Sozialgericht Würzburg S 4 KR 486/06

Sozialgericht Würzburg

Urteil vom 24.03.2009 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Würzburg S 4 KR 486/06

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Versorgung mit dem Präparat DHEA (Dehydroxyepiandrostendion) bzw. einen Anspruch auf Ersatz für die Kosten einer Selbstbeschaffung in der Vergangenheit hat.

Die 1947 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei der Klägerin liegen seit 1986 ein Zustand nach Operation eines Morbus Cushing und eine komplette Hypophysenvorderlappeninsuffizienz vor, die ständige Hormonsubstitution und eine endokrinologische Behandlung erforderlich macht.

Im Verlauf des Jahres 2005 hat die Klägerin bei der Beklagten offensichtlich die Kostenübernahme für eine Behandlung mit einem DHEA-Präparat beantragt. Die Beklagte hat daraufhin durch Frau Dr. P. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt. Nach deren Feststellungen vom 12.08.2005 liegt bei der Klägerin eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung vor, die noch nicht als austherapiert anzusehen sei und für die alternative Behandlungen – wie bisher – möglich seien. Hinsichtlich des DHEA-Präparates würden die meisten klinischen Daten aus un-kontrollierten Beobachtungsstudien stammen und die medikamentöse Behandlung sei nicht als medizinischer Standard anzusehen. Ein regulär zugelassenes DHEA-Präparat zur oralen Anwendung existiere derzeit in Deutschland nicht. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.08.2005 eine Kostenübernahme ab.

Mit Schreiben vom 25.10.2005 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und teilte mit, dass sich aufgrund der Ablehnung des Medikamentes DHEA ihr Allgemeinzustand erheblich verschlechtert habe. Die Beklagte erblickte darin einen neuen Antrag und lehnte mit Bescheid vom 23.11.2005, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, (erneut) die Kostenübernahme ab: Es handele sich bei DHEA um ein Nahrungsergänzungsmittel, das nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden könne.

Die Klägerin legte durch ihre Bevollmächtigte mit Schreiben vom 07.12.2005 hiergegen Widerspruch ein und trug vor, dass sie bereits seit Jahren an einer Studie zur Erprobung und zum wissenschaftlichen Nachweis der Substitution mit DHEA teilgenommen habe und hierbei festgestellt worden sei, dass dieses Medikament bei ihr eingesetzt werden müsse. Verwiesen wurde auf die Bescheinigung des Prof. Dr. A. von der Universitätsklinik W. vom 19.10.2005. In dieser Bescheinigung wird ausgeführt, dass die Substitution mit DHEA bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz sehr günstige Effekte habe und zu weniger Ängstlichkeit, weniger Depressivität und weniger Müdigkeit führe. Für die Therapie der Nebennierenrindeninsuffizienz sei von der EMEA der Orphan-Drug-Status akzeptiert worden. Die weitere Übernahme der Behandlungskosten mit DHEA sei medizinisch in jedem Falle gerechtfertigt und sinnvoll.

Die Beklagte holte daraufhin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten ein. In seinem Gutachten vom 28.12.2005 führte Herr Privatdozent Dr. D. aus, dass die bisher vorliegenden Daten bezüglich DHEA aus unkontrollierten Studien stammen würden und nicht den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin genügen würden. In Deutschland sei DHEA aufgrund seiner hormonellen Wirkungen als zulassungs- und verschreibungspflichtiges Hormon anzusehen, für das bisher keine Zulassung existiere. DHEA sei deshalb in Deutschland nicht verkehrsfähig. Der erwähnte Orphan-Drug-Status würde bedeuten, dass gerade erst klinische Studien angedacht seien und die Substanz hierfür zugelassen sei. DHEA sei nicht als Arzneimittel einzustufen und eine Verordnung in der vertragsärztlichen Versorgung könne aus sozialmedizinischer Sicht nicht befürwortet werden. Eine Hypophysenvorder-lappeninsuffizienz sei geeignet, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig zu beeinträchtigen, jedoch könnten relevante Hormone auch einzeln substituiert werden, was gemäß der Angaben der Arztbriefe bereits erfolge. Die beantragte Behandlung sei nicht als medizinischer Standard anzusehen und DHEA sei bisher weltweit nicht als Arzneimittel zugelassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Das Bundessozialgericht verneine die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels, dem die erforderliche deutsche oder eine EU-weite Zulassung fehle. Bei DHEA handele es sich um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel, für das eine solche Zulassung nicht vorliege. Dies sei auch durch ein Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.05.2004 (Az.: S 7 KR 413/01) so bestätigt worden.

