Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 63/99

Bayerisches Landessozialgericht

Urteil vom 19.04.2001 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Nürnberg S 7 KR 152/97
  • Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 63/99

 

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. April 1999 sowie der Bescheide vom 30. Oktober 1996 und 2. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1997 verurteilt, der Klägerin die Kosten der stationären Behandlung der Versicherten (M.B …) in der E …CLINIC (F …) in Höhe von 37.603,45 DM zuzüglich 4 % Zinsen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenerstattung für die stationäre Behandlung der Versicherten in der E …CLINIC in Höhe von 37.603,45 DM.

Die am …1930 geborene Versicherte, die Mitglied der Beklagten war, verstarb am …1996; die Klägerin, ihre Tochter, ist Alleinerbin.

Die Versicherte befand sich in der Zeit vom 09.09.1996 bis 12.09.1996 wegen eines Verschlussikterus bei Gallenblasenstein in stationärer Behandlung der Evangelischen Diakonissenanstalt B … Die am 10.09.1996 durchgeführte ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie = Röntgenkontrastdarstellung der Gallengänge) im Zentralkrankenhaus B … Ost ergab den Verdacht auf ein Malignom. Daraufhin wurde in der Evangelischen Diakonissenanstalt B … eine Laparatomie und eventuell eine Operation nach Whipple geplant. Die Versicherte wurde auf Wunsch der Klägerin und mit Billigung der Krankenhausärzte am 12.09.1996 nach N … in das St.T …-Krankenhaus (gemeinnützige GmbH) verlegt. Nach Angaben der Klägerin verschlechterte sich der Zustand der Versicherten dort; die Stationsärztin habe eine Operation nicht mehr für sinnvoll gehalten und der Klägerin mitgeteilt, die Versicherte werde in den nächsten Tagen sich vergiften, danach ins Koma fallen und innerhalb der nächsten drei Wochen sterben. Die Schwellung des Bauches sei auf den Verschlussikterus und den Tumor zurückzuführen. Am 16.09.1996 teilte der Oberarzt der Klägerin mit, eine Operation könne im Krankenhaus nicht durchgeführt werden, und die Versicherte müsse in ein spezialisiertes Vertragskrankenhaus verlegt werden. Die Klägerin nahm am 17.09.1996 Kontakt mit dem Chirurgen der E …CLINIC, Dr.E …, auf, und die Versicherte wurde an diesem Tage in die Klinik aufgenommen. Der vom St.T …-Krankenhaus N … an den Chirurgen Dr.E … gerichtete Kurzarztbrief enthielt die Diagnosen “Verschlussikterus infolge filiformer Choledochusstenose bei dringendem Verdacht auf Pankreaskopf-NPL, Gallenblasenhydrops, Cholelithiasis”. Die Aufnahmeanzeige der E …CLINIC enthielt die Diagnosen “Lebermetastasen, Pankeraskopf-CA, Peritonitis”. Die Klinik beantragte am Aufnahmetag bei der Beklagten die Kostenübernahme.

Die Versicherte wurde noch am Tage der Aufnahme abends operiert. Der Operationsbericht von Dr.E … vom 17.09.1996 enthielt die Diagnosen “Peritonitis (vier Quadranten, fibrinös, eitrig, inkarzerierte epigastrische Hernie (Transversum), metastasierendes Pankreaskopfkarzinom (Leber) mit Verschlussikterus”. Als Aufnahmebefund wurde ein deutlich reduzierter Allgemeinzustand mit einem aufgetriebenen eindrückbaren Abdomen mit peritonialer Abwehrspannung sowie Erschütterungsschmerz und eine nicht reponible schmerzhafte Hernie festgestellt. Die Operation bestand u.a. in einer Peritonitisbehandlung, Revision des Abdomens und Hernienreposition. Die Versicherte verstarb am 19.09.1996 in der Klinik.

