Sozialgericht Hannover S 44 KR 694/08

SOZIALGERICHT HANNOVER

  • S 44 KR 694/08

Vom 8. Dezember 2010

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Verkündet am 8. Dezember 2010

In dem Rechtsstreit

B. Kläger,

Prozessbevollmächtigter:

C. gegen

D. Beklagte,

hat das Sozialgericht Hannover – 44. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2010 durch die Vorsitzende, Richterin E. sowie die ehrenamtlichen Richter F. für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.287,70 EUR für die stationäre Behandlung des Patienten G. (Behandlung in der Zeit vom 22.10.2007 bis zum 24.10.2007) nebst 2% Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 23.11.2007 zu zahlen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen.

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte G. wurde am 15.10.2007 in das Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Während des Krankenhausaufenthaltes wurde ein Rektumkarcinom diagnostiziert und eine neoadjuvante Radio-/Chemotherapie mit Fluorouracil eingeleitet. Nach Abschluss des ersten Therapiezyklus wurde der Patient am 20.10.2007 zunächst in die ambulante Weiterbehandlung nach Hause entlassen. Eine Wiederaufnahme zur Fortführung der Chemotherapie war für den 12.11.2007 geplant. Die Bestrahlungstermine bis dahin sollte der Patient von zu Hause aus wahrnehmen.

Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten für die Krankenhausbehandlung in diesem Zeitraum folgende Vergütung ab:

  • DRG G29B 2.456,73 EUR
  • Ausbildung-Zuschlag 78,08 EUR
  • DRG-Zuschlag 0,90 EUR
  • DRG-Systemzuschlag § 91 0,40 EUR
  • QS-Zuschlag FPV 2006/FPV 1,31 EUR
  • AiP-Zuschlag 43.48 EUR
  • abzüglich des Sanierungsbeitrages für Krankenh. 12 .28 EUR
  • Rechnungssumme 2.568,62 EUR

Am 22.10.2007 wurde der Patient nach Einweisung durch seinen Hausarzt in reduziertem Allgemeinzustand mit Oberbauchbeschwerden, Übelkeit und Appetitlosigkeit aufgenommen.

Es wurde eine toxische Gastroenteritis und Kolitis diagnostiziert. Nach Infusionsgabe und Stabilisierung des Zustandes wurde der Patient am 24.10.2007 entlassen. Für diesen Aufenthalt stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 08.11.2007 folgende Vergütung in Rechnung:

  • DRG G71Z 1.221,50 EUR
  • Ausbildungszuschlag 78,08 EUR
  • DRG Zuschlag 0,90 EUR
  • DRG-Systemzuschlag § 91 0,40 EUR
  • QS-Zuschlag FPV 2006/FPV 1,31 EUR
  • AiP•Zuschlag 21,62 EUR
  • Abzüglich des Sanierungsbeitrages für Krankenh. 6,11 EUR
  • Rechnungssumme 1.287,70 EUR

Die Beklagte übernahm lediglich die Rechnung für den ersten Aufenthalt in der geforderten Höhe und bat mit E-Mail vom 06.03.2008 im Hinblick darauf, dass es sich bei dem zweiten Aufenthalt um eine Begleiterscheinung der vorangegangenen Chemotherapie gehandelt habe, um Zusammenführung der beiden Aufenthalte. Die Klägerin widersprach einer Zusammenführung. Der Versicherte sei nicht wegen einer Komplikation, sondern wegen einer bekannten Nebenwirkung der Chemotherapie wieder aufgenommen worden. Es widerspreche dem Sinn des § 2 Abs. 3 Fallpauschalenvereinbarung 2007 (FPV 2007), unvermeidbare Nebenwirkungen einer Therapie als durch das Krankenhaus zu vermeidende Komplikation zu werten.

