Sozialgericht Fulda S 4 KR 254/10

Kernpunkt:

  • Ein Ernährungsproblem (R63.3) bei Gastro-Enteritis (Hier: Exsikkose beim Säugling durch unzureichende Flüssigkeitsaufnahme) ist nicht „automatisch“ durch die Kodierung der Gastro-Enteritis abgedeckt.

 

 

Sozialgericht Fulda

 

Urteil vom 24.09.2015 (rechtskräftig)

Sozialgericht Fulda S 4 KR 254/10

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.409,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. September 2006 sowie weitere 37,48 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin behandelte in dem von ihr betriebenen Klinikum S in der Zeit vom 5. bis 13. April 2006 die bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (BKK R) versicherte und 2000 geborene Y (in Folgenden nur: Versicherte) im Rahmen eines stationären Aufenthalts. Für die Behandlung stellte die Beklagte einen Betrag von 3.525,90 EUR in Rechnung. Auf diese Rechnungsforderung zahlte die Rechtsvorgängerin der Beklagten am 14. Dezember 2006 lediglich einen Teilbetrag, so dass noch ein restlicher Vergütungsbetrag vom 1.409,20 EUR zur Zahlung offensteht; dieser Betrag bildet die Forderung der vorliegenden Klage, die die Klägerin mit Klageschrift vom 27. Dezember 2010, bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen am 29. Dezember 2010, erhoben hat. Die Klägerin ist der Auffassung, den stationären Aufenthalt zutreffend kodiert zu haben, so dass ihr auf der Basis der sich daraus ergebenden DRG L63A der vorbezeichnete Rechnungsbetrag in voller Höhe zustehe. Insbesondere habe sie die Nebendiagnose R63.3 ICD-10 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) zutreffend codiert. Die Versicherte sei nach zehn Tagen hohen Fiebers und Erbrechen mit Durchfall eingeliefert worden. Zudem sei bei der Aufnahme von einem Gewichtsverlust von ca. 2 kg berichtet worden. Aus der Anamnese seien zahlreiche Harnwegsinfektionen bekannt gewesen. Bereits der einweisende Arzt habe bei der Verordnung der Krankenhausbehandlung auf die urologische Krankheitsproblematik hingewiesen. Dabei hätten Erstuntersuchungen des Urins in der Klinik deutliche Zeichen eines Harnwegsinfekts gezeigt. In den ersten beiden Tagen der stationären Behandlung habe weiterhin Fieber bestanden, das medikamentös gesenkt worden sei. Eine antibiotische Behandlung sei als Infusionstherapie begonnen worden, gleichzeitig sei bei beginnender Austrocknung des Körpers Flüssigkeit in Form einer Dauertropfinfusion substituiert worden. Im weiteren Verlauf der Behandlung sei die Antibiotikatherapie der Resistenzlage der nachgewiesenen Bakterien angepasst worden. Die Infusionstherapie habe nach Entfieberung und wieder ausreichender Flüssigkeit- und Nahrungsaufnahme beendet werden können. Eine sachgemäße Ernährung wäre in diesem Fall einer schweren Erkrankung die Aufnahme ausreichender Kalorien und Flüssigkeit durch Essen und Trinken gewesen, die bei der Versicherten jedoch nicht gegeben gewesen sei. Daraus habe sich das Erfordernis einer Infusionstherapie ergeben. Die in den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) geforderte therapeutische Maßnahme für die Kodierung als Nebendiagnose sei daher erfüllt.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.409,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2006 sowie weitere Zinsen in Höhe von 82,45 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.

