Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 184/09

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom 19.08.2010 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Koblenz S 6 KR 414/08
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 184/09

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 05.08.2009 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale hat.

Die bei der Beklagten krankenversicherte H S befand sich in der Zeit vom 18.04. bis 28.04.2007 zur Entbindung in dem nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Klägerin. Diese rechnete die Leistung nach DRG (Diagnosis Related Groups) O01E (Sectio caesarea mit komplizierter Diagnose, Schwangerschaftsdauer mehr als 33 vollendete Wochen, ohne komplexe Diagnose) ab. Mit Schreiben vom 15.05.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, nach Prüfung der Unterlagen beständen Zweifel daran, dass diese DRG richtig abgerechnet worden sei. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sei daher um entsprechende Prüfung gebeten worden. Es werde um Übersendung der benötigten Unterlagen an den MDK gebeten. Dieser erklärte in seinem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 18.05.2007, gemäß § 275 Abs. 1c SGB V werde fristgemäß die Prüfung des Krankenhausaufenthalts der Versicherten H S angezeigt. Der Arzt im MDK S gelangte in seiner Stellungnahme vom 29.05.2007 zum Ergebnis, die Verweildauer sei in gesamter Länge medizinisch nachvollziehbar, die Nebendiagnose (Diabetes mellitus) sei korrekt codiert. Die Beklagte zahlte den vollständigen von der Klägerin geltend gemachten Rechnungsbetrag.

Mit Rechnung vom 01.08.2007 forderte die Klägerin von der Beklagten eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 EUR. Mit Schreiben vom 29.08.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Voraussetzungen für die Entrichtung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V seien nicht erfüllt, da diese Bestimmung sich ausschließlich auf Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V beziehe, vorliegend aber eine stationäre Entbindung nach § 197 RVO erfolgt sei.

Die Klägerin hat am 08.09.2008 Leistungsklage erhoben und geltend gemacht, nach der Ratio legis sei die Aufwandspauschale auch in den Fällen zu zahlen, in denen eine stationäre Entbindung gemäß § 197 RVO seitens des MDK überprüft werde. Nach der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 275 SGB V habe im Krankenhausbereich Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umfang der gutachterlichen Stellungnahmen des MDK bestanden, die Krankenkassen im Rahmen der Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V anforderten. Von einzelnen Krankenkassen werde die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt. Wille des Gesetzgebers sei es gewesen, die Einzelfallprüfungen insgesamt wieder auf ein angemessenes Maß zurückzuführen. In der Gesetzesbegründung finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass stationäre Entbindungsfälle gemäß § 197 RVO anders behandelt werden sollten als die übrigen Krankenhausfälle. Durch Urteil vom 05.08.2009 hat das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, gemäß § 275 Abs. 1c SGB V i. d. F. des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I, 378 ff.) sei bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 sei spätestens nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führe, habe die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 EUR zu entrichten. Wie der Wortlaut des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V eindeutig zeige, greife diese Bestimmung nur bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V. Rechtsgrundlage für die Behandlung der Versicherten im vorliegenden Fall sei allein § 197 RVO i. d. F. des Gesetzes vom 26.03.2007 (BGBl. I, S. 378 ff.) gewesen. Danach habe eine Versicherte für sich und das Neugeborene auch Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung, sofern sie zur Entbindung in einem Krankenhaus oder in einer anderen Einrichtung aufgenommen werde. Für diese Zeit bestehe kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung. § 39 Abs. 2 SGB V gelte entsprechend. Vorliegend liege keine Krankenhausbehandlung i. S. d. § 39 SGB V vor. Unabhängig davon, unter welchem Gesichtspunkt tatsächlich die Prüfung seitens der Beklagten eingeleitet worden sei, komme aufgrund des Gesamtzusammenhangs in § 275 Abs. 1c SGB V eine Aufwandspauschale nur bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V in Betracht.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 14.08.2009 zugestellten Urteil hat die Klägerin am 14.09.2009 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe lediglich auf den Wortlaut, nicht aber auf Sinn und Zweck des Gesetzes abgestellt. Vorliegend sei eine Prüfung vorgenommen worden, wie sie für die Prüfung von Krankenhausaufenthalten geradezu typisch sei. Dies ergebe sich aus den Fragestellungen im Prüfauftrag des MDK. Es sei um die Codierung von Leistungen eines Krankenhauses und um die Verweildauer im Krankenhaus gegangen. Es könne nicht einleuchten, warum im Falle der Krankenhausbehandlung im engeren Sinne eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V anfalle und diese bei einer Krankenhausbehandlung im weiteren Sinne (Entbindung im Krankenhaus, Unterstellung von Haupt- und Nebendiagnosen) eine solche nicht anfallen solle. Zudem stelle sich die Frage, ob die Beklagte überhaupt den MDK mit einer Prüfung nach § 275 Abs. 1 SGB V habe beauftragen dürfen. Ein solches Überprüfungsrecht bestehe grundsätzlich bei Erkrankungen. Stelle man sich auf den Standpunkt, dass eine Schwangerschaft bzw. eine Entbindung keine Krankheit sei, ergebe sich auch kein Prüfungsrecht. Wenn dennoch eine Überprüfung eingeleitet werde, müsse auch die Aufwandspauschale gezahlt werden, wenn es nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages komme. Es treffe zwar zu, dass § 275 Abs. 1c SGB V lediglich auf Einzelfallprüfungen im Rahmen des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V abstelle, allerdings handele sich hierbei offensichtlich um eine planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sicherlich nicht nur bei der Überprüfung einer Krankenhausbehandlung i. S. v. § 39 SGB V, sondern auch bei einer inhaltsgleichen Überprüfung einer Entbindung i. S. v. § 197 RVO eine Aufwandspauschale einführen wollen. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, in der an keiner Stelle expressis verbis auf die “Krankenhausbehandlung” abgestellt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 05.08.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.09.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, der Gesetzeswortlaut sei eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Wenn die Klägerin meine, sie, die Beklagte, habe eine unzulässige Prüfung nach § 275 SGB V vorgenommen, hätte es ihr freigestanden, die Überprüfung abzulehnen. Allerdings sei nach ihrer Auffassung eine Überprüfung im Hinblick auf Entbindungen nach § 275 Abs. 1 SGB V statthaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht statthafte (§ 144 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Aufwandspauschale. Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist Folgendes zu ergänzen:

