Bundessozialgericht B 1 KR 31/21 R

Kernpunkte:

  • Aufgrund des Hinweises “Bikuspidale Aortenklappe” wird eine (angeborene) bikuspidale Aortenklappe – unabhängig vom Vorliegen einer funktionellen Stenose, Insuffizienz oder beides – mit der ICD Q23.1  Angeborene Aortenklappeninsuffizienz verschlüsselt. (RdNr 15)
  • Aufgrund des Exklusivums zur Kategorie I35 in der ICD darf kein Kode aus dieser Gruppe verschlüsselt werden, wenn wenn die Aortenklappenkrankheit auf eine Fehlbildung zurückzuführen ist. (RdNr 16)
  • Die Entscheidung KDE 585 des Schlichtungsausschusses bezieht sich sehr konkret auf einen Einzelfall. Darüber wird jedoch nicht weiter entschieden, weil die hier vorliegende Behandlung  aus 2015 vor der Gültigkeit dieser Entscheidung (25.11.20) stattfand. (RdNr 22)
  • Eine rückwirkende Gültigkeit von Entscheidungen des Schichtungsausschusses ist ausgeschlossen. (RdNr 23 ff)
  • Die PrüfvV ist nicht anzuwenden, weil es sich um eine “sachlich-rechnerische Prüfung” handelte. (RdNr 33)

Bundessozialgericht

Verkündet am
26. April 2022

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

 

BSG Az.:  B 1 KR 31/21 R
LSG Hamburg 24.06.2021 – L 1 KR 59/20
SG Hamburg 25.02.2020 – S 50 KR 1933/16

…………………………………..

 Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 22. Juni 2022 durch den Richter Dr. E s t e l m a n n als Vorsitzenden, den Richter Dr. B o c k h o l d t
und die Richterin G e i g e r sowie den ehrenamtlichen Richter M e l z e r und die ehrenamtliche Richterin Prof. Dr. B r a n d l für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2617,54 Euro festgesetzt.

Gründe

I

 

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

2

Das klagende Krankenhaus behandelte die bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte vom 8. bis 23.1.2015 vollstationär wegen einer hochgradigen Aortenklappenstenose. Sie hatte eine angeborene bikuspidale Aortenklappe. Die Aortenklappe besteht regelhaft aus drei taschenförmigen Segeln. Bei der Variante der bikuspidalen Aortenklappe sind nur zwei taschenförmige Segel angelegt. Für die Behandlung der Versicherten stellte das Krankenhaus der KK 17 777,40 Euro nach der Fallpauschale (DRG) F03E in Rechnung. Als Hauptdiagnose verschlüsselte es dabei den Kode (ICD-10-GM) Q23.0 (angeborene Aortenklappenstenose). Die KK beglich die Rechnung und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung der DRG und der Hauptdiagnose. Dieser bejahte I35.0 (Aortenklappenstenose) als Hauptdiagnose, die die geringer bewertete DRG F03F ansteuert. Die KK verrechnete den sich daraus ergebenden Differenzbetrag von 2617,54 Euro mit einer anderen, unstreitigen Forderung des Krankenhauses. Im Klageverfahren hat das Krankenhaus geltend gemacht, als Hauptdiagnose sei Q23.1 (angeborene Aortenklappeninsuffizienz) zu kodieren. Dies führe zur selben DRG wie die ursprünglich kodierte Hauptdiagnose Q23.0. Das SG hat die KK zur Zahlung des Differenzbetrages nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 25.2.2020). Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen. Das Krankenhaus habe den Behandlungsfall zu Recht nach DRG F03E abgerechnet. Als Hauptdiagnose sei Q23.1 zu verschlüsseln gewesen (ua Verweis auf BSG vom 19.3.2020 – B 1 KR 65/19 B, B 1 KR 67/19 B und B 1 KR 69/19 B). Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses nach § 19 KHG vom 25.11.2020 zu der Kodierempfehlung (KDE) 585 sei auf den streitigen Behandlungsfall weder zeitlich noch inhaltlich anwendbar. Sie widerspreche zudem den vorhandenen abstrakten Kodierregeln (Urteil vom 24.6.2021).

