Sozialgericht Hannover S 10 KR 625/09

SOZIALGERICHT HANNOVER

  • S 10 KR 625/09

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

A.,

Prozessbevollmächtigter:

S.,

gegen

C.

hat das Sozialgericht Hannover

– 10. Kammer –

ohne mündliche Verhandlung am 16. Juli 2010

durch den Vorsitzenden, Richter D.,

und die ehrenamtlichen Richter E.,

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Klägerin und Widerbeklagte,

Beklagte und Widerklägerin.

Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, der Beklagten 278,04 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Februar 2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung im Streit.

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, in das sie den bei der Beklagten krankenversicherten F. (Versicherter) zur stationären Behandlung eines Nasenblutens am 8. Mai 2008 aufnahm. Im Aufnahmebefund ist ein deutlich erhöhter Blutdruck von 210/130 mmHg dokumentiert. Der Versicherte berichtete von einem bereits seit Jahren bestehenden Bluthochdruck. Es erfolgte eine medikamentöse Blutdrucksenkung und eine Nasentamponade. Im Rahmen eines Hals-Nasen-Ohrenärztlichen Konsils wurde eine Entzündung der Nase mit trockener Nasenschleimhaut und Krustenbildung in der Nase diagnostiziert und ein Gefäß in der Nase verödet. Das klägerische Krankenhaus entließ den Versicherten am 9. Mai 2008.

Die Klägerin forderte von der Beklagten mit Rechnung vom 15. Mai 2008 für die Behandlung des Versicherten 1.647,90 €. Sie legte der Berechnung die ORG 902Z zugrunde. Sie verschlüsselte hierbei als Hauptdiagnose (HO) eine benigne essentielle Hypertonie mit Angabe einer hypertensiven Krise (I10.01 ) und den durchgeführten Eingriff mit dem OPS 5-212.6 (Destruktion von erkranktem Gewebe an der inneren Nase). Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zeigte nach Beauftragung durch die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Mai 2008, der Klägerin am 29. Mai 2009 zugegangen, die Prüfung gemäß § 275 Abs. 1 c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) an. Die Beklagte erfüllte zunächst die Forderung und forderte nach Vorliegen des Gutachtens des MDK am 2. Juli 2008 einen Teilbetrag in Höhe von 694,00 € zurück, weil sie der Berechnung der Forderung der Klägerin für die Behandlung des Versicherten die DRG 0308 zugrunde legte. Sie verschlüsselte als Hauptdiagnose eine Epistaxis (R04.0). Nach einer Zahlungsverweigerung durch die Klägerin verrechnete sie am 27. Mai 2009 den Betrag von 694,00 € mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin.

Mit der im August 2009 bei Gericht eingegangenen Klage macht die Klägerin die Zahlung von 694,00€ sowie einer Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € geltend. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige kam unter Erläuterung und Zugrundelegung des DRG-Systems und der einschlägigen im Jahre 2008 gültigen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR), der DRG Abrechnungsregeln (FPV 2008) und dem in diesem Jahr gültigen DRG Fallpauschalenkatalog, dass als HD der ICD-Kode I10.01 und als Nebendiagnoseposition der ICD-Kode R04.0 zu kodieren seien. Der durchgeführte Eingriff der Verödung eines Gefäßes sei mit dem OPS-Kode aus der OPS-Kategorie 5-2 10.- (Operative Behandlung einer Nasenblutung) zu verschlüsseln. Die Tamponade sei mit dem OPS 8-500 zu verschlüsseln, der Wechsel und das Entfernen mit dem OPS 8-506. Daraus resultiere die DRG F67D. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen (BI. 42-65 der Gerichtsakte).

Die Klägerin trägt vor, dass soweit der Sachverständige feststellt, dass die Prozeduren anders als vom Krankenhaus zu verschlüsseln seien und die Nebendiagnose (ND) J31.0 nicht kodiert werden dürfe, diesem Ergebnis nicht widersprochen werden könne. Es sei jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kodierung der vom Gutachter nunmehr gestrichenen ND und der Prozeduren bisher weder von der Beklagten noch vom MDK moniert worden seien. Die Beklagte sei deshalb mit den Einwendungen, dass die Prozeduren anders zu verschlüsseln seien und die ND J31 .0 nicht kodiert werden dürfe, gemäß § 275 Abs. 1 c SGB V ausgeschlossen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. ihr 694,00 € sowie 8% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit.
  2. sowie 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 694,00 e seil dem 27. Mai 2009 bis zur Rechtshängigkeit,
  3. sowie weitere 100.00 € sowie 8% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssalz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt sie,

die Klägerin zu verurteilen, ihr 278,04 € nebst 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte macht mit der am 4. Februar 2010 bei Gericht eingegangenen Widerklage den Differenzbetrag geltend, der sich aus der Zugrundelegung der vom Sachverständigen festgestellten DRG für den Behandlungsfall des Versicherten und der bisher von ihr angenommen DRG ergibt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Patientenakte der Klägerin Bezug genommen. Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben. Die zulässige Klage ist unbegründet (1). Die Widerklage ist zulässig und im Wesentlichen begründet (2).