Mit einem auf den 31.03.2006 datierten Schreiben erhoben die Bevollmächtigten der Klägerin am 03.04.2006 per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg. Sie machten geltend, dass nach dem Absetzen von DHEA mit einer Verschlechterung des Befindens und der Leistungsfähigkeit der Klägerin zu rechnen sei, wie sich aus dem zeitweiligen Absetzen in der Vergangenheit ergeben habe. Zu verweisen sei auch auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 1 BvR 347/98), aus dem die Verpflichtung der Kranken-versicherungsträger zu medizinischen Leistungen über den Gesetzeswortlaut hinaus zu ersehen sei. In einem Erörterungstermin vom 08.04.2008 trug die Klägerin vor, in dem Zeitraum der Absetzung von DHEA sei ihrer Kenntnis nach eine Ersatztherapie mit anderen Substitutionsstoffen nicht erfolgt, weil bereits in der Vergangenheit ausgetestet worden sei, dass andere Therapien bei ihr nicht wirksam gewesen seien. Die monatlichen Kosten für die DHEA-Kapseln würden sich auf ca. 30 Euro belaufen. Derzeit erhalte sie Privatrezepte ausgestellt, die in der Apotheke eingelöst würden.

Auf Nachfrage des Gerichts teilte der behandelnde Allgemeinarzt Dr. K. mit Schreiben vom 20.04.2008 mit, dass er nach seinen Aufzeichnungen der Klägerin das Präparat DHEA zu keinem Zeitpunkt auf Kassenrezept verordnet habe. Er halte sich bei der Weiterverordnung der Medikamente an die Vorgaben der Universitätsklinik W. und sehe die Verordnung des Medikamentes als medizinisch erforderlich an, wenn dies die Fachabteilung dort so vorschreibe.

Die Endokrinologische Ambulanz des Universitätsklinikums W. teilte dem Gericht auf Anfrage mit Schreiben vom 29.07.2008 mit, dass die DHEA-Substitution im Jahr 2005 unterbrochen gewesen sei, der genaue Zeitraum der Unterbrechung jedoch nicht mehr nachvollziehbar sei. Die Therapie sei wieder aufgenommen worden, weil es nach Anga-ben der Klägerin zu depressiver Verstimmung und Antriebsarmut gekommen sei. Eine alternative Therapie sei nicht durchgeführt worden, da eine Alternative zur Gabe von DHEA zur Beeinflussung eines DHEA-Mangels nicht bekannt sei. Auch sei der Einsatz von DHEA als wirtschaftlich anzusehen, da hierdurch ein verringerter Einsatz von Wachstumshormonen erfolge, was im Vergleich mit den zusätzlichen Kosten für DHEA sogar insgesamt günstiger kommen dürfe.

