Sozialgericht Duisburg S 7 KR 177/02

Sozialgericht Duisburg

Urteil vom 20.08.2004 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Duisburg S 7 KR 177/02

 
 

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2002 verurteilt, die Kosten für die Durchführung einer videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für eine videogestützte Epilumineszenz-Mikroskopie.

Bei dem am 28.05.1936 geborenen Kläger, der bei der Beklagten krankenversichert ist, kommt es aufgrund seines Hauttyps zu einer gehäuften Ausbildung von zum Teil auch atypischen Muttermalen (sogenannten multiplen Naevuszellnaevi). Es besteht die erhöhte Gefahr der Entartung von Muttermalen in Form der Ausbildung von Hautkrebs (malignes Melanom). Im Jahre 1988 wurde bereits ein malignes Melanom bei dem Kläger diagnostiziert und im Juli 1988 in der Universitätsklinik E operativ entfernt. In der Folgezeit wurden bei den regelmäßig durchgeführten Nach- bzw. Vorsorgeuntersuchungen kein Hinweis auf ein Rezidiv oder Metastasierungen bis heute gefunden.

Am 12.10.2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Durchführung einer videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie durch seinen behandelnden Dermatologen Dr. N. Hierzu legte er einen Kostenvoranschlag des behandelnden Arztes vor, wonach die Untersuchung 302,17 DM kosten sollte. Zur Begründung der Kostenübernahme führte Dr. N in einem Attest vom 01.02.2002 aus, die Untersuchungsmethode mit Einspeicherung der Nevuszellnaevi und zusätzliche Beurteilung durch ein Expertensystem sowie dokumentierter Verlaufsbeobachtung feinster Veränderungen ermögliche es, bei dem Kläger – einem Patienten mit hohem Risiko für die Entwicklung eines Zweitmelanoms – unter der Fülle seiner noch verbliebenen multiplen Naevuszellnaevi frühzeitig kritische Läsionen zu erfassen und zu einem Zeitpunkt zu exizidieren, zu dem eine vollständige Heilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewährleistet werden könne.

Bei der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie handelt es sich zunächst um eine Form der sogenannten Auflichtmikroskopie, mit deren Hilfe pigmentierte Veränderungen der Haut und der Hautanhangsgebilde vergrößert betrachtet werden können. Dies erlaubt eine bessere Erkennung von morphologischen Strukturen, als dies mit dem bloßen Auge möglich ist, so dass durch die auflichtmikroskopische Untersuchung die Diagnose sicherer gestellt werden kann, um so Gewebeentnahmen bzw. histologische Untersuchungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Bei der zusätzlich dazu durchgeführten Videodokumentation werden die auflichtmikroskopischen Bilder über spezielle Systeme auf Videofilmen gespeichert und können zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgerufen werden, so dass die Entwicklung eines Pigmentmals anhand der Videodokumentation im zeitlichen Verlauf beurteilt werden kann, um so Rückschlüsse auf eine eventuell bösartige Entwicklung ziehen zu können. Die Methode wird von ca. 30 bis 40 % der niedergelassenen Dermatologen und von etwa 80 bis 90 % der Universitätskliniken in Deutschland angewendet. Eine Abrechnung im ambulanten Bereich über den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ist nicht möglich.

In einer von der Beklagten erbetenen Beurteilung des MDK vom 08.02.2002 verwies dieser darauf, dass entsprechende Kostenübernahmeanträge bundesweit vermehrt aufgefallen seien und vor diesem Hintergrund der MDS/MDK im August 2001 eine Grundsatzstellungnahme abgegeben habe. Danach handelt es sich bei der fraglichen Methode um ein bereits weit verbreitetes Verfahren. Wissenschaftliche Arbeiten, welche die Veränderung von Pigmentalen im Laufe der Zeit zum Thema haben, hätten jedoch nicht gefunden werden können, so dass davon auszugehen sei, dass diesbezüglich keine der Allgemeinheit zugängliche Studien bzw. Daten existieren, mit denen nachgewiesen werden könne, dass die Videodokumentation von pigmentalen Patienten einen höheren Nutzen im Vergleich zu allgemein üblichen etablierten diagnostischen Verfahren bringe. Die digitale bzw. analoge Speicherung von auflichtmikroskopischen Befunden könne daher allenfalls möglicherweise in der Zukunft den Patienten weitere Vorteile bringen. Zum jetzigen Zeitpunkt lägen diesbezüglich keine validen Daten vor.