1.

Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 24/08 R).

Der Anspruch der Klägerin in Höhe von 694,00 € aus einer unstreitigen Forderung ist durch die Aufrechnung der Beklagten gemäß § 69 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen. Die Beteiligten schuldeten einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig im Sinne des § 3878GB waren und die gefordert und bewirkt werden konnten. Der Beklagten stand ein Rückzahlungsanspruch in Höhe der Klageforderung für die anlässlich der Behandlung des Versicherten geleistete Vergütung zu. Rechtsgrundlage des Rückzahlungsanspruchs ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 812 ff BGB).

Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, denn die Rechtsbeziehungen

zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind öffentlich-rechtlicher Natur, vgl. § 69 Satz

3 SGB V. Die Beklagte hat im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses die ihr in Rechnung gestellten Kosten der Behandlung des Versicherten im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 8./9. Mai 2008 in Höhe von 694,00 € ohne Rechtsgrund geleistet.

Rechtsgrundlage des von der Beklagten erfüllten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V LV. m dem am 1. November 1992 in Kran getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbanden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i.S. des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.

Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 109 Abs. 4 Salz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG) und der Anlage 1 zu der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008 (Fallpauschalenvereinbarung 2008 – FPV 2008).

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nr. 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Einschlägig ist vorliegend die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) geordnet. Dabei erfolgt die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG in zwei Schritten. In einem ersten Schritt wird die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß im Jahr 2008 gültigen Klassifikationssysteme ICD-l0-GM 2008 (Diagnosen) und “Operationen- und Prozedurenschlüssel“ nach § 301 SGB V” (OPS) verschlüsselt. vgl. § 301 Abs. 2 SGB V. Zur sachgerechten Durchführung dieser Verschlüsselung (“Kodierung”) haben die Vertragspartner auf Bundesebene “Kodierrichtlinien” beschlossen. Maßgebend für den vorliegenden Abrechnungsfall sind die Kodierrichtlinien des Jahres 2008 und der OPS 2008. In einem zweiten Schritt wird der Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, an Hand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als “Groupierung” bezeichneten Prozess der Fallgruppenzuordnung (DRG-Zuordnung) liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde. Auf der Basis eines “Entscheidungsbaumes” wird anhand verschiedener Kriterien eine exakte DRG-Zuordnung vorgenommen. Zur Einstufung in die jeweils abzurechnende DRG werden Software-Programme (Grouper) eingesetzt, die vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), einer Einrichtung der Selbstverwaltungspartner, zertifiziert sind. In diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS eine bestimmte DRG angesteuert.

Ausgehend hiervon hat der Sachverständige überzeugend anhand der einschlägigen Klassifikationssysteme und Kodierrichtlinie ermittelt, dass als HD der ICD-Kode I10.01, als ND R04.0 und als Prozeduren die OPS 8-500, 8-506 sowie ein OPS für die Verödung des Gefäßes in der Nase zu verschlüsseln sind. Hieraus resultiert die DRG F67D. Diese Feststellungen und die daraus resultierende Höhe der Forderung der Klägerin für die Behandlung des Versicherten sind zwischen den Beteiligten unstreitig.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sieht dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Beklagten nicht § 275 Abs. 1 c SGB V entgegen. Nach Satz 1 der Vorschrift ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung nach Abs. 1 Salz 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Näheres regelt Satz 2. Die Beklagte ist dem nachgekommen. Der MDK hat der Klägerin fristgerecht die Prüfung angezeigt. Anforderungen an das Prüfungsergebnis stellt § 275 Abs. 1c SGB V nicht.

2.

Die Widerklage ist gemäß § 100 SGG zulässig. Danach kann bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenstand mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt. Die Voraussetzungen liegen vor, weil die Beklagte aus dem streitigen Behandlungsfall einen weitergehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend macht.

Die Widerklage ist auch begründet, weil der Behandlungsfall mit der DRG F67D abzurechnen war und die Beklagten mit ihren Einwendungen nicht ausgeschlossen ist (siehe oben).

Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 291 BGB. Die Klägerin befand sich nicht zu einem früheren Zeitpunkt nach § 286 SGB Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht im Verzug.

Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 13 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages und ist insoweit auf 2 Prozentpunkte Ober dem Basiszinssatz begrenzt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vorn 8. September 2009. B 1 KR 8/09 R). Die Kostenentscheidung beruh! auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Berufung war nicht zuzulassen, da kein Berufungszulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt.