Thüringer Landessozialgericht L 6 KR 253/04
Thüringer Landessozialgericht
Urteil vom 21.04.2009 (nicht rechtskräftig)
- Sozialgericht Meiningen S 4 KR 283/02
- Thüringer Landessozialgericht L 6 KR 253/04
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 16. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme durch die Beklagte für weitere Behandlungen mit Immunglobulinen streitig.
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet an einer ausgeprägten Schmerzkrankheit mit rechtsseitigem atypischen Gesichtsschmerz. Verschiedene durchgeführte Behandlungen, unter anderem Rehabilitationsmaßnahmen in den Jahren 1996 und 1999, brachten keinen Erfolg. Seit 1994 erhielt sie regelmäßig eine Immunglobulin-Therapie in der Schmerzambulanz der Universitätsklinik W. Die Kosten hierfür übernahm die Beklagte, und zwar bis 31. Oktober 2001.
Am 6. November 2001 beantragten die Ärzte der Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie der Universität W. die weitere Kostenerstattung für die Behandlung eines persistierend neuropathischen Gesichtsschmerzes bei der Klägerin mit den polyvalenten Immunglobulinen Sandoglobulin® und Flebogamma®. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Thüringen (MDK) vom 27. November 2001 nach Aktenlage ein. Nach Auffassung des Gutachters erfolge der Einsatz des Medikaments außerhalb der zugelassenen Indikationen. Alternativ werde auf die üblichen, zugelassenen schmerztherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten verwiesen. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 lehnte die Beklagte die weitere Kostenübernahme ab. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch holte die Beklagte ein weiteres MDK-Gutachten vom 9. Januar 2002 ein, wonach trizyklische Antidepressiva Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des chronischen atypischen Gesichtsschmerzes seien. Als weitere Therapieoptionen wurden Antikonvulsiva und der Besuch eines Schmerztherapeuten in Wohnortnähe empfohlen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit ihrer am 12. März 2002 vor dem Sozialgericht Meiningen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht, bei ihr sei ein Immunmangelsyndrom nachgewiesen worden. Durch die Behandlung mit Immunglobulinen sei eine dauerhafte Besserung des Schmerzsyndroms erreicht worden. Die Wirksamkeit dieser Therapie sei durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien nachgewiesen. In der Schmerztherapie sei es häufig üblich, ein ansprechendes Medikament durch Experiment zu finden. Darüber hinaus liege im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines Off-Label-Use im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor.
Auf Anfrage hat das Paul-Ehrlich-Institut mit Schreiben vom 14. März 2003 die zugelassenen Indikationen für die Immunglobuline Sandoglobulin® und Flebogamma® mitgeteilt. Das SG hat sodann einen Befundbericht des behandelnden Schmerztherapeuten Prof. Dr. S. vom 9. April 2003 eingeholt, wonach bei der Klägerin keine Immunmangelkrankheit, sondern eine funktionelle Störung im Immunsystem vorliegt. Die Erweiterung der Zulassung von Immunglobulinpräparaten für die Indikation „chronische idiopathische Schmerzsyndrome“ habe bisher mangels Interesses der Hersteller an zulassungsorientierten Studien nicht betrieben werden können. Eine derartige Studie sei aber nun geplant. Die vom MDK aufgezeigten Behandlungsalternativen zeigten entweder keine Wirkung oder seien mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16. Februar 2004 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten für eine Behandlung mit den Immunglobulinpräparaten Sandoglobulin® und Flebogamma® übernehme, da diese nicht für eine Behandlung eines atypischen Gesichtsschmerzes bzw. einer ausgeprägten Schmerzkrankheit zugelassen sind. Zwar sei im Falle der Klägerin von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der BSG-Rechtsprechung auszugehen, doch sei schon fraglich, ob es keine andere Therapie gebe. Letztlich scheitere der Anspruch jedoch daran, dass aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe, da keine der vorliegenden Studien dem Erfordernis einer Phase-Drei-Studie für eine arzneimittelrechtliche Zulassung genüge.
