Sozialgericht Dresden S 47 KR 541/11

S 47 KR 541/11

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

gegen

AOK PLUS Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen, vertreten durch den Vorstand, Sternplatz 7, 01067 Dresden

– Beklagte –

hat die 47. Kammer am Sozialgericht Dresden gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung am 13. März 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht Ulshöfer und die ehrenamtlichen Richter Herr Stumpf und Herr Winkler für Recht erkannt:

I. Der Bescheid vom 12.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2011 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der stationären Liposuktionsbehandlungen zu übernehmen.
III. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine operative, stationäre Liposuktion – in mehreren Einheiten – zur Reduzierung des Fettgewebes.

Am 28.03.2011 stellte die Klägerin – unter Vorlage eines ärztlichen Berichts von Prof. W., Krankenhaus D.-F. – einen entsprechenden Antrag. In dem ärztlichen Bericht ist ausgeführt, bei der Klägerin liege ein Lipödem (Lipomatosis dolorosa) Grad III nach Meir-Vollrath und Schmeller vor. Die Klägerin habe in Eigeninitiative Fitnesstraining sowie eine Ernährungsumstellung durchgeführt; im Verlauf dieser Maßnahmen sei es zu einer Gewichtsabnahme von 30 Kilogramm gekommen. Kompressionsbestrumpfung werde bereits getragen. Bereits vor Jahren habe sie einen Antrag auf Kostenübernahme der Liposuktion gestellt, welcher seinerzeit abgelehnt worden sei. Auch jetzt seien die Knie noch stark belastet. Bei dem Lipödem gehe es darum, leitliniengerecht zu behandeln. Die konservativen Maßnahmen der manuellen Lymphdrainage und Kompressionsbehandlung seien bereits zur Ödemreduktion durchgeführt worden. Die operative Therapie zur Reduktion des Fettgewebes stehe noch aus. Es sei festzustellen, dass die alleinige konservative Therapie (komplexe physikalische Entstauungstherapie – KPE) beim Lipödem der Klägerin nicht ausreichend sei, da sie nur einen Teilaspekt der Erkrankung erfasse. Die manuelle Lymphdrainage bessere das Ödem kurzzeitig; deshalb werde versucht, den Erfolg der Entstauung mittels Kompression zu verlängern. Durch KPE könnten jedoch weder die pathologisch erhöhten Fettgewebsmengen reduziert noch die typische Progredienz der Erkrankung gebremst werden. Dies sei nur mit Hilfe einer operativen Therapie möglich. Durch die Liposuktion werde das krankhaft vermehrte Fettgewebe reduziert und beseitigt. Die Verbesserung der Morphologie des Beines führe auch zu einer Verbesserung der Beweglichkeit und zur Einschränkung der durch Fehlbelastung induzierten arthrotischen Veränderungen an Hüft- und Kniegelenken. Durch Reduktion des Fettgewebes werde außerdem die diabetische Stoffwechsellage verbessert. Aus wissenschaftlichen Unterlagen sei bekannt, dass etwa die Hälfte der Patienten keine konservative Behandlung in der bisherigen Weise mehr benötige und bei einem Teil der Fälle die konservative Behandlung ganz überflüssig werde. Aus der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur sei außerdem bekannt, dass sich durch die Liposuktion beim Lipödem die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessere, dass Schmerzhaftigkeit und Hämatomneigung abnehmen und die Teilhabe am Arbeitsleben sowie am öffentlichen Leben gesichert werden könne.

Bei der Klägerin sei daher eine Liposuktion medizinisch indiziert, sinnvoll und wirtschaftlich. Voraussichtlich würden drei bis vier Sitzungen unter stationären Bedingungen erforderlich sein.

In ihrem Antragsschreiben vom 25.03.2011 schilderte die Klägerin, dass in letzter Zeit die Schmerzen an Beinen, Knien und im Bereich der Lendenwirbel auf ein unerträgliches Maß gestiegen seien. Aus mehreren MRTs habe sich ergeben, dass durch die vermehrte Fettansammlung in den Beinen und dem Bauch die Kreuzbänder gerissen seien, die LWS 4/5 hätten sich verschoben und eine Fraktur des LWS 2 hätte stattgefunden. Hätte bereits im Jahr 2009 eine Liposuktion durchgeführt werden können, wären ihr diese Leiden und Schmerzen erspart geblieben. Ihre derzeitige Gehstrecke betrage nur noch ca. 100 Meter.

Mit Bescheid vom 12.05.2011 wies die Beklagte den Antrag zurück. Bei der Liposuktion handele es sich um eine ambulant durchführbare Behandlung. Die Behandlungsmethode sei jedoch ein neues Therapieverfahren, für dessen Einsatz in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorliege. Die Notwendigkeit für eine stationäre Behandlung lasse sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen. Die Gutachterin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) empfehle das Fortsetzen der manuellen Lymphdrainagen sowie der Kompressionstherapie.

Hiergegen widersprach die Klägerin am 23.05.2011. Bereits innerhalb von zwei Jahren habe sich ihre gesamte körperliche Verfassung rapide verschlechtert. Ursache dieses Zustandes seien die großen Fettansammlungen am Bauch sowie den Beinen. Trotz Ernährungsumstellung und regelmäßigem Sport könne dies nicht verhindert werden. Ihre Gehstrecke betrage zwischenzeitlich nur noch 100 Meter, die Schmerzen im Rücken und den Knien seien so stark, dass ein Weitergehen nicht mehr möglich sei.

