die Brüste der Klägerin sind funktional ohne Befund. Die Klägerin wird dadurch auch nicht ent-stellt. Eine Krankheit im Rechtssinne liegt in Bezug auf dieses Organ nicht vor. Dass der Gutach-terarzt des MDK den Zustand der Brust nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme ? 10. Revision ? klassifiziert hat (N64.8: “Sons-tige näher bezeichnete Krankheiten der Mamma”, unter Anderem “mangelhafte Rückbildung der Mamma [nach Laktation]”), ist für den Krankheitsbegriff im Sinne des Krankenversicherungs-rechts unerheblich. Dass die Größe der Brust negativen Einfluss auf die Statik des oberen Stütz- und Bewegungssystems und damit auf das Ausmaß der Beschwerden hat, die aus den Veränderun-gen der Halswirbelsäule und Schulter resultieren, mithin das Krankheitsbild eines anderen Funkti-onssystems ursächlich mitbestimmen, ändert daran nichts. Einen derartigen Einfluss könnten, wenn auch in geringerem Maße sogar durchschnittlich ausgebildete Brüste haben. 3. Eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts begründen indessen die vom Sachver-ständigen beschriebenen Veränderungen des Funktionskomplex aus Halswirbelsäule und Schulter im Zusammenwirken mit den die Wirbelsäulenstatik und die Schulterfunktion mitbestimmenden übrigen Faktoren, wozu auch Gestalt und Gewicht der Brüste gehören. Die beantragte Brustoperation wird nach gutachterlicher Einschätzung zu einer Linderung der Krankheitsbeschwerden führen und die weitere Verschlimmerung im Vergleich mit dem Zustand ohne die Operation hemmen. Die Prognose des Sachverständigen, die sich auf dessen eigene Sachkunde und die sachverständige Auswertung der klinischen Erfahrungen anderer Ärzte stützt, wird nicht durch das behauptete Feh-len einer Studie über den Zusammenhang zwischen Brustgröße und dem Auftreten von Wirbelsäu-lenbeschwerden entkräftet. Insoweit handelt es sich um eine Frage der sachverständigen Beurtei-lung, der die Beklagte nichts Substantielles entgegen gesetzt hat. Die Existenz derartiger Studien ist weder Voraussetzung für die Verwertbarkeit des Gutachtens noch ein Kriterium für die Rich-tigkeit des Sachverständigengutachtens, namentlich der Prognose eines Behandlungserfolgs. Die Rüge der Beklagten, der Zusammenhang zwischen der Brustgröße und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden sei nicht durch wissenschaftliche Studien aufgeklärt, entkräftet das Gutachten nicht. Es erscheint schon wenig wahrscheinlich, dass die Frage überhaupt einer wissen-schaftlichen Studie zugänglich ist, die evidenz-basierte Aussagen über einen solchen Zusammen-hang hinsichtlich der hier zu beurteilenden Konstellation zulässt. Dabei handelt es sich um ein multikausales Beschwerdebild mit völlig unterschiedlichen Ausprägungen bei ebenso unterschied-lichen körperlichen Ausgangsbefunden unter ganz individuellen körperlichen Belastungssituatio-nen. Es dürfte deshalb schon schwer fallen, ein ausreichend großes Patientenkollektiv zusammen-zustellen und so zu gruppieren, dass die gewonnenen Aussagen auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Einflussfaktoren noch eine ausreichende Signifikanz aufweisen. Es geht hier aus-schließlich um die Wahrscheinlichkeit einer Linderung der unstreitig in erster Linie durch die Ver-änderungen an Wirbelsäule und Schulter verursachten, allerdings durch Größe, Form, Stabilität und Gewicht der Brust wesentlich mit beeinflussten Beschwerden der Klägerin. Schon eine Korre-lation zwischen orthopädischen Befunden und den hierdurch ausgelösten Beschwerdebildern lässt sich nur mit erheblichen Unsicherheiten feststellen. Die Kammer hält die Äußerung des Gutachters ohne Weiteres für nachvollziehbar, die konkreten Verursachungsanteile der krankhaften Verände-rungen an Schulter und Wirbelsäule einerseits und der Gestalt der Brüste andererseits seien im Fal-le der Klägerin nicht bestimmbar. Lassen sich die unterschiedlichen Einflüsse aber schon im kon-kreten Einzelfall nicht klar abgrenzen, so erscheint kaum ein Studiendesign vorstellbar, das diese Zusammenhänge mit statistischer Valenz veri- oder falsifizieren können soll, um daraus wiederum Erkenntnisse für die Beurteilung dem vorliegenden Verfahren vergleichbarer Fälle zu gewinnen. Die von der Beklagten an die Evidenz-Basiertheit der gutachterlichen Aussagen gestellten Anfor-derungen sind von vorn herein nicht zu erfüllen. Das damit geforderte Beweismaß wäre für den Versicherten faktisch unüberwindbar und würde auch den Rahmen der gerichtlichen Amtsermitt-lung sprengen. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Notwendigkeit der beantragten Krankenbehandlung von vorn herein nicht im Wege des Sachverständigenbeweises geklärt und positiv festgestellt werden könnte. Ein Anhaltspunkt für einen derartig strengen Be-weismaßstab bei der Beurteilung der Behandlungsnotwendigkeit lässt sich dem Gesetz nicht ent-nehmen. Die Kammer erachtet deshalb die “nur” unter Würdigung der medizinischen und anatomi-schen Zusammenhänge begründete Einschätzung des Sachverständigen als verwertbar, ausreichend begründet und unwiderlegt. 4. Die im Sinne des ultima ratio-Prinzips vorrangigen Behandlungsalternativen sind ausgeschöpft. Die konventionellen Möglichkeiten stellen keine Behandlungsalternativen mehr für die spezifi-sche, mit einer Mammareduktionsplastik angestrebte kausale Linderung der Krankheitsbeschwer-den dar. Die Klägerin hat bereits über Jahre hinweg physikalische Therapie einschließlich Kran-kengymnastik und medikamentöse Schmerztherapie mit Analgetika (Ibuprofen) in Anspruch ge-nommen. Wie der Sachverständige Dr. med. P zum Ausdruck gebracht hat, wird die Fortsetzung dieser Behandlungen auch in Zukunft zur Linderung der Krankheitsbeschwerden fortgesetzt wer-den müssen, allerdings auch dadurch eine Heilung nicht erzielt werden können. Eine zur Linde-rung der Krankheitsbeschwerden notwendige und im Rahmen des Erreichbaren ausreichende Krankenbehandlung schließt hier beide Behandlungen ? sowohl den einmaligen operativen Eingriff als auch die Fortsetzung der bereits absolvierten physikalischen Therapie ? ein. Gegenüber der speziell durch das Brustgewicht beeinflussten Fehlstatik haben die konventionellen Therapieansät-ze sich bereits als erfolglos erwiesen. Die Wirksamkeit der auf eine Kräftigung der rumpfstabilisie-renden Muskulatur gerichteten physikalischen Therapie wird gerade durch die Mammahy-pertrophie beeinträchtigt. Beide Ansätze wirken somit funktionell unterschiedlich und ergänzen einander. Unter Berücksichtigung des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlaufs steht fest, dass der eine den anderen nicht ersetzen kann. Auch eine weitere Gewichtsreduktion ist nicht an-gezeigt. Das Gewicht der Klägerin entspricht mit 65 kg bei 1,65 m Körpergröße einem Größen-Gewichts-Index von 24,9 kg/m2 und damit Normalgewicht. Eine allgemeine Gewichtsreduktion stellt damit keinen geeigneten Ansatz für eine Verringerung der Belastung durch das Brustgewicht dar. Die Klägerin trägt auch, wie sie in der mündlichen Verhandlung nochmals klargestellt hat, bereits Entlastungs-BH s. Dr. med. P hat zwar in seinem Gutachten bemerkt, dass die Klägerin auf den eingesandten Fotografien einen normalen BH getragen habe; dies beruhte allerdings auf der ge-richtlichen Beweisauflage. Wenn die Klägerin die Entlastungs-BH s nicht ständig, sondern im Wechsel mit gewöhnlichen BH s trägt, widerlegt das nicht ihre Angaben zum Beschwerdebild, sondern ist den Beschwerden an der Schulter geschuldet, auf die beim Tragen eines Entlastungs-BH s das Brustgewicht über die Träger besonders einwirkt. Weitere sinnvolle Therapieansätze, die zur Vermeidung eines chirurgischen Eingriffs noch auszunutzen wären, hat auch der Medizinische Dienst der Beklagten nicht aufgezeigt. 5. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Kostenübernahmeersuchen nicht darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 10.02.1993, Az. 1 RK 14/92, und vom 09.06.1998, Az. B 1 KR 18/96 R) die von den Kassen geschuldete Krankenbehandlung grundsätz-lich nur solche Maßnahmen umfasst, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzen. Die von der Beklagte zitierte Rechtsprechung ist in den Fällen konsequent, in denen zwar eine behand-lungsbedürftige Krankheit auf psychiatrischem, nicht aber auf somatischem Gebiet vorliegt und der Versicherte lediglich auf Grund seines psychiatrischen Krankheitsbildes seinen ? selbst nicht krankheitswertigen ? körperlichen Zustand als krank und behandlungsbedürftig empfindet. In sol-chen Fällen kann die psychiatrische Krankheit nicht dadurch behandelt werden, dass in den funkti-onell gesunden Körper eingegriffen wird, um dadurch eine körperliche Erkrankung zu “behan-deln”, die nur in der Wahrnehmung des Versicherten eine solche darstellt. Für den vorliegenden Fall lassen sich aus den Urteilen keine einer Kostenübernahme entgegen stehenden Einwendungen ableiten. Der Satz, eine Behandlung müsse “an der Krankheit” ansetzen, umschreibt in den genann-ten Urteilen nur die Ungeeignetheit der eingeklagten Behandlung unter den konkreten Umständen des Einzelfalls. Um den Kreis der bei bestimmten Erkrankungen von der Krankenkasse zu tragen-den Behandlungen im Sinne einer kausalen medizinischen Indikation