3

Mit ihrer Revision rügt die KK eine Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, §§ 7 und 9 KHEntgG, § 17b KHG iVm der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2015 und den zugehörigen Abrechnungsregelungen, § 19 Abs 2, 4, 5 und 6 KHG und § 17c Abs 2 KHG iVm § 7 Abs 5 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV 2014). Das Krankenhaus sei mit der erst im Klageverfahren vorgenommenen Änderung der Hauptdiagnose von Q23.0 in Q23.1 präkludiert. Als Hauptdiagnose sei I35.0 zu kodieren. Aufnahmeanlass sei nicht eine Aortenklappeninsuffizienz gewesen, sondern eine Aortenklappenstenose. Dass Q23.1 hierauf keine Anwendung finde, verdeutliche auch der systematische Zusammenhang mit dem Kode Q23.0 (angeborene Aortenklappenstenose), der die bikuspidale Aortenklappe nicht als Inklusivum aufführe. Die Anwendung des Kodes I35.0 ergäbe sich zudem aus der Entscheidung des Schlichtungsausschlusses nach § 19 KHG vom 25.11.2020 zu der KDE 585.

4

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Juni 2021 und des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

 

7

Die Revision ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der beklagten KK gegen das stattgebende SG-Urteil zu Recht zurückgewiesen

8

Die vom klagenden Krankenhaus erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig und begründet (vgl zur Zulässigkeit zB BSG vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN, stRspr). Dem Krankenhaus stand der strittige Vergütungsanspruch wegen der Behandlung der Versicherten vom 8. bis 23.1.2015 zu. Die KK konnte daher nicht wirksam mit einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegenüber anderweitigen – unstreitigen – Vergütungsansprüchen aufrechnen (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise BSG vom 26.5.2020 – B 1 KR 26/18 R – juris RdNr 11 mwN; zur Aufrechnung BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 9/16 R – SozR 4-5562 § 11 Nr 2 und BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 7/16 R – SozR 4-7610 § 366 Nr 1).

9

Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Behandlungsfall mit der Hauptdiagnose Q23.1 nach Maßgabe der DRG F03E abzurechnen war (dazu 1.). Dem daraus resultierenden Vergütungsanspruch stand weder die Präklusionsregelung des § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 (dazu 2.) noch die fehlende Fälligkeit der Vergütungsforderung entgegen (dazu 3.).

10

1. Dem Krankenhaus stand für den streitigen Behandlungsfall ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe der DRG F03E gemäß § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 17b KHG, § 7 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und § 9 Abs 1 KHEntgG und der FPV 2015 zu (vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs zB BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 mwN; BSG vom 19.3.2020 – B 1 KR 22/18 R – juris RdNr 11 mwN).

11

a) Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm (Grouper) basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 FPV 2015; vgl für die stRspr zum rechtlichen Rahmen der Fallpauschalenvergütung, insbesondere des Groupierungsvorgangs und zur rechtlichen Einordnung des ICD-10-GM: BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 14 ff; BSG vom 19.6.2018 – B 1 KR 39/17 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 10 RdNr 13 und 17). Dieser Grouper greift auf Daten zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version 2015 für das G-DRG-System gemäß § 17b KHG (DKR), aber auch die internationale Klassifikation der Krankheiten in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bzw – jetzt – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM, Version 2015, idF der Bekanntmachung des BMG gemäß §§ 295 und 301 SGB V zur Anwendung des Diagnosenschlüssels vom 5.11.2014, BAnz AT 18.11.2014 B2, in Kraft getreten am 1.1.2015).

12

Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG vom 16.7.2020 – B 1 KR 16/19 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 17, jeweils mwN). Die Klassifikationssysteme können Begriffe entweder ausdrücklich definieren oder deren spezifische Bedeutung kann sich ergänzend aus der Systematik der Regelung ergeben (vgl zu Letzterem BSG vom 27.10.2020 – B 1 KR 25/19 R – juris RdNr 18). Ferner kann der Wortlaut ausdrücklich oder implizit ein an anderer Stelle normativ determiniertes Begriffsverständnis in Bezug nehmen. Fehlt es an solchen normativen definitorischen Vorgaben, gilt der Grundsatz, dass medizinische Begriffe im Sinne eines faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauchs zu verstehen sind (vgl BSG vom 19.7.2012 – B 1 KR 65/11 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 18; BSG vom 23.6.2015 – B 1 KR 21/14 R – SozR 4-2500 § 109 Nr 46 RdNr 18). Ergeben sich danach keine eindeutigen Ergebnisse, ist der allgemeinsprachliche Begriffskern maßgeblich (vgl BSG vom 17.12.2020 – B 1 KR 21/20 R – SozR 4-2500 § 109 Nr 83 RdNr 26; BSG vom 16.8.2021 – B 1 KR 11/21 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 21 RdNr 7).