Die Klägerin beantragte am 26.09.1996 bei der Beklagten Kostenerstattung für die stationäre Behandlung der Versicherten und reichte am 15.10.1996 und 28.10.1996 die Rechnungen der Klinik und der behandelnden Ärzte nach (Rechnung Dr.W … vom 10.10.1996 in Höhe von 1.111,73 DM, Rechnung der E …CLINIC vom 26.09.1996 in Höhe von 4.162,61 DM, Rechnung des Pathologischen Instituts des Klinikum F … vom 25.09.1996 in Höhe von 247,86 DM, Rechnungen der Laborärzte Dr.D … u.a. vom 01.10.1996 und 07.10.1996 in Höhe von 23,17 DM bzw. 172,38 DM, Rechnung der E …CLINIC vom 27.09.1996 in Höhe von 27.585,28 DM, Rechnung des Anästhesisten Dr.B … vom 29.10.1996 in Höhe von 4.242,96 DM).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.10.1996 die Kostenübernahme mit der Begründung ab, die E …CLINIC sei kein zugelassenes Krankenhaus. Die Klägerin machte mit dem Widerspruch vom 11.11.1996 geltend, die Versicherte sei nur zu einer Diagnosestellung in die E …CLINIC überführt worden; die dort nach der Einlieferung durchgeführte Untersuchung habe eine Notoperation indiziert. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.12.1996 ein weiteres Mal Kostenerstattung mit der gleichen Begründung ab. Die Klägerin legte am 02.01.1997 schließlich die Rechnung der Radiologen Dres.I … u.a. in Höhe von 57,56 DM vor.

Dr.E … teilte mit Schreiben vom 20.02.1997 mit, das Ausmaß der Peritonitis, die sich auf alle vier Quadranten erstreckt habe, sei nicht erwartet worden und habe die Revision des gesamten Abdomens und die Schnitterweiterung veranlasst. Nachdem bereits mehrfache Versuche einer endoskopischen Drainage des Ikterus erfolglos gewesen seien, nur diese eine ausreichende Lebensqualität für die Versicherte bedeutet hätten, sei im Anschluss eine Choledochojejunostomie durchgeführt und eine palliative Versorgung angestrebt worden.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.1997 den Widerspruch mit der Begründung zurück, die E …CLINIC sei ein nicht zugelassenes Krankenhaus, und ein Notfall habe nicht vorgelegen, da sich die Versicherte in einem Vertragskrankenhaus befunden habe; eine dem Gesundheitszustand entsprechende Behandlung durch einen Vertragsbehandler sei damit bis zur Verlegung zu jeder Zeit und in ausreichendem Maße sichergestellt gewesen. Eine Operation sei nur aufgrund des fortgeschrittenen Tumorleidens, des schlechten Allgemeinzustandes sowie des Blutgerinnungsstatus verschoben worden.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 14.07.1997 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) geltend gemacht, die Behandlung in der E …CLINIC sei eine unaufschiebbare Leistung gewesen; die Versicherte habe an einer Peritonitis und eitrigen epigastrischen Hernie gelitten. Die Ärzte im St.T …-Krankenhaus hätten eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus abgelehnt. Sie hätten die Schwere des Krankheitsbildes unzutreffend beurteilt. Die Versicherte sei in die E …CLINIC nur zur Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung überführt worden. Die Operation sei eine Notfallbehandlung gewesen.

Das SG hat mit Urteil vom 20.04.1999 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht, da er erloschen sei. Im Zeitpunkt des Todes der Versicherten sei ein Verwaltungsverfahren nicht anhängig gewesen, und es sei auch nicht sicher, wann der Antrag auf Kostenerstattung bei der Beklagten eingegangen sei. Selbst wenn die Rechtsnachfolge der Klägerin nicht ausgeschlossen wäre, hätte die Klage keinen Erfolg gehabt. Die Versicherte habe sich die stationäre Behandlung in der E …CLINIC selbst beschafft, ohne dass dafür eine Notwendigkeit bestanden hätte. Eine ausreichende Versorgung hätte nämlich auch in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgen können. Der Versicherten hätten weitere zugelassene Krankenhäuser zur fachgerechten Behandlung zur Verfügung gestanden.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 02.06. 1999. Sie macht, wie vor dem SG, geltend, die Versicherte habe in der E …CLINIC lediglich eine Zweitmeinung einholen wollen. Sie habe an einer akuten Bauchhöhlenentzündung sowie an einem Darmverschluss gelitten, und diese Erkrankungen seien im St.T …-Krankenhaus nicht erkannt worden, so dass ein sofortiger Eingriff in der E …CLINIC erforderlich gewesen sei. Das St.T …-Krankenhaus habe eine Verlegung zur Durchführung einer Operation nicht am 17.09.1996, sondern erst später geplant. Die Ansicht des SG, der Erstattungsanspruch sei erloschen, sei rechtlich verfehlt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30.10.1996 und 02.12.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.1997 werden aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der stationären Behandlung in der E … CLINIC in Höhe von 37.603,45 DM zuzüglich der Zinsen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, ein Notfall habe nicht vorgelegen. Die Operation hätte auch in einem Vertragskrankenhaus durchgeführt werden können.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG sowie die Patientenakten der beiden Krankenhäuser, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 Deutsche Mark (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin der Versicherten entgegen der Ansicht des SG und der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der stationären Behandlung der Versicherten in der E …CLINIC vom 17.09. bis 19.09.1996 in Höhe von 37.603,45 DM.

Der Anspruch ergibt sich aus § 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1992, BGBl.I 2266). Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Die Klägerin ist als testamentarische Alleinerbin Inhaberin dieses Anspruchs (§ 58 Satz 1 Sozialgesetzbuch I – SGB I – in Verbindung mit § 1937 Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser Anspruch ist entgegen dem SG nicht nach § 59 Satz 2 SGB I ausgeschlossen, da er nicht unter diese Vorschrift fällt. Gemäß § 59 Satz 2 SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind, noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Dies gilt jedoch nicht, soweit sich solche Ansprüche vor dem Tode des Berechtigten aufgrund Selbstbeschaffung und Vorwegfinanzierung in einen Kostenerstattungsanspruch und damit in einen Anspruch auf eine einmalige Geldleistung umgewandelt haben. Denn nach § 58 Satz 1 in Verbindung mit §§ 56 und 59 SGB I tritt bei fälligen Ansprüchen auf einmalige Geldleistungen keine Sonderrechtsnachfolge, sondern die bürgerlich-rechtliche Erbfolge ein, wenn die Geldleistungen im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten entweder bereits festgestellt waren oder ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig war. Es reicht für den Beginn des Verwaltungsverfahrens aus, dass, wie im vorliegenden Fall, ein Antrag bei einem Leistungsträger eingegangen ist (§ 16 Abs.1, 2 SGB I; vgl. BSG vom 08.10.1998 BSGE 83, 30 ff.). Hiervon muss nach Lage des Falles ausgegangen werden, da die E …CLINIC, wie den Verwaltungsakten der Beklagten zu entnehmen ist, bereits am 17.09.1996 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Versicherte beantragt hat (§ 19 Sozialgesetzbuch IV, § 13 Abs.1 Sozialgesetzbuch X). Dass dieses Schreiben keinen Eingangsstempel der Beklagten trägt, geht zu deren Lasten. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mit Urteil vom 10.10.1978 (USK 78126) entschieden, dass nach dem Tode des Versicherten der Anspruch auf Krankenhauspflege (Sachleistung) sich in einen Anspruch auf Erstattung der Krankenhausbehandlungskosten (Geldleistung) wandelt und der Erstattungsanspruch im Wege der Rechtsnachfolge auf die Erben übergeht.

Die am 17.09.1996 nach der Krankenhausaufnahme durchgeführte Peritonitisbehandlung mit Debridement (Wundexzession) und die Revision des Abdomens sowie Hernienreposition waren eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs.3 SGB V. Unaufschiebbare Leistungen in diesem Sinne sind Notfälle gemäß § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V, Systemstörungen und Versorgungslücken (Kasseler Kommentar-Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8 mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

Im vorliegenden Fall ist von einer Systemstörung bzw. einem Notfall auszugehen. Unter den Begriff Systemstörungen fallen Defizite bei einer im SGB V vorgesehenen Leistungsart bzw. bei der Erbringung solcher Leistungen.

