Sozialgericht Leipzig S 8 KR 246/02

Sozialgericht Leipzig

Urteil vom 08.09.2004 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Leipzig S 8 KR 246/02

 
 

I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine operative Straffung der Bauchdecke.

Der am … 1966 geborene Kläger ist seit 01.04.2002 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Nach einer schweren Bauchspeicheldrüsenerkrankung verringerte er sein Körpergewicht von 135 auf 90 bis 95 kg. Infolge massiver Gewichtsabnahme seit dem Jahr 2000 besteht eine stark faltige, nicht mehr rückbildungsfähige, Bauchdecke.

Der Kläger beantragte daraufhin am 02.07.2002 die Kostenübernahme für eine Beseitigung des Haut-Weichteil-Überschusses im Bauchbereich. Beigefügt war ein Befund des S.G. Krankenhauses (Fachbereich Plastische Chirurgie) vom 14.06.2002, wonach sich bei warmer Witterung Feuchtigkeit im Faltenbereich mit Hautreizungen bilde. Dies störe insbesondere bei sportlicher Betätigung, die zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes notwendig sei. Es werde deswegen eine Straffungsoperation im Sinne einer Dermolipektomie empfohlen.

Die Beklagte holte deswegen ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Dr. B. vom 25.07.2002 ein. Dieser diagnostizierte eine cutis laxa abdominalis bei Zustand nach massiver Gewichtsreduktion. Zum Untersuchungszeitpunkt bestünden keinerlei Hautentzündungen. Für die beantragte Maßnahme bestehe keine medizinische Indikation.

Unter Bezugnahme hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2002 den Antrag ab.

Hiergegen legte der Kläger am 12.08.2002 Widerspruch ein. Trotz regelmäßiger sportlicher Betätigung – bis zu 5-mal die Woche – habe er keine Straffung des Bauchgewebes erzielen können. Die

Entzündungen der Bauchhaut seien mit körperlichem und seelischem Unwohlsein verbunden. Die beantragte Maßnahme sei daher keine “Schönheits-Operation”, sondern medizinisch notwendig. Beigefügt war ein Befund des “S. G.” Krankenhauses vom 20.08.2002, wonach sich die Hautfalte nicht durch sportliche Betätigung verringere. Durch eine Operation würden die Beschwerden gelindert und Neuerkrankungen im Sinne von Hautaffektionen, sowie weitere Probleme durch die Pankreasinsuffizienz bereits im Vorfeld unterbunden.

Die Beklagte beauftragte daraufhin erneut den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens. Frau Dipl.-M. S. führte am 05.11.2002 aus, dass die Bauchfalte keine Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der Hüftgelenke verursache. Im Stehen hänge die Bauchfalte 3 cm oberhalb des Beckens, ohne dass Ekzeme festzustellen seien. Im Vordergrund stünden beim Kläger psychische Beeinträchtigungen, die mit Mitteln der Psychotherapie zu behandeln seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die begehrte Bauchdeckenstraffung gehöre nicht zu den Vertragsleistungen. Derartige “neue” Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Der Bundesausschuss habe indes über eine Integration des gewünschten Eingriffs in die kassenärztliche Versorgung bislang noch nicht entschieden, so dass eine Kostenübernahme als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Es handele sich auch nicht um eine behandlungsbedürftige Krankheit, wie aus den gutachterlichen Stellungnahmen des MDK hervorgehe.

Der Kläger hat deswegen am 23.12.2002 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Die Ekzeme beruhten auf einer fehlenden Bauchstraffung. Durch Schweißbildung im Faltenbereich käme es zur Zunahme bzw. Neubildung der Hauterkrankung.

Das Gericht hat einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. B. vom 02.06.2003 beigezogen und mit Beweisanordnung nach § 109 SGG PD Dr. S. am 07.11.2003 mit der Erstellung eines plastisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 29.07.2002 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 10.12.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Bauchdeckenstraffungsoperation zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 29.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2002 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er keinen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für eine operative Bauchdek-kenstraffung hat.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Maßnahme ist allein § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 10.12.2002 betrifft § 13 Abs. 3 SGB V allein die Kostenerstattung. Da der Kläger die Operation an der Bauchdecke noch nicht hat vornehmen lassen, hat er sich noch keine Leistung selbst beschafft. Kosten hierfür, die erstattungsfähig sein könnten, sind gegenüber der Krankenkasse somit nicht entstanden. Hierbei ist der Anspruch des Versicherten auf Leistungen der Krankenkasse grundsätzlich auf Sachleistungen begrenzt (§ 2 SGB V).

