Sozialgericht Dresden S 18 KR 32/07

Sozialgericht Dresden

Urteil vom 30.04.2009

Sozialgericht Dresden S 18 KR 32/07
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

III. Der Streitwert wird auf 2.689,17 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen.

Die bei der Beklagten gesetzlich versicherte, am 16.03.2006 geborene E. C. wurde am 01.04.2006 um 21:45 Uhr bei flacher Atmung, Zyanose und schlaffer Muskulatur als Notfall in das Krankenhaus der Beklagten aufgenommen, wo sie bis zur Entlassung am 07.04.2006 zur stationären Diagnostik und Beobachtung verblieb.

Die Epikrise vermerkt ein unauffälliges Monitoring während des Rettungsdiensttransports. Im Ergebnis einer Polysomnografie äußerten die Ärzte den Verdacht auf ein Apnoesyndrom. Auf Grund einer Echokardiografie wurde ein “minimaler Links-rechts-Shunt im Sinne eines persistierenden Foramen ovale” dokumentiert.

Mit Rechnung vom 11.04.2006 machte die Klägerin folgende Vergütungsforderung geltend:

G-DRG (2006) Nr. P67A 5.314,96 EUR Zuschlag Arbeitszeit/AIP § 4 Abs. 13 und 14 KHEntgG 51,56 EUR DRG (2006)-Systemzuschlag 0,90 EUR Ausbildungszuschlag § 17b Abs. 1 Satz 4 KHG 25,00 EUR Systemzuschlag §§ 91 und 139a SGB V 0,65 EUR Begleitperson medizinisch begründet 225,00 EUR Investitionszuschlag neue Länder § 8 Abs. 3 KHEntG, § 14 Abs. 3 GSG 33,72 EUR Qualitätssicherungs-Zuschlag 1,29 EUR Rechnungssumme 5.653,08 EUR

Die angeforderte Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67A (Neugeborenes, Aufnahmegewicht ) 2499 g, ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung )95 Stunden, mit mehreren schweren Problemen) resultierte aus der Verschlüsselung der Hauptdiagnose ICD-10 (2006) Nr. P28.4 (sonstige Apnoe beim Neugeborenen) sowie – unter anderem – der Nebendiagnose ICD-10 (2006) Nr. Q21.1 (Vorhofseptumdefekt), die auf Grund des zugeordneten CCL (complication and comorbidity level) 4 zu einem sog. Upgrading von der mit einer geringeren Bewertungsrelation (1,010) versehenen Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67B (Neugeborenes, Aufnahmegewicht )2499 g, ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung )95 Stunden, mit schweren Problemen) zur Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67A mit der mehr als doppelten Bewertungsrelation (2,045) führte.

Nach Rechnungseingang veranlasste die Beklagte eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, ob die Kodierung der ICD-10 (2006) Nr. Q21.1 die Kriterien für Verschlüsselung als Nebendiagnose erfüllt.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung nahm unter dem 18.05.2006 dahin gehend Stellung, dass die Nebendiagnose ICD-10 (2006) Nr. Q21.1 zu streichen sei, da der Vorhofseptumdefekt ein Zufallsbefund ohne Konsequenzen für den Krankenhausaufenthalt sei.

Nachdem die Beklagte zunächst die gesamte ihr in Rechnung gestellte Summe beglichen hatte, forderte sie die Klägerin, gestützt auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes mit Schreiben vom 19.05.2006 zur Rückzahlung des sich gegenüber einer Vergütung auf Grund der Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67B ergebenden Differenzbetrags von 2.689,17 EUR auf.

Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 06.06.2006 der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Es handele sich bei dem diagnostizierten Vorhofseptumdefekt nicht um einen Zufallsbefund, sondern um einen im Ergebnis notwendiger umfangreicher Diagnostik auf Grund des akut lebensbedrohlichen Ereignisses erhobenen Befund, der einen diagnostischen Aufwand bedeutet und weitere Kontrollen erfordert habe.

In einem Zweitgutachten vom 13.07.2006 hielt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung an seiner bisherigen Auffassung fest. Das persistierende Foramen ovale sei eine physiologische Normvariante ohne therapeutische Konsequenz für den stationären Aufenthalt, innerhalb der ersten vier Lebenswochen komme es typischer Weise zum Spontanverschluss der Öffnung.

Nach fruchtlosen Zahlungsaufforderungen vom 31.07.2006 und 05.10.2006 rechnete die Beklagte am 18.12.2006 den Rückforderungsbetrag von 2.689,17 EUR gegenüber dem unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Rechnung Nr. 20071745 (Patient Johannes Bergan) auf.

