Oberlandesgericht Hamm 6 U 54/16

13.11.2017 – 6 U 54/16

Oberlandesgericht Hamm

6. Zivilsenat

Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 03. März 2016 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

G r ü n d e :
I.

Die Parteien streiten um die Abrechnung von allgemeinen Krankenhausleistungen.

Die Klägerin ist ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung und nimmt aus abgetretenem Recht für von ihr erbrachte allgemeine Krankenhausleistungen (Atemunterstützung durch eine sog. High-Flow-Nasenbrille) die Beklagte als privaten Krankenversicherer der Patientin in Anspruch.

Bei der Patientin handelt es sich um das am ##.##.2011 geborene Kind N C. N wurde mit Versicherungsschein vom ##.##.2011 als drittes Kind ihres bei der Beklagten privat krankenversicherten Vaters O C zum Tarif KK1 nachversichert. In der Zeit vom 12. bis 25.10.2011 musste die neugeborene N wegen einer persistierenden pulmonalen Hypertonie bei Verdacht auf prämaturen Ductusverschluss durch die Klägerin stationär behandelt werden. Im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung erhielt N für die Dauer von 171 Stunden Luft bzw. Sauerstoff über eine High-Flow-Nasenbrille (Sauerstoffbrille mit Nasenkanülen; sog.
HFNC-Technik, high flow nasal cannula) verabreicht. Am 25.10.2011 konnte N entlassen werden, nachdem sich ihr Zustand verbessert hatte. Die Beklagte erklärte am 21.10.2011 gegenüber der Klägerin die Kostenübernahme für die allgemeinen Krankenhausleistungen.

Mit der Entlassungsanzeige übersandte die Klägerin unter dem 28.10.2011 an die Beklagte die Schlussrechnung für den stationären Aufenthalt. Diese enthielt als wesentliche Position die auf den DRG-Fallpauschalen-Katalog (Diagnosis related groups – Diagnosebezogene Fallgruppen) bezogene Fallpauschalen-Beschreibung

“P06C Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme, 12.10.11 – 24.10.11, 7010P06C”

mit einem hierauf entfallenen Betrag von 8.458,34 €. Der Gesamtbetrag der Rechnung belief sich unter Berücksichtigung von Abschlägen auf 8.415,05 €.

Die Beklagte erkannte den Rechnungsbetrag i.H.v. 3.035,98 € an und leistete an die Klägerin eine Abschlagszahlung in entsprechender Höhe. Die Zahlung des verbleibenden Betrages von 5.379,07 € lehnte sie ab. Ihre Ablehnung begründete sie damit, die Atemunterstützung durch eine High-Flow-Nasenbrille (HFNC) stelle keine Beatmung im Sinne der Kodierrichtlinie dar, so dass die Stundenzahl nicht zu kodieren sei. Man könne daher nur die ohne Berücksichtigung der Beatmungsstunden
ermittelte DRG P67B als erstattungsfähig anerkennen. Die entsprechende Beschreibung dieser Fallpauschale lautet:
“Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Std., mit schwerem Problem, ohne Hypothermiebehandlung oder mit anderem Problem, mehr als ein Belegungstag oder mit nicht signifikanter OR-Proz., mit kompliz. Diagn.”.