Das Gericht holte im Folgenden ein Aktenlagegutachten bei der Chefärztin der Endokrinologischen Abteilung des Klinikums B. Frau Prof. Dr. S. ein. Diese führte in ihrem Gutachten vom 17.11.2008 aus, bei der Klägerin sei in der Vergangenheit ein gutartiger Tumor der Hirnanhangsdrüse operativ entfernt worden, wobei es im Gefolge zu einer kompletten Insuffizienz des Hypophysenvorderlappens gekommen sei. Hierdurch würden keine übergeordneten Steuerungshormone mehr produziert und es komme zu Schilddrüseninsuffizienz, Nebennierenrindeninsuffizienz, Gonadeninsuffizienz und zum Wachstumshormonmangel. DHEA (Dehydroxyepiandrostendion) werde im weiblichen Körper gebildet, wobei zumindest indirekt 80% der DHEA-Produktion auf die Nebennieren entfallen würden. Da eine einheitliche Definition des Androgen-Mangel-Syndroms bisher nicht existiere und auch das Zusammenspiel der Hormone im Stoffwechsel der Frau noch nicht vollständig verstanden sei, werde eine Therapie mit den Hormonen DHEA und DHEA-S bisher noch nicht routinemäßig durchgeführt. Die derzeitige Studienlage spreche dafür, dass eine Therapie mit DHEA vor allem bei Frauen mit primärer Nebennierenrindeninsuffizienz überwiegend von Nutzen sei. In einigen Studien mit allerdings nur kurzer Dauer seien auch positive Affekte einer Substitutionstherapie mit DHEA bei Patientinnen mit sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz auf das allgemeine Wohlbefinden, die Stimmung, den Antrieb sowie das sexuelle Interesse gezeigt worden. Insgesamt könne gesagt werden, dass aufgrund der vorliegenden Studienlage die Substitutionstherapie mit DHEA bei primärer, eventuell auch bei sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz und klinischen Zeichen des Androgenmangels empfehlenswert sei. Allerdings werde DHEA derzeit nicht routinemäßig im klinischen Alltag verwendet, auch da es in Deutschland bisher kein zur Pharmakotherapie zugelassenes DHEA-Präparat gebe. Es müssten Medikamente über internationale Apotheken aus dem Ausland bestellt werden. Bei der Klägerin bestehe eine Substitutionstherapie mit weiblichen Geschlechtshormonen ebenso wie eine Therapie mit DHEA, weswegen den Akten lediglich normale Werte bezüglich dieser Hormone zu entnehmen seien. Die festgestellten Symptome der Antriebs-schwäche, Müdigkeit und depressiven Symptomatik seien wohl nicht allein im Androgenmangel bedingt, da ein Persistieren dieser Symptome trotz DHEA-Substitution und einem mindestens im Normbereich liegenden DHEA-Spiegel zu beobachten sei. Aus rein medizinischer Sicht sei – unabhängig vom derzeitigen Medikamentenstatus des verwendeten DHEA-Präparates – die DHEA-Substitution im Fall der Klägerin als erfolgreich anzusehen. Die Klägerin scheine darüber hinaus bezüglich ihrer Antriebsschwäche, Müdigkeit und depressiven Symptomatik von der DHEA-Substitution zu profitieren. In der Zusammenschau aller Befunde nach Aktenlage und dem derzeitigen Stand der Forschung sei eine Therapie mit DHEA bei der Klägerin höchstwahrscheinlich geeignet und erforderlich, da durch eine Hormonersatztherapie direkt mit den Androgenen lediglich ein Teil der Funktion von DHEA bzw. DHEA-S ersetzt werden könne. Allerdings seien hierzu noch keine Therapierichtlinien vorhanden. Es gebe derzeit, falls man sich zur Substitution mit DHEA entscheide, keine alternative Therapie mit gleichwertiger Wirkung. Die Substitutionsbehandlung müsse lebenslang erfolgen. Eine erneute Therapieevaluation sei immer dann zu treffen, wenn es neue Forschungsergebnisse hinsichtlich der Therapie mit DHEA gebe.