Hierauf holte die Beklagte eine erneute gutachterliche Stellungnahme des MDK ein. In dieser Stellungnahme vom 06.07.2011 wurde ausgeführt, bei dem Lipödem handele es sich um eine chronische, meist progrediente Erkrankung. Typische Merkmale seien die Ödembildung, Spannungsgefühl, Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit sowie Hämatomneigung. Die Ursache des Lipödems sei bisher nicht bekannt. Somit sei eigentlich auch keine kausale Behandlung möglich. Ziel der Therapie solle es zunächst sein, neben Erreichen des Normalgewichts eine Beschwerdelinderung und Ödemreduzierung zu erreichen. Hierfür stünden konservative Maßnahmen, insbesondere komplexe und kombinierte Entstauungstherapien zur Verfügung. In der Literatur werde als weitere Behandlungsmöglichkeit auch die Reduktion des Fettgewebes mittels operativer Verfahren, insbesondere der Liposuktion, aufgeführt. Das Lipödem gehöre nicht zu den lebensbedrohlichen oder zum Tode führenden Erkrankungen. Zu den Auswirkungen der Liposuktion lägen bislang keine randomisierten Studien vor. Ob die Progredienz der Erkrankung vermieden werden könne, sei nicht belegt. Es bestehe auch nach einer Liposuktion immer noch die Notwendigkeit einer Entstauungstherapie, das heißt auch nach einer Operation seien weiterhin Lymphdrainagen und Kompressionsbestrumpfung unerlässlich. Daher werde der Klägerin eine Fortführung der bereits begonnenen Bewegungstherapie sowie eine weitere Gewichtsreduktion empfohlen. Bei fortbestehender Symptomatik erscheine zudem eine Intensivierung der konservativen konsequenten Behandlung sinnvoll, z. B. in Form einer stationären Rehabilitationsbehandlung in einer lymphologischen Fachklinik.

Durch Widerspruchsbescheid vom 15.09.2011 wies die Beklagte diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Es handele sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, welche nach § 135 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur abgerechnet werden dürfe, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss zuvor in Richtlinien Empfehlungen über die Anrechnung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens, die notwendige Qualifikation der Ärzte und die operativen Anforderungen abgegeben habe. Eine solche positive Feststellung liege nicht vor.
Auch wenn keine Alternativtherapie angeboten werden könne, so sei diese für den ambulanten Bereich nicht zugelassen. Angesichts dieser Situation könne auch nicht auf eine stationäre Behandlung ausgewichen werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.09.2011 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben.

Mit dieser verfolgt sie ihr Begehren weiter: Sämtliche empfohlenen ambulanten Behandlungsmethoden, insbesondere das Tragen von Kompressionsstrümpfen oder intensiven Massagen – insbesondere Lymphdrainagen – seien ohne Erfolg bereits in Anspruch genommen worden. Trotz massiver Diätmaßnahmen und Fitnesstraining sei letztlich eine Beseitigung der Fettwucherungen nicht möglich gewesen. Die Klägerin leide bereits an massiven funktionellen Beeinträchtigungen, einer fortgeschrittenen Gonarthrose und einer sich entwickelnden Innenmeniskusschwäche. Nur bei einer Liposuktion sei der Erfolg – die Beseitigung des Fettgewebes – garantiert.

Diesem Vorbringen hat die Beklagte eine Entscheidung des Bundessozialgerichts entgegengehalten. Danach sei eine Krankenbehandlung nicht bereits deshalb erforderlich, weil eine bestimmte Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden könne, vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden dürfe. Zudem seien nach den Unterlagen die konservativen Behandlungen keinesfalls ausgeschöpft.

In einem Befundbericht vom 16.05.2013 hat Prof. W. ausgeführt, die stationäre Krankenhausbehandlung sei deshalb erforderlich, weil in Folge der großen Menge an Tumeszenzlösung (ca. 5 – 6 Liter) zur Tumeszenzanästhesie kurzfristig mehrfach (in der Regel 12 bis 24 Stunden nach der Operation) der MET-Hb-Spiegel mit Blutentnahmen kontrolliert und gegebenenfalls mit Injektionen korrigiert werden müsse. Zudem sei aufgrund der Tumeszenzanästhesie ein mehrfacher Verbandswechsel erforderlich, bei dem Sterilität garantiert werden müsse.

In dem Befundbericht vom 23.05.2013 hat der behandelnde Internist, Dr. C. F., erklärt, eine operative Behandlung des Lipödems bei der Klägerin sei aus internistischer Sicht sinnhaft und medizinisch notwendig.

Auch der behandelnde Phlebologe, Dr. B., empfiehlt in seinem Befundbericht vom 08.06.2013 die Durchführung einer Liposuktion. Es handele sich um eine Lipomatosis dolorosa (schmerzhaftes Lipödem), welches sich seit 2008 deutlich verschlechtert habe.