Unter Zugrundelegung dieser Fallpauschale ergäbe sich unstreitig ein Rechnungsbetrag in Höhe des von der Beklagten anerkannten und gezahlten Betrages. Der Differenzbetrag von 5.379,07 € ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Verabreichung von Sauerstoff durch die High-Flow-Nasenbrille sei nach DRG P06C zu kodieren, weil es sich hierbei um eine maschinelle Beatmung (“künstliche Beatmung”) im Sinne der Ziff. 1001h der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) handle. Im Gegensatz zu einer Sauerstoffapplikation über eine gewöhnliche Nasenbrille handele es sich um eine effektive Anwendung von positivem endexsiratorischem Druck (PEEP = positive end-expiratory pressure) im Sinne einer CPAP-Beatmung (CPAP = continuous positive airway pressure) mit entsprechender Effektivität und Überwachungsnotwendigkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.379,07 € nebst Zinsen i.H.v. 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2011
zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Anwendung der High-Flow-Nasenbrille sei nach DRG P67B des Fallpauschalen-Katalogs zu kodieren, weil keine maschinelle Beatmung im Sinne der Ziff. 1001h DKR vorliege. Bei der High-Flow-Nasenbrille werde der Sauerstoff nicht mechanisch bis in die Lunge bewegt, deshalb handele es sich um eine bloße Atemunterstützung, zumal das Kind – dies ist unstreitig – selbst geatmet hat.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. med. S, welches durch den Sachverständigen Dr. med. G mündlich erläutert worden ist, die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Sauerstoffgabe mittels High-Flow-Nasenbrille dürfe bei Neugeborenen zur Berechnung der Atmungsstunden als maschinelle Beatmung “nach 1001a der Kodierrichtlinien” kodiert werden. Aus dem Wortlaut der Kodierrichtlinie ergebe sich nicht, dass eine Maschine für die Bewegung der Gase in die Lunge notwendig sei. Ausreichend sei zumindest bei Neugeborenen und Säuglingen eine Unterstützung der Atemleistung des Patienten durch die Anwendung von CPAP. Andernfalls ergebe auch Punkt 3 der Kodierrichtlinien keinen Sinn. Dagegen spreche auch nicht der Umstand, dass in die DKR 2013 eine Klarstellung aufgenommen worden sei, dass die Dauer der Atemunterstützung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck bei Neugeborenen und Säuglingen bei der Ermittlung der Beatmungsdauer zu berücksichtigen sei, denn dabei habe es sich nicht um eine Neuregelung, sondern um eine Klarstellung gehandelt. Es spiele auch keine Rolle, ob die Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen (HFNC) oder CPAP technisch identisch oder vergleichbar sei. Dies ergebe sich daraus, dass eine Atemunterstützung durch Anwendung von High-Flow-Nasenbrillen bei Neugeborenen und Säuglingen (unstreitig) im OPS-Katalog (Operationen- und Prozedurenschlüssel) der OPS-Klasse 8-711 (maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen) und nicht der OPS-Klasse 8-720 (Sauerstoffzufuhr bei Neugeborenen) zugeordnet worden ist.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte abändernd Klageabweisung. Sie rügt, das Landgericht habe aufgrund rechtsfehlerhafter Auslegung der Kodierrichtlinien eine maschinelle Beatmung bejaht. Zu Unrecht habe es auf die Ausführungen des Sachverständigen abgestellt, welcher sich im Wesentlichen zu Rechtsfragen geäußert und diese nach Einschätzung der Berufung unzutreffend beantwortet habe. Das Landgericht habe zudem verkannt, dass ausschließlich der OPS und die Kodierrichtlinien über die Frage entschieden, welche Kodierung bzw. Zusatzkodierung vorzunehmen sei. Eine künstliche Beatmung scheide schon deshalb aus, weil es am technischen Merkmal einer Vorrichtung fehle, mittels derer Gase in die Lunge bewegt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dortmund, verkündet am 03.03.2016 (2 O 400/14), in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie ist der Auffassung, die Berufung sei bereits unzulässig, weil sie die tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils nicht angreife sondern dessen tatsächliche oder rechtliche Würdigung lediglich mit formellen Wendungen rüge und auf das Vorbringen in erster Instanz verweise, ohne sich ernsthaft inhaltlich mit dem Urteil auseinanderzusetzen.

Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Dr. G im Senatstermin. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, auf das Sitzungsprotokoll sowie den Vermerk des Berichterstatters über den Senatstermin vom 13.11.2017 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils sowie zur Abweisung der Klage.

1.
Der Senat teilt nicht die von der Klägerin vorgebrachten Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung. Die Beklagte rügt in ihrer Berufungsbegründungsschrift hinreichend konkret das Vorliegen einer Rechtsverletzung, §§ 513, 546 ZPO. Rechtsnormen im Sinne des § 546 ZPO sind auch untergesetzliche Vorschriften wie Bestimmungen rechtsgeschäftlicher Art, wenn sie bestimmten Anforderungen in Bezug auf ihren räumlichen Geltungsbereich genügen (Zöller/Hessler, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 546 Rn. 5).
Diesen Anforderungen werden die auf § 17b KHG beruhenden DRG-Fallgruppen-Beschreibungen und Kodierrichtlinien sowie der auf der gesetzlichen Vorgabe in § 301 Abs. 2 S. 2 SGB V beruhende Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS-301) gerecht. Die Berufungsbegründung der Beklagten bringt hinreichend klar zum Ausdruck, dass die Beklagte den Rechtsstandpunkt des Landgerichts, insbesondere den vorgenommenen Subsumtionsschluss, für rechtsirrig hält und aus welchen Gründen dies geschieht.