festzulegen, ist dieses Krite-rium dagegen ungeeignet. Bei allzu engen Verständnis wäre dann im vorliegenden Fall nicht ein-mal eine Schmerztherapie zu Lasten der Krankenversicherung verordnungsfähig, weil diese gerade nicht die schmerzverursachenden organischen Veränderungen beeinflusst, sondern in ein anderes, an sich intaktes Funktionssystem ? die neurologische Schmerzleitung und ?verarbeitung ? eingreift, um dessen Funktionen gezielt, wenn auch mit therapeutischer Zielrichtung, auszuschalten. Der ge-setzliche Anspruch auf ausreichende Krankenbehandlung würde verkannt, wenn die Krankenkasse nur solche Behandlungen übernehmen müsste, die sich auf die Korrektur der einem Krankheitsbild als Hauptursache zu Grunde liegenden organischen Veränderungen beschränken. Vielfach wird weder über die Ursachenzusammenhänge noch über die Verursachungsanteile ein ausreichender Konsens in der Medizin bestehen. Hierbei handelt es sich auch nicht um Faktoren, denen das Sozi-algesetzbuch bei der Bestimmung der Voraussetzungen und des Inhalts des gesetzlichen Versor-gungsauftrags eine Bedeutung beimisst. Der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversi-cherung ist nicht medizinisch-kausal, sondern normativ-final definiert. Wenn die Heilung einer Krankheit oder die Linderung der Krankheitsbeschwerden tatsächlich (nur) durch den Eingriff in ein anderes, an sich gesundes Funktionssystem erreicht werden kann, dann hat die Krankenversi-cherung die Kosten hierfür unter den in § 12 Abs. 1 SGB V genannten weiteren Voraussetzungen zu übernehmen. 6. Im Einklang damit schließt auch die Beklagte in ihrer Stellungnahme vom 17.11.2003 eine von ihr so genannte “mittelbare Behandlung”, wenn diese eine gezielte Verletzung gesunder Körpersub-stanz voraussetzt, nicht gänzlich aus, sondern betont lediglich, dass diese einer umfassenden Ab-wägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und dem möglichen Schaden so-wie den damit möglicherweise verbundenen Folgekosten bedürfe. Dies ist zutreffend. Durch die geforderte Abwägung ist zugleich ausgeschlossen, dass zur Erzielung therapeutisch bloßer Neben-effekte unverhältnismäßige Eingriffe in gesunde Funktionssysteme vorgenommen werden. Die Kammer geht freilich davon aus, dass eine solche Abwägung in der Regel schon durch die sach-verständige Beurteilung des behandelnden Arztes und die ? nach umfassender ärztlicher Aufklä-rung ? eigenverantwortliche Entscheidung des Patienten faktisch gewährleistet sein wird. Im vorliegenden Fall fällt nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. P die Abwägung zwischen der prognostizierten Linderung der Krankheitsbeschwerden einerseits und dem Aufwand und den Risiken, die mit dem Eingriff verbunden sind, andererseits zu Gunsten der operativen Be-handlung aus. Konkrete, auf den Einzelfall bezogene medizinische Einwände hat die Beklagte hiergegen nicht vorgetragen. Soweit sie in diesem Zusammenhang pauschal auf das Fehlen wissen-schaftlicher Studien zum Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden und der Größe der Brust verweist, ist dieser Einwand aus den bereits oben genannten Gründen oh-nehin nicht geeignet, die Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. P in Zweifel zu ziehen. Wenn schließlich Dr. med. P darauf hinweist, dass mit dem Erfolg der Maßnahme über die medi-zinische Indikation hinaus ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität verbunden sei, so mag der Einwand der Beklagten zutreffen, dass sie dafür tatsächlich nicht einzustehen habe. Der Sachver-ständige hat jedoch damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass er die Operation gerade aus diesen Gründen als medizinisch indiziert angesehen hätte. Im Gegenteil, er hat diese Vorteile ausdrück-lich von dem medizinisch angestrebten Behandlungserfolg abgegrenzt. Es handelt sich bei dieser Äußerung lediglich um eine über den Gutachtensauftrag hinausgehende, gleichwohl der Verwert-barkeit des Gutachtens nicht entgegen stehende Anregung, die Klägerin unter Berücksichtigung dieses überschießenden Interesses zu einer angemessenen Eigenbeteiligung heranzuziehen und so den Rechtsstreit gütlich beizulegen. Auch wenn die Kammer diesen Vorschlag im Rahmen der streitigen Entscheidung nicht aufgreifen konnte, werden die übrigen Feststellungen des Gutachtens dadurch nicht in Frage gestellt. Die Beklagte war somit gemäß § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter Aufhebung der ab-lehnenden Bescheide zu der begehrten Sachleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu verurteilen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.