Bezugnehmend auf diese Beurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.02.2002 den Kostenübernahmeantrag des Klägers mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine anerkannte Methode, weil keine Studien vorlägen, die bestätigten, dass die neue Untersuchungsmethode Vorteile gegenüber den gängigen Verfahren mit sich bringe. In seinem dagegen eingelegten Widerspruch berief sich der Kläger demgegenüber auf das Attest des Dr. N vom 01.02.2002. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte darin zur Begründung ergänzend aus, der Anspruch auf Krankenbehandlung im Sinne von § 27 SGB V bestehe als Sachleistungsanspruch nur im Rahmen des wirtschaftlich und medizinisch Notwendigen. Hinsichtlich der Anwendung sogenannter neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden habe das Bundessozialgericht entschieden, dass solche nur dann abgerechnet werden dürften, wenn der dafür zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine positive Empfehlung abgegeben habe, um zu gewährleisten, dass neue medizinische Verfahren nicht ohne Prüfung ihres Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden. Bezüglich der hier streitigen videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie habe der Bundesausschuss bisher keine Empfehlung abgegeben. Ausnahmsweise könne ein Anspruch eines Versicherten in solchen Fällen nur dann in Betracht kommen, wenn ein sogenannter Systemmangel vorliege. Dies sei aber wiederum nur dann der Fall, wenn das erforderliche Anerkennungsverfahren beim Bundesausschuss trotz Erfüllung der für die Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt werde. Ein Systemmangel liege danach hier schon deswegen nicht vor, weil beim Bundesausschuss bisher noch kein Antrag zur Überprüfung der Methode gestellt worden sei.

Am 21.06.2002 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der er sein Begehren auf Inanspruchnahme der Untersuchungsmethode als Sachleistung in der Zukunft weiter verfolgt. Zwischenzeitlich führt Dr. N die Untersuchung auch bei dem Kläger durch, stellt ihm dafür aber keine Kosten in Rechnung.

Zur Begründung weist der Kläger weiter darauf hin, dass aufgrund seiner besonderen körperlichen Konstitution und der in der Vergangenheit aufgetretene Hautkrebserkrankung das besondere Risiko einer Wiederholung bestünde. Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen sei die begehrte Untersuchungsmaßnahme diejenige, die den größten Nutzen bringe. Auch in der Universitätsklinik Bochum werde dieses Verfahren angewandt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2002 zu verurteilen, die Kosten für die Durchführung einer videogestützten Epilumnieszenz-Mikroskopie zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid. Nach ihrer Auffassung ist die Sach- und Rechtslage eindeutig. Das Bundessozialgericht habe bereits mehrfach ausdrücklich bestätigt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur dann in der vertragsärztlichen Versorgung angewendet werden dürften, wenn eine entsprechende Empfehlung des Bundesausschusses dazu vorliege. Dies sei hier nicht der Fall. Wissenschaftliche Einzelmeinungen, die die Anwendung der Methode für sinnvoll oder effektiv hielten, änderten daran nichts.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts eine Anfrage an den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, Fachausschuss ärztliche Behandlung, gerichtet. Dieser teilte mit, dass ein Antrag auf Überprüfung der Anwendung der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie in der vertragsärztlichen Versorgung bisher nicht gestellt worden sei. Ferner hat das Gericht Anfragen an die Universitätskliniken Düsseldorf, Bochum, Köln, Aachen, Münster, Essen, Bonn, Regensburg und München sowie den Bundesverband der Deutschen Dermatologen e.V. hinsichtlich des Forschungsstandes und der Verbreitung der hier streitigen Untersuchungsmethode gerichtet. Bezüglich des Ergebnisses wird insbesondere auf die Stellungnahmen von Prof. Dr. M und Prof. Dr. T auf Blatt 45 – 48 bzw. 59 – 63 der Gerichtsakte verwiesen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 15.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2002 ist rechtswidrig und der Kläger deswegen beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Durchführung einer videogestützten Epilumnieszenz-Mikroskopie als Sachleistung.

Dieser Anspruch ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 und 2 sowie § 12 Abs. 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung als Sachleistung, soweit diese dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts entsprechen.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Insbesondere aufgrund der Stellungnahmen des Prof. Dr. B von der Universitätsklinik Bochum sowie der Prof. M und T von den Universitätskliniken Regensburg und München, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es sich bei der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie um eine wissenschaftlich anerkannte und effektive Methode zur Kontrolle bzw. Beobachtung von Muttermalen handelt.

Dies wird von der Beklagten durch den Hinweis auf das Grundsatzgutachten des MDK aus August 2001 inhaltlich auch nicht bestritten. Nach ihrer Auffassung scheidet die Kostenübernahme für die beantragte Untersuchung nur aus, weil eine positive Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen diesbezüglich noch nicht vorliegt.