13

b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben war der streitige Behandlungsfall unter Verschlüsselung der Hauptdiagnose Q23.1 abzurechnen, was zusammen mit dem – zwischen Beteiligten unstreitigen – OPS-Kode für die Aortenklappentransplantation (OPS 5-351.02) in die DRG F03E führt.

14

Die Hauptdiagnose wird nach der DKR D002f definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist (vgl dazu auch BSG vom 21.4.2015 – B 1 KR 9/15 R – BSGE 118, 225 = SozR 4-2500 § 109 Nr 45, RdNr 16 ff). Dies war hier wegen der bei der Versicherten vorliegenden bikuspidalen Aortenklappe die mit Q23.1 beschriebene angeborene Aortenklappeninsuffizienz. Dieser Kode schließt den von der KK befürworteten Kode I35.0 (Aortenklappenstenose) aus (dazu aa). Aus der Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom 25.11.2020 zu der KDE 585 ergibt sich nichts anderes (dazu bb).

15

aa) Der Wortlaut des Kodes Q23.1 nennt die allein durch ihre äußere Gestalt definierte bikuspidale Aortenklappe ausdrücklich und ohne weitere Voraussetzungen als Unterfall der angeborenen Aortenklappeninsuffizienz. Eine wie auch immer zu bestimmende zeitliche Obergrenze bis zum Auftreten behandlungsbedürftiger funktioneller Störungen sieht der Kode Q23.1 als weitere Kodiervoraussetzung nicht vor. Auch differenziert der Wortlaut nicht danach, ob die durch die bikuspidale Aortenklappe ausgelöste funktionelle Störung in einer unzureichenden Schließfähigkeit der Aortenklappe besteht oder in einer degenerativen Aortenklappenstenose. Bei einer angeborenen bikuspidalen Aortenklappe, die eine funktionelle Störung verursacht, ist danach stets der Kode Q23.1 einschlägig, unabhängig davon, welcher Art die Störung ist und wann sie auftritt. Dementsprechend verweist auch das Alphabetische Verzeichnis zum ICD-10-GM (Version 2015) unter “Aortenklappe – bikuspidal” ohne weitere Zusätze allein auf den Kode Q23.1. Diese Wortlautauslegung wird durch die Systematik der Kategorie Q23.- bestätigt. Die Überschrift dieser Kategorie lautet “Angeborene Fehlbildungen der Aorten- und der Mitralklappe”. Die bikuspidale Aortenklappe stellt eine solche angeborene Fehlbildung dar, ohne dass es darauf ankommt, in welcher Form sie in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist und ob diese Einschränkung bereits bei der Geburt vorlag und/oder behandlungsbedürftig war. Soweit innerhalb der Kategorie Q23.- zwischen der angeborenen Aortenklappenstenose (Q23.0) und der angeborenen Aortenklappeninsuffizienz (Q23.1) differenziert wird, bezieht sich diese Differenzierung – entsprechend der Kategorieüberschrift – allein auf die Art der Fehlbildung, nicht auf die dadurch ausgelöste Funktionsstörung (vgl dazu bereits BSG vom 19.3.2020 – B 1 KR 65/19 B, B 1 KR 67/19 B und B 1 KR 69/19 B, jeweils juris RdNr 10 ff).

16

Von der Kategorie I35.- (Nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten) sind durch das dortige Exklusivum neben den als rheumatisch bezeichneten auch sämtliche Aortenklappenkrankheiten ausgeschlossen, die “Als angeboren bezeichnet (Q23.0, Q23.1, Q23.4-Q23.9)” sind. Dies umfasst auch die Q23.1 unterfallende bikuspidale Aortenklappe. Das Exklusivum schließt ausnahmslos und ohne jede Einschränkung die Kodierung von I35.- aus, wenn die Aortenklappenkrankheit auf eine der bezeichneten Fehlbildungen zurückzuführen ist. Das heißt, eine angeborene Aortenklappeninsuffizienz iS von Q23.1 schließt bei einer hierdurch bedingten degenerativen Aortenklappenstenose auch den Kode I35.0 aus. Das ergibt sich in systematischer Hinsicht daraus, dass das Exklusivum auf der Kategorieebene (I35.-) formuliert ist und nicht auf der Ebene des Einzelkodes (I35.0 bzw I35.1).

17

Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lag bei der Versicherten eine angeborene bikuspidale Aortenklappe vor. Sie wurde am 8.1.2015 wegen einer hochgradigen Aortenklappenstenose mit Verdacht auf bikuspide Aortenklappe in das Krankenhaus aufgenommen. Die (degenerative) Aortenklappenstenose war Folge der (angeborenen) bikuspidalen Aortenklappe. Der danach einschlägige Kode Q23.1 schließt den von der KK befürworteten Kode I35.0 (Aortenklappenstenose) aus.