Gestützt auf ein Gutachten des MDK ist die Beklagte der Auffassung, dass die Klägerin zu Unrecht die Nebendiagnose R63.3 ICD-10 (Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung) kodiert habe. Infolgedessen ergebe sich eine niedriger vergütete DRG, so dass der Klägerin keine weitere Vergütung zustehe. Die Klägerin habe bereits die Nebendiagnose A09 ICD-10 (Diarrhoe und Gastroenteritis, vermutlich infektiösen Ursprungs) kodiert, so dass daneben die Diagnose R63.3 ICD-10 nicht habe kodiert werden dürfen. Die Gastroenteritis sei die Ursache für die Ernährungsprobleme sowie der unzureichenden Flüssigkeitsaufnahme der Versicherten gewesen; folglich dürfe das durch R63.3 ICD-10 beschriebene Symptom nicht kodiert werden, da es im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zu Grunde liegenden Krankheit vergesellschaftet sei. Die Beklagte hat hierzu ein weiteres Gutachten des MDK vom 2. August 2013 zur Akte gereicht, in dem dieser ausführt, das Patienten in der Regel bei hochfieberhaften Erkrankungen einen erhöhten Bedarf an Flüssigkeit, Elektrolyten und Kalorien hätten, der bei Kindern in der Regel nicht allein durch eine orale Zufuhr gedeckt werden könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn es wie im vorliegenden Fall zusätzlich zu einer quantitativ verminderten oralen Flüssigkeit- und Nahrungsaufnahme komme. Es handelte sich daher lediglich um ein Symptom, das die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffe und ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Behandlung darstelle. Daher sei dieses Symptom als neben Diagnose anzugeben, was spezifisch und sachgerecht mit der Diagnose R63.8 ICD-10 abgebildet werde. Um eine parenterale Ernährung, um die enterale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zu ersetzen, habe es sich bei der Infusionstherapie nicht gehandelt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens, das der Sachverständige Dr. Q unter dem 14. Juni 2014 erstattet hat. Darin erläutert der Sachverständige zunächst die Systematik der ICD-10 und das darin bestehende Verhältnis einzelner Kodes und gegebenenfalls vorliegender Exklusiva. Spezifisch zu der Diagnose 63.8 ICD-10 führt der Sachverständige aus, dass dieser Kode dann anzugeben sei, wenn keine der Voraussetzungen der Kodes R63.0 bis R 63.4 ICD-10 anzugeben sei. Da bereits im Kode R63.3 ICD-10 ein Ernährungsproblem ohne nähere Angaben subsumiert werde, scheine es schwer vorstellbar, welche medizinischen Krankheitsbilder hier gemeint sein könnten. Es müssten einerseits Symptome sein, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen, und andererseits kein Ernährungsprobleme ohne nähere Angaben darstellten. Folgerichtig finde sich im alphabetischen Verzeichnis des Jahres 2006 der ICD-Kode R 63.8 an drei Stellen, nämlich mit dem Eintrag “Gewichtsproblem”, dem Eintrag “Hypometabolismus” und dann mit dem Eintrag “Problemgewicht”. Hier würden also Krankheiten oder Symptome dargestellt, bei denen es nicht direkt um Probleme mit der Nahrungsaufnahme (Ernährung), sondern um die Umsetzung der aufgenommenen Nahrung gehe, ohne dass ein spezieller ICD-Kode dafür gefunden werden könne. Der Kode R63.3 ICD-10 finde sich an sieben Stellen im alphabetischen Verzeichnis:

• Ernährung unsachgemäß
• Ernährungsproblem
• Ernährungsschwierigkeiten
• Falsche Ernährung.
• Problem mit der Ernährung
• Schwierigkeiten mit der Ernährung
• Unsachgemäße Ernährung.

