Sozialgericht Hannover S 44 KR 474/08

SOZIALGERICHT HANNOVER

  • S 44 KR 474/08

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am: 8. Dezember 2010

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Krankenhaus A, vertreten durch den Geschäftsführer,

Kläger,

gegen

Deutsche Angestellten-Krankenkasse, vertreten durch d. Vorstand,

Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg,

Beklagte,

hat das Sozialgericht Hannover – 44. Kammer –

auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2010

durch die Vorsitzende, Richterin Rieckborn

sowie die ehrenamtlichen Richter Klare und Stephan

für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für die stationäre Behandlung einer ihrer Versicherten.

Die bei der Beklagten versicherte X befand sich vom 06.07.2007 an zur stationären Behandlung in der Kliniken B. Das Klinikum B war im Jahr 2007 im niedersächsischen Krankenhausplan unter anderem für den Bereich Innere Medizin aufgenommen worden.

Die Versicherte wurde wegen einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit einhergehender Übelkeit und Erbrechen zur Überwachung auf die IMC (intermediate Care) Station aufgenommen. In der Zeit vom 06.07.2007 bis zum 17.07.2007 wurde ausweislich des Berichtes der Ärzte Y und Z des Klinikums B die Versicherte u. a. aufgrund einer perforierten Appendizitis operiert. Es entwickelte sich eine kardiale Problematik mit einem subaktuken Myokardinfarkt.

Das Klinikum B veranlasste, dass bei der Versicherten eine Koronarangiographie im Krankenhaus der Klägerin durchgeführt wurde. Hierzu nahm das Krankenhaus der Klägerin die Versicherte am 17.07.2007 um 14:30 Uhr auf. Um 16:30 Uhr wurde die Versicherte nach durchgeführter Linkskatheteruntersuchung auf die Station zurückgebracht. Hierbei fand sich eine Gefäß KHK (Koronare Herzkrankheit) jedoch ohne Interventionsbedarf. Das Krankenhaus der Klägerin entließ die Versicherte am 18.07.2007 um 15:30 Uhr zur Weiterbehandlung in das Krankenhaus der Klinken B. Von dort wurde sie am 22.07.2007 entlassen.

Die Beklagte zahlte der Klägerin für die Behandlung der Versicherten den geforderten Betrag in Höhe von 1.494,64 EUR. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen und im Land Bremen (MDK) kam nach einer Begutachtung des Behandlungsfalles am 18.11.2007 zu dem Ergebnis, dass es sich um eine am 17.07.2007 durchführbare Verbringungsleistung gehandelt habe. Grundsätzlich sei die Aufnahme medizinisch nachvollziehbar, nachvollziehbar sei hingegen nicht, warum eine Aufnahme nicht bereits am Vormittag erfolgte, um die Patientin anschließend noch am selben Tag in das Krankenhaus nach B zurückverlegen zu können.

Die Beklagte erklärte daraufhin die Aufrechnung mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin und setzte den Betrag am 10.01.2008 von einer anderen Rechnung ab. Die Klägerin widersprach der Aufrechnung. Die Beklagte beauftragte den MDK erneut mit der Überprüfung. Dieser bestätigte in seinem Gutachten vom 03.03.2008 das Ergebnis des Erstgutachtens.

Mit der am 29.07.2008 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Aufrechnung der Beklagten.

Sie ist der Auffassung, es habe eine Verlegung der Versicherten vorgelegen. Eine Rückverlegung am 17.07.2007 sei nicht möglich gewesen, da der Druckverband erst am nächsten Tag entfernt worden sei. Eine Zurückverlegung der Versicherten mit liegendem Druckverband sei aus kardiologischer Sicht viel zu gefährlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.494,68 EUR für die stationäre Behandlung der Patientin X (Behandlung in der Zeit vom 17.07.2007 bis zum 18.07.2007) nebst 2% Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 10.01.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf die 2 vor Klageerhebung erstellten MDK-Gutachten ergänzend vor. Während des Klageverfahres wurde ein weiteres Gutachten des MDK vom 28.04.2009 eingeholt. Das Verbleiben der Versicherten im klägerischen Krankenhaus über Nacht sei medizinisch nicht erforderlich gewesen, sondern aus rein organisatorischen Gründen so praktiziert worden. Zudem habe die Versicherte das erstbehandelnde Krankenhaus B nur kurzfristig zur Vornahme einer medizinischen Einzelleistung verlassen. Insoweit würden die Voraussetzungen einer Verbringung erfüllt. Im Übrigen sei die Versicherte Patientin des Krankenhauses B gewesen, da auch die Gesamtverantwortung dort verblieben sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die der Kammer vorliegen und die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als echte Leistungsklage statthaft und zulässig (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), weil es sich um eine Zahlungsklage im Gleichordnungsverhältnis handelt. Es bedarf mithin weder eines Vorverfahrens noch der Einhaltung einer Klagefrist (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 24/08 R -).

