Sozialgericht Rostock S 15 KR 127/07
Sozialgericht Rostock
S 15 KR 127/07
Verkündet am 28.07.2010
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
hat die 15. Kammer des Sozialgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 28.07.2010 durch die Richtern am Sozialgericht Dr. Crellwitz – Vorsitzende – und die ehrenamtlichen Richter Monika Stieler und Gisela Lange
Für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 1.258,97 € L nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.052006 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Klage zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen.
Am 18.01.2006 wurde der Patient der bei der Beklagten krankenversichert ist, an das Krankenhaus der Klägerin überwiesen. Dort wurde eine unstillbare Blutung aus der linken Nase bei einem Quick-Wert von 10 % festgestellt. Als Erstmaßnahme wurde eine Elektrokoagulation (Verödung von Blutgefäßen) durchgeführt. Des weiteren wurde eine Tamponade links eingeführt. Darüber hinaus war bekannt, dass hier eine Falithrom-Medikation wegen einer bekannten Herzrhythmusstörung durchgeführt wird. Diese wurde auf Veranlassung der Klägerin pausiert und Konakion gegeben. Der Patient befand sich in vollstationärer Beobachtung bei der Klägerin im Zeitraum vom 18.01. bis 21.01.2006.
Mit Rechnung vom 25.01.2006 machte die Klägerin bei der Beklagten die entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 2.152,02 € geltend. Hierbei wurde abgerechnet die Kodierung Q6OA-Erkrankung des retikiloendorthelialen Systems, des Immunsystems und Gerinnungsstörung mit komplexer Diagnose oder CC. Nicht enthalten ist ebenfalls der Einbehalt für die Anschubfinanzierung nach § 140 d in Höhe von 2,35 €. Die Beklagte hatte die Forderung zunächst vollständig ausgeglichen. Am 03.05.2006 verrechnete die Beklagte den Teilbetrag von 1.258,97 €, der mit der Klage weiter geltend gemacht wird. Diese Verrechnung erfolgte aufgrund des Gutachtens des MDK vom 06.03.2006, wonach vorliegend als Hauptdiagnose das Nasenbluten zu kodieren sei, da dies zur stationären Aufnahme führte und unter den stationären Bedingungen behandelt wurde.
Hiergegen erhebt die Klägerin am 01.08.2006 Widerspruch. Das Symptom sei nach den Deutschen Kodierrichtlinien nur, dann als Hauptdiagnose zu definieren, wenn ausschließlich das Symptom behandelt wird. Im Falle des Patienten Krügel sei jedoch zusätzlich die Gabe von Konakion und ein Pausieren der Falithrom-Medikation erfolgt.
Der MDK verweist daraufhin in seinem Gutachten vom 21.09.2006 auf die Kodierempfehlung Nr. 23 der SEG IV des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, wonach soweit während einer Dauertherapie mit Antikoagulanzien eine Blutung auftrete, die Art der Blutung und zusätzlich die D68.3 zu kodieren sei. Der MDK bleibt trotz erneuten Widerspruchs mit seinem Gutachten vom 18.06.07 bei dieser Einschätzung.