Gem. § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung und die Krankenhausbehandlung (Nr. 1 und 5 der Vorschrift). Was “Krankheit” im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist, hat der Gesetzgeber selbst nicht festgelegt. Vielmehr setzt der Gesetzgeber diesen Begriff für die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB V voraus. Nach ständiger Rechtsprechung, der gefolgt wird, ist Krankheit in diesem Sinne ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. nur: BSGE 39, 167 f). Als regelwidrig wird hierbei ein Zustand angesehen, der von der Norm, d.h. dem Leitbild des gesunden Menschen, abweicht (BSGE 26, 240 (242)).

Krankheit ist danach ein anomaler geistiger oder körperlicher Zustand, der – bedingt durch eine Störung oder einen Ausfall körperlicher oder geistiger Funktionen – eine nicht ganz unerhebliche, das Maß des nach den allgemeinen Lebensverhältnissen Zumutbaren überschreitende Beeinträchtigung des Betroffenen zur Folge hat. Hierbei ist nicht jede Abweichung in der körperlichen Beschaffenheit von dem als “normal” zu betrachtenden oder als wünschenswert empfundenen Zustand, die objektiv oder subjektiv als mehr oder weniger gravierender Mangel empfunden wird, eine Krankheit; der Abweichung kann jedoch dann Krankheitswert beizumessen sein, wenn sie – über ein reines Missempfinden hinaus – zu Beschwerden oder Behinderungen im Sinne einer nicht ganz unerheblichen Funktionsstörung führt (vgl. insoweit zur zivilrechtlichen Auslegung: OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.01.1991, Az: 12 U 70/90). Sie ist behandlungsbedürftig, wenn durch den regelwidrigen Gesundheitszustand die körperlichen oder geistigen Funktionen in einem so beträchtlichen Maße eingeschränkt sind, dass ihre Wiederherstellung der Mithilfe des Arztes, also ärztlicher Behandlung, bedarf (wie hier: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.05.2002, Az: L 5 KR 93/01). Bei der Frage, ob ein Zustand von der Norm, also dem Leitbild des gesunden Menschen abweicht, ist mithin eine wertende Betrachtungsweise angezeigt: zum einen muss die Funktionsstörung, die hiermit verbunden ist, nicht nur unerheblich, zum anderen muss die Wiederherstellung der Funktion ärztlich geboten sein. Dies ließ sich vorliegend indes nicht feststellen.

Die Hautfalte selbst verursacht keine, die operative Entfernung rechtfertigenden, gravierenden gesundheitlichen Störungen des orthopädischen, dermatologischen und psychischen Zustandes des Klägers. Zwar steht nach dem Befund des St. G. Krankenhauses vom 20.08.2002 fest, dass die nach beträchtlichem Gewichtsverlust verbliebene Hautfalte durch sportliche Beteiligung allein nicht mehr rückbildungsfähig ist (vgl. Bl. 16 der Verwaltungsakte); gleichwohl ist zwischen den Beteiligten unbestritten, dass körperlich gravierende Beschränkungen durch die Hautfalte nicht vorliegen. Zwar hängt im Stehen die Bauchfalte oberhalb des Beckens 3 cm über; die Wirbelsäule und die Hüftgelenke sind jedoch frei beweglich (vgl. MDK-Gutachten Frau Dipl.-Med. S. vom 05.11.2002, Bl. 22 R der Verwaltungsakte); ein körperliches Defizit, beispielsweise in der Gehfähigkeit oder bei der täglichen Mobilität, wird durch keinen Befund und kein Gutachten festgestellt. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Befundbericht des behandelnden praktischen Arztes Dr. B. vom 02.06.2003. Dieser bescheinigt vielmehr sogar ausdrücklich, dass keinerlei orthopädische Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. Bl. 29 der Gerichtsakte). Eine unmittelbare Funktionsbeeinträchtigung wegen der Fettschürze steht somit nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest. Dass der Kläger durch die Hautfalte an sportlicher Betätigung gehindert sein könnte, ist durch die mehrjährige regelmäßige sportliche Betätigung des Klägers, nach eigenen Angaben bis zu 5-mal die Woche, widerlegt.