Die Klägerin hat gegen das ihren Bevollmächtigten am 12. März 2004 zugestellte Urteil am 1. April 2004 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht, dass entgegen der Auffassung des SG die Therapiekosten im Rahmen des so genannten Off-Label-Use zu übernehmen seien. Der Wirksamkeitsnachweis sei erbracht. Sie befinde sich nach wie vor in Behandlung, wobei pro Jahr ungefähr 8000 Euro an Kosten, jedoch ohne die Kosten der ärztlichen Tätigkeit, entstünden. Sie hat 11 Rezepte der Schmerzambulanz der Universitätsklinik W., darunter auch das Rezept vom 29. März 2005 vorgelegt, die bei der Krankenhausapotheke der Universitätsklinik W. eingelöst, aber bis heute von der Beklagten nicht bezahlt worden sind. Eine schriftliche Vereinbarung mit der Universitätsklinik W. bzw. mit deren Klinikapotheke betreffend die Übernahme der Kosten durch sie bestehe nicht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 16. Februar 2004 sowie des Bescheids vom 5. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2002 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung mit polyvalenten Immunglobulinen in der Schmerzambulanz der Universitätsklinik W. ab 23. April 2002 zu erstatten bzw. zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist hierzu im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin im Falle der kassenärztlichen Verordnung der Immunglobuline schon kein Rechtsschutzbedürfnis habe. Sie hat ein Gutachten des MDK vom 14. Dezember 2005 sowie eine ergänzende sozialmedizinische Stellungnahme vom 21. November 2006 vorgelegt, wonach klinische Studien für eine Wirksamkeit von Immunglobulinen nicht vorliegen, die in den Leitlinien aufgeführten Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind und auch keine singuläre Erkrankung besteht.
Der Senat hat im Laufe des Berufungsverfahrens den behandelnden Schmerztherapeuten Prof. Dr. S. von der Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie der Universität W. um Stellungnahme zu Fragen des Wirksamkeitsnachweises, der Existenz einer alternativen Therapiemöglichkeit sowie zur Frage des Vorliegens einer Singulärerkrankung gebeten. Dieser hat mit Schreiben vom 7. Oktober 2005 ausführlich Stellung bezogen und umfangreiche Unterlagen vorgelegt. Außerdem hat er drei Behandlungszyklen (23. April 2002; 15. Oktober 2003; 29. März 2005) benannt, für die Kosten in Höhe von insgesamt 3365,40 Euro angefallen und bislang noch nicht beglichen worden sind, sowie eine Rezeptkopie vom 29. März 2005 vorgelegt.
Der Berichterstatter des Senats hat außerdem am 9. Oktober 2006 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird auf die in der Gerichtsakte befindliche Niederschrift verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)); auf den Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung) kommt es vorliegend nicht an, denn die Klägerin begehrt u.a. eine Kostenübernahme auch für die Zukunft, ohne dies auf ein Jahr zu begrenzen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet; das angefochtene Urteil und die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der mit der Klage begehrten Erstattung der bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung angefallenen Kosten für die auf Kassenrezept bezogenen Immunglobuline fehlt der Klage der Klägerin bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da sie mangels entsprechender schriftlicher Vereinbarung mit der Universitätsklinik W. bzw. deren Klinikapotheke nicht mit diesen Kosten belastet ist oder noch werden könnte. Insoweit führt das BSG in seinem Urteil vom 9. Oktober 2001 (Az.: B 1 KR 6/01 R, nach juris) aus:
„Da eine Verbindlichkeit, die einen Freistellungsanspruch begründen könnte, nicht besteht, war die Klage abzuweisen, ohne daß es auf die Frage der Transportfähigkeit des Klägers und der Berechtigung einer Notfallbehandlung durch das Herz-Zentrum B. ankommt. Der Kläger kann diese Fragen mangels eigener finanzieller Betroffenheit im anhängigen Prozeß nicht klären lassen. Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse über den Leistungsanspruch sind nur in zwei Konstellationen denkbar: Entweder der Versicherte klagt auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung (dazu Senatsurteil vom 3. April 2001- B 1 KR 40/00 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) oder er hat sich die Behandlung zunächst privat auf eigene Rechnung beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten. Konnte er hingegen im Zeitpunkt der Behandlung davon ausgehen, er erhalte die Leistungen als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung, so kann eine eigene Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer nicht entstehen; der Leistungserbringer muß einen etwaigen Streit über die Leistungspflicht der Krankenkasse dann unmittelbar mit dieser austragen. Soweit der Senat abweichend hiervon in früheren Entscheidungen (etwa im Urteil vom 9. Juni 1998 – B 1 KR 18/96 R – BSGE 82, 158 = SozR 3-2500 § 39 Nr 5) dem Versicherten das Recht zugebilligt hat, zur Vermeidung einer eigenen Inanspruchnahme die Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem Leistungserbringer zu betreiben, hält er daran nicht fest. Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs 3 SGB V bietet keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozeß zu ersparen (Urteil vom 28. März 2000 – B 1 KR 21/99 R – BSGE 86, 66, 75 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97).“
Dem schließt sich der Senat auch für den vorliegenden Fall an. Da mangels schriftlicher Kostenübernahmeerklärung der Klägerin gegenüber der Klinikapotheke der Universitätsklinik W. eine eigene Leistungspflicht gegenüber Letzterer nicht entstanden ist, kann sie die Kostenerstattung auch nicht für die Klinikapotheke gerichtlich geltend machen.
Die Klägerin hat auch für die Zukunft keinen Anspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 13 Abs. 3, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auf Übernahme der Kosten für die die weitere Versorgung mit Immunglobulinen.
Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) dann nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach §§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Dies ist hier, wie auch das SG zutreffend festgestellt hat, der Fall: Die Immunglobulinpräparate Sandoglobulin® und Flebogamma® sind nach der Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 14. März 2003 zwar u.a. als Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten, zur Behandlung von AIDS bei Kindern und rezidivierenden Infektionen als Arzneimittel zugelassen. Die Arzneimittelzulassung erstreckt sich jedoch nicht auf die Behandlung der bei der Klägerin diagnostizierten funktionellen Störung im Immunsystem im Sinne eines chronischen idiopathischen Schmerzsyndroms. Eine entsprechende Indikationserweiterung war, so das Paul-Ehrlich-Institut in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 2003, zum damaligen Zeitpunkt mangels entsprechenden Antrags nicht beabsichtigt. Dies ist auch zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig.
Umstritten ist dagegen, ob eine Kostenübernahme/-erstattung bzw. Versorgung mit diesen Immunglobulinpräparaten nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use zu erfolgen hat. Dies ist nach Überzeugung des Senats nicht der Fall.
Ein Off-Label-Use kommt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 28. Februar 2008 – Az.: B 1 KR 15/07 R, nach juris) nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die bereits im Zeitpunkt bzw. Zeitraum der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse.
Dabei lässt der Senat offen, ob das Schmerzsyndrom, unter dem die Klägerin leidet, eine schwerwiegende Erkrankung in dem vom BSG verstandenen Sinne darstellt. Jedenfalls liegen weder die zweite noch die dritte Voraussetzung vor.
Wie der MDK wiederholt in seinem während des Berufungsverfahrens erstellten Gutachten vom 14. Dezember 2005 sowie in der ergänzenden sozialmedizinischen Stellungnahme vom 21. November 2006 ausgeführt hat, hätte bei der Klägerin auch eine Schmerztherapie mit zugelassenen Arzneimitteln innerhalb des von der Zulassung erfassten Anwendungsbereichs durchgeführt werden können. Entgegen der Auffassung des behandelnden Schmerztherapeuten Prof. Dr. S. in seinem Schreiben vom 7. Oktober 2005 gegenüber dem Senat sind bislang nicht sämtliche zur Verfügung stehenden zugelassenen Arzneimittel bei der Klägerin angewendet worden. Insoweit benennt der MDK allein sechs noch nicht angewandte Medikamente und verweist zusätzlich auf die Notwendigkeit einer begleitenden Psychotherapie. Damit liegt insoweit eine andere Behandlungsmöglichkeit im Sinne der Linderung von Beschwerden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) vor.