2.
Die Berufung ist begründet, weil der Klägerin aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte wegen der streitgegenständlichen intensivmedizinischen Behandlung des Kindes N C über die von der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen hinaus keine weiteren Leistungsansprüche zustehen.

a) Dabei richtet sich der Umfang der Leistungsansprüche nach den Regelungen des auf § 17b KHG beruhenden DRGFallgruppensystems. Zwar wird in den vertragsgegenständlichen Versicherungsbedingungen (MB/KK) und den Versicherungsbedingungen des Tarifs KK1 lediglich auf die BPflV und nicht auf das KHG oder auf das KHEntgG verwiesen. Jedoch hat die Beklagte sich in ihrer Kostenübernahme vom 21.10.2011 gegenüber der Klägerin zur Übernahme der Kosten für die “Inanspruchnahme von allgemeinen Krankenhausleistungen im Sinne der Bundespflegesatzverordnung bzw. des Krankenhausentgeltgesetzes” verpflichtet. Darüber hinaus hat sie in ihrem Schreiben vom 04.01.2012 ausgeführt, dass sie “nur die ohne Berücksichtigung der Beatmungsstunden ermittelte DRG “P67B” als erstattungsfähig anerkennen” könne. Durch diese beiden Schreiben hat die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie selbst von der Anwendbarkeit des DRGVergütungssystems ausgeht und dass sich die Höhe des Leistungsanspruchs nach diesem Vergütungssystem richten soll.

b) Ausgehend davon bemisst sich der Leistungsanspruch der Klägerin wegen der Kosten der Verwendung der High-Flow-Nasenbrille vorliegend nach der DRG-Fallgruppe DRG P67B

(Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Std., mit schwerem Problem, ohne Hypothermiebehandlung oder mit anderem Problem, mehr als ein Belegungstag oder mit nicht signifikanter OR-Proz., mit kompliz. Diagn.).

und nicht nach der DRG-Fallgruppe P06C

(Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere
schwere Probleme, 12.10.11 – 24.10.11, 7010P06C).

Die auf Grundlage von DRG P67B berechnete Abschlagszahlung der Beklagten deckt den Anspruch der Klägerin – dies ist in rechnerischer Hinsicht unstreitig – in voller Höhe ab, so dass weitergehende Ansprüche der Klägerin nicht bestehen.

Die Anwendung der High-Flow-Nasenbrille im Streitfall stellt keine “maschinelle Beatmung” im Sinne der hier einschlägigen Kodierrichtlinie 1001h (DKR Version 2011) dar. Maßgeblich ist jeweils die Fassung der DKR desjenigen Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist. Demgegenüber hat das Landgericht – ohne Begründung – die (inhaltlich abweichende) Kodierrichtlinie 1001a in der Version 2002 zugrunde gelegt.

Der Wortlaut der hier maßgeblichen DKR 1001h (2011) lautet auszugsweise wie folgt (Fettdruck im Original):

“1001h Maschinelle Beatmung

Definition

Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung”) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.

Kodierung

Wenn eine maschinelle Beatmung die obige Definition erfüllt, ist
1) zunächst die Dauer der künstlichen Beatmung zu erfassen. Hierfür steht ein separates Datenfeld im Datensatz nach § 301 SGB V (Sozialgesetzbuch Fünftes Buch) sowie § 21 KHEntgG (Krankenhausentgeltgesetz) zur Verfügung.

2) Dann ist zusätzlich:

2a) einer der folgenden Kodes

  • 8-701 Einfache endotracheale Intubation
  • 8-704 Intubation mit Doppellumentubus
  • 8-706 Anlegen einer Maske zur maschinellen Beatmung

und/oder

2b) der zutreffende Kode aus

  • 5-311 Temporäre Tracheostomie oder
  • 5-312 Permanente Tracheostomie

anzugeben, wenn zur Durchführung der künstlichen Beatmung ein Tracheostoma angelegt wurde.