Daraus ließen sich vier Punkte destillieren: Unsachgemäße Ernährung, Ernährungsprobleme, Ernährungsschwierigkeiten und falsche Ernährung. Wenn einer dieser Umstände vorliege, sei entsprechend der Kode R63.3 ICD-10 anzugeben. Dass Ernährungsprobleme als solche bestanden hätten, gehe sogar aus der Stellungnahme der Beklagten vom 20. Juni 2012 hervor. Sei folglich die Diagnose R63.3 ICD-10 zu kodieren, scheide die Kodierung von R63.8 ICD-10 aus. In Bezug auf diese Diagnose sei auch der für die Kodierung als Nebendiagnosen erforderliche therapeutische Maßnahme gegeben in Form der Beaufsichtigung der Nahrungszufuhr und der 40-stündigen parenteralen Zufuhr der Halbelektrolyt-Lösung. Im Übrigen habe auch die Beklagte in ihren Stellungnahmen vom 20. Juni und 17. August 2012 stets nur den Kode R63.3 ICD-10 in Bezug genommen, dabei aber lediglich einen diesbezüglichen Ressourcenverbrauch verneint. Hierzu hat die Beklagte auf der Basis von zwei weiteren MDK-Gutachten Stellung genommen, in denen der Gutachter Dr. P gegenüber der Stellungnahme des Sachverständigen Q wie folgt argumentiert: Patienten hätten bei einer hochfieberhaften Erkrankung regelmäßig einen erhöhten Bedarf an Flüssigkeit, Elektrolyten und Kalorien. Bei Kindern könne dieser erhöhte Bedarf in der Regel nicht allein durch orale Zufuhr gedeckt werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn wie im vorliegenden Fall und für das Lebensalter des Kindes nicht ungewöhnlich im Rahmen einer beeinträchtigenden Erkrankung eine quantitativ verminderte orale Flüssigkeit- und Nahrungsaufnahme gegeben sei. Dies sei nicht gleichzusetzen mit einer Nahrungsverweigerung. Es handele sich vielmehr um ein Symptom mit verminderter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Dieser medizinische Sachverhalt sei über den Kode R63.8 ICD-10 sachgerecht und spezifisch abzubilden. Folglich könne R63.3 ICD-10 nicht kodiert werden. Krankheitsbilder, die die Kriterien für die Kodierung von R63.3 ICD-10 regelmäßig erfüllten, seien etwa chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder auch Kurzdarmsyndromen. Patienten mit solchen Erkrankungen benötigten eine individuell abgestimmte und zusammengesetzte Ernährung inkl. Ernährungsplan und Ernährungskontrolle. Dieser Mehraufwand werde über R63.3 ICD-10 abgebildet. Im vorliegenden Fall sei die Ernährung des Kindes laut Dokumentation der ärztlichen Aufnahmeuntersuchung normal gewesen. In der Pflegeanamnese seien insoweit keine Besonderheiten oder Auffälligkeiten dokumentiert worden. Im Pflegebericht am Aufnahmetag sei “mäßig gegessen und getrunken” zu lesen, am Folgetag “gut gegessen und getrunken, ca. 700ml.” Die bei dem Kind begleitend zum eigenständigen Essen und Trinken erfolgte Flüssigkeitssubstitution und die “Durchfalldiät” stellten die normale Behandlung eines Kindes mit Gastroenteritis dar. Sie sei qualitativ und quantitativ nicht mit der Behandlung eines Ernährungsproblems im Sinne der zuvor genannten Krankheitsbilder vergleichbar; dieser geringere Aufwand sei nachvollziehbar abzubilden mit der ICD R63.8 ICD-10. Zudem entspreche das Körpergewicht des Kindes nicht dem Vorliegen eines Ernährungsproblems, da es deutlich über dem Durchschnittswert der Altersgruppe liege. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf das vorbezeichnete Gutachten des Sachverständigen Q, wegen des Vorbringens der Beteiligten in Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist weithin begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte weitere Vergütungsanspruch zu.
1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 S.3 SGB V i. V. m. § 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG sowie der Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Nach Rechtsprechung des BSG in früheren Jahren entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1, BSGE 90, 1, 2 = SozR 3.2500 § 112 Nr. 3). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i. S. des § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des KHEntgG und der Bundespflegesatzverordnung in der zwischen den Krankenkassen und dem Krankenhausträger abzuschließenden Pflegesatzvereinbarung festgelegt wird. Die Höhe der einem Krankenhaus zustehenden Vergütung wird durch die abzurechnende DRG (Fallpauschale) bestimmt, die wiederum von den zu kodierenden Diagnosen abhängig ist (zu den Einzelheiten s. BSG, SozR 4-2500 § 109 Nr. 11, sowie Urteil v. 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R – juris Rn. 13). Vorliegend ist allein streitig, ob die Klägerin berechtigt war, die Diagnose R63.3 ICD-10 als Nebendiagnose zu kodieren. Dies ist mit dem Sachverständigen Q zu bejahen.
a) Zunächst ist Voraussetzung für die Kodierung, dass die jeweiligen Diagnosen in der Person des Versicherten vorgelegen haben und nach der Systematik der ICD-10 nicht durch andere Kodes verdrängt werden. Der ICD-10 Abschnitt R63- lautet für 2006 wie folgt (Hervorhebungen im Original):