Die Forderung der Klägerin in Höhe von 1.494,68 EUR aus einer unstreitigen Forderung ist durch die Aufrechnung der Beklagten gemäß § 69 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen. Denn der Beklagten steht als Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 1.494,68 EUR zu, mit dem sie wirksam aufgerechnet hat.

Das von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiert auf dem öffentlich- rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff BGB), dem der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen dienen. Allerdings ist auch im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist. Es lässt sich deshalb keine einheitliche Formel für das Vorliegen oder Fehlen eines die Vermögensverschiebung re chtfertigenden Grundes aufstellen. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich zurückgefordert werden können (BSGE 93, 137 m. w. N.).

Der Klägerin standen für die Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 17.07.2007 bis zum 18.07.2007 kein Vergütungsanspruch zu, denn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). der gemäß § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V für Vergütungsansprüche maßgeblich ist, liegen vor.

Rechtsgrundlage für den von der Beklagten erfüllten Vergütungsanspruch der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB Vi. V. m. dem zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Niedersächsischen Landesverbänden der Primärkassen und den Verbänden der Angestellten- und Arbeiter- Ersatzkassen zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5 SGB V geschlossenen SichersteIlungsvertrag (Niedersächsischer Landesvertrag).  Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten (Bundessozialgericht, Urteil vom 21.11.1991 – 3 RK 32/89 -, BSGE 70, 20, 22 = SozR 3-2500 § 39 Nr. 1 -). Mit der Krankenhausbehandlung durch einen zugelassenen Leistungserbringer wird der Sachleistungsanspruch des Versicherten realisiert (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 KHEntgG sind allgemeine Krankenhausleistungen die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig ist. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG sind hiervon auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter erfasst. Mit den Entgelten für die allgemeinen Krankenhausleistungen (§ 7 KHEntgG) werden die für die sachgerechte Behandlung der Patienten erforderlichen Leistungen vergütet. Die Abrechnung erfolgt ausschließlich zwischen dem Kranl<enhaus und der Krankenkasse, auch wenn sich das Krankenhaus im bestimmten Rahmen der Leistungen Dritter bedient. Diese Dritten erbringen – rechtlich gesehen – ihre Leistung nicht gegenüber dem Versicherten bzw. dessen Krankenkasse, sondern gegenüber dem Krankenhaus. Aus diesem Grund kann ein Vergütungsanspruch des Dritten nur gegen das Krankenhaus und nicht gegen den Versicherten oder dessen Kostenträger entstehen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 60 Nr. 6 S. 36). Dies gilt immer dann, wenn es sich um Leistungen handelt, die im Verhältnis zu der von dem Krankenhaus zu erbringenden Hauptbehandlungsleistung lediglich ergänzende oder unterstützende Funktion haben (sog. Verbringung). Etwas anderes gilt im Falle der Verlegung, wenn der Patient aus den stationären Behandlungsabläufen und der Gesamtverantwortung des abgebenden Krankenhauses ausscheidet und in die stationären Abläufe des aufnehmenden Krankenhauses durch Behandlung, Unterbringung und Verpflegung integriert wird (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 17/06 -).

Die vorhandenen Unterlagen sprechen dafür, dass die Versicherte nur kurzfristig in das Krankenhaus der Klägerin verbracht wurde, um dort eine medizinische Einzelleistung in Gestalt der Koronarangiographie durchzuführen. Die Versicherte wurde in der Zeit vom 06.07.2007 bis zum Tag der Verbringung am 17.07.2007 umfassend in dem Klinikum B behandelt. So erfolgte eine umfassende Diagnostik und es wurden zahlreiche Untersuchungen und Behandlungen (Blutuntersuchung, EKG, TroponinTest, Antikoagulationstherapie und antihypertensive Therapie) sowie eine Operation aufgrund einer perforierten Appendizitis mit Peritionitis durchgeführt. Aus dem Arztbrief der Kliniken B vom 17.07.2007, der im Zusammenhang mit der Verbringung gefertigt wurde, ergibt sich zweifelsfrei, dass die Versicherte allein zum Zweck der Durchführung einer Koronarangiographie in das Krankenhaus der Klägerin verbracht werden sollte. Eine weitergehende kardiologische Diagnostik und Therapie sollte im Krankenhaus der Klägerin gerade nicht erfolgen. Somit schied die Versicherte bei einer Gesamtschau nicht aus der Gesamtverantwortung des abgebenden Krankenhauses aus.