Wenn er wegen fehlender Bauchstraffung eine Bildung von Ekzemen geltend macht, wird dies durch keinen medizinischen Befund erhärtert. Insoweit Dr. B. Rötung, Nässe und Juckreiz wegen eines “Faltenekzems” angegeben hat (vgl. Bl. 29 der Gerichtsakte), handelt es sich hierbei um keine medizinisch gesicherte Erkenntnis. Ekzeme sind entweder allergisch oder toxisch, exogen oder endogen (beispielsweise mikrobiell), bedingt (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Aufl.). Hierfür liegen jedoch keinerlei medizinisch gesicherte Erkenntnisse vor. Bereits Dr. B. stellte in seinem MDK-Gutachten vom 25.07.2002 keinerlei Hautentzündungen fest (vgl. Bl. 8 der Verwaltungsakte). Auch Dipl.-Med. S. konnte in ihrem Gutachten keine Ekzembildung feststellen (vgl. Bl. 20 R der Verwaltungsakte). Dies ergibt sich auch nicht aus dem, auf Veranlassung des Klägers nach § 109 SGG eingeholten, Gutachten von PD Dr. S. vom 07.11.2003. Dieser stellte vielmehr ausdrücklich klar, dass “Ekzeme” bisher nie aktenkundig geworden seien. Vielmehr handele es sich um reibungsbedingte Hautreizungen bei Wärme und Schwitzen, was jedoch als störender Zustand zu bewerten sei. Er empfehle deswegen, mit dem Begriff “Ekzem” zurückhaltender umzugehen (vgl. Bl. 56 der Gerichtsakte). Das Wundwerden der Haut habe seine Ursache nicht in einer Hauterkrankung (Ekzem), sondern in dem überschüssigen, nicht mehr abbaubaren, Fettgewebe. Hierfür spricht auch, dass sich der Kläger wegen der von ihm behaupteten Ekzembildung bisher noch nicht gesondert in fachärztliche (dermatologische) Behandlung begeben musste. Selbst wenn es zu Hautreizungen mit Nässebildung und Juckreiz kommen sollte, ist nicht die operative Beseitigung der Hautfalte, sondern vorrangig eine medizinische Hautbehandlung angezeigt. Denn grundsätzlich sind nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzen, eine Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V (vgl. BSG, in: Breithaupt 1999, 488).

Nach den Unterlagen und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht auch nicht fest, dass die mit der cutis laxa des Unterbauchs einhergehende psychische Beeinträchtigung derart gewichtig wäre, dass eine erhebliche, das Maß des “Normalen” übersteigende Funktionsbeeinträchtigung eingetreten ist oder zumindest unmittelbar bevorsteht. Seelisch durch die Hautfalte hervorgerufene psychische Störungen sind medizinisch nicht bescheinigt worden.

Dass das Selbstwert-Erleben als Teil der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, insbesondere seine Kommunikationsfähigkeit, durch die Falte im Bauchbereich nennenswert beeinträchtigt ist, ließ sich nicht feststellen. Derartige Beeinträchtigungen werden in erster Linie im für den Außenstehenden sichtbaren Bereich, vor allem im Gesicht, deutlich. Selbst wenn hiervon noch keine unmittelbaren Funktionsdefizite ausgehen, kann aber der Mensch als kommunikativ handelndes Wesen durch Entstellungen in diesem Bereich in seinem Achtungsanspruch und damit seiner Würde derart betroffen sein, dass dadurch unmittelbar Funktionsdefizite in anderen Gesundheitsbereichen ausgelöst werden, die einen entsprechenden Leistungsanspruch auslösen (wie hier: LSG Rhld.-Pf., Urteil vom 02.05.2002, Az: L 5 KR 93/01; vgl. auch: SG Leipzig in: Breithaupt 2002, 865 ff). Hier ist jedoch wegen der Hautfalte der Leidensdruck noch nicht derart gewichtig geworden, dass die Notwendigkeit einer fachärztlichen (psychiatrische) Behandlung bestanden hätte. Im Unterschied zu dem bereits vom SG Leipzig entschiedenen Fall der cutis laxa war die Schlaffhaut nicht an einem deutlich sichtbaren Körperbereich vorhanden, sondern im Bauchbereich. Im Alltagsleben dürfte sie sich mithin nicht in einem das Selbstwertgefühl des Klägers beeinträchtigenden Maße auswirken.

Wenn aber nach wertender Betrachtung die Funktionsbeeinträchtigung von Körper und Geist (Seele) nicht wesentlich ist, ist auch die Erforderlichkeit ärztlicher Behandlung für die beantragte Maßnahme zu verneinen. Es besteht keine Notwendigkeit einer operativen chirurgischen Bauchdeckenstraffung (und nicht nur: einer psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung). Diese ist im Übrigen keine “neue Behandlungsmethode”. Die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid liegen insoweit neben der Sache. Dr. S. beschreibt in seinem Gutachten insoweit lediglich, dass (naturgemäß) die Beseitigung der Schlaffung der Bauchhaut unmittelbar nur durch operativen Eingriff und nicht durch Psychotherapie erreicht werden könne. Dies ist auch völlig unstreitig, da eine eventuell noch durchzuführende Psychotherapie nur der seelischen Konfliktbewältigung, nicht aber der chirurgischen Beseitigung des als störend empfundenen Zustandes dienen kann. Der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich insoweit jedoch am Maß des Notwendigen im Sinne der Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme zu orientieren (vgl. § 12 Abs. 1 SGB V). Daran fehlt es hier. Die fehlende Rückbildung der Schlaffhaut nach Gewichtsverlust ist insoweit mit der von Müttern nach einer Schwangerschaft vergleichbar. Auch hier besteht grundsätzlich kein Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse auf operative Bauchdeckenstraffung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.