3) Bei Neugeborenen und Säuglingen ist zusätzlich ein Kode aus 8-711 Maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen anzugeben.

Anmerkung: Bei Neugeborenen sind darüber hinaus auch andere atmungsunterstützende Maßnahmen wie z.B. Sauerstoffzufuhr (8-720) zu verschlüsseln, soweit nicht eine maschinelle Beatmung erfolgt. Hier ist die Beatmungsdauer nicht zu kodieren.
…”

Bei der Auslegung der Kodierrichtlinien sind die vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Auslegungsregeln zu beachten. Danach sind die Kodierrichtlinien wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Sie sind einer wertenden Betrachtung im Einzelfall nicht zugänglich. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit “lernendes System“ angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG,
Beschluss vom 10.03.2015 – B 1 KR 82/14 B – juris Rn. 7; BSG Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 27). Der Senat schließt sich dieser von überzeugenden Erwägungen getragenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an.

aa) Bei der im Streitfall verwendeten High-Flow-Nasenbrille fehlt es bereits an einer maschinellen Bewegung von Gasen in die Lunge. Eine solche ist gemäß S. 1 der Definition in der DKR 1001h (2011) Voraussetzung für das Vorliegen einer maschinellen Beatmung. Zwar reicht es nach dem Wortlaut dieser Definition (S. 2) auch, wenn eine moderne Beatmungsmaschine Atemanstrengungen des passiven Patienten erkennt und diese aktiv unterstützt (Atemassistenz) (BSG, Beschluss vom 10.03.2015 – B 1 KR 82/14 B – juris Rn. 8). Für das Vorliegen einer maschinellen Beatmung im Sinne des S. 1 der Definition kommt es jedoch entscheidend darauf an, ob die Maschine oder der Patient selbst die Atemarbeit leistet (BSG, a.a.O.). So hat das Bundessozialgericht in dem vorgenannten Beschluss in Anwendung dieses Kriteriums für CPAP eine maschinelle Beatmung verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, CPAP sei ein Modus, in dem die Maschine nur einen gewissen Druck in den Atemwegen aufrecht erhalte, die Atembewegungen jedoch nicht aktiv unterstütze. Der Patient – und nicht eine künstlich beatmende Beatmungsmaschine – leiste bei CPAP die Atemarbeit. Der Patient atme spontan. Die Beatmungsmaschine stelle nur
sicher, dass der Atemwegsdruck nie unter ein bestimmtes Niveau falle (BSG, a.a.O.; so auch LSG NRW, Urteil vom 05.04.2017 – L 11 KR 580/15 – juris Rn. 32).

Der Senat sieht keine Veranlassung, von diesen zutreffenden Grundsätzen des Bundessozialgerichts abzuweichen. Dies führt dazu, dass auch die Atemunterstützung durch die High-Flow-Nasenbrille (HFNC) keine maschinelle Beatmung darstellt. Denn die High-Flow-Nasenbrille hat mit CPAP gemeinsam, dass es sich in beiden Fällen nicht um eine Beatmung im medizinischphysikalischen Sinne, sondern lediglich um unterschiedliche Formen der Atemunterstützung handelt. Die Atemarbeit wird in beiden Fällen ausschließlich vom Patienten geleistet, die Maschine bewirkt durch den ständigen positiven Druck lediglich eine höhere Sauerstoffaufnahme durch die Lunge bzw. verhindert ein Zusammenfallen der Lungenbläschen. Dies ist bei der Intubation bzw. der Tracheotomie – also den klassischen Formen der maschinellen Beatmung – anders: Hier wird die Atemarbeit durch die Maschine geleistet, zumal der Patient sediert ist. Die vorstehenden Erwägungen folgen aus den überzeugenden medizinisch-physikalischen Ausführungen des Sachverständigen Dr. G im Senatstermin, die in Einklang stehen mit den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 30.07.2015 (Seite 10) und des Sachverständigen Dr. G im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht am 11.02.2016.

