Sozialgericht Lübeck S 14 KR 1663/07

Sozialgericht Lübeck

Urteil vom 11.02.2010 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Lübeck S 14 KR 1663/07

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 355,82 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird für die Zeit bis 21. Oktober 2009 auf EUR 1.953,20 und für die Zeit ab 22. Oktober 2009 auf EUR 360,11 festgesetzt.

Tatbestand:

Das klagende begehrt von der Beklagten noch die Zahlung von Zinsen in Höhe von EUR 355,82.

Der Versicherte der Beklagten, , war seit Mai 2003 an Kehlkopfkrebs erkrankt. Im Dezember 2004 erhielt er eine Chemotherapie, die aufgrund von Komplikationen abgebrochen werden musste. Er befand sich vom 8. bis 27. Februar 2005 zu einer weiteren nun palliativen Chemotherapie in stationärer Krankenhausbehandlung bei der Klägerin. Am 12. Februar 2005 erhielt er eine Infusion mit dem Medikament Paclitaxel (Handelsname: Taxol®). Dieses Medikament ist in Deutschland zur Behandlung von Ovarial-, Mamma- und Bronchialkarzinomen und zum Teil zur Behandlung von AIDS zugelassen. Mit Rechnung vom 19. Mai 2005 machte die Klägerin für die stationäre Behandlung einen Gesamtbetrag in Höhe von EUR 5.543,77 geltend, darin enthalten ein Zusatzentgelt für Paclitaxel, OPS-Kode 8-012.e5, in Höhe von EUR 1.953,20. Aus der Rechnung ersichtlich ist die Diagnose C32.0 (bösartige Neubildung des Kehlkopfs) und die Abrechnung der DRG D60B (Bösartige Neubildung an Ohr, Nase, Mund und Hals, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere oder schwere Komorbidität oder Komplikationen). Übermittelt wurden außerdem die Diagnoseschlüssel Z43.0 (Versorgung eines Tracheostomas, also einer operativ angelegten Öffnung der Luftröhre), R53 (Unwohlsein und Ermüdung) und R50.9 (Fieber). Die PCCL wurde gemeldet mit mäßig schwerer CC (Komorbidität oder Komplikationen), der Patienten-Status mit Langlieger.

Die Beklagte bezahlte lediglich einen Betrag in Höhe von EUR 3.590,57. Mit Schreiben vom 25. Mai 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Rechnung um das Zusatzentgelt in Höhe von EUR 1.953,20 gekürzt habe. Das abgerechnete Medikament habe die Klägerin außerhalb der zugelassenen Indikationen angewendet. Nach der Rechtsprechung des BSG zum off-label-use sei das Entgelt daher von ihr nicht zu tragen.

Die Klägerin hat am 17. Dezember 2007 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Das von ihm abgerechnete Zusatzentgelt sei auf Bundesebene für den OPS-Kode vereinbart und in der Anlage zur Fallpauschalenvereinbarung (FPV) veröffentlicht worden. Nach § 5 Abs. 1 FPV für das Jahr 2005 könnten zusätzlich zu einer Fallpauschale bundeseinheitliche Zusatzentgelte abgerechnet werden. Die Rechtsprechung des BSG zum off-label-use sei auf den stationären Bereich nicht übertragbar. Im vertragsärztlichen Versorgungsbereich gelte bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der sogenannte Erlaubnisvorbehalt. Zwar unterliege im stationären Versorgungsbereich die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch dem gemeinsamen Bundesausschuss. Entgegen der Regelung im vertragsärztlichen Bereich bestehe jedoch gemäß § 137 c Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im stationären Bereich der Grundsatz des Verbotsvorbehalts. Danach dürfe eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode so lange angewendet werden, bis der gemeinsame Bundesausschuss die Durchführung dieser Behandlungsmethode verbiete.

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.953,20 nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit dem 19. Mai 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat dagegen eingewandt, das BSG habe in seiner Entscheidung vom 19. März 2002 (B 1 KR 37/00) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Bereich der zulassungspflichtigen Arzneimittel die Qualitätssicherungsvorschriften der §§ 135 ff. SGB V nicht anzuwenden seien. Vielmehr sei die Qualitätssicherung insoweit dem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren vorbehalten und gerade nicht dem gemeinsamen Bundesausschuss. Auch bei Krankenhausbehandlungen sei die zulassungsüberschreitende Abgabe von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur möglich, wenn die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für einen off-label-use vorlägen.

Auf Anforderung hat die Klägerin ihre Krankenhausakte übersandt und mit Schriftsatz vom 9. September 2009 Angaben zum Behandlungsverlauf bei dem Patienten Saß gemacht. Die Beklagte hat darauf hin mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2009, bei Gericht eingegangen am 21. Oktober 2009, ein Teilanerkenntnis hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von EUR 1.953,20 abgegeben. Die Zahlung an die Klägerin ist am 17. November 2009 erfolgt.