Hierauf hat das Sozialgericht – insbesondere auch zu der Fragestellung, ob eine stationäre Behandlung erforderlich sei – ein fachchirurgisches Gutachten durch den Facharzt für plastische Chirurgie, Dr. M. T., L., eingeholt. In seinem Gutachten vom 05.09.2013 führt der Sachverständige aus:

Nach Prüfung der Befunde leide die Klägerin an einem Lipo-Lymphödem Stadium III (Verschlimmerungstendenz), Übergewicht, Schilddrüsenüberfunktion, Krampfadern, Arthrose beider Kniegelenke sowie Bluthochdruck. Aus der Hauptdiagnose des schmerzhaften Lipo-Lymphödems resultiere derzeit eine massive Bewegungseinschränkung der Beine, weiterhin resultierten Hautreizungen, die zu Entzündungen führten. Bei ungehindertem Verlauf ende die Erkrankung regelhaft in einer sogenannten Elephanthiasis, bei der es zu offenen Geschwüren an den Beinen komme, die im Extremfall bis zu Amputationen der befallenen Extremität führen könnten. Hinzu kämen bei der Klägerin eine Varikosis sowie eine Arthrose der Kniegelenke. Dies führe zu weiteren Beschwerden und verschlechtere die Prognose, da sportliche Aktivitäten nahezu unmöglich seien.

Konservative, das heißt nicht-operative Behandlungsmethoden seien Lymphdrainage und Kompressionstherapie. Das Ziel sei eine Verminderung der Beinumfänge durch Mobilisierung der Lymphe und Entstauung des Gewebes sowie ein Verhindern des Rückflusses der Flüssigkeit durch Kompression. Demgegenüber führe die Liposuktion zu einer Entfernung des krankhaft veränderten Gewebes. Die konservativen Maßnahmen seien seit mehreren Jahren durchgeführt worden und hätten zu keiner wesentlichen Veränderung der Umfangsmasse der Beine geführt.

Konservative Maßnahmen seien derzeit nicht mehr Erfolg versprechend. Es käme nur noch eine operative Behandlung durch Liposuktion in Betracht. Bei dieser Methode würden die wesentlichen Auswirkungen der Erkrankung behandelt. Durch die Absaugung des überschüssigen Gewebes würden die Schmerzen reduziert, die Berührungsempfindlichkeit lasse nach, die Beweglichkeit werde verbessert, die Hautprobleme beseitigt und in geringem Ausmaß auch das Gewicht reduziert. Dies habe positive Auswirkungen auf die Folgen der Erkrankung (Bewegungsmangel, Stoffwechselsituation etc.).

Der Gutachter benennt drei aktuelle Studien zu dem Thema „Liposuktion“: (Hierzu wird auf Blatt 110 der Gerichtsakte verwiesen.) Alle drei Studien kämen zu demselben positiven Ergebnis: Deutliche Schmerzlinderung, Verbesserung der Berührungsempfindlichkeit, bessere Beweglichkeit und eine Verbesserung der psychischen Gesamtsituation.

Bei der Klägerin sei eine stationäre Behandlung medizinisch indiziert. Die Frage der stationären oder ambulanten Behandlung hänge in erster Linie von der zu entfernenden Gewebemenge und der damit verbundenen inneren Wundflächen ab. Erfahrungsgemäß müsse hier angesichts des Befundes mit einer Menge von mehr als sechs Litern Fettgewebe pro Oberschenkel gerechnet werden. Die entfernten Gewebemengen und die inneren Wundflächen, die bei diesen Operationen entstehen, führten zu massiven Flüssigkeitsverschiebungen im Körper. Dabei komme es teilweise zu sehr starken Kreislaufproblemen, die nur durch Zufuhr von Flüssigkeit von außen (Infusionen) beherrscht werden könnten. Dazu komme ein hoher Schmerzmittelbedarf, da die Operationen von allen Patienten als sehr schmerzhaft beschrieben werden, was auch am erhöhten Bedarf an Medikamenten schon während der Narkose erkennbar sei. Weder eine Infusionsbehandlung noch die Gabe von starken Schmerzmitteln sei ambulant durchführbar, da die Patientin in dieser Situation entsprechend beobachtet und überwacht werden müsse. Hinzu kämen die weiteren typischen Risiken: Infektion, Nachblutung, Thrombose sowie Fettembolie. Auch diese Risiken rechtfertigten ergänzend die stationäre Behandlung.

Die Ursachen der Erkrankung seien noch nicht abschließend geklärt, daher gäbe es keine ursächlich wirksame Behandlungsmethode. Die Liposuktion sei eine Methode, die die wesentlichen Auswirkungen der Erkrankung besser behandle als konservative Therapien.

Hierauf hat die Beklagte nochmals eine gutachterliche Stellungnahme des MDK eingeholt. In dieser Stellungnahme vom 06.02.2014 wird ausgeführt, dass weiterhin bezüglich der begehrten Maßnahme qualitativ hinreichende Langzeitstudien fehlten. Empfohlen werden demgegenüber eine langfristige Gewichtsabnahme sowie eine intensive Entstauungstherapie.