Diese Argumentation greift im Ergebnis jedoch nicht durch. Da es sich bei der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie um eine Untersuchungsmethode handelt, die nicht als ärztliche Leistung im Rahmen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) enthalten ist, ist sie in Übereinstimmung mit der Beklagten zwar als neue Untersuchungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 SGB V zu qualifizieren (vgl. dazu Ziff. 2.1 der BUB-Richtlinie), so dass eine Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn der zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 eine entsprechend positive Empfehlung abgegeben hat. Im vorliegenden Fall führt das Fehlen einer positiven Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Anwendbarkeit der Untersuchungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung allerdings ausnahmsweise nicht zu einem Leistungsausschluss. Denn – wie auch die Beklagte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid ausgeführt hat – führt der Mangel einer positiven Empfehlung des Bundesausschusses dann nicht zu einem Verbot der Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung, wenn der Mangel auf einem sogenannten “Systemversagen” beruht.

Die Kammer hat keine Bedenken, die von dem Bundessozialgericht (BSG) diesbezüglich entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Das BSG hatte zwar bisher, soweit ersichtlich, diesbezüglich nur mit Fallgestaltungen zu tun, bei denen es um einen Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V ging. Da der Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V jedoch letztlich ein Surrogat für den Sachleistungsanspruch aus § 27 Abs. 1 § 2 SGB V darstellt, sind die entsprechenden Grundsätze ohne weiteres zu übertragen. Es macht auch sachlich keinen Unterschied, ob ein Versicherter sich zunächst berechtigterweise eine Leistung selbst beschafft und dafür die Kosten geltend macht, oder ob ein Versicherter von der Inanspruchnahme der Leistung zunächst absieht und unmittelbar den Sachleistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse verfolgt.

Nach Überzeugung der Kammer liegt hier ein Fall des Systemversagens im Sinne der Rechtsprechung des BSG vor, so dass die Beklagte verpflichtet werden konnte, die Kosten für die begehrte videogestützte Epilumineszenz-Mikroskopie zu übernehmen. Zu den Voraussetzungen eines Systemversagens hat Bundessozialgericht ausgeführt (vgl. Urteil vom 28.03.2000, Az: B 1 KR 11/98 R), dass das präventive Verbot in § 135 Abs. 1 SGB V allein der Qualitätssicherung diene; nur soweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluss ungeprüfter und nicht anerkannter Methoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Wird dagegen die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert und kann deshalb eine für eine Krankenbehandlung benötigte neue Untersuchs- oder Behandlungsmethode nicht eingesetzt werden, muss diese Lücke zugunsten des Versicherten durch die Gerichte geschlossen werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die vorstehenden Ausführungen nicht ausschließlich dahingehend zu verstehen, dass nur dann ein Systemmangel in Betracht zu ziehen ist, wenn bereits ein Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gestellt wurde und der Bundesausschuss selbst das Überprüfungsverfahren nicht bzw. nicht pflichtgemäß zeitnah durchführt. Insbesondere durch die Verwendung des Begriffs “Die Einleitung” gibt das BSG zu erkennen, dass auch dem eigentlichen Überprüfungsverfahren vorgelagerte Umstände ein Systemversagen begründen können.

Eine willkürliche oder auf sachfremden Erwägungen beruhende Blockierung bzw. Verzögerung der Einleitung des Überprüfungsverfahrens liegt nach Auffassung der Kammer insbesondere vor, wenn eindeutige sachliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine erstmalige oder eine neuerliche Überprüfung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode gebieten, und trotz Kenntnis dieser Umstände von keinem der nach § 135 Abs. 1 SGB V antragsberechtigten Beteiligten ein Prüfungsverfahren eingeleitet wird. So liegt der Fall hier. Bereits vor 2001 lagen hinsichtlich der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie eine Vielzahl von Anträgen auf Kostenübernahme bei den Krankenkassen vor, weswegen sich diese zur Einholung einer Grundsatzstellungnahme des MDK veranlasst sahen. In dieser, dem Gericht vorliegenden, Stellungnahme vom August 2001 wurde die damalige Erkenntnislage dahingehend beurteilt, dass zwar tatsächliche Anhaltspunkte für die Zweckmäßigkeit der neuen Untersuchungsmethode sprachen, jedoch (noch) keine hinreichenden wissenschaftlichen Belege für die Effektivität der videogestützten Epilumineszenz-Mikroskopie vorlagen. Dabei wurden ausweislich des Literaturverzeichnisses auf Seite 9 ff. der Grundsatzstellungnahme wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Studien lediglich bis zum Jahre 1999 berücksichtigt. Die jüngste berücksichtigte Studie stammte aus dem Jahre 1999, die zweitjüngste Studie aus dem Jahre 1996. Die übrigen Studien waren noch älter.