Die Beklagte führte nach Vorlage des Gutachtens aus, dass es grundsätzlich nur eine Leistungspflicht für zugelassene Arzneimittel im Indikationsbereich gebe. Eine ausnahmsweise Leistungspflicht könne nur in sogenannten Off-label-use-Fällen, in Fällen mit singulären Erkrankungen sowie in den Fällen, in denen eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) angezeigt sei, in Betracht kommen. Eine verfassungskonforme Auslegung sei jedoch nur gerechtfertigt, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommende Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei. Es müsse nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf inner-halb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde.

Die Klägerseite sah es durch das Gutachten als belegt an, dass eine hormonelle Substitutionstherapie lebenslang erfolgen müsse und eine zur DHEA-Therapie alternative Therapie mit gleichwertiger Wirkung derzeit nicht bestehen würde. Bei der Klägerin liege auch eine lebensbedrohliche Erkrankung vor, da die Nebennierenrindeninsuffizienz zu einer Kreislaufinsuffizienz oder Hyperglykämie führen könne.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid vom 23.11.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 16.03.2006 werden aufgehoben.
2. Die Kosten für eine DHEA-Behandlung werden durch die Beklagte übernommen.
3. Der Klägerin werden die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten und Auslagen erstattet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zustän-digen Sozialgericht erhoben (§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten Leistung und Übernahme der bereits für die Vergangenheit verauslagten Kosten.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten allgemein einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wozu auch die Versorgung mit Arzneimitteln gehört (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Die Leistungen werden gemäß § 2 Abs. 2 SGB V regelmäßig als Sach- oder Dienstleistungen erbracht; auch die Versorgung mit Heilmitteln gehört zur vertragsärztlichen Versorgung, auf die ein Anspruch besteht (§ 27 i.V.m. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V).

Hierfür ist regelmäßig das Vorliegen einer Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch einen zugelassenen Vertragsarzt erforderlich. Das Gericht folgt jedoch nicht der Auffassung in der Entscheidung des 4. Senats des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 16.04.2003 (L 4 KR 32/00) wonach eine Kostenübernahme für eine Behandlung mit einem DHEA-Präparat bereits daran scheitere, dass für die Verordnung nur privatärztliche Rezepte ausgestellt worden seien. Eine derartige privat-ärztliche Verordnung wird seitens des Gerichtes dann für ausreichend angesehen, wenn dem Arzt bekannt ist, dass zuvor seitens der gesetzlichen Krankenversicherung eine Leistungsübernahme abgelehnt wurde. Im Verhältnis gegenüber dem Arzt hat der Versicherte nämlich keine andere Möglichkeit die Leistung zu erlangen als durch eine privatärztliche Verordnung, da es praktisch nicht vorkommen wird, dass sich ein Arzt finden wird, der be-reit wäre, in einem derartigen Fall das gegebenenfalls durch mehrere Instanzen bestehende Kostenrisiko als eigenes finanzielles Risiko für den Patienten zu übernehmen. Bei Ausstellen einer vertragsärztlichen Verordnung würde nämlich bei einer zu Recht erfolgten Ablehnung der gesetzlichen Krankenversicherung der verordnende Arzt der Kasse die Zahlungen an die Apotheke zu erstatten haben (zum Regress vgl. z.B. BSG, Urt. v. 05.11.08, B 6 KA 63/07 R).

Es ist zwar denkbar, dass der Versicherte in derartigen Fällen die vorübergehende Versorgung durch die Anrufung von Gerichten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anstrebt; er würde aber, falls hier eine Vorfinanzierungsmöglichkeit bestehen würde, im Hinblick auf diese Vorfinanzierungsmöglichkeit darauf verwiesen werden, sich das Medikament selbst beschaffen zu können, was letztlich ebenso die Inanspruchnahme einer privatärztlichen Verordnung mit sich bringen würde.

Insofern scheint es aus Sicht des Gerichtes unangemessen, in derartigen Fällen eine privatärztliche Verordnung nicht als ausreichend anzusehen. Hier stellt sich in den Vordergrund der in § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V enthaltene Gedanke, dass nach einer zu Unrecht erfolgten Ablehnung durch die Krankenversicherung eine Kostenübernahme für selbstbeschaffte Leistungen zulässig ist.