Die Bezeichnung als “Verlegung” in dem Arztbrief der Kliniken B vom 17.07.2007 steht dem nicht entgegen, entscheidend ist vielmehr auf den tatsächlichen Ablauf abzustellen. Für eine Verlegung spricht auch nicht § 3 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages. Dieser bestimmt, dass eine Verlegung dann nicht vorliegt, wenn der Patient während des stationären Aufenthaltes zur Mitbehandlung in ein anderes Krankenhaus gebracht wird und er an demselben Tag wieder in ersteres zurückkehrt. Aus dieser Formulierung lässt sich gerade nicht der Umkehrschluss ziehen, dass eine Verlegung immer dann vorliegt, wenn der Patient während des stationären Aufenthaltes zur Mitbehandlung in ein anderes Krankenhaus gebracht wird und er nicht am selben Tag wieder in Ersteres zurückkehrt. Die Übernachtung der Versicherten im Krankenhaus der Klägerin erfolgte allein aufgrund möglicher Folgerisiken der durchgeführten Koronarangiographie. Die Versicherte wurde darüber hinaus nicht in die Infrastruktur des Krankenhauses eingegliedert (vgl. zur Abgrenzung ambulanter, teilstationärer und vollstationärer Krankenhausbehandlung, Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 17/06 R -). Zudem bestehen auch erhebliche Zweifel, ob Sinn und Zweck der Regelung des § 3 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages ist, eine für die Vertragsparteien allgemein gültige Abgrenzung zwischen den Begriffen “Verbringung” und “Verlegung” zu gewährleisten. Dies auch vor dem Hintergrund der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KHEntG, nach der Leistungen Dritter auch stationär erbracht werden können. Entscheidendes Abgrenzungskriterium dürf1e insoweit allein die Aufnahme der Versicherten in die stationären Abläufe sein und damit der Übergang der Gesamtverantwortung auf das aufnehmende Krankenhaus. Über Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen hinaus bedarf es hierzu eines eigenständigen Konzeptes für eine selbständige Behandlung der Versicherten, die an die vorangegangene abgeschlossene Behandlung anknüpft (vgl. Sozialgericht Hannover, Urteil vom 20.05.2010 – S 10 KR 175/09 -). An einer solchen selbständigen Behandlung der Versicherten fehlt es vorliegend, die Klägerin hat lediglich eine einzelne Untersuchung ohne weitere Folgebehandlungen vorgenommen. Nach Abschluss dieser Einzeluntersuchung wurde die Versicherte geplant in das Klinikum B zurück transportiert und dort bis zum 22.07.2007 weiterbehandelt. Eine Integration der Versicherten in die stationären Abläufe des Krankenhauses der Klägerin erfolgte nicht: Der Beklagten stand folglich ein Rückforderungsanspruch im Hinblick auf die zunächst gewährte Vergütung gegen die Klägerin zu.

Mit diesem Rückforderungsanspruch hat die Beklagte wirksam aufgerechnet. Das Sozialgesetzbuch enthält keine allgemeine Regelung der Aufrechnung. Für die Rechtsverhältnisse zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen ordnet § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V jedoch die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB, somit auch der die Aufrechnung betreffenden §§ 387 ff. BGB an. Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem gemäß § 389 BGB die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen. Dies ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Beklagten standen sich die oben genannte Erstattungsforderung und die Vergütungsansprüche der Klägerin aus anderen unstreitigen Forderungen als gleichartige Forderungen gegenüber. Der Aufrechnung seitens der Beklagte steht auch die von ihr mit Erfüllungswirkung (§ 366 BGB) vorgenommene Zahlung nicht entgegen. Denn der Krankenkasse bleiben etwaige Einwendungen gegen Grund und Höhe der geltend gemachten Behandlungskosten trotz der Zahlung erhalten; die Rückforderung und die Möglichkeit späterer Aufrechnung gegen unbestrittene Forderungen des Krankenhauses aus anderen Behandlungsfällen werden durch die Zahlung nicht ausgeschlossen (Bundessozialgericht, Urteil vom 20.11.2008 – B 3 KN 4/08 R -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).