Gegen eine Auslegung dahingehend, dass § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V auch die Überprüfung einer Leistung nach § 197 RVO erfasst, spricht der eindeutige Wortlaut der Regelung. Die nach § 197 RVO erbrachte Leistung ist – wie sich aus Satz 2 der Bestimmung ergibt – gerade keine Krankenhausbehandlung i. S. d. § 39 SGB V. Dem Vortrag der Klägerin, es handele sich um eine Krankenhausbehandlung “im weiteren Sinne”, kann daher nicht gefolgt werden. Der klare Wortlaut des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V stellt die Grenze einer Auslegung dar.

Der Senat sieht sich auch nicht berufen, im Wege einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung die gesetzliche Regelung auf den hier streitigen Fall der Prüfung einer Leistung nach § 197 RVO durch den MDK zu erweitern (vgl. zur gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung BSG 07.10.2009 – B 11 AL 31/08 R, juris, Rn. 19 ff. m. w. N.). Zwar ist der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3100, S. 171) nicht zu entnehmen, dass die Entrichtung der Aufwandspauschale bei der Überprüfung einer Leistung nach § 197 RVO ausgeschlossen werden sollte, jedoch kann dem Gesetzgeber vorliegend nicht unterstellt werden, dass er diese Leistung übersehen hat. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis des Umstands, dass eine stationäre Aufnahme zur Entbindung keine Krankenhausbehandlung darstellt, ausdrücklich lediglich den Fall der Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V in die Regelung einbezogen. Die Annahme der Klägerin, dies beruhe auf einer planwidrigen Regelungslücke, stellt lediglich eine Vermutung dar.

Soweit die Klägerin die Frage aufwirft, ob der Beklagten vorliegend überhaupt ein Überprüfungsrecht zustand, lässt sich aus diesem Gesichtspunkt kein Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale herleiten. Auch wenn ein Überprüfungsrecht verneint würde, wäre eine Rechtsgrundlage zur Entrichtung einer Aufwandspauschale nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).