Der MDK nimmt Bezug auf das Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen vom 06.10.2011 der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 „Methoden- und Produktbewertung“ (siehe hierzu Blatt 138 ff. der SG-Akte). In diesem Gutachten wird unter anderem zu dem Krankheitsbild ausgeführt, das Lipödem trete symmetrisch auf. Es überziehe meist das gesamte Bein („Säulenbein“). Der Fuß sei hingegen nicht betroffen. Oft hängen Fettfalten in der Knöchelregion zirkulär nach distal herunter. Die Oberschenkel-Fettwülste laden oft breit zu den Seiten aus. Das Lipödem führe zu einem Spannungs- und Druckgefühl in den betroffenen Regionen, insbesondere in der zweiten Tageshälfte und bei warmer Witterung. Die Fettgewebsvermehrung könne berührungs- und druckempfindlich sein. Bagatelltraumen führten vermehrt zur Hämatombildung. Stadium III bedeutet: Gewerbe verhärtet und derb, Vorhandensein großlappiger deformierender Fettlappen. Das symptomatische Lipödem stelle eine Krankheit in Sinne des SGB V dar (es wird hierzu im Einzelnen auf Blatt 141 Rückseite/142 verwiesen). Auch in diesem Gutachten wird festgestellt, dass die Ursache bisher nicht ermittelt wurde. Es gibt auch keine kausale Therapie. Das Lipödem könne auch nicht geheilt werden. Es sei lediglich eine Reduzierung der Beschwerden möglich. Empfohlen werde eine entstauende Bewegungstherapie, Kompressionstherapie sowie Lymphdrainage. Auch in fortgeschrittenen Stadien könne mit Hilfe der komplexen physikalischen Entstauungstherapie bei den meisten Patienten eine Besserung der Beschwerden bis hin zur Beschwerdefreiheit erzielt werden, allerdings müssten diese Behandlungen angesichts des chronisch-progredienten Verlaufs lebenslang durchgeführt werden. Eine Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes sei mit diesen konservativen Maßnahmen nicht möglich. Hierfür werde von der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP 2009) insbesondere das operative Verfahren der Liposuktion empfohlen.

Dargestellt werden zwei Studien, wobei die Studie nach Hansson 2011 speziell die Lipomatosis dolorosa betraf. Danach sei ein signifikanter Unterschied nur in der Schmerzreduktion beobachtet worden. Zur Beurteilung eines langfristigen Nutzens seien die Ergebnisse unzureichend. Daher würden auch von den Autoren weitere randomisierte kontrollierte Studien empfohlen.
In der Leitlinie der Deutschen Fachgesellschaft für Phlebologie (DGP) werden als Ziele der Therapie des Lipödems genannt:
– Beschwerdebesserung/-beseitigung durch Ödemreduzierung mittels konservativer Maßnahmen und
– Reduktion des Fettgewebes mittels operativer Verfahren.
Die Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen (GDL 2009) empfiehlt in einer Leitlinie die Liposuktion als ein letztes Mittel, soweit konservative Therapien nicht mehr ausreichend seien.
Diese bislang vorliegenden Aussagen zur Liposuktion stellten keinen hinreichenden evidenzbasierten Nachweis der Wirksamkeit dar.

Hierauf hat das Gericht diese Stellungnahme des MDK nochmals dem Sachverständigen Dr. T. vorgelegt. Der Gutachter räumt hierzu ein, dass die vorliegenden Untersuchungen bisher einen eher zeitlich kurzen Rahmen erfassten und unter den strengen Kriterien der evidenzbasierten Medizin anfechtbar seien. Es handele sich um retrospektive Studien mit einer Nachuntersuchungszeit von zwei bis drei Jahren. Allerdings fehle eine Vergleichsgruppe mit konservativer Behandlung.
Dennoch sei die Behandlungsempfehlung der Gutachterin des MDK nicht nachvollziehbar. Ein Vorschlag, wie die Gewichtsreduktion bei einer durch ihre Erkrankung stark bewegungseingeschränkten Patientin erfolgen solle, werde nicht gemacht. Eine Massenreduktion an den Beinen und die damit verbundene Schmerzreduktion könnten demgegenüber zu einer verbesserten Beweglichkeit der Patientin führen. Auf diesem Wege könne auch eine Gewichtsreduktion auf den Weg gebracht werden. Zusammenfassend sei danach festzustellen, dass sowohl bei den Ärzten und Wissenschaftlern, die sich mit dem Problem Lipo-Lymphödem beschäftigten, der Konsens bestehe, dass die Liposuktion die derzeit einzig sinnvoll operative Behandlungsmethode darstelle, wenn die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft seien.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es erste Versuche in der Medizin, überschüssiges Fett mit Hilfsmitteln zu reduzieren. Die angewandten chirurgischen Maßnahmen, die zunächst mit großen Schnitten einhergingen, wurden im Laufe der Jahre verfeinert. In den 1960er und 1970er Jahren wurden erstmals Instrumente mit einer Absaugfunktion angewandt. Die derzeit am häufigsten angewendete Methode ist die Tumeszenzanästhesie (zu den angewandten Techniken wird auf http://de.wikipedia.org/wiki/Fettabsaugung verwiesen).

Liposuktionsbehandlungen werden nahezu weltweit und in hoher Zahl, sowohl ambulant als auch stationär, durchgeführt. In Deutschland werden in jedem Jahr ca. 250.000 Eingriffe vorgenommen, in den USA mindestens 750.000. (siehe hierzu: http://www.liposuktion.com/international.html sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Fettabsaugung).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 12.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer stationären, operativen Liposuktion für die Klägerin zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hierzu auf die Begutachtungsergebnisse des MDK.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Entsprechend der Zustimmung der Beteiligten konnte das Gericht gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer operativen, stationären Liposuktion (in mehreren Einheiten) zur Behandlung des Lipödems an ihren Beinen als Sachleistung im Rahmen einer Krankenhausbehandlung.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Krankenbehandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch auf Krankenbehandlung besteht, wenn er notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen, § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.