Die Klägerin hat sodann mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2009 erklärt, der Rechtsstreit solle hinsichtlich der Zinsen und Kosten fortgeführt werden. Der Zinsanspruch ist zunächst auf EUR 360,11 und in der mündlichen Verhandlung auf EUR 355,82 beziffert worden. Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 355,82 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf die Entscheidung des BSG vom 22. April 2009 (B 3 KR 24/07 R).

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Krankenhausakte beigezogen und zusammen mit der Prozessakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Ausweislich des Computerausdrucks auf Blatt 5 der Verwaltungsakte ist dort der Rechnungseingang mit dem 20. Mai 2005 verzeichnet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, Verzugszinsen in Höhe von EUR 355,82 an die Klägerin zu zahlen. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Zinsanspruchs der Klägerin ist § 11 Abs. 1 Satz 3 Krankenhausentgeltgesetz i. V. m. § 12 Satz 3 der zwischen der Klägerin und u. a. der Beklagten geschlossenen Entgeltvereinbarung 2005 (EV 2005). Danach können bei Zahlungsverzug Verzugszinsen in Höhe von 2 % [gemeint: Prozentpunkten] über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab Fälligkeitstag berechnet werden. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Beklagte befand sich seit dem 3. Juni 2005 im Zahlungsverzug. Verzugsbeginn ist nach § 12 Satz 3 EV 2005 der Fälligkeitstag. Die Entgeltforderungen der Klägerin sind nach § 12 Satz 1 EV 2005 spätestens 14 Tage nach Rechnungseingang bei der zuständigen Krankenkasse (Abrechnungsstelle) fällig. Nach § 12 Satz 5 EV 2005 sind die Sozialleistungsträger verpflichtet, das Datum des Rechnungszugangs [der Rechnung] des Klinikums nachzuweisen. Vorliegend ergibt sich als Rechnungszugang der 20. Mai 2005 aus der Verwaltungsakte der Beklagten. Die Forderung war daher 14 Tage später, am 3. Juni 2005, fällig. Dieser Zeitpunkt ist als Verzugsbeginn zugrunde zu legen.

Zu Recht ist die Klägerin bei ihrer Berechnung von einem Verzugsende am 10. November 2009 ausgegangen. Der Verzug endet mit der nachträglichen Erbringung der Leistung. Nach § 12 Satz 2 EV 2005 gilt als Tag der Zahlung der Tag der Erteilung des Auftrags an das Geldinstitut oder der Tag der Absendung eines Zahlungsmittels an das Krankenhaus. Die Zahlung der Beklagten ist am 17. November 2009 bei der Klägerin eingegangen. Die Beklagte hat weder den Tag der Erteilung des Auftrags an das Geldinstitut noch den Tag der Absendung eines Zahlungsmittels an das Krankenhaus nachgewiesen. Die Klägerin hat als Verzugsende allerdings schon den 10. November 2009 zugrunde gelegt. Bei einem Zahlungseingang am 17. November 2009 und den üblichen Banklaufzeiten von 3 Tagen ist sicher davon auszugehen, dass sich die Beklagte am 10. November 2009 noch im Verzug befand.

Unter Zugrundelegung eines Verzugszeitraumes vom 3. Juni 2005 bis 10. November 2009 berechnen sich die Zinsen auf die Forderung der Klägerin in Höhe von EUR 1.953,20 wie folgt: – 3. Juni bis 30. Juni 2005 (28/365 Tage) Basiszinssatz 1,21 % – vertraglicher Zinssatz 3,21 % = Zinsen EUR 4,81 – 1. Juli bis 31. Dezember 2005 (184/365 Tage) Basiszinssatz 1,17 % – vertraglicher Zinssatz 3,17 % = Zinsen EUR 31,21 – 1. Januar bis 30. Juni 2006 (181/365 Tage) Basiszinssatz 1,37 % – vertraglicher Zinssatz 3,37 % = Zinsen EUR 32,64 – 1. Juli bis 31. Dezember 2006 (184/365 Tage) Basiszinssatz 1,95 % – vertraglicher Zinssatz 3,95 % = Zinsen EUR 38,89 – 1. Januar bis 30. Juni 2007 (181/365 Tage) Basiszinssatz 2,70 % – vertraglicher Zinssatz 4,70 % = Zinsen EUR 45,52 – 1. Juli bis 31. Dezember 2007 (184/365 Tage) Basiszinssatz 3,19 % – vertraglicher Zinssatz 5,19 % = Zinsen EUR 51,10 – 1. Januar bis 30. Juni 2008 (182/366 Tage) Basiszinssatz 3,32 % – vertraglicher Zinssatz 5,32 % = Zinsen EUR 51,67 – 1. Juli bis 31. Dezember 2008 (184/366 Tage) Basiszinssatz 3,19 % – vertraglicher Zinssatz 5,19 % = Zinsen EUR 50,96 – 1. Januar bis 30. Juni 2009 (181/365 Tage) Basiszinssatz 1,62 % – vertraglicher Zinssatz 3,62 % = Zinsen EUR 35,06 – 1. Juli bis 10. November 2009 (133/365 Tage) Basiszinssatz 0,12 % – vertraglicher Zinssatz 2,12 % = Zinsen EUR 15,09. Da die Beteiligten die kaufmännische Zinsberechnung (30/360 Tage) nicht ausdrücklich vereinbart haben, ist bei der Berechnung die taggenaue aktuarische Methode anzuwenden (vgl. Heinrichs in Palandt BGB, 68. Aufl., § 248 Rdnr. 9; BSG 8. September 2009 – B 1 KR 8/09 R, SGb 2009, 657). Damit ergibt sich ein Zinsanspruch in Höhe von insgesamt EUR 356,95, der die von der Klägerin geltend gemachte Zinsforderung von EUR 355,82 übersteigt.