18

Da I35.0 durch Q23.1 von vornherein ausgeschlossen ist, sind weder die Regelungen der DKR D002f zur “Zuweisung der zugrunde liegenden Krankheit als Symptom” einschlägig noch die Regelungen der DKR D012i zur Mehrfachkodierung (vgl zu Letzteren BSG vom 16.7.2020 – B 1 KR 16/19 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 20).

19 bb) Diesem Auslegungsergebnis steht die Entscheidung des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene nach § 19 KHG vom 25.11.2020 zu der KDE 585 nicht entgegen.
20

Nach der mit Wirkung zum 1.1.2020 eingefügten Neuregelung des § 19 KHG (Art 3 Nr 3 des Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen <MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789) bilden der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft einen Schlichtungsausschuss auf Bundesebene (Abs 1 Satz 1). Aufgabe dieses Ausschusses ist die verbindliche Klärung von Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (Abs 2). Er kann von den in § 19 Abs 3 KHG aufgeführten Anrufungsberechtigten (ua einzelne Krankenhäuser und KKn) angerufen werden. Unabhängig von einer Anrufung hatte der Schlichtungsausschuss bis zum 31.12.2020 zu entscheiden über die zwischen der Sozialmedizinischen Expertengruppe Vergütung und Abrechnung der Medizinischen Dienste (SEG 4) und dem Fachausschuss für ordnungsgemäße Kodierung und Abrechnung der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling (FoKA) bis zum 31.12.2019 als strittig festgestellten Kodierempfehlungen (Abs 5). Die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses sind zu veröffentlichen und gelten als Kodierregeln (Abs 6). Gegen sie ist für die Einrichtungen, die ihn angerufen haben – mit Ausnahme des BMG – der Sozialrechtsweg gegeben (Abs 7; vgl zum Schlichtungsausschuss allgemein Makoski, KrV 2021, 185).

21

Über die KDE 585 zur Kodierung der Aortenklappenstenose bei bikuspidaler Aortenklappe der SEG 4 der Medizinischen Dienste (MD) bestand zwischen dieser und dem FoKA ein Dissens (siehe https://foka.medizincontroller.de/index.php/KDE-585, zuletzt aufgerufen am 21.6.2022). Der Schlichtungsausschuss auf Bundesebene hat dazu am 25.11.2020 entschieden (abrufbar unter https://www.g-drg.de/Schlichtungsausschuss_nach_19_KHG/KDE-Entscheidungen_ des_Schlichtungsausschusses_2020, zuletzt aufgerufen am 21.6.2022): “Bei der 78-jährigen Patientin (KDE-585), die zur geplanten Operation einer Aortenklappenstenose kommt und bei der erst intraoperativ eine bikuspidale Aortenklappe mit Stenose festgestellt wird, deren Vorhandensein nicht zu einer Änderung im geplanten Operationsablauf führt, ist der Kode I35.0 Aortenklappenstenose als Hauptdiagnose zu kodieren. Die bikuspidale Aortenklappe wird in diesem Fall nicht mit einem Kode aus Q23.- Angeborene Fehlbildungen der Aorten- und der Mitralklappe als Nebendiagnose kodiert.”

22

Diese Entscheidung ist auf den vorliegenden Abrechnungsfall aus dem Jahr 2015 jedoch zeitlich nicht anwendbar (vgl Knispel, NZS 2022, 272; Gerlach in BeckOK KHR, § 19 KHG RdNr 17, Stand 1.5.2022). Die Frage, ob auch die hier vorliegende Fallgestaltung von der Entscheidung inhaltlich umfasst ist, oder ob diese derart konkret auf einen Einzelfall bezogen ist, dass sie als allgemeine Kodierregel von vornherein ungeeignet erscheint, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

23

(1) Nach § 19 Abs 4 Satz 3 KHG gelten die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses für die zugelassenen Krankenhäuser, die KKn und die Medizinischen Dienste (MD) für die Erstellung oder Prüfung von Krankenhausabrechnungen für Patientinnen und Patienten, die ab dem ersten Tag des übernächsten auf die Veröffentlichung der Entscheidung folgenden Monats in das Krankenhaus aufgenommen werden, und für die Krankenhausabrechnungen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung bereits Gegenstand einer Prüfung durch den MD nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V sind.