Im Übrigen würde dieses Argument nur den Zeitraum für die Vergangenheit betreffen, da für den in die Zukunft gerichteten Verpflichtungsantrag eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bei einer entsprechend rechtsverbindlich festgestellten Verpflichtung der Beklagten ohne weiteres erfolgen würde.

Aus Sicht des Gerichtes ist es auch unerheblich, dass die Ablehnung der Beklagten erst nach dem Beginn der Behandlung mit DHEA erfolgt ist. Zwar ließ es sich nicht eindeutig aufklären, ob in der Vergangenheit, d. h. vor dem Jahr 2005 das DHEA-Präparat auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung gestellt worden war. Der behandelnde Hausarzt hat das Ausstellen einer diesbezüglichen Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für sich generell für die Vergangenheit ausge-schlossen.

Gleichwohl ist aus Sicht des Gerichtes ab dem Zeitpunkt des ablehnenden Bescheides vom 23.11.2005 eine Kostenübernahme nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht an formalen Grün-den gehindert. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei der Behandlung mit dem DHEA-Präparat nicht um eine fortlaufende Behandlung handeln würde, die dadurch von der Erstattung ausgeschlossen wäre, dass sie bereits vor der streitgegenständlichen Ablehnung der Behandlung durch die Beklagte begonnen worden wäre. Vielmehr ist hier von einzelnen Verordnungsabschnitten auszugehen, die eigenständig beurteilt werden könnten. Die Maßnahme könnte jederzeit unterbrochen oder umgestellt werden, ohne dass weitergehende Wirkungen davon ausgehen würden, als wenn die Behandlung überhaupt nicht durchgeführt würde bzw. worden wäre. Zudem ist das Vorliegen von privatärztlichen Verordnungen von Beginn des hier streitgegenständlichen Vorgangs an aus Sicht des Gerichtes schon deshalb unschädlich, weil eine schriftliche Ablehnung der Übernahme der Kosten für eine DHEA-Behandlung durch der Beklagten bereits zuvor schon einmal im August 2005 erfolgt war.

Das Gericht folgt auch nicht der in dem Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.05.2004 (S 7 KR 413/01) vertretenen Auffassung, wonach eine Kostenübernahme für eine Behandlung mit einem oralen DHEA-Präparat daran scheitern würde, dass für dieses Präparat keine entsprechende Arzneimittelzulassung bestehe. Dort wurde ausgeführt, dass das Krankenversicherungsrecht zwar einen eigenen Begriff des Arzneimittels kenne und nicht unmittelbar den des Arzneimittelgesetzes (AMG) verwende. Aber solange ein nach dem Arzneimittelgesetz zulassungspflichtiges Arzneimittel noch nicht zugelassen sei, dürfe es in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden, wie schon das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 23.07.1998 (SozR 3-2500 § 31 Nr. 5) fest-gestellt habe. Die fehlende Zulassung sei auch nicht dadurch zu ersetzen, dass über den Hormonersatz von DHEA bereits klinische Studien vorliegen würden. Wegen der fehlen-den Zulassung scheitere ein Sachleistungsanspruch und damit auch der davon abgeleite-te Kostenübernahmeanspruch nach § 13 SGB V.