Die Beklagte kann sich nicht auf die Regelung in § 286 Abs. 4 BGB berufen, wonach der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Vertraglich haben sich die Beteiligten nicht ausdrücklich auf die Anwendung des § 286 Abs. 4 BGB geeinigt. Sie haben sie jedoch auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vorliegend kann dahin gestellt bleiben, ob die Regelung auf den Verzug der Beklagten Anwendung findet, weil jedenfalls die Voraussetzungen des § 286 Abs. 4 BGB nicht erfüllt sind. Da es sich um eine Einwendung handelt, muss die Beklagte das Vertretenmüssen der Klägerin beweisen (vgl. Grünberg, Palandt BGB, 68. Aufl., § 286 Rdnr. 32). Diesen Beweis hat sie nicht erbracht. Die Kammer ist von einem Verschulden der Klägerin in Bezug auf das Unterbleiben der Leistung der Beklagten nicht überzeugt. Ein Verstoß der Klägerin gegen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Krankenhauses (vgl. BSG 22. April 2009 – B 3 KR 24/07 R, USK 2009-29) ist von der Beklagten weder näher begründet worden, noch für die Kammer ersichtlich. Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin die Angaben nach § 301 Abs. 1 SGB V ordnungsgemäß erbracht hat. Etwas Gegenteiliges wird von der Beklagten nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den beigezogenen Akten. Nach § 301 Abs. 1 SGB V besteht die Pflicht, der Krankenkasse bei Krankenhausbehandlung u. a. den Grund der Aufnahme sowie die Einweisungsdiagnose und die Aufnahmediagnose zu übermitteln. Hiermit ist aus datenschutzrechtlichen Gründen abschließend und enumerativ aufgelistet, welche Angaben der Krankenkasse bei einer Krankenhausbehandlung ihrer Versicherten auf jeden Fall zu übermitteln sind (vgl. BT-Drucks 12/3608 – Begr. zu Art. 1 Nr. 141, S. 124). Dazu rechnen u. a. die Stammdaten des Versicherten, Detaildaten über Aufnahme, Verlegung, Art der Behandlung und Entlassung einschließlich der Angabe des einweisenden Arztes mit Einweisungsdiagnose, Aufnahmediagnose und Änderung von Diagnosen, die voraussichtliche Verweildauer sowie Datum und Art der durchgeführten Operationen und Prozeduren. Dies dient dazu, dass die Krankenkassen in die Lage versetzt werden, Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung zu überprüfen (vgl. BT-Drucks. 12/3608, a. a. O.). Nach der zu Grunde liegenden Vorstellung sind damit die Mindestangaben bezeichnet, die die Krankenkasse zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Überprüfung der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung benötigt. Wie sich aus der Wertung des § 301 Abs. 1 Nr. 3 ergibt, hat das Krankenhaus darüber hinaus medizinische Begründungen nur “auf Verlangen der Krankenkasse” beizubringen. Eine solche Anforderung ist von Seiten der Beklagten aber gerade nicht erfolgt. Aus den von der Klägerin genannten Diagnosen C32.0 (bösartige Neubildung des Kehlkopfs), Z43.0 (Versorgung eines Tracheostomas, also einer operativ angelegten Öffnung der Luftröhre), R53 (Unwohlsein und Ermüdung) und R50.9 (Fieber), der DRG D60B (Bösartige Neubildung an Ohr, Nase, Mund und Hals, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere oder schwere Komorbidität oder Komplikationen), der PCCL mit mäßig schwerer CC (Komorbidität oder Komplikationen) und dem Patienten-Status mit Langlieger, war bereits ersichtlich, dass die für einen off-label-use zu fordernden Voraussetzungen (lebensbedrohliche Erkrankung, keine alternativen Standardbehandlungen) wahrscheinlich vorlagen. Sofern die Beklagte daran dennoch Zweifel hatte, hätte sie eine konkrete medizinische Begründung für den nichtzulassungsgemäßen Einsatz des fraglichen Medikaments bei der Klägerin anfordern und sodann ggf. nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V i. d. F. bis 31. März 2007 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung einschalten müssen. Die Klägerin trifft insoweit kein Verschulden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Voraussetzungen des § 156 VwGO liegen nicht vor, da die Beklagte durch ihr Verhalten den Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 36 Abs. 1 und 43 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und ergibt sich aus der jeweiligen Klageforderung der Klägerin (vgl. Kunze BeckOK VwGO § 162 Rdnr. 34).

Ein Grund für die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben. Die Entscheidung weicht nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Grundsätzliche Bedeutung ist nicht ersichtlich.

Sonnhoff