Mit ihrer am 07 .10.2008 beim Sozialgericht Hannover eingegangen Klage begehrt die Klägerin die Auszahlung der Vergütung für den stationären Aufenthalt des Versicherten in der Zeit vom 22.10.2007 bis zum 24.10.2007. Die Beklagte berufe sich zu Unrecht darauf, dass eine Zusammenführung mit dem Voraufenthalt zu erfolgen habe. § 2 Abs. 3 der Fallpauschalenvereinbarung 2007 (FPV 2007) bestimme. dass das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in einer Fallpauschale vorzunehmen habe, wenn ein Patient, für den eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen würde. Sinn und Zweck der Vorschrift sei eine Art Gewährleistung des Krankenhauses für die erbrachte Leistung. Patienten sollten lange genug behandelt werden. Nur bei einer unerwünschten behandlungsbedingten Komplikation z. B. im Falle einer nicht lege artis durchgeführten Behandlung könne eine Fallzusammenführung erfolgen. Auch die Neuregelung in der FPV 2008 spreche für diese Auslegung und stelle insoweit lediglich eine Klarstellung im Hinblick auf die bisherige Regelung dar.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen. an die Klägerin 1.287.70 EUR für die stationäre Behandlung des Patienten G. (Behandlung in der Zeil vom 22.10.2007 bis zum 24.10.2007) nebst 2% Zinsen über dem Basiszinssalz ab dem 23.11.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten erfolgte die erneute Aufnahme in das Krankenhaus der Klägerin aufgrund einer Komplikation im Zusammenhang im dem ersten Aufenthalt. Dass die zweite Aufnahme wegen gesundheitlicher Störungen erfolgte, die aus dem Erstaufenthalt resultierten. würde auch durch die Klägerin nicht bestritten. Soweit die Neufassung der ab dem Jahr 2008 geltenden Fassung des § 2 Abs. 3 FPV bestimme, dass eine Zusammenfassung nicht vorgenommen würde, wenn es sich bei der Komplikation um unvermeidbare Nebenwirkungen von Chemo- oder Strahlentherapien handele, habe dies für den hier zu beurteilenden Fall aus dem Jahr 2007 keine Bedeutung. Es handele sich insoweit auch nicht um eine Klarstellung der bisherigen Regelung, vielmehr sei eine Neuregelung geschaffen worden, die die Besonderheiten onkologischer Erkrankungen berücksichtige, weil dies vorher gerade nicht möglich gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die der Kammer vorliegen und die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als echte Leistungsklage statthaft und zulässig (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil es sich um eine Zahlungsklage im Gleichordnungsverhältnis handelt.

Es bedarf mithin weder eines Vorverfahrens noch der Einhaltung einer Klagefrist (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 24/08 R -).

Die Klage ist auch begründet Die Beklagte ist verpflichtet. die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für die stationäre Behandlung des bei ihr versicherten G. in Höhe von weiteren 1.287,70 EUR für die Behandlung in der Zeit vom 22.10.2007 bis zum 24.10.2007 zu erstatten. Denn die Klägerin hat eine als stationäre Behandlung abzurechnende Krankenhausleistung erbracht, die mit der DRG G71Z zu vergüten 1St. Eine Fallzusammenführung mit dem Voraufenthalt des Versicherten in der Zeit vom 15.10.2007 bis zum 20.10.2007 ist nicht gerechtfertigt.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit dem am 01.11.1992 in Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2. 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten (Bundessozialgericht, Urteil vom 21 .11.1991 – 3 RK 32/89 -, BSGE 70, 20, 22 = SozR 3-2500 § 39 Nr. 1). Mit der Krankenhausbehandlung durch einen zugelassenen Leistungserbringer wird der Sachleistungsanspruch des Versicherten realisiert (vgl. § 2 Abs. 2 SGB V). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war. Dass die stationäre Versorgung des Versicherten in der Zeit vom 22.10.2007 bis zum 24.10.2007 medizinisch erforderlich war, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Auch steht einem Vergütungsanspruch der Klägerin nicht die Regelung des § 8 Abs. 5 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) oder § 2 Abs. 3 der Fallpauschalenvereinbarung 2007 (FPV 2007) entgegen. Gemäß § 8 Abs. 5 KHEntgG ist für den Fall, dass Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen werden, vom Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Salz 1 des Krankenl1ausfinanzierungsgesetzes (KHG) oder in einer Rechtsverordnung nach § 17b Abs. 2 KHG. Die auf der Grundlage des § 17b Abs. 2 KHG zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Fallpauschalenvereinbarung 2007 sieht die Abrechnung von Fallpauschalen vor.

Nach § 2 Abs. 3 FPV 2007 ist für den Fall, dass Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen werden, durch das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Die Sätze 1 und 2 gehen der Vorgabe nach Satz 1 vor. Satz 1 ersetzt die Vorgaben des § a Abs. 5 Salz 1 und 2 KHEntgG: diese sind während der Geltungsdauer dieser Vereinbarung nicht anzuwenden (vgl. § 11 KHEntgG).

Die für den ersten stationären Aufenthalt des Patienten vom 15.10.2007 bis zum 20.10.2007 abgerechnete DRG geltende obere Grenzverweildauer (11 Tage) war zum Zeitpunkt der erneuten stationären Aufnahme am 22.10.2007 noch nicht überschritten, so dass grundsätzlich eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall in Betracht zu ziehen war, wenn eine Komplikation im Sinne der genannten Vorschriften vorgelegen hätte.

Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Wiederaufnahme des Versicherten aufgrund unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen des beim ersten Aufenthalt verabreichten Chemotherapeutikums erforderlich wurde. Die Einweisung des Patienten erfolgte durch seinen Hausarzt in reduziertem Allgemeinzustand mit Oberbauchbeschwerden, Übelkeit und Appetitlosigkeit. Das verabreichte Chemotherapeutikum Fluorouracil hat ausweislich der Herstellerinformation häufig Nebenwirkungen wie Übelkeit. Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen. Eine Komplikation wird als ein Ereignis oder Umstand definiert, durch den der gewohnte Ablauf einer Erkrankung, eines ärztlichen Eingriffs oder natürlichen Vorgangs ungünstig beeinflusst werden kann (vgl. Definition in Pschyrembel). Eine Komplikation ist nach Auffassung der Kammer dann gegeben, wenn es sich um eine unvorhersehbare Verschlimmerung handelt, die von dem gewöhnlichen Procedere abweicht. Insoweit traten die Nebenwirkungen in dem vorliegenden Fall jedoch gerade nicht plötzlich und unerwartet auf, sondern es handelt sich vielmehr um häufig auftretende Nebenwirkungen des verabreichten Arzneimittels. Das einer Komplikation üblicherweise innewohnende Überraschungselement war gerade nicht gegeben. Der Bedeutungskern des Begriffs “Komplikation” beschränkt sich gerade nicht darauf, dass der Krankheits- bzw. Behandlungsverlauf eine nicht gewollte ungünstige Wendung nimmt, sondern stellt in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zu erwartenden Behandlungsverlauf. Wenn dieser aufgrund der Verabreichung eines bestimmten Arzneimittels mit großer Wahrscheinlichkeit das Auftreten bestimmter Nebenwirkungen beinhaltet, so kann dies nicht als Komplikation im Sinne der FPV 2007 betrachtet werden, sondern stellt vielmehr den Regelfall des Behandlungsverlaufs dar.

Zu Recht weist die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach Sinn und Zweck der Regelung des § 8 Abs. 5 KHEntgG verhindert werden soll, dass insbesondere bei Fallpauschalen-Patienten. die nach sehr kurzer Verweildauer enl1assen werden, zusätzliche tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet werden, wenn die bereits mit der Fallpauschale bezahlte Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Das Krankenhaus trägt das Risiko von auftretenden Komplikationen (vgl. ST-Drucks, 15/994 S. 22). Diese Risikoverteilung soll dazu führen, dass Krankenhäuser Patienten nicht im Vertrauen darauf vorzeitig entlassen, bei erneuter stationärer Aufnahme nochmals Behandlungskosten in Ansatz bringen zu können. Nicht beabsichtigt ist hingegen, selbst Patienten, die beschwerdefrei sind, weiterhin in stationärer Behandlung zu behalten, weil in naher Zukunft das Auftreten einer Nebenwirkung der Behandlung wahrscheinlich ist. Mit dem Eintritt der Nebenwirkung verwirklicht sich gerade nicht das der vorangegangenen Behandlung innewohnende Gesundheitsrisiko einer nicht ordnungsgemäßen Leistungserbringung, sondern eine behandlungstypische und vorhersehbare Nebenwirkung. Die Arzneimittelfolgewirkung stellt keine Komplikation dem Wortsinne nach dar. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie nach den hierzu ggf. vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut auszulegen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2001 – B 3 KR 1/01 R -). Sofern sich in der Praxis erweist, dass es dabei zu Bewertungsunstimmigkeiten kommt. ist es Aufgabe der zuständigen Vertragspartner, dies durch Weiterentwicklung der Fallpauschalenvereinbarung zu beheben.

Der Empfehlung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 02.04.2007 (Az.: 215-4356-8) zur Neufassung des § 2 Abs. 3 der Fallpauschalenvereinbarung ab 2008 lässt sich eine Differenzierung – zwischen den unvermeidbaren oder typischen Nebenwirkungen einer Erkrankung und deren Behandlung einerseits und den unerwünschten behandlungsbedürftigen Komplikationen, z. B. im Falle einer nicht lege artis durchgeführten Behandlung andererseits – entnehmen. Nur im letztgenannten Fall sei eine Fallzusammenführung akzeptabel. Mit Wirkung ab dem 01.01 .2008 haben die Vertragspartner der FPV 2008 in Satz 2 des § 2 Abs. 3 FPV ausdrücklich die Fälle der Wiederaufnahme wegen unvermeidbarer Nebenwirkungen von Chemo- oder Strahlentherapien von der Fallzusammenführung ausgenommen.

Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Beklagte befand sich ab dem 23.11.2007 im Verzug. Die Höhe der Verzugszinsen folgt aus § 13 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 08.09.2009 – B 1 KR 8/09 R -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).