24

Nach der Gesetzesbegründung soll hierdurch gewährleistet werden, dass die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses nur für die Zukunft gelten. Unstrittige, bereits bezahlte Krankenhausabrechnungen sollen nicht nachträglich auf der Grundlage einer Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom Krankenhaus neu gestellt oder vom Kostenträger gekürzt werden können. Zum einen soll hierdurch der mit der nachträglichen Änderung einvernehmlich gezahlter Abrechnungen verbundene Verwaltungsaufwand vermieden werden. Zum anderen soll vermieden werden, dass der Schlichtungsausschuss auf Bundesebene aus Sorge vor Verwerfungen für die Vergangenheit nicht angerufen wird und insoweit die Klärung strittiger Sachverhalte unterbleibt (siehe BT-Drucks 19/13397 S 92 zu Abs 4).

25

(2) Die Regelung des § 19 Abs 4 Satz 3 KHG findet nach ihrem Wortlaut und dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Sinn und Zweck trotz der systematischen Verortung in § 19 Abs 4 KHG auch auf die durch den Schlichtungsausschuss von Amts wegen zu treffenden Entscheidungen nach § 19 Abs 5 KHG Anwendung. § 19 Abs 5 KHG enthält keine eigene Regelung zur Gültigkeit, obwohl sich die Frage hier in gleicher Weise stellt. Dementsprechend wird auch in der Gesetzesbegründung zu der für sämtliche Entscheidungen des Schlichtungsausschusses geltenden Regelung des § 19 Abs 6 KHG davon ausgegangen, dass die Verbindlichkeit ab dem ersten Tag des übernächsten Monats gilt, der auf die Entscheidung des Schlichtungsausschusses folgt (BT-Drucks 19/13397 S 92 zu Abs 6).

26

Davon geht auch der Schlichtungsausschuss selbst aus. Denn in der Entscheidung vom 25.11.2020 zur KDE 585 heißt es zur Gültigkeit:

“Die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses gelten für die zugelassenen Krankenhäuser, die Krankenkassen und die Medizinischen Dienste für die Erstellung oder Prüfung von Krankenhausabrechnungen für Patientinnen und Patienten, die ab dem 01.01.2021 in das Krankenhaus aufgenommen werden und für die Krankenhausabrechnungen, die am 25.11.2020 bereits Gegenstand einer Prüfung durch den Medizinischen Dienst nach § 275 Absatz 1 Nummer 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind.”

27

(3) § 19 Abs 4 Satz 3 KHG macht eine Ausnahme von dem Grundsatz der Anwendung auf zukünftige Behandlungsfälle allein für solche Behandlungsfälle, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung bereits Gegenstand einer Prüfung durch den MD “sind”. Nicht dagegen werden Behandlungsfälle eingeschlossen, die Gegenstand einer Prüfung durch den MDK “gewesen sind”. Eine entsprechende Regelung fehlt. Bezeichnend ist insoweit auch, dass die Vorschrift nur noch von den Medizinischen Diensten spricht, nicht aber auch vergangenheitsbezogen von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung. Gegenstand einer Prüfung durch den MD sind Behandlungsfälle jedenfalls dann nicht (mehr), wenn – wie hier – die KK dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitgeteilt hat (§ 8 Satz 1 PrüfvV 2014). Ob über die Abrechnung noch ein sozialgerichtlicher Rechtsstreit anhängig ist, ist insofern unerheblich (vgl Gerlach in BeckOK KHR, § 19 KHG RdNr 17, Stand 1.5.2022).

28

Die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene gelten nach § 19 Abs 6 KHG als Kodierregeln und entfalten deshalb gegenüber den nicht an dem jeweiligen Verfahren beteiligten Personen und Institutionen normative Wirkung (vgl BT-Drucks 19/13397 S 93; zur normativen Wirkung der DKR vgl BSG vom 8.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 17 f). Eine – verfassungsrechtliche Probleme aufwerfende – rückwirkende Geltung für bereits abgeschlossene Behandlungsfälle bedürfte einer klaren gesetzlichen Regelung. Eine solche findet sich in § 19 Abs 4 Satz 3 KHG nur für die Fälle, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung bereits Gegenstand einer Prüfung durch den MD “sind”. Im Übrigen verbleibt es auch nach der Gesetzesbegründung bei dem Grundsatz, dass die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses nur für die Zukunft gelten (siehe oben RdNr 24 f). Soweit in den Gesetzesmaterialien (aaO) weiter ausgeführt wird, dass “unstrittige, bereits bezahlte Krankenhausabrechnungen nicht nachträglich auf der Grundlage einer Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom Krankenhaus neu gestellt oder vom Kostenträger gekürzt werden” können sollen, lässt sich daraus nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit der Wille des Gesetzgebers entnehmen, die Rückwirkung auf sämtliche – auch nach Abschluss des Prüfverfahrens – noch strittigen Abrechnungsfälle zu erstrecken. Dass der Gesetzgeber diese Fälle nicht im Blick hatte, ist schon in Anbetracht der – auch mit dem MDK-Reformgesetz getroffenen – gesetzlichen Regelungen, die allein der Reduzierung von Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und KKn dienen, fernliegend (vgl insbesondere § 17c Abs 2b KHG und dazu BT-Drucks 19/13397 S 45, 87 f; ferner etwa § 409 SGB V und dazu BT-Drucks 19/5593 S 124 zu Nr 20).