Bei der Klägerin liegt ein Lipo-Lymphödem Stadium III (Verschlimmerungstendenz) an beiden Beinen vor. Hierbei handelt es sich um eine Erkrankung, deren Behandlung notwendig ist. Eine Krankheit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Zieht dabei die Krankheit in unbehandeltem oder behandeltem Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grunderkrankung und damit der Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V aufzufassen (BSG, Urteil vom 17.02.2010, B 1 KR 10/09 R; vom 16.11.1999, B 1 KR 9/97 R, vom 11.09.2012, B 1 KR 3/12 R, m.w.N. – JURIS-Dok.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dies beschreibt bereits der ärztliche Bericht des Krankenhauses D.-F. vom 16.05.2013. Danach besteht bei der Klägerin die Diagnose einer Lipomatosis dolorosa Dercum Grad III. Es handelt sich hierbei um eine Krankheit. Die konservativen Behandlungsmaßnahmen wie manuelle Lymphdrainage, Kompressionsbehandlung und Gewichtsreduktion sind bereits zur Ödemreduzierung durchgeführt worden. Zudem wird durch das Lipödem Gelenkflüssigkeit aus den Kniegelenken gezogen. Daher fehlt es in den Kniegelenken an Flüssigkeit zum Puffern. Hierdurch entsteht eine Arthrose. Entsprechend wurde von den behandelnden Ärzten bereits eine Gonarthrose beidseits festgestellt. Die Lipomatosis dolorosa führt bei der Klägerin zu erheblichen Druckschmerzen. Weitere Schmerzen verursacht die Arthrose der Kniegelenke. Diese progredienten Schmerzen an beiden Beinen führen wiederum zu Bewegungseinschränkungen.

Auch die Beklagte, die sich auf die Gutachten des MDK sowie das Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen vom 06.10.2011 stützt, geht davon aus, dass es sich bei dem Lipo-Lymphödem der Klägerin um eine Krankheit im Sinne von § 27 SGB V handelt (vgl. Gutachten 4.2.2. und 4.2.3., Seite 12/13).

Eine operative Behandlung der Klägerin durch Liposuktion ist medizinisch indiziert. Zur Überzeugung der Kammer ergibt sich die Indikation aus dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten von Dr. T. vom 05.09.2013 sowie auch der ergänzenden Stellungnahme vom 15.05.2014. Die konservativen Therapiemöglichkeiten durch Lymphdrainage und Kompressionstherapie wurden bereits seit mehreren Jahren durchgeführt. Hiermit konnte keine wesentliche Veränderung der Umfangsmasse der Beine herbeigeführt werden. Nur durch die Methode der Liposuktion können die wesentlichen Auswirkungen der Erkrankung behandelt werden. Durch die Absaugung des überschüssigen Gewebes werden die Schmerzen reduziert, die Berührungsempfindlichkeit lässt nach, die Beweglichkeit wird durch die Umfangsminderung verbessert, die Hautprobleme werden beseitigt und in geringem Umfang auch das Ausmaß des Gewichts reduziert. Dies wiederum hat positive Auswirkungen auf die Folgen der Erkrankung (Bewegungsmangel, Stoffwechselsituation etc.). Demgegenüber erscheint dem Gericht der Vorschlag der Ärztin des MDK, Dr. U., einer vorrangigen kontrollierten Gewichtsreduktion, verbunden mit einer Entstauungstherapie, nicht in ausreichender Weise Erfolg versprechend. Der gerichtliche Gutachter hat diesen Vorschlag in seiner ergänzenden Stellungnahme nochmals beurteilt und hierzu ausgeführt, dass eine Gewichtsreduktion – als solche – durchaus zu befürworten sei. Dies ändere aber auch weiterhin nichts an der Prognose der Erkrankung. Denn die Symptome – also das krankhafte Gewebe – werden auch hierdurch nicht beseitigt. Zudem ist nicht so recht erkennbar, wie es bei der stark bewegungseinschränkten Klägerin zu einer Gewichtsreduktion kommen könnte. Erst durch eine Massenreduktion der Beine und einer damit verbundenen Schmerzreduktion könnte eine verbesserte Beweglichkeit entstehen, in deren Folge dann auch eine Gewichtsreduktion fortgeführt werden kann.

Weiter ist die durchzuführende Liposuktion zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage des vorliegenden Gutachtens nur stationär möglich. Die Erforderlichkeit der stationären Behandlung beruht auf medizinischen Gründen (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 25.09.2007 – GS 1/06; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R – JURIS-Dok.). Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses erforderlich macht. Dies wird in dem Gutachten von Dr. T. überzeugend begründet. Es handelt sich hier um die Auswirkungen der vorgesehenen operativen Behandlung, der Einsatz von Infusionen und einer hochdosierten Schmerzmittelbehandlung.

Nach dem Gutachten bemisst sich die Frage der Notwendigkeit einer stationären Behandlung maßgebend nach der Menge des jeweils abzusaugenden Fettgewebes. Das Hessische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 05.02.2013 (L 1 KR 391/12) hierzu auf die Differenzierung entsprechend den GÄCD-Leitlinien zur Liposuktion hingewiesen. Diese sehen im ambulanten Bereich eine maximale Aspirationsmenge von 2000 ml reinem Fettgewebes vor und erachten bei bis zu 4000 ml Aspirationsmenge eine postoperative Nachbetreuung bis zu 24 Stunden für erforderlich. Auch wenn diese Leitlinien für den Anwendungsbereich der ästhetischen Chirurgie entwickelt wurden, können sie – wie das Hessische LSG zutreffend ausführt (Rn. 18) – als Grundlage für die Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlungsbedürftigkeit herangezogen werden, da es insoweit nur um eine rein medizinische Beurteilung geht. Nach dem Gutachten von Dr. T. käme es bei der Klägerin jeweils zu Mengen des abzusaugenden Lipödemfettgewebes von bis zu 6000 ml. Angesichts dieser Menge für eine Behandlungseinheit sowie der dadurch entstehenden Auswirkungen für den Flüssigkeitshaushalt und die erforderliche postoperative Schmerzbehandlung ist eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen erforderlich.

Eine Kostenübernahme für die hier erstrebte stationäre Behandlungsmaßnahme scheitert auch nicht an der fehlenden positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses auf der Grundlage von §§ 135 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V.

Bei der von der Klägerin begehrten Behandlung handelt es sich um eine „neue“ Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Ärztliche Behandlungsmethoden sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sich von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (Urteil des BSG vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/05 R – JURIS-Dok.). Bei der Liposuktion handelt es sich um eine solche ärztliche Behandlungsmethode, die nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen enthalten ist und damit als „neu“ gilt. Als nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene „neue“ Methode ist damit die Liposuktion in der ambulanten Behandlung kein Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R – JURIS-Dok., Rn. 14).

Anders ist dies in der hier vorliegenden Situation. Allerdings ergibt sich der Unterschied – entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Chemnitz (Urteil vom 01.03.2012, S 10 KR 189/10, JURIS-Dok., Rn. 41) – nicht aus Gründen des sogenannten Systemversagens. Danach ist eine Ausnahme bezüglich des dargestellten Erlaubnisvorbehalts nach der Rechtsprechung des BSG dann anerkannt, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems (Urteil des BSG vom 16.09.1997 – 1 KR 28/95 – JURIS-Dok., Rn. 35) beruht, der dann vorliegt, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wurde („Systemversagen“). Vorliegend sind jedoch die Umstände, die ein solches Systemversagen begründen könnten, nicht gegeben. Maßgebend hierfür ist vielmehr die gegenwärtige Studienlage. Diese ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten „Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 06.10.2011.

§ 137c SGB V formuliert allerdings eine etwas andere Regelung zur Sicherung der Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien des § 2 Abs. 1 SGB V für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die stationär im Krankenhaus durchgeführt werden. Danach überprüft der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag die angewandte Krankenbehandlung daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist. Ergibt die Überprüfung, dass die Methode nicht den Kriterien nach Satz 1 entspricht, erlässt der Gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Richtlinie. Durch die Möglichkeit der verbindlichen Festschreibung des Ausschlusses bestimmter Behandlungs- und Untersuchungsmethoden nach Prüfung durch ein Expertengremium (den G-BA) soll im stationären Bereich eine der dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende, wirtschaftliche und zweckmäßige Versorgung qualitativ sichergestellt werden (vgl. auch: § 137b SGB V). Anders als im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung, wo nur diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden können, für die der G-BA positiv eine Einhaltung der Qualitätsanforderungen des SGB V im Sinne der Richtlinie festgestellt hat, ist im stationären Bereich kein solcher Anerkennungsvorbehalt formuliert. Während also der Gesetzgeber in der vertragsärztlichen Versorgung für die Abrechenbarkeit von Behandlungen und Untersuchungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen von einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgeht (wie dargestellt), ist in der Krankenhausversorgung die Qualitätssicherung im Sinne einer grundsätzlichen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt vorgesehen. Diese unterschiedliche rechtstechnische Ausgestaltung von § 135 Abs. 1 und § 137 Abs. 1 SGB V bewirkt, dass neue Behandlungsmethoden in der Breite der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung erst nach „Freigabe“ durch den G-BA zur Verfügung stehen, während Innovationen im stationären Bereich so lange zulässigerweise zum Einsatz kommen können, bis dies durch ein negatives Votum des G-BA ausgeschlossen wird. Dies soll gewährleisten, dass der medizinische Fortschritt in den Krankenhäusern nicht unterlaufen wird (vgl. BT-Drucks. 14/1245, Seite 90 zu 137c).

In der neueren Rechtsprechung führt das BSG hierzu allerdings einschränkend aus, dass § 137c SGB V nicht im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus mit Verbotsvorbehalt ausgelegt werden dürfe (Urteil vom 28.07.2008 – B 1 KR 5/08 R; Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 2/12 R – JURIS-Dok.). Die Regelung setzte die Geltung des Qualitätsgebotes aus § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V auch im stationären Bereich nicht außer Kraft. § 137c SGB V besagt vor diesem Hintergrund lediglich, dass – anders als im Bereich der vertragsärztlichen Leistungen – nicht in einem generalisierten formellen Prüfverfahren vor Einführung neuer Behandlungsmethoden im Krankenhaus deren Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft wird, sondern die Prüfung der eingesetzten Methoden grundsätzlich präventiv durch das Krankenhaus selbst und retrospektiv lediglich im Einzelfall anlässlich von Beanstandungen ex post erfolgt (Urteil des BSG vom 21.03.2013).

