Bundessozialgericht B 1 KR 37/00 R

Kernpunkte:

  • Off-Label Use von Arzneimittel ist unter gewissen Voraussetzungen erlaubt.
  • Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn es
    1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn
    2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn
    3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
  • Das Gericht bemängelt, dass das Leistungsrecht keine Bestimmungen kennt, nach denen für eine Indikation zwar nicht zugelassene, aber dennoch dafür sinnvolle Arzneimittel eingesetzt werden können.
  • Aufgrund dieses Urteils wurde das SGB V geändert und hat der GBA “Anlage VI” zur Arzneimittelrichtlinie verfasst.

Bundessozialgericht

Urteil vom 19.03.2002

  • Sozialgericht Dortmund
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
  • Bundessozialgericht B 1 KR 37/00 R

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. August 2000 wird zurückgewiesen. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an Multipler Sklerose (Encephalomyelitis disseminata), einer primär entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Degeneration von Nervengewebe in Gehirn und Rückenmark führt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt; vermutet werden autoagressive Immunreaktionen, bei denen möglicherweise virale Einflüsse ein Rolle spielen. Die Multiple Sklerose äußert sich in zerebralen und spinalen Symptomatiken, insbesondere spastischen Lähmungen und einer Störung der Koordination von Bewegungsabläufen (zerebellare Ataxie). Es wird zwischen einem schubförmigen und einem chronisch progredienten Krankheitsverlauf unterschieden. Beim Kläger gehen die behandelnden Ärzte von einer seit Krankheitsbeginn im Jahr 1987 kontinuierlich fortschreitenden Entwicklung (primär chronisch-progrediente Verlaufsform) aus.

Seit September 1997 wird der Kläger unter anderem durch intravenöse Gabe von Immunglobulinen behandelt. Seine Ärzte erhoffen sich von der ausdrücklich als Heilversuch bezeichneten Therapie eine Besserung der durch die Krankheit verursachten Ataxie. Das zur Behandlung eingesetzte Arzneimittel Sandoglobulin® ist durch das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, zum Verkehr zugelassen; die Zulassung bezieht sich aber auf andere Anwendungsgebiete und umfasst nicht die Therapie der Multiplen Sklerose.

Die Beklagte hat es nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 29. Mai 1998 und Widerspruchsbescheid vom 31. August 1998 abgelehnt, die Behandlungskosten zu tragen. Die auf Erstattung der bereits verauslagten und auf Übernahme der zukünftig entstehenden Kosten gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Sandoglobulin könne im Fall des Klägers nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden, weil es für die Behandlung der Multiplen Sklerose keine Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) besitze. Als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) könne es ebenfalls nicht beansprucht werden, denn es fehle an der dafür erforderlichen Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Auch sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass sich die Therapie der Multiplen Sklerose mit Immunglobulinen noch im Stadium der Erprobung befinde und bisher keine größere Verbreitung gefunden habe.

Mit der Revision widerspricht der Kläger der rechtlichen Beurteilung des LSG und beruft sich auf die Wirksamkeit der in Rede stehenden Behandlungsmethode. Er rügt die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die von den Instanzgerichten zur Frage der wissenschaftlichen Akzeptanz und der Verbreitung der Therapie eingeholten Auskünfte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen und des Paul-Ehrlich-Instituts seien nicht geeignet, die richterliche Überzeugungsbildung zu begründen. Ihre Würdigung sei im Ergebnis willkürlich. Dem LSG hätte es oblegen, die ihm vorgelegten Unterlagen selbst zu würdigen und zu prüfen, ob die fehlende Anerkennung durch den Bundesausschuss womöglich auf einem Mangel im Leistungssystem der Krankenversicherung beruhe, der durch eine gerichtliche Entscheidung korrigiert werden müsse. Die durchzuführende Beweisaufnahme hätte ergeben, dass der Nachweis der Wirksamkeit der Anwendung von Immunglobulinen bei MS nach dem Stand der Wissenschaft erbracht worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. August 2000 und des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Juli 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1998 zu verurteilen, ihm die seit 29. September 1997 für die Behandlung mit Sandoglobulin aufgewendeten Kosten zu erstatten und die zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen.

Die Behandlung der primär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose mit dem für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassenen Fertigarzneimittel Sandoglobulin war und ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beklagte ist deshalb weder verpflichtet, die dafür in den Jahren 1997/98 aufgewendeten Kosten in Höhe von knapp 29.000 DM nach § 13 Abs 3 SGB V zu erstatten, noch den Kläger in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von zukünftig durch die Therapie entstehenden Kosten freizustellen (zu letzterem vgl Senatsurteil vom 3. April 2001 – BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36).

Der in § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und § 31 Abs 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V. Er besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (Urteil vom 8. Juni 1993 – BSGE 72, 252 = SozR 3-2200 § 182 Nr 17 – Goldnerz-Creme; Urteil vom 8. März 1995 – SozR 3-2500 § 31 Nr 3 – Edelfosin; Urteil vom 23. Juli 1998 – BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 – Jomol). Das Krankenversicherungsrecht verzichtet bei der Arzneimittelversorgung, anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung (siehe dazu §§ 135 bis 139 SGB V), weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs 2 AMG). Da dies dieselben Kriterien sind, an denen die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden, kann bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung davon ausgegangen werden, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sind. Unbeschadet der unterschiedlichen Zielsetzung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht rechtfertigt dies die Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Anwendung eines Medikaments im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (zur Zulässigkeit der Verknüpfung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1997 – 1 BvR 1071/95 – NJW 1997, 3085).

