Sozialgericht Duisburg S 31 (11) KR 169/08

Sozialgericht Duisburg

Urteil vom 11.04.2011 (rechtskräftig)

Sozialgericht Duisburg S 31 (11) KR 169/08
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 KN 53/11 KR

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten.

Der Streitwert wird auf 1.126,60 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob im Rahmen einer Krankenhausabrechnung als Hauptdiagnose eine Hypermenorrhoe oder eine Eisenmangelanämie zu berücksichtigen ist.

Die bei der Beklagten versicherte R. St. (14.03.1957) wurde auf Einweisung ihres behandelnden Internisten Dr. H. vom 15.04.2008 im Zeitraum 18.04. – 26.04.2005 auf der Inneren Station der Beklagten behandelt. Als Grund für die Einweisung nannte Dr. H. eine “schwere Blutungsanämie bei gynäkologischer Dauerblutung seit ca. einem Monat”. In der Krankengeschichte wird als vorläufige Diagnose am 18.04.2005 eine unklare Anämie angegeben. Am 18., 19. und 21.04.2005 wurden Laboruntersuchungen durchgeführt. Am 18.04. wurde außerdem ein EKG abgeleitet und am 19.04. sowohl eine Gastroskopie als auch eine abdominelle Sonographie durchgeführt. Am 25.04.2005 wurde eine gynäkologische Konsiliaruntersuchung veranlasst. Dabei wurde als Diagnose eine “Anämie bei Hypermenorrhoe” angegeben. Das gynäkologische Konsil ergab ein “sonographisch verbreitertes Endometrium”, eine Abrasio werde zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Versicherte wurde therapiert durch die Weiterführung einer schon zuvor begonnenen Gabe von Eisen (oral) sowie durch die Gabe zweier Erythrozytenkonzentrate. Im Entlassungsbericht wird als Diagnose insbesondere eine akute Blutungsanämie bei Hypermenorrhoe genannt. Angesicht der durchgeführten und unauffälligen Gastroskopie sowie der Laboruntersuchungen sei die Hypermenorrhoe als Ursache der Anämie anzusehen. Die Versicherte habe anamnestisch bereits vor zwei Jahren eine ähnliche Symptomatik gehabt. Eine weitere gynäkologische Abklärung solle auf Wunsch der Versicherten ambulant durchgeführt werden.

In ihrer Abrechnung gegenüber der Klägerin gab die Beklagte als Hauptdiagnose eine akute Blutungsanämie (ICD-10-GM 2005: D62) an. Zusammen mit den im Übrigen unstreitigen Nebendiagnosen und Prozeduren ergab sich daraus die Fallpauschale G-DRG (2005) Q61B und damit eine Rechnungssumme von 2.420,49 EUR (Rechnung vom 11.05.2005). Die Klägerin überwies diesen Betrag am 24.05.2005. In einer Stellungnahme vom 20.07.2006 kam der MdK zu dem Ergebnis, dass als Hauptdiagnose vielmehr eine “zu starke Blutung in der Prämenopause” (ICD-10-GM 2005: N92.4) anzusetzen sei. Es ergebe sich entsprechend die Fallpauschale G-DRG (2005) N62B und damit ein Entgelt von nur 1.291,32 EUR. Aus der Differenz beider Beträge ergibt sich der hier streitige Rückforderungsbetrag von 1.126,60 EUR, den die Klägerin erstmalig am 24.07.2006 geltend machte.