Mit ihrer am 29.01.2007 zum Sozialgericht Dresden erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Auszahlung des im Wege der Aufrechnung einbehaltenen Differenzbetrags zur ursprünglichen Abrechnung auf Basis der Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67A und der zu Grunde liegenden Nebendiagnose ICD-10 (2006) Nr. Q21.1. Bei einem Vorhofseptumdefekt handele es sich um eine medizinisch relevante Erkrankung. Die Diagnose bedürfe weiterer Kontrollen und gegebenenfalls einer operativen Therapie, wenn kein Spontanverschluss erfolgt. Da die Möglichkeit eines echten, bleibenden Vorhofseptumdefekts bestehe, ergebe sich die Notwendigkeit weiterer Kontrollen und gegebenenfalls therapeutischer Intervention. Somit handele es sich klar um einen durch eine Prozedur erhobenen Befund von medizinischer Relevanz.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr weitere 2.689,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 29.12.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidend sei die Frage, ob es sich lediglich um einen Befund oder um eine Erkrankung handle; hier habe es sich um eine physiologische Normvariante gehandelt, weil das Kind noch keine vier Wochen alt gewesen sei.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat gegen die spätere Vergütungsforderung der Klägerin wirksam mit ihrem Rückforderungsbegehren aufgerechnet. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Vergütung des Behandlungsfalles auf Grundlage von § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG sowie § 17b Abs. 1 Satz 3 KHG in Verbindung mit § 39 Abs. 1 SGB V, § 1 Abs. 1 Satz 1 und Anlage 1 Teil a FPV 2006 nach Maßgabe der G-DRG (2006) Nr. P67A. Das Upgrading der Fallpauschale durch Ansatz der Nebendiagnose ICD-10 (2006) Nr. Q21.1 war nicht gerechtfertigt.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Spitzenverbände der Krankenkassen haben auf Grundlage von § 17 Abs. 2 KHG und § 1 Nr. 5 der hierauf beruhenden Vereinbarung vom 30.06.2000 über die Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems nach § 17b KHG mit den jährlich aktualisierten Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) einheitliche Kodierregeln für die Dokumentation der diagnosen-, prozeduren- und sonstiger gruppierungsrelevanter Merkmale aufgestellt; diese Kodierregeln bilden zugleich die Grundlage für die Kalkulationen und die Anpassung des pauschalisierten Vergütungssystems einschließlich der dafür erforderlichen Datenerhebung.

Nach DKR (2006) D003d (Seite 10 und 12) ist eine Nebendiagnose definiert als eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: therapeutische Maßnahmen, diagnostische Maßnahmen, erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Sofern eine Begleitkrankheit das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, wird diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert. Anamnestische Diagnosen, die das Patientenmanagement nicht beeinflusst haben, werden nicht kodiert. Abnorme Labor-, Röntgen-, Pathologie- und andere diagnostische Befunde werden nicht kodiert, es sei denn, sie haben eine klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen Konsequenz oder einer weiterführenden Diagnostik (nicht allein Kontrolle der abnormen Werte).

Nach diesen Kriterien steht der Verschlüsselung eines Vorhofseptumdefekts bei der Versicherten schon entgegen, dass der im Rahmen der Echokardiografie gefundene “minimale Links-rechts-Shunt im Sinne eines persistierenden Foramen ovale” im Zeitpunkt der Untersuchung keinen Krankheitswert aufwies. Die Versicherte war bei Aufnahme 2 Wochen und 2 Tage alt. Zu diesem Zeitpunkt stellt ein persistierendes Foramen ovale keinen pathologischen Befund dar.

Vor der Geburt wird der embryonale Blutkreislauf über die Placenta mit Sauerstoff versorgt, das fetale Blut umgeht den – im Mutterleib funktionslosen – Lungenkreislauf durch eine Öffnung in der Scheidewand zwischen rechtem und linken Vorhof, dem Foramen ovale. Das Herz durchströmt arterielles und venöses Mischblut. Erst mit der Umstellung auf die Lungenatmung kurz nach der Geburt muss der Lungenkreislauf getrennt werden. Der anatomische Verschluss des Foramen ovale folgt dem funktionellen zu einem individuell unterschiedlichen Zeitpunkt, in der Regel jedoch innerhalb der ersten 4 Wochen nach der Geburt. Bis zu diesem Zeitpunkt stellt die fortbestehende “Sondendurchgängigkeit” eine Normvariante dar, die nicht mit einem Vorhofseptumdefekt vom Ostium-secundum-Typ verwechselt werden darf. Ein Vorhofseptumdefekt bezeichnet eine wirkliche Schädigung des Vorhofseptums und setzt eine (dauerhafte) funktionelle und anatomische Durchgängigkeit voraus.

Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass bei Neugeborenen noch nicht abschließend beurteilt werden könne, ob es sich um einen auch später relevanten Defekt handelt oder nur um ein noch nicht verschlossenes Foramen ovale; eine Unterscheidung zwischen pathologischer und Normvariante sei noch nicht möglich. Daraus darf indessen nicht geschlossen werden, dass ein normaler Befund schon auf Grund der abstrakten Möglichkeit, dass er über den ersten Lebensmonat hinaus fortbestehen könnte und dann als pathologisch anzusehen wäre, gleichsam ins Blaue hinein schon vorher als Krankheit zu verschlüsseln sei. Denn Krankheitswert erlangt er frühestens ab dem Zeitpunkt, ab dem er nicht mehr als Normvariante gelten kann. Ein noch als Normvarietät anzusehendes persistierendes Foramen ovale als Vorhofseptumdefekt zu verschlüsseln, stellt sich vor diesem Hintergrund als Diagnose- oder Abrechnungsfehler dar. Auf die Ausführungen der Klägerin, dass und aus welchen Gründen ein Vorhofseptumdefekt eine medizinisch relevante Krankheit darstellt, kommt es mithin nicht an, weil ein solcher Defekt hier nicht feststellbar war.