Der Senat stützt sich hier auf die Entscheidung des BSG vom 25.09.2000 (B 1 KR 5/99 R, Die Sozialgerichtsbarkeit 2001, 672). Das BSG hat entschieden, dass ein Kostenerstattungsanspruch auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, nur gestützt werden kann, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen. Das BSG nimmt in dieser Entscheidung die Unaufschiebbarkeit einer ärztlichen Leistung dann an, wenn die Behandlung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestanden hat (s. auch Hauck-Haines, SGB V, § 13, Rdnr.49). In der Regel muss der Versicherte sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Krankenkasse in Verbindung setzen. Dies ist lediglich bei einem Notfall im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V nicht erforderlich, bei dem ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss. Unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs.3 SGB V kann auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann.

Das BSG hat mit Urteil vom 16.12.1993 (BSGE 73, 271, 287) eine Leistung schon in dem Zeitpunkt als unaufschiebbar bezeichnet, in dem sie erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreicht werden kann. Die medizinische Dringlichkeit ist nach der Entscheidung des BSG vom 25.09.2000 (a.a.O.) nicht allein ausschlaggebend. Denn für die Unaufschiebbarkeit wird noch vorausgesetzt, dass die Krankenkasse die in Rede stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden. Daraus folgt, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten aus medizinischen oder anderen Gründen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten.

Der Senat geht im vorliegenden Fall davon aus, dass es der Versicherten bzw. der für sie handelnden Klägerin wegen der schweren Erkrankung und des schlechten Allgemeinzustandes der Versicherten nicht möglich und auch nicht zuzumuten war, vor Durchführung der streitigen Operation die Krankenkasse mit der Prüfung zu befassen, ob die dringend erforderliche sachgerechte Behandlung auch in einem anderen zugelassenen Krankenhaus möglich war. Die Versicherte litt an einer lebensbedrohlichen Erkrankung und hatte nach dem Aufnahmebefund der E …CLINIC einen deutlich reduzierten Allgemeinzustand. Nachdem die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben am 14. und 15.09.1996 (Samstag/Sonntag) im St.T …-Krankenhaus erfolglos versucht hatte, angesichts des sich stets verschlechternden Zustandes der Versicherten eine sofortige zweckmäßige Behandlung zu erreichen, und ihr vom Vertreter des Oberarztes am Montag, den 16.09.1996, eine Verlegung erst in den nächsten Tagen in ein anderes Krankenhaus zur Durchführung einer Operation angekündigt wurde, bestand ein sofortiger Handlungsbedarf, der eine vorherige Einschaltung der Beklagten nicht mehr zuließ. Es war der Versicherten bzw. Klägerin wegen der schweren Erkrankung sowie des von der Beklagten nicht bestrittenen schlechten Allgemeinzustands der Versicherten nicht mehr zuzumuten, die Beklagte in B … mit der Prüfung zu beauftragen, ob ein anderes zugelassenes Krankenhaus in der näheren Umgebung freie Kapazitäten hatte und zur Durchführung der medizinisch erforderlichen Operation in der Lage war.

Aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergibt sich nicht eindeutig, ob die Peritonitis, deren Vorliegen von der Beklagten nicht angezweifelt wurde, bereits im St.T …-Krankenhaus aufgetreten war, aber von den dortigen Krankenhausärzten nicht erkannt wurde, oder ob sie erst bei Aufnahme in die E …CLINIK zu diagnostizieren war. Dies kann hier offen bleiben, da die Beklagte nach beiden Varianten leistungspflichtig ist, nämlich im ersten Fall unter dem Gesichtspunkt einer Systemstörung, im zweiten Fall aus Gründen einer Notfallbehandlung (§ 76 Abs.1 Satz 2 SGB V). Nach dem Operationsbericht vom 17.09.1996 stellte der Chefarzt der E …CLINIC Dr.E … die Diagnose Peritonitis (vier Quadranten), fibrinös, eitrig, inkarzerierte epigastrische Hernie (Transversum), metastasierendes Pankreaskopf-Karzinom (Leber) mit Verschlussikterus. Der an diesen Arzt adressierte Kurzarztbrief des St.T …-Krankenhauses N … (ohne Datum) enthält die Diagnosen Verschlussikterus infolge filiformer Cholodochusstenose bei dringendem Verdacht auf Pankreaskopf-NPL, Gallenblasenhydrops, Cholelithiasis. Weder aus diesen Diagnosen, noch aus den anschließenden Bemerkungen ergibt sich der Hinweis auf eine Peritonitis und eine eitrige, inkarzerierte Hernie (sogenannte Brucheinklemmung). Das tatsächliche Ausmaß der Peritonitis ergab sich erst bei der Operation; denn Dr.E … hat mit Schreiben vom 20.02.1997 festgestellt, dass das Ausmaß der Peritonitis, die sich auf alle vier Quadranten erstreckte, nicht erwartet worden war und die Revision des gesamten Abdomens und die Schnitterweiterung erforderte. Der Arzt hatte daraufhin aufgrund des Befundes eine palliative Versorgung angestrebt.