Am 27.08.2008 hat die Klägerin nach längerer Korrespondenz mit der Beklagten Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor, es sei hier im Sinne der einschlägigen Kodierrichtlinien davon auszugehen, dass sich die Versicherte mit einem Symptom vorgestellt habe, nämlich der Anämie und dass die zugrundeliegende Krankheit, nämlich die Hypermenorrhoe, während des Aufenthaltes diagnostiziert worden sei. In einem solchen Fall sei die zugrundeliegende Krankheit, also die Hypermenorrhoe, als Hauptdiagnose zu kodieren. Dass die Hypermenorrhoe als zugrundeliegende Krankheit zuvor noch nicht bekannt gewesen sei, ergebe sich daraus, dass die Einweisung durch einen Internisten erfolgt sei und die Versicherte auch auf einer Inneren Station aufgenommen worden sei. Dass die Diagnose dann im Rahmen der Behandlung gestellt wurde, ergebe sich sowohl aus der Anordnung des gynäkologischen Konsils als auch aus dem Entlassungsbericht, wo jeweils die Hypermenorrhoe als zugrundeliegende Krankheit diagnostiziert werde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.126,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Hypermenorrhoe sei bereits bei Aufnahme bekannt gewesen. So finde sich bereits im Arztbrief vom 27.04.2005 als Aufnahmediagnose eine akute Blutungsanämie bei Hypermenorrhoe. Die Hypermenorrhoe sei jedenfalls nicht behandelt worden. Im gynäkologischen Konsilbericht vom 26.04.2005 werde erklärt, dass eine weitere gynäkologische Abklärung auf Wunsch der Versicherten ambulant erfolgen werde. Die Gabe zweier Erythrozytenkonzentrate stelle keine Behandlung der Hypermenorrhoe, sondern der Anämie dar. Auch die durchgeführte Diagnostik habe sich auf die Abklärung der Anämie und nicht auf eine Abklärung der Hypermenorrhoe bezogen. Werde eine zugrundeliegende Krankheit während des Krankenhausaufenthalts aber weder behandelt noch diagnostiziert, so sei nach der DKR2005 D002d nicht diese zugrundeliegende Krankheit, sondern das Symptom als Hauptdiagnose zu kodieren.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Internisten und Sozialmediziners Dr. W … Dieser hat zunächst darauf hingewiesen, dass die bestehende Blutarmut nicht als akute Blutungsanämie (ICD-10-GM 2005: D62), sondern als Eisenmangelanämie nach Blutverlust (chronisch) (IDC-10-GM 2005: D50.0) zu kodieren sei. Für die Festlegung der Hauptdiagnose sei zu berücksichtigen, dass eine gesicherte Diagnostik hinsichtlich der Blutungsquelle nicht erfolgt sei. Insofern sei die Diagnose Hypermenorrhoe eine Verdachtsdiagnose. Nach der entsprechenden DKR2005 D008b sei dann zu differenzieren, ob der Versicherte nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt worden sei. Werde der Versicherte wie hier nach Hause entlassen, so komme es darauf an, ob eine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose erfolgt sei. In Bezug auf die Verdachtsdiagnose Hypermenorrhoe sei aber keine Behandlung erfolgt. Eine Behandlung sei lediglich im Hinblick auf die Eisenmangelanämie durchgeführt worden. Auch unter Berücksichtigung der abweichend von der Beklagten vorgenommenen Kodierung der Hauptdiagnose ergebe sich die von der Beklagten angesetzte Fallpauschale G-DRG (2005) Q61B.

Die Klägerin hat zum Sachverständigengutachten vorgetragen, dass eine Hypermenorrhoe zwar nicht zu 100% gesichert gewesen sei. Sie sei aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben gewesen. Die Beklagte habe sich jedenfalls mit ihrer Diagnosestellung in der Anforderung des gynäkologischen Konsils und im Entlassungsbrief festgelegt.

Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, eine Hypermenorrhoe sei insbesondere im Rahmen der gynäkologischen Untersuchung letztlich nicht nachgewiesen worden. Es sei ausdrücklich noch eine weitere diagnostische Abklärung empfohlen worden. Maßgeblich für die Veranlassung des stationären Aufenthaltes sei die Blutarmut gewesen. Soweit im Rahmen der bisherigen Auseinandersetzung die Anämie als Symptom der Hypermenorrhoe gedeutet worden sei, sei dies unzutreffend. Die Anämie stelle eine eigene Krankheit und nicht ein Symptom dar. Eine Eisenmangelanämie sei insbesondere kein Symptom, das – im Sinne der einschlägigen Kodierrichtlinien – im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit (Hypermenorrhoe) vergesellschaftet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Patientenakte sowie die ebenfalls beigezogene Akte der Klägerin Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Auch wenn die von der Beklagten kodierte Hauptdiagnose abzuändern ist, erweist sich die von ihr geltend gemachte Fallpauschale G-DRG (2005) Q61B im Ergebnis als zutreffend.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Beklagten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG und Anlage 1 Teil a FPV 2005 sowie der sogenannte Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen, der für die Beteiligten weiterhin Anwendung findet. Für die hier allein streitige Frage der richtigen Kodierung der Hauptdiagnose sind im Übrigen die DKR2005 heranzuziehen.

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall als Hauptdiagnose eine Eisenmangelanämie nach Blutverlust (chronisch) (ICD-10-GM 2005: D50.0) zu kodieren, was unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Nebendiagnosen und Prozeduren zur Fallpauschale G-DRG (2005) Q61B führt, die die Beklagte ihrer Rechnung auch zugrunde gelegt hat.

Dieses Ergebnis ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem umfassenden und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. W …