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass es sich bei N um ein Neugeborenes handelte. Zwar bezieht sich der Beschluss des Bundessozialgerichts nicht auf ein Neugeborenes. Jedoch unterscheidet die Definition der maschinellen Beatmung in DKR 1001h dem Wortlaut nach nicht zwischen Neugeborenen, Säuglingen und Kindern bzw. Erwachsenen. Demnach gibt es auch keinen Sachgrund, bei einem Neugeborenen nach anderen Kriterien als in der Definition in DKR 1001h (2011) niedergelegt zu entscheiden. Auch bei einem Neugeborenen kommt es also entscheidend darauf an, ob die Atemarbeit von der Maschine oder von dem Patienten geleistet wird. Vorliegend wurde die Atemarbeit ausschließlich von der Neugeborenen N geleistet, während die Maschine nur einen gewissen Druck in den Atemwegen aufrecht erhielt, die Atembewegungen jedoch nicht aktiv unterstützte. Der Sachverständige Dr. G hat hierzu im Senatstermin auf Frage hin ausgeführt, dass das Verfahren insoweit bei einem Neugeborenen wie bei einem Erwachsenen identisch sei.

bb) Außerdem stellt die verwendete High-Flow-Nasenbrille kein “Maskensystem” im Sinne des S. 4 der Definition in DKR 1001h (2011) dar. Aus S. 3 und 4 der Definition ergibt sich, dass bei einer maschinellen Beatmung der Patient im Regelfall intubiert oder tracheotomiert sein muss, oder dass bei intensivmedizinisch versorgten Patienten hierfür ein “Maskensystem” verwendet wird. Von einer CPAP-Behandlung ist hier keine Rede. Eine reine Sauerstoffvorlage wie bei einer CPAP-Behandlung stellt jedoch kein solches Maskensystem dar (LSG Saarbrücken, Urteil vom 14.12.2011 – L 2 KR 76/10 – juris Rn. 28).

Diese für CPAP aufgestellten Grundsätze gelten in gleicher Weise für die vorliegend verwendete High-Flow-Nasenbrille. Diese bedeckt nicht etwa – wie eine Maske – Teile des Gesichts, sondern enthält Nasenstöpsel, welche in die Nase eingeführt werden. Insoweit hat der Sachverständige Dr. G im Senatstermin überzeugend ausgeführt, dass aus medizinisch-physikalischer Sicht und mit „gesundem Menschenverstand“ die verwendeten Nasenstöpsel nicht als Maske bezeichnet werden können. Im Hinblick auf das vom Bundessozialgericht aufgestellte Erfordernis der wortlautgetreuen Auslegung verbietet es sich, Gegenstände, die schon begrifflich keine Maske darstellen, unter den Maskenbegriff zu subsumieren.

Auch die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zulässige ergänzende systematische Auslegung spricht dagegen, CPAP – und damit auch HFNC – als Maskensystem im Sinne des S. 4 der Definition anzusehen. Denn in der DKR 1001h (2011) wird begrifflich zwischen „CPAP“ (Seite 101 und 103) und „Masken-CPAP“ (Seite 102 und 103) unterschieden. Dies spricht dafür, dass (einfaches) CPAP nicht stets auch „Masken-CPAP“ darstellt. Hierbei kann offen bleiben, ob „Masken-CPAP“ vorliegend überhaupt als Maskensystem im Sinne des S. 4 der Definition anzusehen gewesen wäre. Hier jedenfalls ist kein Maskensystem zur Anwendung gekommen.