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass dieses Urteil vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 (1 BVR 347/98) ergangen ist. Inhaltlich ist für das erkennende Gericht zwar festzustellen, dass eine Behandlung mit einem DHEA-Präparat in der vertragsärztlichen Versorgung nicht vorgesehen ist. Ein genereller Einsatz eines oralen DHEA-Medikamentes scheint für das Gericht jedoch nicht ausgeschlossen, wenn die Versorgung auf dem Wege eines privatärztlichen Rezeptes in Deutschland legal möglich ist. Für derartige Verordnungen wird sogar im Rahmen der sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) seitens der Kassenärzte geworben. Unabhängig davon, ob es sich bei einem DHEA-Präparat um ein nicht zulassungspflichtiges Nahrungsergänzungs-mittel – und damit praktisch um ein OTC-Produkt – handelt oder ob wegen der Hormonbeteiligung eine Einordnung als Arzneimittel in Deutschland zu erfolgen hat, wird offensichtlich die Beschaffung und Abgabe dieser Präparate im medizinischen Sektor in Deutsch-land toleriert. Aufgrund der geschilderten Vorgehensweisen ist es offensichtlich, dass es sich nicht nur um im Einzelfall praktizierte illegale Importe von Privatpersonen aus dem Ausland – beispielsweise im Wege des Internetversandhandels – handeln kann.

Eine Verordnung eines oralen DHEA-Präparates im Fall der Klägerin zum Ausgleich des bei der Klägerin bestehenden Hormonmangels kann allerdings somit nicht im Rahmen des sogenannten “Off-label-use” erfolgen, da für orale DHEA-Präparate überhaupt kein bestimmungsgemäßer Gebrauch im Rahmen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in Deutschland oder Europa vorliegt.

In Betracht kommen könnte daher eine Kostenübernahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann, wenn bei der Klägerin eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und der Einsatz dieses Präparates für die Behandlung erforderlich erscheint. Die Erforderlichkeit bezieht sich aus Sicht des Gerichtes hierbei jedoch darauf, dass ein solches für die vertragsärztliche Versorgung nicht zugelassenes Präparat nicht nur im Rahmen der beobachteten Situation die beste gesundheitliche Ausgestaltung zu bieten scheint (Langzeiteffekte sind bei einer solchen Betrachtung naturgemäß nicht erfassbar), sondern nur darauf, ob es Behandlungsalternativen in der vertragsärztlichen Versorgung gibt, die eine lebensbedrohliche Erkrankung so ausreichend behandeln, dass ein schweres Gesundheitsrisiko ausgeschlossen wird.

Aus den Darlegungen der gerichtsärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. Schumm-Draeger ergibt sich für das Gericht, dass bei der Klägerin neben dem Einsatz eines DHEA-Präparates ohnehin Hormongaben und eine ergänzende verlaufsbezogene antidepressive Medikation erforderlich erscheinen. Im Rahmen dieser Behandlung ist auch ein weitest-gehendes Vermeiden von lebensbedrohlichen Zuständen sichergestellt. Die Nutzung des oralen DHEA-Präparates führt nach den gutachterlichen Darlegungen insbesondere in Fällen einer sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz noch zu weitgehend ungesicherten Ergebnissen, die nur auf einigen Studien kurzer Dauer beruhen. Die positiven Wirkungen würden das allgemeine Wohlbefinden, die Stimmung, den Antrieb und das sexuelle Interesse betreffen. Auch im Fall der Klägerin wurde der Wiedereinsatz eines DHEA-Präparates im Wesentlichen im Hinblick auf Antriebsschwäche und depressive Symptomatik vorgenommen.

Für das Gericht ergibt sich somit nicht, dass trotz Therapie im Rahmen einer zugelassenen Medikation bei der Klägerin ein lebensbedrohlicher Zustand fortbestehen würde, der nur durch die Anwendung eines oralen DHEA-Präparates verhindert oder in seiner Wahrscheinlichkeit wesentlich gesenkt werden könnte. Dementsprechend sah das Gericht kei-ne Verpflichtung der Beklagten außerhalb der üblichen vertragsärztlichen Versorgung der Klägerin ein orales DHEA-Präparat zu Verfügung stellen zu müssen bzw. die Kosten dafür tragen zu müssen.

Dementsprechend waren die angefochtenen Bescheide der Beklagten im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Klage war abzuweisen.

Aus der Klageabweisung ergibt sich die Kostenfolge (§ 193 SGG).