Bereits die allgemein zugängliche medizinische Literatur belegt, dass die Peritonitis eine lebensgefährliche Erkrankung ist, bei der Überlegungen über eine sofortige Operation erforderlich sind. Ohne eine frühzeitige adäquate Therapie kommt es rasch zur Dehydration und zu einer Auftreibung des Abdomens. Des Weiteren erscheint das Gesicht typischerweise als “facies hypocratica” (Gesichtsausdruck des Sterbenden) eingefallen und der Patient verstirbt innerhalb weniger Tage. Wenn die Peritonitis nicht sofort und wirksam behandelt wird, kommt es rasch zum Multisystemversagen. Es ist wichtig, so bald als möglich zu entscheiden, ob bei einem Patienten mit akut beginnender Peritonitis eine Notlaparoskopie durchgeführt werden soll oder nicht (MSD-Manual, 5. Auflage, Stichwort: Peritonitis, S.2408 ff.). Bei der Peritonitis handelt es sich um ein schweres Krankheitsbild, das einer intensiv-medizinischen Behandlung bedarf; es besteht postoperativ eine Letalität von ca. 55 % (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage, Stichwort Peritonitis, S.1222 ff.).

Haben derartige Symptome noch während des Aufenthalts im St.T …-Krankenhaus N … bestanden, muss von einer Systemstörung ausgegangen werden, da der oben genannte Kurzarztbrief nicht erkennen lässt, dass die Behandlung einer Peritonitis eingeleitet wurde. Hat sich die Peritonitis jedoch erst nach der Aufnahme in der E …CLINIC am 17.09.1996 entwickelt, liegt ein krankenversicherungsrechtlicher Notfall vor, der ohne Weiteres dazu berechtigt, die Behandlung eines nicht zugelassenen Krankenhauses in Anspruch zu nehmen (§ 76 Abs.1 Satz 2 SGB V). Denn in einem derartigen Notfall muss, wie bereits ausgeführt wurde, ein unvermittelt aufgetretener Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden.

Die Dringlichkeit eines sofortigen ärztlichen Eingreifens bei einer Peritonitis ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Er hat im Falle eines wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Belegarztes mit Urteil vom 20.05.1980 (NStZ 1981, 218 ff.) festgestellt, dass Todesursache die vom Arzt zu spät erkannte und behandelte Bauchfellentzündung war. Jeder Eingriff zu einem früheren Zeitpunkt hätte eine deutlich längere Überlebenszeit und damit die hochgradige Wahrscheinlichkeit bewirkt, dass die Patientin wieder ganz gesund geworden wäre (s. auch OLG Koblenz MedR 1994, 405). Auch wenn es im vorliegenden Fall nicht um die straf- oder zivilrechtliche Verantwortung eines Arztes geht, lässt diese Rechtsprechung erkennen, dass bei einer Peritonitis eine sofortige ärztliche Behandlung notwendig ist. Dies gilt auch im Krankenversicherungsrecht, da sich auch hier der Behandlungsstandard an dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und den Regeln der ärztlichen Kunst orientiert (§§ 2 Abs.1 Satz 3, 28 Abs.1 Satz 1 SGB V).

Rechtsfolge des Erstattungsanspruchs nach § 13 Abs.3 SGB V ist die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten in der entstandenen Höhe. Einwendungen hiergegen sind von der Beklagten nicht erhoben worden.

Aus Gründen der Klarstellung ist bezüglich der geltend gemachten Nebenforderung (Zinsen), die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden konkludent abgelehnt worden ist, Folgendes zu erläutern: Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Verzinsung gemäß § 44 SGB I. Nach Abs.1 dieser Vorschrift sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Gemäß § 44 Abs.2 SGB I beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).