29

Gegen eine rückwirkende Geltung für alle noch strittigen Abrechnungsfälle sprechen in systematischer Hinsicht auch die gesetzlichen Regelungen in § 295 Abs 1 Satz 8 und § 301 Abs 2 Satz 6 SGB V. Diese ermächtigen das BfArM bei Auslegungsfragen zu den Diagnosen- und Prozedurenschlüsseln explizit zu Klarstellungen und Änderungen mit Wirkung auch für die Vergangenheit, soweit diese nicht zu erweiterten Anforderungen an die Verschlüsselung erbrachter Leistungen führen. Der Gesetzgeber hat hier eine rückwirkende Klärung von Auslegungsfragen auch für noch streitige Abrechnungsfälle ausdrücklich zugelassen, allerdings nicht zum Nachteil der Leistungserbringer, um eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung zu vermeiden (vgl BT-Drucks 19/5593 S 123 f zu Nummern 16a und 17; vgl dazu auch den Vorlagebeschluss des SG München vom 25.6.2020 – S 12 KR 1865/18 – juris; und dazu Bockholdt, jurisPR-SozR 21/2020 Anm 1). Auf die Frage der Vereinbarkeit dieser Regelung mit höherrangigem Recht kommt es hier nicht an. Entscheidend ist allein, dass der Gesetzgeber die Rückwirkung für bereits abgeschlossene Behandlungsfälle hier teilweise als unzulässig angesehen und nur einseitig zu Lasten der KKn zugelassen hat. Dies spricht jedenfalls dagegen, dass er im Rahmen des § 19 KHG dem Schlichtungsausschuss auf Bundesebene eine darüber hinausgehende Befugnis zur rückwirkenden Klärung streitiger Abrechnungsfragen auch zum Nachteil der Krankenhäuser zugestehen wollte.

30

Da die Entscheidung des Schlichtungsausschusses vom 25.11.2020 auf den vorliegenden Abrechnungsfall schon zeitlich keine Anwendung findet, muss der Senat nicht entscheiden, in welchem Umfang die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses für die hiervon mittelbar betroffenen Einrichtungen, die an dem konkreten Verfahren nicht beteiligt sind, im Rahmen einer konkreten Abrechnungsstreitigkeit inzident gerichtlich überprüfbar sind (vgl dazu BT-Drucks 19/13397 S 93; zur Überprüfbarkeit der normenvertraglichen Regelungen der DKR und der FPV am Maßstab des höherrangigen Gesetzesrechts vgl BSG vom 19.4.2016 – B 1 KR 34/15 R – SozR 4-5562 § 2 Nr 1 RdNr 14; vgl zu weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere der Möglichkeit von Krankenhäusern und KKn, beim Schlichtungsausschuss selbst einen Antrag zu stellen und die Entscheidung dann nach § 19 Abs 7 KHG vollinhaltlich überprüfen zu lassen, Seifert in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl 2022, § 275c RdNr 38).

31

2. Die Durchsetzbarkeit des streitigen Vergütungsanspruchs nach Maßgabe der DRG F03E scheitert nicht daran, dass das Krankenhaus gemäß § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 gehindert ist, die zur Abrechnung dieser DRG führende (zutreffende) Hauptdiagnose Q23.1 nachzukodieren.