Ausgangspunkt der Kodierung der Hauptdiagnose ist der Obersatz zur DKR2005 D002d. Danach ist Hauptdiagnose “die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts des Patienten verantwortlich ist”. Die Anwendung dieses Obersatzes auf den vorliegenden Fall führt zur Kodierung einer chronischen Eisenmangelanämie nach Blutverlust als Hauptdiagnose. Denn allein eine Hypermenorrhoe indiziert keine stationäre Krankenhausbehandlung. Eine Hypermenorrhoe “bezeichnet eine Form der Regeltypusstörung, die durch eine zu starke Menstruationsblutung mit Abgang von Blutkoageln und dadurch erhöhten Blutverlust während der Monatsblutung gekennzeichnet ist”. Sie liegt vor, “wenn durch eine zu starke Menstruationsblutung mit Abgang von Blutkoageln der Blutverlust pro Monatsblutung mehr als 150 ml beträgt. Man spricht dann auch von einer “überregelstarken” Blutung”. Eine Blutarmut im Sinne einer sekundären Anämie mit Mangel an roten Blutkörperchen stellt definitionsgemäß dagegen eine Komplikation einer länger fortbestehenden Hypermenorrhoe dar (vgl. wikipedia.de “Hypermenorrhoe”). Die Einweisung der Versicherten Stoermann erfolgte hier wegen der (ggf. als Komplikation einer Hypermenorrhoe anzusehenden) Anämie. Dies ergibt sich bereits aus der Einweisung durch Dr. H. vom 15.04.2005, in der als Diagnose und damit als Einweisungsgrund eine schwere Blutungsanämie gesehen wird. Die Maßgeblichkeit der Blutungsanämie ergibt sich außerdem aus der Aufnahme auf einer Inneren Station, der zunächst durchgeführten Diagnostik insbesondere mittels Labor sowie der erfolgten Therapie mittels Fortführung oraler Eisengabe und Gabe von Erythrozytenkonzentraten. Schließlich wird selbst in dem von der Klägerin angeführten Entlassungsbericht als Diagnose an erster Stelle die akute Blutungsanämie (wenngleich “bei Hypermenorrhoe”) genannt.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass die von den Beteiligten im Wesentlichen diskutierten Abschnitte der DKR2005 D002d zur “Zuweisung der zugrundeliegenden Krankheit als Hauptdiagnose”, in denen das Verhältnis von Symptom und zugrundeliegender Krankheit diskutiert wird, nicht einschlägig sind. Die chronische Eisenmangelanämie ist eben nicht als bloßes Symptom der Krankheit Hypermenorrhoe anzusehen. Sie stellt vielmehr eine eigenständige Krankheit dar (vgl. auch die Überschrift zu ICD-10-GM 2005: Kapitel III), die eine Komplikation einer Hypermenorrhoe sein kann. Jedenfalls ist eine chronische Blutungsanämie kein Symptom i.S.d. DKR2005 D002d, das “im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrundeliegenden Krankheit (hier Hypermenorrhoe) vergesellschaftet” ist.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass sich die Eisenmangelanämie zur Hypermenorrhoe wie ein Symptom zur zugrundeliegenden Krankheit verhält, wäre die Klage unbegründet. Denn der Sachverständige Dr. W. hat überzeugend ausgeführt, dass – entgegen der Bezeichnung im Entlassungsbericht – die Hypermenorrhoe hier lediglich als Verdachtsdiagnose angesehen werden könnte. Ein Indiz hierfür ist bereits darin zu sehen, dass in der Krankengeschichte als Entlassungsdiagnose lediglich ein “Verdacht auf Metrorrhagie” aufgeführt wird. Entscheidend ist aber, dass tatsächlich keine hinreichende Abklärung dieser Diagnose erfolgt ist. Diese hätte insbesondere im Rahmen des gynäkologischen Konsils erfolgen können. Das gynäkologische Konsil ergab aber lediglich den Hinweis auf ein verbreitertes Endometrium. Eine weitere Abklärung wurde ausdrücklich angeraten. Auch wenn entsprechend den anamnestischen Angaben der Versicherten zwei Jahre vor dem hier gegenständlichen Krankenhausaufenthalt schon einmal eine Hypermenorrhoe diagnostiziert worden sein sollte und auch wenn dies unter Berücksichtigung des Verlaufs des stationären Aufenthalts für eine erneute Hypermenorrhoe sprechen sollte, kann dies nicht als eine im Sinne des Obersatzes zur DKR2005 D008b “sicher bestätigte” Diagnose angesehen werden. Nach Entlassung der Versicherten nach Hause wäre dann gemäß der DKR2005 D008b das (hier unterstellte) Symptom der Eisenmangelanämie zu kodieren, wenn keine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose eingeleitet worden wäre. Und tatsächlich ist nicht ersichtlich, dass hier eine Behandlung einer Hypermenorrhoe erfolgt ist. Die Therapie einer Hypermenorrhoe erfolgt beispielsweise durch Hormongabe oder durch eine Abrasio (vgl. wikipedia.de “Hypermenorrhoe”). Hier erfolgte mit oraler Eisengabe und Gabe von Erythrozytenkonzentraten dagegen eine Therapie der Blutungsanämie.

Da sich die von der Beklagten angesetzte Fallpauschale G-DRG (2005) Q61B im vorliegenden Fall unabhängig davon ergibt, ob als Hauptdiagnose eine chronische Blutungsanämie oder eine akute Blutungsanämie angesetzt wird, bedarf dieser Punkt keiner weiteren Aufklärung. Die Kammer ist aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. gleichwohl überzeugt, dass angesichts der festgestellten Hämoglobinwerte, der anamnestischen Angaben der Versicherten, der Einweisung durch Dr. H. und des Behandlungsverlaufs eine chronische und keine akute Blutungsanämie vorlag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Höhe des Streitwerts ergibt aus §§ 3 Abs. 1; 52 Abs. 1, Abs. 3; 43 Abs. 1 GKG.