Am 10.10.2007 erhebt die Klägerin Klage. Es wird erneut darauf hingewiesen, dass nach der deutschen Kodierrichtlinie ein Symptom nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln sei, wenn ausschließlich das Symptom behandelt worden sei. Im Fall der Patientin sei jedoch durch eine pausierende Falithrommedikation auch eine Behandlung der hämorrhagischen Diathese erfolgt, so dass die Kodierung vorliegend ordnungsgemäß erfolgt sei. Nach den Kodierrichtlinien sei zudem in Fällen, in denen zwei oder mehrere Diagnosen im Bezug zur Aufnahme, Untersuchungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und die ICD-10-Verzeichnisse. und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, vom behandelnden Arzt zu entscheiden ist, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnosendefinition entspreche. Die vom MDK zitierte SEG-Empfehlung sei nur eine interne Richtlinie, die keine Außenwirkung erziele.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 618,84 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.06.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf das ausführliche Gutachten des MDK vom 04.04.2008. Darin wird ausgeführt, dass die Ursachen für das Nasenbluten vielfältig sein können, wie etwa Entzündung der Nasenschleimhäute, Verletzungen der Nasenschleimhäute, systematische Faktoren, Tumorbildung oder nicht zu klärende Ursachen. Die hämorrhagische Diathese trete nach geringen Traumen auf, sei ungewöhnlich stark und lang. Sie selbst sei ebenfalls lediglich ein Symptom. Unter der Einnahme von Antikoagulanzien wie zum Beispiel Falithrom komme es häufig zu Blutungen wie Mikrohämaturie und Zahnfleischbluten, gelegentlich Hämatome nach Verletzungen, Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt sowie Nasenblutungen. Die Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien oder auch hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien werde mit dem ICD-Code D 68.3 abgebildet. Das Nasenbluten könne daher in Verbindung mit Antikoagulanzien auftreten, sei aber nicht zwangsläufig ein Symptom für die hämorrhagische Diathese unter Antikoagulantien. Vorliegend sei davon auszugehen, dass ein unstillbares Nasenbluten unter laufenden Antikoagulanzientherapie Aufnahmeanlass gewesen sei. Das unstillbare Nasenbluten habe dabei den hauptsächlichen Anlass für die stationäre Aufnahme gegeben. Es sei entsprechend eine Behandlung in der HNO-Abteilung erfolgt. Die Behandlung des Nasenblutens habe im Vordergrund gestanden. Die weitere Behandlung bezüglich der Blutungsneigung habe jedoch das therapeutische Regime bei der Behandlung des Nasenblutens beeinflusst (Pausieren der Falithromgabe, Gabe von Vitamin K, Kontrolle der Gerinnungsparameter), so dass es als Nebendiagnose zu kodieren sei. Entsprechend der Expertengruppe „Vergütung und Abrechnung” der Medizinischen Dienste der Krankenkasse sei in der Kodierempfehlung Nr. 23 festgehalten worden, dass in diesem Fall die Blutung als Hauptdiagnose und die hämorrhagische Diathese als Nebendiagnose zu kodieren sei. Als Grouping ergebe sich daher die DRG 62Z.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Leistungsklage ist zulässig und begründet.
Die Klage eines KH-Trägers wie der Klägerin auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse (KK) wie die Beklagte ist ein sog. Beteiligtenstreit im Gleichordnunsverhältis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein, Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl BSGE 90, 1 f SozR 3-2500 § 112 Nr 3; Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 10.4.2008 – B 3 KR 19/05 R – BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, jeweils RdNr 10; BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – SozR 4-2500 § 109 Nr 13 RdNr 9 mwN). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert (vgl zur Notwendigkeit BSGE 83, 254, 263 — SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2).
Die Beklagte hat an die Klägerin weitere 1.258,97 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Der Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) und der Anlage I Teil A KFPV 2007 sowie der am 01.07.2004 in Kraft getretene Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Mecklenburg-Vorpommern i.V.m. § 39 Abs. 1 SGB V.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Vergütung der erbrachten Krankenhausleistungen in Höhe von insgesamt 2.149,67 € auf der Grundlage der Fallpauschale G-DRG Q6OA.
Die von der Beklagten anerkannte Fallpauschale G-DRG L62Z beruht auf der unzutreffenden Kodierung der Epistaxis R04.0 als Hauptdiagnose.
Gemäß § 7 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1-8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Vorliegend erfolgt eine Abrechnung von Pauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog nach § 7 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Krankenhausentgeltgesetz. Um eine entsprechende gesetzlich vorgegebene leistungsgerechte Vergütung der Krankenkasse zu gewährleisten ist es unerlässlich, das vergleichbare Krankenhausfälle nach dem selben DRG zugeordnet werden. Zur sachgerechten Durchführung dieser Kodierung, dass heißt der Anwendung der Klassifikationen und der Festlegung von Diagnosen als Haupt- oder Nebendiagnosen haben die Vertragspartner auf Bundesebene Kodierrichtlinien beschlossen. Nach der deutschen Kodierrichtlinie (DKR) wird die Hauptdiagnose definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wird, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten war. Der Begriff „nach Analyse“ bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. Die nach der Analyse festgestellte Hauptdiagnose muss nicht der Aufnahmediagnose oder der Einweisungsdiagnose entsprechen. Soweit sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrundeliegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrundeliegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Wenn sich ein Patient mit einen Symptom vorstellt und die zugrundeliegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist, jedoch nur das Symptom behandelt wird, ist das Symptom als Hauptdiagnose und die zugrundeliegende Krankheit als Nebendiagnose zu verschlüsseln.