Nach den hier in diesem Verfahren eingeholten Informationen, insbesondere nach dem Inhalt des Befundberichts des Prof. Dr. T vom 26.01.2004, sind nach 1999 eine Vielzahl weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu der hier fraglichen Untersuchungsmethode gewonnen und veröffentlicht worden (vgl. hierzu die Antwort des Prof. Dr. T zur Frage 6 des Gerichts). Unter Berücksichtigung dieser neuen Erkenntnisse, dem Inhalt der Stellungnahmen der sachkundigen Ärzte sowie der schon im August 2001 nicht grundsätzlich negativen Beurteilung des MDK, wäre die Einleitung eines Antrags- bzw. Überprüfungsverfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen angezeigt. Auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts hat die Beklagte jedoch mitgeteilt, dass sie auch unter Berücksichtigung der in diesem Verfahren vorgelegten Unterlagen keine derartige Veranlassung sieht. Nach Überzeugung der Kammer liegt hierin die Verzögerung der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch den Bundesausschuss im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Die Verzögerung führt zu einer durch das Gericht zu schließenden Systemlücke, wenn noch weitere von dem BSG in seiner Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen vorliegen. Eine tatsächliche Lücke im Leistungssystem liegt danach erst dann vor, wenn eine ersatzweise von den Gerichten anzustellende Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass die fragliche Untersuchungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (vgl. BSG a.a.O.) Dies ist wiederum der Fall, wenn die Wirksamkeit der neuen Methode in der für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftliche einwandfrei geführter Statistiken belegt ist (vgl. BSG a.a.O. sowie BSG SozR 3 2500, § 27 Nr. 5). Diese Forderung des BSG ist nach Auffassung der Kammer nicht ausschließlich so zu verstehen, dass der in diesem Sinne zu fordernde Wirksamkeitsnachweis nur aufgrund von sogenannten Phase-III-Studien geführt werden kann. Ausreichend ist vielmehr, wenn der neuen Methode in der medizinischen Fachdiskussion bereits ein solches Gewicht zukommt, dass ein hinreichend gestützter Konsens in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen über die Qualität und die Wirksamkeit der Behandlungsmethode besteht (vgl. Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 23.01.2003, Az: L 16 KR 199/01).

Die in den letzten Jahren, insbesondere zwischen dem Jahre 2000 und 2003 durchgeführten wissenschaftlichen Studien, die insbesondere in den Stellungnahmen von Prof. Dr. T und Prof. Dr. M ausführlich dargestellt wurden, haben alle die Überlegenheit der fraglichen Untersuchungsmethode gegenüber den etablierten diagnostischen Verfahren anhand einer nennenswerten Zahl von Patienten beschrieben. Darüber hinaus existieren auch sogenannte Metaanalysen, die zu einem positiven Ergebnis gelangt sind. Zweifel an der Wirksamkeit, Effektivität und Ungefährlichkeit der Untersuchungsmethode sind von den befragten sachkundigen Ärzten nicht mitgeteilt worden. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer den wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis als geführt an.

Ergänzend wird, obwohl es nach der Rechtsprechung des BSG hierauf nicht ankommt, darauf hingewiesen, dass sich die Methode, obwohl sie bisher durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannt worden ist, in der universitätsklinischen Praxis zu etwa 80 bis 90 % und im ambulanten Bereich zu zumindest 30 bis 40 % verbreitet hat. Insofern kann nach Auffassung der Kammer hier auch von einer praktischen Anerkennung der Methode gesprochen werden.

Da nach alledem die Voraussetzungen für ein Systemversagen im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorlagen, hat die Kammer die Beklagte unmittelbar zur Übernahme der Kosten für die begehrte Untersuchungsmaßnahme verurteilt.

Vor dem Hintergrund, dass es hier um die Frage der Kostenübernahme einer zukünftig zu erbringenden Leistung geht, hat die Kammer die Möglichkeit erwogen, ggf. nach Beiladung des Gemeinsamen Bundesausschusses bzw. der Antragsberechtigten nach § 135 Abs. 1 SGB V, selbst auf die Einleitung bzw. Durchführung eines Überprüfungsverfahrens durch den Bundesausschuss zu drängen. Im Ergebnis hat sie jedoch davon abgesehen, weil nach ihrer Auffassung derjenige Versicherte, der den unmittelbaren Sachleistungsanspruch geltend macht, nicht schlechter gestellt werden kann, als derjenige, der die Leistungen auf eigene Kosten in Anspruch nimmt und lediglich Kostenerstattung beantragt. Darüber hinaus entspräche diese Vorgehensweise auch nicht dem Begehren des Klägers, der ein erhebliches Interesse an einer unmittelbare Zurverfügungsstellung anerkennungswürdiger Untersuchungsmethoden, gerade in dem hier betroffenen Bereich der Kontrolle und Beobachtung von Krebserkrankungen, hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Einer Zulassung der Berufung bedurfte es vor dem Hintergrund, dass es sich hier um einen Streit über die Zurverfügungstellung einer Dienstleistung handelte, nicht (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 144 Rz. 9).