Sozialgericht München S 2 KR 82/03

Sozialgericht München

Urteil vom 21.12.2004 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht München S 2 KR 82/03

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 1.943,28 nebst 2% Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 05. Juli 2002 zu bezahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von weiteren stationären Behandlungskosten in Höhe von Euro 1.943,28 zuzüglich vertraglicher Zinsen gegen die Beklagte hat. Die Klägerin ist eine Spezialklinik für Multiple Sklerose Kranke und wird vom Behandlungszentrum K. Gesellschaft mit beschränkter Haftung betragen. Die Gesellschafteranteile der GmbH befinden sich zum überwiegenden Teil in kommunaler Hand (M. und Bezirk O.). Die GmbH ist in das Handelsregister des Amtsgerichts M. unter HRB eingetragen. Herr J. N., geb. 1965, ist versicherungspflichtiges Mitglied bei der Beklagten. Er hat sich im Zeitraum vom 18.04.2002 bis 09.05.2002 in stationärer Behandlung bei der Klägerin befunden. Am 22.04.2002, eingegangen bei der Beklagten am 25.04.2002, ist ein Kostenübernahmeantrag für stationäre Behandlung des Herrn N. eingegangen. Als Behandlungsbeginn war der 18.04.2002 angegeben. Die Beklagte hat mit Kostenübernahmeerklärung vom 29.04.2002 bis zum 01.05.2002 (14 Tage) eine befristete Kostenübernahmeerklärung für die stationäre Behandlung abgegeben. Am 13.05.2002, eingegangen bei der Beklagten am 15.05.2002, hat die Klägerin einen Entlassungsschein ausgestellt. Danach sei Herr N. bis zum 09.05.2002 stationär in Behandlung gewesen und normal entlassen worden. Als Diagnosen wurden multiple Sklerose, Abhängigkeit vom Rollstuhl, spastische Tetraplegie und Sehschwäche angegeben. Der Chefarzt der behandelnden Klinik der Klägerin, Prof. Dr. K., hat am 10.05.2002 in einem Attest festgestellt, dass Herr N. an einer hochgradigen spastischen Tetraparese leide und stationär bis zum 09.05.2002 behandlungsbedürftig gewesen wäre. Am 20.06.2002 hat die Klägerin eine schriftliche Rechnung gegenüber der Beklagten in Höhe von Euro 5.101,41 gestellt. In diesem Betrag sei ein stationärer Aufenthalt bis 08.05.2001 abgerechnet worden. Auf diese Rechnung hin hat die Beklagte eine Teilzahlung von 3.158,13 Euro geleistet. Dr. K. vom MDK hat am 13.08.2002 festgestellt, dass aufgrund der Stellungnahme des leitenden Arztes vom 04.09.2002 keine neuen Anhaltspunkte für einen stationären Aufenthalt des Herrn N. vorgetragen worden seien. Die von der Klinik durchgeführten Maßnahmen hätten ambulant durchgeführt werden müssen. Die Beklagte hat am 04.02.2003 die Zahlung der Leistung abgelehnt und die Klägerin gebeten, die bereits überzahlten 3.158,13 Euro zurückzuerstatten. Die Klägerin hat am 24.01.2003 Klage zum Sozialgericht München auf Zahlung in Höhe von 1.943,28 Euro eingereicht. Hinsichtlich der Behandlungsdauer hat sie auf die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlungsbedürftigkeit des Herrn N. verwiesen. Der Zinsanspruch ergebe sich aus dem Fortgelten der entsprechenden Bestimmungen des Bayerischen Landesvertrags über allgemeine Krankenhausbehandlung. Dies ergebe sich aus der Pflegesatzvereinbarung zwischen den Kassen und der Klägerin. Mit Beweisanordnung vom 25.06.2003 hat das Sozialgericht Herrn Dr. P. auf neurologischem Fachgebiet zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat am 30.07.2003 sein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Herr N. wiederholt, d.h. insgesamt 16 mal im Zeitraum vom 24.04.1997 bis 18.04.2003 in stationärer Behandlung bei der Klägerin gewesen sei und seit dem 6. stationären Aufenthalt vom 02.07.2000 bis zum streitgegenständlichen Zeitraum immunsupressiv mit Mitoxantron behandelt worden sei. Bei der Aufnahme in die Klinik der Klägerin am 18.04.2002 sei es im Verhältnis zu den vorherigen stationären Aufnahmen und Behandlungen in Teilbereichen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Herrn N. gekommen. Die Aufnahmediagnose Encephalomyelitis disseminata mit sekundär chronisch- progredienter Verlaufsform bei aufgesetzten schubartigen Verschlechterungen sei gesichert. Der Sachverständige führt weiter aus, dass es sich bei der Mitoxantron-Therapie um spezielle, verzweifelte Fälle begrenzter Behandlungsmöglichkeiten von Multiple Sklerose handeln würde, deren Behandlung mit erheblichen Nebenwirkungen und vor allem erheblichen Risiken behaftet sei. Dass es bei früheren Behandlungszyklen des Herrn N. nicht zu schweren Nebenwirkungen oder schweren Zwischenfällen gekommen wäre, schließe das Auftreten in späteren Behandlungszyklen nicht aus. Die in der Klinik stationär durchgeführten ergotherapeutischen, logopädischen und krankengymnastischen Behandlungseinheiten seien in sinnvoller Weise mitgenutzt worden und entsprächen dem ganzheitlichen Therapiekonzept von Multiple Sklerose. Der Einwand des Dr. K., dass eine derartige Behandlung nicht an den Aufenthalt in einem neurologischen Krankenhaus gebunden sei, würde die Situation von MS-Patienten nicht treffen. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13.08.2003 eine Arztinformation für weiterbehandelnde Kollegen der Klägerin vorgelegt, nach der eine engmaschige neurologische, neurophysiologische (evozierte Potentiale) und kardiologische Verlaufsdokumentation von in dieser Therapieform erfahrenen Kollegen dringend empfehlenswert sei, um Therapieversagen oder bei Patienten mit kardologischen Nebenwirkungen frühzeitig erkennen zu können. Unter diesen Voraussetzungen sei eine ambulante Gabe des Medikamentes Mitoxantron grundsätzlich möglich, wenn eine intensive, onkologische und neurologische Betreuung des Patienten gewährleistet sei. Die Beklagte hat weiter ein Gutachten des Medizinischen Dienstes Rheinland-Pfalz des Dr. B., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 19.09.2003 vorgelegt. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, das Mitoxantron nur unter stationären Bedingungen gegeben werden könne, da es zu verschiedenen Nebenwirkungen kommen könne, nicht zu folgen sei. Ein Onkologe der neurologisch erfahren sei, könne durchaus abschätzen, ob Nebenwirkungen bei der Gabe von Mitoxantron entstünden. Das Sozialgericht hat eine ergänzende Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen zu den Feststellungen des Medizinischen Dienstes eingeholt. Dr. P. führt am 27.11.2003 aus, dass das Merkblatt der Klinik der Klägerin eine Reihe von zwingend durchzuführenden Kontrolluntersuchungen benenne. Weiter werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei dem Einsatz des Medikaments in der Behandlung von MS neben weiteren intensiven onkologischen und engmaschigen, kardiologisch-internistischen Kontrollen vor allem eine intensive neurologische Betreuung mit Kontrolle des neurologischen Befundes sowie einer Kontrolle neurophysiologischer Parameter zwingend erforderlich seien. Derartig umfangreiche neurophysiologische Untersuchungen sind unter ambulanten Bedingungen praktisch nicht möglich. Es sei nicht damit getan, dass ein niedergelassener Nervenarzt gelegentlich hinzugezogen werde, wie der MDK Rheinland-Pfalz behauptet hätte. Es komme entscheidend auf die jederzeitige Verfügbarkeit intensiver einschließlich aufwändiger neurophysiologischer Diagnostik an, die nur stationär vorgehalten würde. Im übrigen seien dem Sachverständigen im Großraum M. keine ambulant tätigen onkologischen Praxen bekannt, die derartige Leistungen zur Verfügung stellen könnten. Dr. B. vom Medizinischen Dienst Rheinland-Pfalz hat sich am 26.01.2004 erneut geäußert und u.a. auf die ambulante Gemeinschaftspraxis Dres. med. P. in E. hingewiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.12.2004 ist die Beklagte nicht vertreten gewesen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Euro 1.943,28 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 2% über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 05.07.2002 zu zahlen. Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Klage abzuweisen. Die Beklagte widersetzt sich dem klägerischen Begehren unter Bezugnahme auf die nach ihrer Ansicht eindeutigen Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes in den Gutachten vom 13.08.2002, 07.10.2003 und vom 29.01.2004. Eine stationäre Behandlung wäre nicht notwendig gewesen. Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben den Klägerakten und Beklagtenakten sowie zwei Band Krankenunterlagen der Klägerin, die Akten des anhängigen Sozialgerichtsverfahrens. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den gesamten Akteninhalt und insbesondere die gewechselten Schriftsätze und medizinischen Gutachten und Befundberichte Bezug genommen (§ 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht München formgerecht erhobene Klage ist als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässig. Rechtsgrundlage der Beziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten ist der gekündigte Vertrag gemäß § 112 Abs. 1 SGB V zu § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V – Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung – vom 24.09.1991 und der weiter Inkraft befindliche Vertrag zur Überprüfung der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung vom gleichen Datum. Die Klägerin ist Mitglied der Bayer. Krankenhausgesellschaft, die Beklagte ist über den Landesverband der Innungskrankenkassen in Bayern an den Bayerischen Landesvertrag gebunden. Darüber hinaus ist die Pflegesatzvereinbarung zwischen den Beteiligten einschlägig. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des Entgeltes für den stationären Aufenthalt bis einschließlich 09.05.2002 in Höhe der geltend gemachten Summe. Der Zahlungsanspruch ergibt sich aus §§ 1, 2 Nr. 4 und § 4 Nr. 2 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und Regelung der Krankenhauspflegesätze – KHG – i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 und § 14 Abs. 5 und 6 Nr. 1 Buchst. A der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – BPflV -. Die Klinik der Klägerin unterfällt dem Krankenhausfinanzierungsgesetz und der Bundespflegesatzverordnung.