Der Anspruch scheitert auch nicht daran, dass vorliegend die streitige Behandlung nicht dem Qualitäts- und Wissenschaftsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entspräche.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem all-gemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Das Tatbestandsmerkmal des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse knüpft an den Maßstab der evidenzbasierten Medizin an. Aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung werden solche Leistungen ausgeschlossen, die nicht ausreichend erprobt sind. Denn es ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinische Forschung zu finanzieren. Eine neue Behandlungsmethode gehört deshalb erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn über Qualität und Wirksamkeit zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorliegen (Sächsisches LSG, Urteil vom 16.01.2014 – L 1 KR 229/10, Rn. 47 m.w.N., JURIS-Dok.).

Allein das Fehlen einer negativen Beurteilung des G-BA für die stationäre Behandlung der Klägerin durch eine Liposuktion führt noch nicht zu einem Anspruch auf diese Krankenhausbehandlung. Auch im stationären Bereich gilt, dass die begehrte Behandlung den Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien der §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V entsprechen muss. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entspricht den Qualitätskriterien des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V eine Behandlung, wenn die „große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler), die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens über die Zweckmäßigkeit der Therapie besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ableiten lassen. Die Therapie muss – in der Regel – in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erforderlich gewesen sein. Als Basis für die Herausbildung eines Konsens können alle international zugänglichen einschlägigen Studien dienen; in ihrer Gesamtheit kennzeichnen diese den Stand der medizinischen Erkenntnisse (BSG, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 2/12 R). Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt. Soweit die praktischen Möglichkeiten erzielbarer Evidenz des Nutzens einer Behandlungsmethode eingeschränkt sind, können sich die Anforderungen an das Evidenzniveau des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse vermindern (BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – 2. Leitsatz und Rn. 21/22 – JURIS-Dok.).

Die abstrakte Feststellung der Eignung einer medizinischen Leistung erfolgt durch eine Beurteilung ihrer medizinischen Leistungsfähigkeit sowie ihrer Stellung im System ver-gleichbarer bzw. alternativer Behandlungsmöglichkeiten. Durch evidenzbasierte Medizin wird versucht, die Wahrscheinlichkeit für nacherlebbare Kausalitätserfahrungen auszudrücken, d. h. es wird beschrieben, wie gesichert die Erkenntnis darüber ist, in welcher Weise eine bestimmte medizinische Methode in einem konkreten Anwendungsfall wirken wird. Dieses Verfahren sieht eine Einteilung vor, bei welcher auf der unteren Stufe (V) Assoziationsbeobachtungen bzw. Expertenmeinungen stehen, gefolgt von Fallserien (IV), retro-spektiv vergleichenden Studien (III), prospektiv vergleichenden Kohortenstudien (IIb), systematischen Übersichtsarbeiten der Evidenzstufe IIb (IIa), randomisierten klinischen Studien (Ib) und systematischen Übersichtsarbeiten von Studien nach Ib (Ia) (vgl. Kunte/Kostroman, Das Qualitäts- und Wissenschaftsgebot am Beispiel der Liposuktion bei Lip- und Lymphödem, SGB 2014, 607 bis 612).

Die Frage, welcher Grad der Evidenz mindestens vorliegen muss, kann indes nicht eindeutig beantwortet werden. Rein sprachlich spricht einiges dafür, jede Abstufung der Klassifizierung nach der Verfahrensordnung des G-BA als evidenzbasierte Medizin zu bezeichnen. Auch die Rechtsprechung geht davon aus, dass bei Fehlen höherrangiger Studien auf andere aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden kann. Studienlagen niederschwelliger Evidenz können gleichfalls Einfluss auf die Bewertung nehmen. Die Anforderungen an die wissenschaftliche Erkenntnis im Sinne des Wissenschaftsgebots nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V wird demnach individuell zu bewerten sein (Kunte/Kostroman, a.a.O., Seite 609).

Die Kammer folgt danach zum einen nicht der Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts aus dem Urteil vom 05.02.2013 (L 1 KR 391/12, Rn. 20 – JURIS-Dok.). In diesem Urteil hatte das Hessische LSG allgemein die Auffassung vertreten, dass im Rahmen der Krankenhausbehandlung die Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht erfüllt sein müssten. Dieser allgemeinen Aussage folgt die Kammer nicht. Maßgebend ist vielmehr, ob auch im Rahmen der stationären Behandlung die jeweils höchste Evidenzstufe erreicht werden muss. Anders als Kunte/Kostroman (a.a.O.) geht die Kammer nicht davon aus, dass im Rahmen der stationären Behandlung Zweifel auf der höchsten Evidenzstufe zum Schutze der Patienten und im Interesse der Versichertengemeinschaft zwingend zu Lasten der Behandlungsmethode gehen. Die Anforderungen an das Evidenzniveau des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse kann vielmehr hier vermindert sein (BSG, Urteil vom 17.12.2013, a.a.O.).

Grundsätzlich zählen – wie die ausdrückliche Erwähnung des medizinischen Fortschritts in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V belegt – auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der GKV.