»R63.- Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen
Exkl.:
Bulimie o.n.A. ( F50.2 )
Essstörungen nichtorganischen Ursprungs (F50.-)
Mangelernährung (E40-E46)
R63.0 Anorexie
Appetitverlust
Exkl.:
Anorexia nervosa (F50.0)
Appetitverlust nichtorganischen Ursprungs (F50.8)
R63.1 Polydipsie
Übermäßiger Durst
R63.2 Polyphagie
Überernährung o.n.A.
Übermäßige Nahrungsaufnahme
R63.3 Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung
Ernährungsproblem o.n.A.
Exkl.:
Ernährungsprobleme beim Neugeborenen (P92.-)
Fütterstörung nichtorganischen Ursprungs beim Kleinkind (F98.2)
R63.4 Abnorme Gewichtsabnahme
R63.5 Abnorme Gewichtszunahme
Exkl.:
Adipositas (E66.-)
Übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft (O26.0)
R63.8 Sonstige Symptome, die die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme betreffen«

b) Gleichzeitig gilt nach D009a der DKR 2006 Folgendes (Hervorhebungen im Original):
»”Sonstige” und “nicht näher bezeichnete” Schlüsselnummern Die Resteklasse “Sonstige …” ist dann bei der Kodierung zu verwenden, wenn eine genau bezeichnete Krankheit vorliegt, für die es aber in der ICD-10 keine eigene Klasse gibt. Die Resteklasse “Nicht näher bezeichnete …” ist dann zu verwenden, wenn eine Krankheit nur mit ihrem Oberbegriff, wie z.B. Katarakt, beschrieben ist und/oder eine weitere Differenzierung nach den Klassifikationskriterien der ICD-10 an entsprechender Stelle nicht möglich ist (siehe Beispiel 3).
“Sonstige” und “nicht näher bezeichnete” Schlüsselnummern bzw. “Resteklassen” haben im Allgemeinen eine spezifische Kennzeichnung.
Auf der vierstelligen Ebene ist die Zuordnung in der Regel wie folgt:
“.0 –.7” spezifische Krankheiten (im Kapitel XIX “Verletzungen und Vergiftungen” wird “.7” häufig für “multiple Verletzungen” verwendet)
“.8” spezifische Krankheiten, die unter “.0 –.7” nicht klassifiziert sind (oder “sonstige”)
“.9” “nicht näher bezeichnet”
( )

Beispiel 3
Diagnose: 37 Jahre alter Mann mit subluxierter Katarakt
Kode: H26.9 Katarakt, nicht näher bezeichnet
Im Alphabetischen Verzeichnis gibt es unter Katarakt keinen Unterbegriff “subluxiert” und keinen Untereintrag “- näher bez. a.n.k.”. Deshalb ist H26.9 die korrekte Schlüsselnummer.«