Diese Bestimmungen finden im vorliegenden Rechtsstreit Anwendung, da auf den Behandlungsbeginn am 18.4.2002 abzustellen ist und das Krankenhausentgeltgesetz vom 23.4.2002 (BGBl. S 1412, 1422) nach Art. 7 Fallpauschalengesetz mit Wirkung vom 30.4.2002 in Kraft getreten ist. Weiter ist sie Plankrankenhaus des Freistaates Bayern, da sie unter der Kennziffer 18808 in der Fachrichtung Neurologie mit 100 geförderten Betten in den Krankenhausbedarfsplan des Freistaates Bayern aufgenommen ist. Die Klinik der Klägerin ist damit zugelassenes Krankenhaus im Sinne von § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V -. Allein streitgegenständlich im vorliegenden Rechtsstreit ist die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung des Herrn N. bis einschließlich 09.05.2003. Der Zahlungsanspruch der Klägerin korrespondiert mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung (so auch BSG Urteil vom 22.7.2004, Az.: B 3 KR 21/03 R). Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat Herr N. als Versicherter bei der Beklagten Anspruch auf vollstationäre Behandlung in der zugelassenen Klinik der Klägerin, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist und das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erbracht werden kann. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfaßt die Krankenhausbehandlung der Klägerin u.a. auch die Versorgung des Herrn N. mit Arznei, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung. Zur Frage der medizinischen Notwendigkeit im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dr. P. ist Neurologe und damit von der Fachrichtung her geeignet, über die neurologische Behandlung des Klägers in der neurologischen Klinik in Kempfenhausen eine gutachtliche Äußerung abzugeben. Der Sachverständige hat sich mit medizinischen Argumenten der Beklagten, vorgetragen vor allem durch drei Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes intensiv und ausführlich auseinandergesetzt. Die Feststellungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Dr. P. kommt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall Herr N. nicht mit ambulanten Behandlungsmöglichkeiten versorgt werden kann. Multiple Sklerose ist eine gravierende Krankheit, die die Lebensqualität auf Dauer zu beeinträchtigen geeignet ist. Multiple Sklerose ist ein schwer zu behandelndes Krankheitsbild. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Klinik der Klägerin Herrn N. stationär aufgenommen hat, um das mit erheblichen Nebenwirkungen behaftete Medikament Mitoxantron zu verabreichen. Der Sachverständige führt überzeugend aus, dass in Anbetracht der möglichen erheblichen Nebenwirkungen eine akut stationäre Behandlung von Herrn N. notwendig ist. Die jederzeitige Intervention einer stationären Einrichtung ist allein in der Lage, Nebenwirkungen bis hin zu einer akuten Gefahr für Leib oder Leben von Herrn N. zu vermeiden. Da nach § 137 c SGB V kein Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für ein Verbot der Behandlungsmethode im stationären Bereich vorliegt, ist die Behandlung durch die Klägerin statthaft. Auch die am Wirtschaftlichkeitsgebot orientierten Hinweise der Beklagten auf eine mögliche ambulante Behandlung greifen nicht durch. Zum einen hat der Sachverständige festgestellt, dass entsprechende onkologische Praxen im Großraum München nicht bekannt seien, die entsprechende Vorkehrungen zur Absicherung der Gabe von Mitoxantron geben können. Zum anderen ist die im letzten Gutachten des MDK durch Dr. B. vom 29.01.2004 angeführte Praxis in E. für den J. N. keine Behandlungsalternative im ambulanten Sinne. E. liegt in Lande Brandenburg und somit nicht für ambulante Behandlungen seitens Herrn N. zumutbar zu erreichen. Somit ist nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen eine, wie vom Klägerbevollmächtigten ausdrücklich festgestellt, vertretbare Entscheidung des Krankenhausarztes zur Aufnahme von Herrn N. in die Klinik der Klägerin nachgewiesen (BSG Urteile vom 28.5.2003, Az.: B 3 KR 10/02 R und vom 13.12.2001, B 3 KR 31/01 R). Nachdem der Restbetrag der gesamten Krankenhauskosten eingeklagt wurde, war die Beklagte, obwohl sie mit Schriftsatz im Verwaltungsverfahren vom 04.02.2003 die Rückzahlung von Euro 3.158,13 von der Klägerin verlangt hat, antragsgemäß zur Zahlung zu verurteilen. Eine Widerklage wurde nicht wirksam erhoben. Der Zinsanspruch ist aufgrund von §§ 21 und 22 der fortgeltenden Bestimmungen des Vertrages Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung begründet. Die Rechnung ist mit der betragsmäßigen Forderung am 20.06.2002 erstellt worden, der Beklagten zugegangen und 14 Tage nach Zugang fällig geworden. Der von der klägerischen Seite ab 05.07.2002 geltend gemachte Zinslauf ist von der Beklagten nicht bestritten worden. Der Zinsanspruch besteht deshalb in der geltend gemachten Höhe zu Recht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).