cc) Auch aus der unter Ziff. 3 des Gliederungspunkts “Kodierung” in DKR 2001h (2011) aufgeführten besonderen Regelung für Neugeborene und Säuglinge folgt nicht, dass im Streitfall eine maschinelle Beatmung vorliegt. Denn der systematische Zusammenhang dieser Regelung (vorangehender Halbsatz “Wenn eine maschinelle Beatmung die obige Definition erfüllt, ist …”) besagt eindeutig, dass die Regelung unter Ziff. 3 nur dann Anwendung findet, wenn die vorstehende Definition der Beatmung erfüllt ist, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Deshalb weist Ziff. 3 S. 1 lediglich darauf hin, dass bei Neugeborenen und Säuglingen zusätzlich der entsprechende besondere OPS-Code 8-711 zu vergeben ist. Dies besagt allerdings nicht, dass bei Neugeborenen und Säuglingen eine Atemunterstützung, die nicht die vorstehende Definition erfüllt, als Beatmungsstunden kodiert werden kann. Auch Ziff. 3 S. 2 unterscheidet zwischen einer maschinellen Beatmung im Sinne der Definition und einer anderen atmungsunterstützenden Maßnahme (wie z.B. Sauerstoffzufuhr) und besagt, dass derartige Maßnahmen, wenn sie nicht maschinelle Beatmung im Sinne der Definition sind, nur nach dem UPS-Code 8-720 (Sauerstoffzufuhr bei Neugeborenen)
kodiert werden dürfen.

Da der Wortlaut der Definition gegen die Berücksichtigung von CPAP – und auch HFNC – als Beatmungszeit spricht, müsste sich aus der systematischen Auslegung mit Deutlichkeit etwas anderes ergeben, um zu einem von der Wortlautauslegung abweichenden Ergebnis zu gelangen. Das ist indes nicht Fall; allenfalls führt die systematische Auslegung zu einem nicht eindeutigen Ergebnis (so für CPAP: LSG NRW, Urteil vom 05.04.2017 – L 11 KR 580/15 – juris Rn. 35).

dd) Weil die Kodierrichtlinien wortlautgetreu – unterstützt durch systematische Erwägungen – auszulegen und wertende Betrachtungen im Einzelfall nicht zulässig sind, verbietet es sich insbesondere, im Wege der „historischen“ Auslegung spätere Versionen der Kodierrichtlinien zur Auslegung vorangehender Versionen heranzuziehen.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den jährlich weiterentwickelten Regelungen um ein „selbst lernendes“ System handelt, bei dem aus erfolgten Änderungen nicht der Rückschluss darauf gezogen werden kann, dass die Änderung auch den Zustand vor der Änderung widerspiegele. Ebenso ist es möglich, dass eine inhaltliche Änderung vorgenommen werden sollte (LSG Hamburg, Urteil 27.03.2014 – L 1 KR 119/12 – juris Rn. 26).

Auch Bewertungen im Einzelfall sowie Erwägungen der Zweckmäßigkeit der Abrechnung von Beatmungsstunden mangels anderer Kriterien zur Erfassung des Überwachungsaufwands bei einer HFNC müssen aus den vorgenannten Erwägungen bei der Auslegung der Kodierrichtlinie außer Betracht bleiben. Sofern eine Fassung der Kodierrichtlinien wegen vorhandener Unklarheiten und Widersprüche verbesserungsbedürftig sein sollte, ist es Aufgabe der Vertragspartner (§§ 9, 11 KHEntG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG) insoweit Abhilfe zu schaffen, wenn sie Handlungsbedarf sehen (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07, juris Rn. 18; LSG Saarbrücken, Urteil vom 14.12.2011 – L 2 KR 76/10 – juris Rn. 29).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung des Senats steht im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 10.03.2015, a.a.O.), welches für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit höchstrichterlich festgestellt hat, dass eine Behandlung durch CPAP keine maschinelle Beatmung darstellt. Diese Rechtsfrage ist damit höchstrichterlich geklärt, wobei diese Entscheidung auf HFNC übertragbar ist, weil CPAP und HFNC insoweit (Maschine leistet nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Atemarbeit) keine Unterschiede aufweisen. Zudem lag eine Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage durch höchstrichterliche Rechtsprechung auch bereits vor Erlass des Beschlusses des Bundessozialgerichts nicht vor, weil – wie das Bundessozialgericht in seinem eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluss vom 10.03.2015 ausgeführt hat – außer Zweifel steht, dass die Behandlung mittels CPAP – gleiches gilt dann auch für HFNC – keine maschinelle Beatmung ist (so für CPAP: BSG, a.a.O. Rn. 6). Im Übrigen beruht das Urteil des Senats ebenfalls tragend darauf, dass die High-Flow-Nasenbrille kein Maskensystem darstellt. Auch im Übrigen weicht der Senat weder von höchstrichterlicher Rechtsprechung noch von der Rechtsprechung anderer Obergerichte ab.