c) Zur Frage der Kodierung einzelner Diagnosen hat das BSG, jüngst etwa im Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 13/14 R –, juris Rn. 15, ausgeführt:
»Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht ( ). Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit “lernendes” System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen ( ).«
Damit scheiden sämtliche Erwägungen für die Prüfung einer Kodierung aus, die ihrerseits auf den mit der jeweiligen Diagnose verbundenen Schweregrad oder die Folgen für die Bewertungsrelation im DRG-System abstellen oder diese einbeziehen. Soweit also die Beklagte unter Bezugnahme auf den MDK (schwere) Erkrankungen mit deutlichen Ernährungssymptomen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen als Voraussetzung für die Kodierung annimmt, mit denen die regelmäßig bei Kindern mit fieberhaften Erkältungen auftretenden Flüssigkeitsmängel qualitativ und quantitativ nicht vergleichbar seien, mag dies zutreffen. Dieser Umstand allein vermag aber die Kodierung von R63.3 ICD-10 nicht auszuschließen. Es kommt vielmehr allein auf Systematik und Wortlaut an, so dass für R63.3 ICD-10 (lediglich) ein “Ernährungsproblem oder eine unsachgemäße Ernährung” verlangt, ersteres sogar ohne nähere Angaben”, sprich: ohne dass ein bestimmter Schweregrad oder ein quantitativer Umfang verlangt würde. Daher vermag sich die Kammer auch nicht die Kodierempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (Stand: 15. Oktober 2005), auf die die Beklagte verwiesen hat, zu eigen zu machen, die für Kleinkinder eine Nahrungsverweigerung von über 12 Stunden verlangt, sofern dies als Mindestbedingung anzusehen sein sollte. Für eine solche Mindestdauer enthält R63.3 ICD-10 keinen Anhalt, sondern schließt dies mit dem Hinweis “o.n.A.” sogar aus.
d) Bei der Versicherten lag infolge ihrer fiebrigen Erkrankung ein Flüssigkeits- und Elektrolytmangel vor, der mittels einer Infusionstherapie behandelt und so die unzureichende orale Flüssigkeitsaufnahme substituiert wurde. Der Erkrankung angemessen wäre zudem eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme gewesen, weil der diesbezügliche Bedarf bei fiebrigen Erkrankungen regelmäßig steigt, worauf auch der MDK-Sachverständige P hingewiesen hat. Folglich ist eine “normale”, erst recht aber eine unzureichende Flüssigkeitsaufnahme der erkrankungsspezifischen Situation nicht angemessen, so dass die diesbezügliche Ernährung als “unsachgemäß” zu bezeichnen ist, was ebenfalls dem Wortlaut des Kodes R63.3 ICD-10 entspricht. Sind damit die Bedingungen dieses Kodes erfüllt, kann R63.8 ICD-10 entsprechend den zuvor zitierten DKR als Resteklasse nicht kodiert werden. Dass dies (leicht) zu einer höher bewerteten DRG führt, ohne dass dem stets ein entsprechend großer Aufwand eines Krankenhauses gegenübersteht, ist systemimmanente Folge des pauschalierenden DRG-Systems, das so lange hinzunehmen ist, bis die Vertragspartner für die Zukunft eine Änderung vereinbaren. Es ist die (wohl seltene) Kehrseite des DRG-Systems, das – unter Beachtung aus rein ökonomischem Blickwinkel – unangemessene Vergütungen als notwendige Folge eines Fallpauschalensystems hinnimmt, die ansonsten weithin Benachteiligungen von Krankenhäusern darstellen. Hierzu hat das LSG NW im Urteil vom 16. Januar 2014 (L 16 KR 177/09, juris Rn. 47 ff.) – allerdings bezogen auf die Hauptdiagnosedefinition – auf die Anlage 2 zur Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version 2002 für das G-DRG-System hingewiesen, in der es heißt:
“In einer derzeit in ihrem Umfang noch nicht bezifferbaren Anzahl von Fällen kann die australische Definition zu einer ökonomisch relevanten Benachteiligung der Krankenhäuser führen, sofern keine ausreichenden finanziellen Kompensationsmöglichkeiten existieren. Dem Anspruch, dass das Geld der Leistung folgt, wird das DRG-System in diesen Ausnahmefällen möglicherweise nicht gerecht.”
Entsprechend hat das LSG NW sodann (ebd., Rn. 55) ausgeführt:
“Wenn dieses Entgelt den Aufwand und die Leistung des Krankenhauses unzureichend abbilden sollte, wäre dies ein, wie oben dargelegt, von den Vertragsparteien schon bei Einführung des am australischen System orientierten DRG-Systems als möglich gesehener und hingenommener Effekt, dessen Beseitigung mit Wirkung für die Zukunft nach gesetzlicher wie vertraglicher Lage im jährlich weiter zu entwickelnden lernenden System (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) in erster Linie den Vertragsparteien.”
Sollte also die Kodierung der Diagnose R63.3 ICD-10 generaliter oder im Zusammenspiel mit konkreten anderen Diagnosen dazu führen, dass eine Vergütung (deutlich) oberhalb des Ressourcenverbrauchs verlangt werden kann, darf dieser “Vorteil” für Krankenhäuser ebenso wenig durch ökonomische Erwägungen korrigiert werden, wie es das BSG in Fällen zugunsten von Krankenversicherungen ausgeschlossen hat.
e) Auch die allgemein für die Kodierung als Nebendiagnose erforderlichen Bedingungen sind erfüllt. Hierzu wird in D003d der DKR für das Jahr 2006 ausgeführt (Hervorhebungen im Original):
»Die Nebendiagnose ist definiert als:
“Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.”
Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
• therapeutische Maßnahmen
• diagnostische Maßnahmen
• erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand.«

