Sozialgericht Lübeck S 3 KR 382/109

SOZIALGERICHT LÜBECK

S 3 KR 382/109

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Die 3 Kammer des Sozialgerichts Lübeck hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Oktober 2010 durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Otten, die ehrenamtliche Richterin Haack und den ehrenamtlichen Richter Müller für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1oo,oo € zu zahlen.

2. die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem

Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht
Gottorfstr. 2
24837 Schleswig

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Lübeck
Eschenburgstraße 3
23568 Lübeck

Schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Lübeck schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zahlung einer Aufwandspauschale gemäß § 275 Abs. 1 c SGB V.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses in ….. In diesem Krankenhaus war die bei der Beklagten versicherte Patientin ….. in der Zeit vom 21.11.2007 bis 09.12.2007 wegen eines linksseitigen Ovarialtumors in stationärer Behandlung. Für diese Behandlung rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten eine DRG N34Z (Große Eingriffe an Darm oder Harnblase bei Krankheiten und Störungen der weiblichen Geschlechtsorgane) mit einem Kostengewicht von 3,836 ab. Als Hauptdiagnose teilte sie eine bösartige Neubildung des Ovars mit. Als Nebendiagnosen gab sie an : 1. Peritoneale Adhäsionen 2. Sonstiger und nicht näher bezeichneter mechanischer Ileus 3. Hypokaliämie 4. Divertikulose des Dickdarmes ohne Perforation, Abszess oder Angabe einer Blutung.

Zur Überprüfung der Krankenhausabrechnung ließ die Beklagte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nord (09.07.2008) fertigen. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zu Recht eine DRG N34Z ermittelt habe, auch die Hauptdiagnose und die Prozeduren seien zutreffend beschrieben worden. Die angegebenen Nebendiagnosen seien mit Ausnahme der Hypokaliämie ebenfalls zutreffend angegeben worden. Die Diagnose einer Hypokaliämie werde in den ärztlichen Unterlagen der Klägerin nicht beschrieben. Dennoch resultiere für die vorliegende stationäre Behandlung die von der Klägerin abgerechnete DRG N34Z mit einem Effektivgewicht von 3,836. Abschließend empfahl der MDK die Übernahme der von der Klägerin abgerechneten Kosten.

Mit Rechnung vom 30.07.2008 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Zahlung der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Höhe von 100,00 € geltend. Mit Schreiben vom 09.03.2009 wies die Beklagte die Forderung zurück und führte zur Begründung insbesondere aus: Die Aufwandspauschale sei nicht zu vergüten, wenn nach Beginn der Prüfung Änderungen oder Ergänzungen gemeldet würden oder wenn sich während der Begutachtung Tatsachen ergäben, die die Prüfung beeinflussten, d. h. Diagnosen und Prozeduren, die zum Zeitpunkt der Rechnungsprüfung nicht mitgeteilt worden seien.

Nachdem die Beklagte nach weiteren Zahlungsaufforderungen durch die Klägerin, zuletzt mit Schreiben vom 16.04.2009, keine Zahlungen auf die Aufwandspauschale geleistet hatte, hat die Klägerin mit dem am 12.06.2009 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Mit der Klage begehrt sie die Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € und führt zur Begründung insbesondere aus: Die Beklagte sei nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V verpflichtet, dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu zahlen. Die Überprüfung durch den MDK habe nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Dem stehe entgegen, dass die Nebendiagnose Hypokaliämie nicht aus den ärztlichen Unterlagen zu entnehmen sei. Nach einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums reiche die Feststellung von Fehlern der Abrechnung zur Vermeidung der Aufwandspauschale nicht aus. Entscheidend sei allein, ob die Prüfung zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führe. Sei dies nicht der Fall, habe die Krankenkasse die Aufwandpauschale unabhängig davon zu entrichten, ob im Rahmen der Prüfung sonstige Fehler festgestellt würden. Dem stünde auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.06.2010 – B 1 KR 1/10 R – entgegen. Diese Entscheidung widerspreche dem klaren und eindeutig formulierten Gesetzeswortlaut des § 275 Abs. 1 c SGB V. Nach diesem Wortlaut müssten lediglich zwei Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein: 1. Es müsse eine Einzelprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V stattgefunden haben. 2. Diese Prüfung habe nicht zu einer Minderung des Rechnungsbetrages geführt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,00 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie insbesondere aus: Eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c SGB V sei dann nicht fällig, wenn das Krankenhaus einen Prüfanlass gegeben habe.

Vorliegend sei dieser Tatbestand erfüllt, da die Klägerin die Diagnose Hypokaliämie angegeben habe und diese nicht nachvollziehbar sei. Die Klägerin habe einen Prüfanlass gegeben, da sie die Daten nicht von Anfang an korrekt geliefert habe. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 22.06.2010 § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V einschränkend dahin auslegt, dass die Aufwandspauschale nicht zu entrichten sei, wenn das Krankenhaus die Krankenkasse durch eine fehlerhafte Abrechnung zur Prüfungseinleitung veranlasst habe.