Die intern erarbeiteten Arbeitsempfehlungen des MDK sind nicht maßgebend.
Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass sowohl die Epistaxis durch die Elektrokoagulation sowie die Tamponade behandelt wurde und darüber hinaus auch die hämorrhagische Diathese durch Aussetzen der Falithrom-Medikation, Gabe von Konakion und der Kontrolle der Blutungsgerinnung und Zurückführung in den Normalbereich.
Dass eine Blutung unter laufenden Antikoagulationen auftritt, genügt nach der Systematik des ICD-10-GM um davon auszugehen, dass es sich dabei um Symptome handelt, die mit ziemlicher Sicherheit auf die bestimmte Diagnose hindeuten und deshalb unter den entsprechenden Kategorien ¡n den Kapiteln I – XVII ICD-10-GM aufgeführt sind. Denn der Diagnoseschlüssel D68.3 ist durch konkrete Diagnose und Leitsymptome definiert unter anderem „Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien”, die hier unstreitig vorliegt.
Nach Ansicht der Kammer steht hier der Kodierung der hämorrhagischen Diathese nicht entgegen, dass diese nicht Ursache und hinreichende Voraussetzung für das Auftreten der Blutung sei, da zu den Gerinnungswerten noch eine eigentliche Blutungsursache, wie etwa eine Verletzung oder Polypen hinzukommen müsse, damit sich die Blutung entwickele (vgl. SG Schwerin vom 28.10.2009 S 8 KR 105/07). Die Tatsache, dass ein (möglicherweise sehr kleines Ereignis, wie etwa eine trockene Nasenscheidewand oder ein heftiges Niesen) dazu treten muss, um die aktuelle Blutung auszulösen, kann nach Auffassung der Kammer nicht der Einordnung der Blutungsneigung als Ursache der sodann auftretenden unstillbaren Blutung entgegenstehen. Dies kommt insbesondere auch durch das Wort „bei” im Rahmen der Benennung der Kodierung Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien zum Ausdruck. Die Antikoagulanzien selbst verletzen das Gewebe nicht, lediglich die Blutgerinnung wird hierdurch gehemmt, so dass die Blutungsneigung, wollte man dieser Auffassung folgen, selbst nie alleine Sache der Blutung sein kann, sondern für die Entstehung und Ausführung der Blutung nur ein wesentlicher Umstand im Sinne einer Mitursache darstellt. Der Hinweis des MDK darauf, dass Nasenbluten vielerlei Ursachen haben kann, steht dem ebenfalls nicht entgegen. Eine andere konkrete Ursache wurde hier nicht festgestellt und ist von keiner Partei vorgetragen. Entsprechend erfolgte die weitere Behandlung auch nur bezüglich der Falithromtherapie und deren Neueinstellung.
Darüber hinaus ist die Kodierung jeweils so spezifisch wie möglich zu wählen. Die Blutung, welche den symptomatischen Anlass für die Krankenhausbehandlung gegeben hat, wird jedoch nur durch Kodierung hämorrhagische Diathese spezifisch abgebildet, nicht dagegen durch die bloße Epistaxis, die bereits am Aufnahmetag im wesentlichen durch die Verödung und die Einführung der Tamponade beendet war. Entsprechend ist daher nach der Auffassung der Kammer auch in dem Fall, dass die hämorrhagische Diathese vorliegend ebenfalls nur ein Symptom und nicht eine zugrundeliegende Krankheit darstellten würde, wie dies der MDK vorträgt, die Blutungsneigung zu kodieren, da sie des spezifischere und für die Aufnahme wesentlichere Symptom darstellt.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 17 des Landesvertrages zu § 112 Abs. 1 Abs. 2 Salz 1 Nr. 1 SGB V.
Der Klage war daher insgesamt stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 nicht zulässig, wird jedoch gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 aufgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.