Die Methode der Tumeszenzliposuktion entspricht den Regeln der ärztlichen Kunst und stellt keine Außenseitermethode im Sinne des Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar, §§ 1 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Es handelt sich nicht um eine Methode von experimentellem Charakter. Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie – Lipödeme der Beine (Version vom 25.06.2009) – wird eine Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes lediglich durch das operative Verfahren der Liposuktion erreicht. Die Kammer erkennt hierzu durchaus, dass bislang keine randomisierten Studien existieren, die einen langfristigen Nutzen der Liposuktion belegen. Dies ergibt sich aus dem vorgelegten Gutachten „Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ vom 06.10.2011 und wird letztlich auch durch den gerichtlichen Sachverständigen eingeräumt. Eine nicht randomisierte kontrollierte Studie (Hansson 2011) untersuchte den Langzeiterfolg bei 111 Frauen mit Lipomatosis dolorosa. Auch wenn ein signifikanter Unterschied in der Schmerzreduktion beobachtet wurde, seien – so die Autoren – die Ergebnisse unzureichend, um einen langfristigen Nutzen ausreichend zu belegen. Daher werden auch von den Autoren weitere (randomisierte) kontrollierte Studien mit ausreichend validierten Ergebniskriterien gefordert (Gutachten der SEG 7, a.a.O., Seite 23/24).

In der aktuellen, nicht evidenzbasierten S-1-Leitlinie der Deutschen Fachgesellschaft für Phlebologie (DGP) werden als Ziele der Therapie des Lipödems genannt:

– Beschwerdebesserung/-beseitigung durch Ödemreduzierung mittels konservativer Maßnahmen und
– Reduktion des Fettgewebes mittels operativer Verfahren.

Die Gesellschaft deutschsprachiger Lymphologen (GDL 2009) empfiehlt in der S-1-Leitlinie „Lymphödeme“, dass vor der Durchführung chirurgischer Maßnahmen eine vollständige konservative Therapie von mindestens sechs Monaten Dauer durchgeführt werde.

Weiter benennt der gerichtliche Sachverständige drei aktuelle, nicht randomisierte Studien zur Methode der Tumeszenz-Liposuktion. Die Studien gelangten zu positiven Ergebnissen,wie Schmerzminderung, Verbesserung der Berührungsempfindlichkeit, bessere Beweglichkeit und Verbesserung der psychischen Gesamtsituation.

Es handelt sich um eine weltweit durchgeführte Operationsmethode. Allein in Deutschland geht man von 250.000 Eingriffen pro Jahr aus (in den USA mindestens 750.000) [http://de.wikipedia.org/wiki/Fettabsaugung]. 1420 kassenärztlich zugelassene Ärzte sind deutschlandweit bei dem Suchservice „JAMEDA“ für die Durchführung einer Liposuktion registriert.

Verblindete Studien sind für diese Therapiemethode nicht möglich. Auch randomisierte Prüfungen sind vor dem Hintergrund der möglichen Einflussfaktoren insgesamt nur begrenzt durchführbar. Denn bereits die Zuteilung einer Patientin zu dieser Behandlungsmethode bedarf bei einem operativen Eingriff der Einwilligung; sie kann daher nicht völlig zufällig erfolgen. Auch im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeit bestehen aufgrund persönlicher Lebensführung praktische Einschränkungen. Andererseits wird – übereinstimmend – davon ausgegangen wird, dass die Genese des Lipo-Lymphödems so-wie der Lipomatosis dolorosa letztlich noch nicht geklärt ist, eine kausale Therapie daher nicht vorhanden ist und eine Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes mit konservativen Maßnahmen nicht erreicht werden könnte.

Daher ist insgesamt trotz eines Evidenznachweises auf den abschließenden Stufen – in Anbetracht der weltweiten praktischen Anerkennung der Ausführung der Methode der Tumeszenzanästhesie seit 1987, entwickelt durch den kalifornischen Hautarzt Jeffrey A. Klein (The tumescent technique for liposuction surgery. In: AMJ Cosmetic surg. Nr. 4/1987) – eine ausreichende evidenzbasierte Grundlage für die stationäre Durchführung der Therapie gegeben. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten praktischen Möglichkeiten erzielbarer Evidenz ist die derzeitige Studienlage noch hinreichend im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V. (a.A. u.a. zuletzt: Urteil des Hessischen LSG vom 29.01.2015 – L 8 KR 339/11 – JURIS-Dok. Rdnr. 42 ff., dem Gutachten des MDK folgend; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2005 – L 4 KR 351/7/11 – JURIS-Dok. Rdnr. 32 m.w.N. sowie diesem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 16.01.2014 – L 1 KR 229/10 – JU-RIS-Dok. Rdnr. 47 ff.) Andernfalls gelangte man im Bereich der stationären Krankenhausbehandlung bei einem so erheblichen Erkrankungsstadium wie dem der Klägerin trotz des Vorhandenseins der bisher einzigen, letztlich potentiell wirksamen Behandlungsmethode zu einer faktischen Behandlungsverweigerung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Das Sozialgericht hat die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Trotz zahlreicher Entscheidungen der Sozialgerichte erster und zweiter Instanz zur Frage der Kostenübernahme einer stationären Liposuktion liegt hierzu noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Das Urteil des BSG vom 16.12.2008 (B 1 KR 11/08 R – JURIS-Dok.) betraf die ambulante Durchführung und mithin nicht die Kriterien nach § 137c SGB V. Es ist darüber hinaus gerichtsbekannt, dass weiterhin zahlreiche Verfahren, welche die Kostenübernahme oder Kostenerstattung für stationäre Liposuktion betreffen, an den Sozialgerichten anhängig sind. Zur Wahrung der Rechtseinheit und zur Rechtsfortbildung ist schließlich zu klären, bei welchen Voraussetzungen niederschwelligere Evidenzstufen ausreichend sind.