32
Nach § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 sind Korrekturen oder Ergänzungen von Datensätzen nur einmalig möglich (Satz 1) und vom MDK nur dann in seine Prüfung einzubeziehen, wenn sie innerhalb von fünf Monaten nach Einleitung des MDK-Prüfverfahrens an die KK erfolgen (Satz 2).
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Die Vorschrift bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Änderungen zugunsten des vom Krankenhaus zu Abrechnungszwecken an die KK übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvV geregelten Änderungsfristen unzulässig sind, soweit der Datensatz Gegenstand des Prüfverfahrens geworden ist. Änderungen des MDK-geprüften Teils des Datensatzes nach § 301 SGB V außerhalb der in § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 geregelten Änderungsmöglichkeiten sind – auch mit Wirkung für ein ggf nachfolgendes Gerichtsverfahren – unzulässig. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses kann nicht erfolgreich auf Grundlage von neuen (geänderten oder ergänzten) Daten durchgesetzt werden, deren Übermittlung unzulässig ist. Die Rechtsfolge des § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 hat Auswirkungen nicht nur für den Austausch der Daten zur Begründung einer Nachforderung, sondern auch für Datenänderungen zur Begründung eines gleichbleibenden oder verminderten Rechnungsbetrags. Unzutreffende, nicht mehr änderbare Daten fallen als Berechnungselemente grundsätzlich ersatzlos weg. Dies gilt allerdings nicht, wenn es “nur” um quantitative Angaben geht (zB Dauer der Beatmungsstunden, Geburtsgewicht, OPS-Kodes mit quantitativen Unterscheidungen), also nicht ein Aliud, sondern ein Minus oder ein Maius zutreffend hätte kodiert werden müssen. Ausdrücklich offengelassen hat der Senat dabei, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen – wie im vorliegenden Fall – die im Datensatz mitgeteilte, vom Prüfauftrag umfasste Hauptdiagnose (erstgenannte Diagnose) unzutreffend und eine Nachkodierung ausgeschlossen ist (vgl zum Vorstehenden insgesamt BSG vom 18.5.2021 – B 1 KR 34/20 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 10 RdNr 14 ff; BSG vom 18.5.2021 – B 1 KR 39/20 R – juris RdNr 14 ff; zur PrüfvV 2016 vgl BSG vom 18.5.2021 – B 1 KR 37/20 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 11 RdNr 16 ff). Diese Frage bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung. Denn die PrüfvV 2014 findet auf die hier durchgeführte Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit keine Anwendung.
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Nach der stRspr des Senats galt die PrüfvV 2014 – ebenso wie § 275 Abs 1c SGB V in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung (aF) – bis zum 31.12.2015 nur für Auffälligkeitsprüfungen betreffend die Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung, nicht dagegen für die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung (ua BSG vom 23.5.2017 – B 1 KR 24/16 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 30 ff mwN; BSG vom 16.7.2020 – B 1 KR 15/19 R – BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 11 f; BSG vom 10.11.2021 – B 1 KR 43/20 R – juris RdNr 14; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Differenzierung vgl BVerfG <Kammer> vom 26.11.2018 – 1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17 – NJW 2019, 351; zur Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 ab dem 1.1.2016 auch auf Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung vgl BSG vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R – juris RdNr 13 ff). Daran hält der Senat weiterhin fest.
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Eine die Wirtschaftlichkeit betreffende Auffälligkeitsprüfung liegt immer dann vor, wenn Ziel der Prüfung die Feststellung ist, dass eine stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit überhaupt nicht oder nicht in dem Umfang der tatsächlich erfolgten Versorgung vorgelegen hat (vgl BSG vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R – BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, zu einem Fall primärer Fehlbelegung; BSG vom 21.4.2015 – B 1 KR 6/15 R – BSGE 118, 219 = SozR 4-2500 § 109 Nr 43, zu einem Fall sekundärer Fehlbelegung). Die Abgrenzung zwischen den beiden Prüfarten richtet sich nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen. Der für die Auslegung des Auftrags maßgebliche wirkliche Wille (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 133 BGB) ist dem Prüfauftrag zu entnehmen (vgl BSG vom 10.11.2021 – B 1 KR 43/20 R – juris RdNr 14).