Die parenterale Ernährung mittels einer Infusionstherapie erfüllt ohne Weiteres den Ressourcenverbrauch in Form einer therapeutischen Maßnahme.
f) Der Kodierung von R63.3 ICD-10 steht auch nicht Abschnitt D003d der DKR betreffend die Kodierung von Symptomen als Nebendiagnosen entgegen. Hierzu gilt:
»Ein Symptom wird nicht kodiert, wenn es im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftet ist. Stellt ein Symptom jedoch ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung dar, so wird es als Nebendiagnose kodiert.«
Denn wie auch der MDK nicht in Abrede gestellt hat, war die Ernährungsproblematik der Versicherten ein eigenständiges, gewichtiges Problem, das dessen Kodierung erlaubte, auch wenn ein Flüssigkeits- und Elektrolytmangel regelmäßige Folge einer hochfiebrigen Erkrankung darstellen sollte.

g) Somit ergibt sich, da das Groupingergebnis bei Kodierung der Nebendiagnose R63.3 ICD-10 als solches nicht in Streit steht, die klägerisch verlangte DRG L63A mit einer Fallpauschale von 3.036,58 EUR.
2. Der Zinsanspruch besteht nicht vollumfänglich. Als Rechtsgrundlage des Zinsanspruchs kommt hier nur § 10 Abs. 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen in Betracht. Hiernach hat eine Krankenkasse 30 Tage Zeit zur Rechnungsprüfung, danach tritt Fälligkeit sowie Verzinsungspflicht ein. Allerdings erfolgt eine Hemmung dieser Prüfungsfrist, wenn seitens des MDK angeforderte Unterlagen des Krankenhauses verzögert bei dem MDK eingehen. Dies war hier der Fall. Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten hatte der MDK unter dem 26. April 2006 einen Entlassungsbericht angefordert. Dieser traf erst am 14. August 2006 bei dem MDK ein. Folglich waren im April zwischen Rechnungsstellung und deren Eingang aufgrund der gerichtsbekannt elektronischen Übermittlung spätestens am 21. April 2006 und Anforderung durch den MDK vier Tage der 30-Tage-Frist verstrichen, als die bis zum 14. August 2006 dauernde Hemmung eintrat. Diese dauerte von da an noch 26 Tage, also bis zum 9. September 2006, einem Samstag, so dass die Prüfungsfrist mit Ablauf des Montag, 11. September 2006, endete. Zinsen können daher erst ab dem 12. September 2006 verlangt.
Für die Zeit zwischen Eintritt des Verzuges am 12. September 2006 bis zur Teilzahlung am 14. Dezember 2006 hat die Beklagte darüber hinaus weitere Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auch für den von ihr bis dahin geschuldeten, hier nicht mehr streitigen Betrag von 2.116,70 EUR zu zahlen, mithin 37,48 EUR.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO i.V.m. § 197a SGG.