War der erhobene Befund schon nicht als Krankheit zu verschlüsseln, so kommt es auf die Frage des dadurch verursachten diagnostischen oder therapeutischen Aufwandes nicht an. Bei diesem Kriterium handelt es sich um eine notwendige, nicht aber um eine allein hinreichende Voraussetzung für die Verschlüsselung. Gesundheitliche Störungen oder Beschwerden sind nur dann als Haupt- oder Nebendiagnose zu kodieren, wenn sie sowohl Krankheitswert aufweisen als auch ressourcenrelevante Konsequenzen für die stationäre Behandlung nach sich ziehen. Anamnestische Diagnosen oder Zufallsfunde ohne therapeutische Relevanz sind ebenso wenig verschlüsselungsfähig wie Befunde, Eigenschaften oder Umstände, die im Einzelfall sogar Auswirkungen auf das konkrete Behandlungssetting oder die Patientenversorgung haben mögen, jedoch nicht krankheitswertig und damit Ausdruck des versicherten Risikos sind, das die Höhe der von der Krankenversicherung im konkreten Fall bereit zu stellenden Entgelte bestimmt.

Darüber hinaus verwechselt der Einwand der Klägerin Ursache und Wirkung. Der Aufwand für die Stressechokardiografie war nicht durch das dabei festgestellte persistierende Foramen ovale bedingt. Ursache für die Durchführung der Untersuchung waren vielmehr die vermutlich auf einer Apnoe beruhenden Kreislaufbeschwerden des Kindes. Der diagnostische Aufwand ist deshalb nach DKR (2006) Nr. D002d dieser Diagnose zuzurechnen. Der erhobene Befund war dagegen nur das Ergebnis der veranlassten Diagnostik. Weitere diagnostische oder therapeutische Maßnahmen, die Einfluss auf den kalkulatorisch relevanten Ressourcenverbrauch der Klägerin hätten haben können, waren in Folge des Befundes nicht veranlasst. Ob daraus tatsächlich, wie die Klägerin behauptet, ein künftiger diagnostischer Aufwand zur Kontrolle des weiteren Verlaufs resultiert, kann dahin gestellt bleiben. Selbst wenn es sich um einen überwachungsbedürftigen Befund handelt, käme eine Kodierung als CCL-relevante Nebendiagnose nicht in Betracht, weil der damit verbundene Aufwand nicht im Rahmen des streitgegenständlichen Behandlungsfalles, sondern erst im Rahmen der ambulanten Weiterbehandlung oder künftiger Krankenhausaufenthalte anfällt und von den hierfür zu zahlenden Entgelten mit abgegolten ist.

Der Klägerin stehen auch sonst keine Gründe zur Seite, aus denen sie eine höhere Vergütung beanspruchen könnte. Insbesondere ist es ohne Auswirkungen auf die Höhe des Entgelts, ob als Hauptdiagnose, wie zunächst von der Klägerin abgerechnet und vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung aufgegriffen, die ICD-10 (2006) Nr. P28.4 (Sonstige Apnoe beim Neugeborenen) verschlüsselt wird oder, wie in der Folge von der Klägerin bevorzugt, die ICD-10 (2006) Nr. R06.80 (Akutes lebensbedrohliches Ereignis im Säuglingsalter). Falls das Apnoesyndrom als Ursache des krisenhaften Kreislaufzustandes nur ein unbestätigter Verdacht geblieben ist und zwar Untersuchungen stattfanden, jedoch keine spezifische Behandlung eingeleitet wurde, wäre nach DKR (2006) D008b die ICD-10 (2006) Nr. R06.80 als Symptom zu verschlüsseln. Wurde dagegen trotz unsicherer Untersuchungsergebnisse eine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose ICD-10 (2006) Nr. P28.4 eingeleitet, ist diese zu kodieren. Im einen wie im anderen Fall führt die Kodierung als Hauptdiagnose ohne den CCL-erhöhenden Ansatz der ICD-10 (2006) Nr. Q21.1 als Nebendiagnose zum selben Gruppierungsergebnis, nämlich der Fallpauschale G-DRG (2006) Nr. P67B als richtiger Abrechnungsgrundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 1 Nr. 4 GKG und § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG nach der sich aus dem Klageantrag ergebenden Bedeutung der Sache festzusetzende Streitwert entspricht der Höhe der streitgegenständlichen Forderung (§ 52 Abs. 3 GKG).