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Danach findet die PrüfvV 2014 vorliegend keine Anwendung. Denn Gegenstand des Prüfauftrages war nach den bindenden Feststellungen des LSG die Überprüfung der DRG und der kodierten Hauptdiagnose, mithin die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung des Krankenhauses. Allein diese ist von der vorliegend streitigen Frage nach der zutreffenden Hauptdiagnose auch betroffen (vgl zur Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 im Jahr 2015 nur auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei einem auf eine Vollprüfung gerichteten Prüfauftrag BSG vom 10.11.2021 – B 1 KR 43/20 R – juris RdNr 13 ff).
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3. Dem Vergütungsanspruch des Krankenhauses nach Maßgabe der DRG F03E stand die unzutreffend kodierte Hauptdiagnose Q23.0 (anstatt Q23.1) auch im Übrigen nicht entgegen.
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Zwar ist nach der bisherigen Rspr des BSG eine ordnungsgemäße Information der KK über die vom Krankenhaus abgerechnete Versorgung nach Maßgabe der Mitwirkungsobliegenheiten insbesondere aus § 301 SGB V Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Abrechnung und damit auch der Fälligkeit der Vergütungsforderung (vgl BSG vom 16.5.2012 – B 3 KR 14/11 R – BSGE 111, 58 = SozR 4-2500 § 109 Nr 24, RdNr 32 mwN; BSG vom 25.10.2016 – B 1 KR 18/16 R – juris RdNr 26; BSG vom 9.4.2019 – B 1 KR 3/18 R – BSGE 128, 54 = SozR 4-1780 § 161 Nr 3, RdNr 25; dazu, dass es einer nachträglichen Korrektur inhaltlich unrichtiger Daten nicht bedarf, soweit sich das Krankenhaus die Ausführungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen zur Kodierung zu eigen macht vgl BSG vom 9.4.2019 – B 1 KR 3/18 R – BSGE 128, 54 = SozR 4-1780 § 161 Nr 3, RdNr 22; zur hiervon abweichenden Rechtslage im – vorliegend nicht eröffneten – Anwendungsbereich des § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 vgl BSG vom 18.5.2021 – B 1 KR 34/20 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 10 RdNr 26 und oben RdNr 33; zur Umsetzung des Ergebnisses einer MDK-Prüfung in diesem Zusammenhang vgl BSG vom 18.5.2021 – B 1 KR 37/20 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 11 RdNr 34 ff).
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Jedoch können Leistungen auf eine noch nicht fällige, im Übrigen aber einredefreie Verbindlichkeit nicht zurückverlangt werden. Dieser bereits in § 813 Abs 1 BGB zum Ausdruck kommende und in § 813 Abs 2 BGB nochmals ausdrücklich geregelte zivilrechtliche Grundsatz gilt über § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V auch im Verhältnis zwischen Krankenhaus und KK (offengelassen in BSG vom 23.6.2015 – B 1 KR 26/14 R – BSGE 119, 150 = SozR 4-5560 § 17c Nr 3, RdNr 43). Der Zweck des § 813 Abs 2 BGB, ein sinnloses Hin- und Herbewegen der Leistung zu vermeiden (vgl BGH vom 6.6.2012 – VIII ZR 198/11 – NJW 2012, 2659, 2661 RdNr 25 mwN) trägt hier gleichermaßen (vgl Wahl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 109 RdNr 206 Fn 598, Stand 6.5.2022). Es wäre bloßer Formalismus, der KK allein wegen der ursprünglich unzutreffenden Kodierung einen Erstattungsanspruch zuzugestehen und sie dann – nach der Korrektur des Fehlers – erneut zur Zahlung zu verpflichten. Sofern sich der Entscheidung vom 9.4.2019 – B 1 KR 3/18 R – (BSGE 128, 54 = SozR 4-1780 § 161 Nr 3, RdNr 23, 30) etwas anderes entnehmen lassen sollte, hält der Senat hieran nicht fest.
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4. Der von den Vorinstanzen zugesprochene Zinsanspruch des Krankenhauses von jährlich fünf Prozent seit dem Tag der Aufrechnung (5.5.2015) ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 291, § 288 Abs 1 Satz 2 BGB und §§ 12 und 14 des nach § 112 SGB V zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft eV und den Krankenkassenverbänden geschlossenen Vertrages “Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung” gemäß § 112 Abs 2 Nr 1 SGB V vom 19.12.2002. Danach beträgt die Zahlungsfrist für die Bezahlung der Krankenhausrechnung 15 Arbeitstage ab dem Vorliegen aller Daten nach § 301 SGB V. Bei nicht fristgerechter Zahlung kann das Krankenhaus nach Ablauf der Zahlungsfrist Zinsen in Höhe von 5 vH jährlich ohne Anbindung an den Basiszinssatz verlangen. Einer gesonderten Mahnung bedarf es hierfür nicht. Die KK hat die Berechnung des Beginns des den unstreitigen Vergütungsanspruch betreffenden Zinsanspruchs nicht bestritten. Eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG vom 20.1.2021 – B 1 KR 31/20 R – SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 10 mwN).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.