Der Kammer haben neben der Gerichtsakte ein Band Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Sie ist als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Klägerin hat ihr Begehren zu Recht mit einer Leistungsklage geltend gemacht, da die Beteiligten nicht in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis stehen. Es handelt sich vielmehr um ein Gleichordnungsverhältnis, in dem ein Verwaltungsakt der Beklagten gegen die Klägerin nicht zu ergehen hatte (vgl. BSG SozR-3 2500 § 39 SGB v Nr. 4). Auch die weiteren Voraussetzungen einer Leistungsklage liegen vor. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben, da sich die Beklagte mit Schreiben vom 08.04.2009 endgültig geweigert hatte, die streitbefangene Aufwandspauschale zu zahlen.

Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c SGB V i. d. F. des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.03.2007 (BGBI. I 378) in Höhe von 100,00 €. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten, wenn eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt. Nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen.

Die Voraussetzungen von § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V sind nach dem Wortlaut der Vorschrift erfüllt. Die Beklagte hat eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durchgeführt, die nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt hat. Die Beklagte hat die für die Behandlung der Patientin …. Von der Klägerin geltend gemachten Kosten in voller Höhe gezahlt. Der MDK hatte die Kostenübernahme empfohlen.

Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € besteht auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem Urteil vom 22.06.2010 – B 1 KR 1/10 R. Zwar hat das Bundessozialgericht eine einschränkende Auslegung des § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V vorgenommen. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts kann ein Krankenhaus die Aufwandspauschale – auch dann wenn keine Minderung des Abrechnungsbetrages eintritt – nicht beanspruchen, wenn die Krankenkasse durch eine fehlerhafte Abrechnung zur Einleitung des Prüfverfahrens veranlassen würde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die Kammer konnte nach Auswertung der vorliegenden Akten und der Angaben der Beteiligten nicht feststellen, dass die Klägerin die Beklagte durch eine fehlerhafte Abrechnung veranlasst hatte, das Prüfverfahren einzuleiten. Nach gegebener Aktenlage sind die Gründe für die Einleitung des Prüfverfahrens nicht ersichtlich. Insbesondere kann dem Schreiben der Beklagten vom 11.01.2008 an den MDK nicht entnommen werden, welche konkreten Gründe für eine Nachprüfung der Abrechnung der Klägerin vorlagen. Aus dem Schreiben vom 11.01.2008 ergibt sich lediglich, dass die Beklagte die Abrechnung in jeder Hinsicht und umfassend überprüfen lassen wollte. Der MDK wurde beauftragt zu prüfen, ob die Kodierung der Daten nach § 301 SGB V korrekt sei, ob die Hauptdiagnose bestätigt werden könne, ob die erlösrelevanten Nebendiagnosen entsprechend der gültigen Deutschen Kodier-Richtlinien (DKR) vollständig und inhaltlich korrekt angegeben seien. Aus diesen allgemeinen Fragestellungen ist nicht ersichtlich, welche Gründe für die Veranlassung der Prüfung maßgebend waren.

Auch aus den sonstigen Umständen des vorliegenden Falles kann nicht festgestellt werden, welcher Anlass für die Einleitung des MDK-Prüfverfahrens gegeben war. Die Beklagte konnte auch nicht im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung diesen Anlass mitteilen. Insbesondere konnte sie nicht nachvollziehbar erklären, ob die Kodierung  der Nebendiagnose Hypokaliämie und für die Einleitung des Prüfverfahrens gewesen ist. Dagegen spricht, dass die Beklagte in dem Auftragsschreiben vom 11.01.2008 nicht korrekt danach gefragt hat, ob diese Nebendiagnose korrekt kodiert worden ist. Dagegen spricht auch, dass die Nebendiagnose Hypokaliämie keine erlösrelevante Bedeutung hat. Für die Codierung der DRG N34Z ist diese Nebendiagnose nicht relevant. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des MDK vom 09.07.2008.

Nach allem kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin durch eine falsche Kodierung Anlass für eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V gegeben hat. Dem steht nicht entgegen, dass der MDK in seinem Gutachten vom 09.07.2008 die Nebendiagnose Hypokaliämie beanstandet hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beanstandung  zu Recht erfolgt ist. Zutreffend wäre die Beanstandung nur dann, wenn bei der Patientin tatsächlich keine Hypokaliämie vorgelegen hat. Eine entsprechende Feststellung hat auch der MDK nicht getroffen. Vielmehr hat er in seinem Gutachten lediglich mitgeteilt, dass ich diese Nebendiagnose nicht „im Arztbrief bzw. im OP-Berichtbeschrieben wurde“. Diese Feststellung schließt jedoch nicht aus, dass sich die Diagnose Hypokaliämie aus anderen ärztlichen Unterlagen ergibt. Diese Frage hat die Kammer dahingestellt, da auch üfr den Fall, dass die Patientin nicht an einer Hypokaliämie gelitten haben sollte, nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin in durch eine falsche Kodierung Anlass für eine Abrechnungsüberprüfung gegeben hat. Wie bereits ausgeführt, kann nach gegebener Aktenlage der Anlass für die Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht festgestellt werden. Die Beanstandung des MDK beruhte nach gegebener Aktenlage offensichtlich auf einem nachträglich festgestellten Sachverhalt. Dieser Sachverhalt war nicht Anlass, sondern Ergebnis der Prüfung. Ein nachträglich festgestellter Fehler in der Kodierung kann jedoch nicht den Tatbestand der vom BSG in seiner Entscheidung vom 26.06.2010 aufgeführten Grundsätze erfüllen.

Nach allem hat die Klage Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. (VwGO).

Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Sache die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.