Der Senat ist außerdem davon überzeugt, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse weder im Jahr 2001 noch heute die begründete Aussicht bestanden hat bzw. besteht, dass mit Immunglobulinen ein Behandlungserfolg der Schmerzsymptomatik erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 28. Februar 2008 – Az.: B 1 KR 15/07 R, a.a.O.) zum Off-Label-Use nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Daran fehlt es vorliegend. Phase-III-Studien liegen selbst nach Auskunft von Prof. Dr. S. bislang nicht vor. Aber auch für das Vorliegen sonstiger veröffentlichter Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit der Immunglobulinpräparate in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestünde, ergeben sich für den Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte. Selbst die von Prof. Dr. S. vorgelegten Unterlagen belegen keine derartigen Erkenntnisse. Vielmehr ist ihnen zu entnehmen, dass die Durchführung kontrollierter Studien erforderlich ist, um die Wirksamkeit der Immunglobuline zu erforschen. Allein dieses Erfordernis ist nach den Aussagen von Prof. Dr. S. Grundkonsens unter den Wissenschaftlern.
Auch für einen sogenannten Seltenheitsfall, d.h. eine Krankheit, die weltweit nur extrem selten auftritt und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann und bei der deshalb für den Wirksamkeitsnachweis positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht verlangt werden können, weshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (vgl. BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 – Az.: B 1 KN 3/07 KR R sowie vom 28. Februar 2008 – Az.: B 1 KR 15/07 R, jeweils nach juris), gibt es keine Anhaltspunkte. Zwar behauptet Prof. Dr. S. in seiner bereits zitierten Stellungnahme, dass bei dem atypischen Gesichtsschmerz von einer singulären Erkrankung auszugehen ist, räumt gleichzeitig jedoch ein, dass der Beweis für eine solche Zuordnung deshalb schwierig sei, weil keine epidemiologischen Untersuchungen zum atypischen Gesichtsschmerz vorliegen. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werden kontrollierte Studien zur Therapie atypischer Gesichtsschmerzen in den Jahren 1993 bis 1997 erwähnt, an denen insgesamt 160 Patienten teilgenommen haben. In den ebenfalls mit übersandten Zahnärztlichen Mitteilungen aus dem Jahr 2000 litten im Zwölfmonatszeitraum rund 16 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland an Gesichtsschmerzen. Letztlich ist damit den Ausführungen des MDK im Gutachten vom 14. Dezember 2005 bezupflichten, wonach es sich bei dem atypischen Gesichtsschmerz um eine durchaus erforschbare Erkrankung handele, da selbst Prof. Dr. S. schreibe, dass die geplante Studie bislang (lediglich) an der fehlenden Finanzierung scheitere, eine Studienplanung aber bereits genügend Probanden voraussetze. Der Senat teilt schließlich nicht die Auffassung der Klägerin, dass für die Bestimmung eines Seltenheitsfalles auf die jeweilige Ursache des bei ihr diagnostizierten Krankheitsbildes „atypischer Gesichtsschmerz“ abzustellen ist, zumal die jeweiligen Krankheitsursachen vielfach noch gar nicht bekannt sind und auch bei der Klägerin nicht feststehen. Es ist vielmehr allgemein auf die Gruppe der an atypischen Gesichtsschmerzen Leidenden abzustellen.
Schließlich ergibt sich der Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit den begehrten Immunglobulinpräparate auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 2005 – Az.: 1 BvR 347/98; BVerfGE 115, S. 25). Die verfassungskonforme Auslegung setzt nämlich u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – Az.: B 1 KR 15/07 R, nach juris). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur, wenn eine notstandsähnliche Situation vorliegt. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (so BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Daran fehlt es hier. Für eine notstandsähnliche Situation oder den drohenden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans bzw. einer herausgehobenen Körperfunktion hat der Senat, auch wenn die durch die Schmerzsymptomatik verursachte belastende Situation für die Klägerin nicht verkannt wird, keine Anhaltspunkte.
Nachdem letztlich im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V auch keine fiktiven Kosten oder die etwaige Ersparnis der Krankenkasse geltend gemacht werden können (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 – Az.: B 1 KR 5/05 R, nach juris), war die Berufung wie geschehen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).