Zutreffend geht das angefochtene Urteil in Fortführung dieser Rechtsprechung davon aus, dass ein Arzneimittel auch dann, wenn es zum Verkehr zugelassen ist, grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Eine solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog Off-Label-Use) liegt hier vor, denn die vom Paul-Ehrlich-Institut als zuständiger Bundesoberbehörde erteilte Zulassung für Sandoglobulin umfasst die Substitution bei primären und sekundären Antikörpermangelsyndromen, bei AIDS von Kindern und bei allogener Knochenmarkstransplantation, die Prophylaxe und Therapie von mit diesen Krankheiten einhergehenden Infektionen, die Modulation der Immunantwort bei der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura, dem Guillain-Barré-Syndrom und dem Kawasaki-Syndrom sowie die Sofortprophylaxe bei Masernexposition (Fachinformation des Herstellers Novartis Pharma, Stand: Oktober 2001, vgl auch “Rote Liste” 2001 Nr 75011). Die Therapie der Multiplen Sklerose ist als Anwendungsgebiet nicht genannt.

Die Leistungspflicht der Krankenversicherung bei einem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln ist vom Bundessozialgericht (BSG) in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt worden. In der Entscheidung vom 5. Juli 1995 – 1 RK 6/95 – zur Drogensubstitution mit dem Hustenmittel Remedacen war der erkennende Senat noch ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dem Versicherten könne das Fehlen einer indikationsspezifischen Zulassung nicht entgegengehalten werden (BSGE 76, 194, 196 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 9). Demgegenüber hat der 8. Senat im Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 50 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 51 ff – SKAT) auf die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Einhaltung der im SGB V geforderten Qualitätsstandards verwiesen und gefordert, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die zugelassenen Anwendungsgebiete beschränkt bleiben müsse. Dieser – im damaligen Fall die Entscheidung letztlich nicht tragenden – rechtlichen Beurteilung stimmt der erkennende Senat nunmehr unter Aufgabe seiner früheren, abweichenden Rechtsauffassung ausdrücklich zu.

Die arzneimittelrechtliche Zulassung lässt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des geprüften Medikaments nur zu, soweit ihre rechtliche Bedeutung reicht. Diese beschränkt sich auf die gemäß § 22 Abs 1 Nr 6 AMG vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbezogenheit ist der Arzneimittelzulassung immanent, weil das Arzneimittel definitionsgemäß dazu bestimmt ist, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AMG). Kriterium für die nationale Zulassung ist deshalb nach § 25 Abs 2 Satz 1 AMG neben der Qualität insbesondere die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments (aaO Nr 4), also seine Fähigkeit, einen bestimmten Krankheitszustand in Richtung auf das erwünschte Behandlungsziel zu beeinflussen. Dem Wirksamkeitsnachweis dient die klinische Prüfung am Menschen, die eine notwendige Voraussetzung der Zulassung ist (§ 22 Abs 2 Nr 3 AMG). Aus den im Zulassungsverfahren gemäß § 24 Abs 1 AMG vom Antragsteller vorzulegenden Sachverständigengutachten muss ua hervorgehen, ob das Arzneimittel bei den angegebenen Indikationen angemessen wirksam ist (aaO Nr 3). Nur für diejenigen Krankheiten, zu deren Beseitigung, Linderung, Verhütung oder Erkennung es sich in der klinischen Prüfung als wirksam erwiesen hat, wird die Zulassung erteilt. Soll der Anwendungsbereich später auf weitere Indikationen ausgedehnt werden, muss gemäß § 29 Abs 3 Nr 3 AMG eine neue Zulassung beantragt werden. Lediglich bei einer Einschränkung der Anwendungsgebiete genügt eine bloße Anzeige (§ 29 Abs 3 Nr 3 iVm Abs 2a Nr 1 AMG). Vergleichbare Regeln gelten für den (hier nicht einschlägigen) Fall einer Arzneimittelzulassung nach Europäischem Gemeinschaftsrecht (zum Erfordernis eines neuen Zulassungsantrags bei Änderung therapeutischer Indikationen vgl Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 542/95 vom 10. März 1995 – ABl L 55 vom 11. März 1995, S 15 für das zentrale europäische Genehmigungsverfahren sowie Art 2 Nr 1 iVm Anlage II Nr 2 der Verordnung (EG) Nr 541/95 vom 10. März 1995 – ABl L 55 11. März 1995, S 7 für das dezentrale europäische Genehmigungsverfahren).

Wegen der Beschränkung auf die vom Hersteller genannten Anwendungsgebiete sagt die Zulassung nichts darüber aus, ob das betreffende Arzneimittel auch bei anderen Indikationen verträglich und angemessen wirksam ist (§ 24 Abs 1 Nr 3 AMG). Auch lässt sich, wie der 8. Senat in dem zitierten Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36, 53 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 54) näher ausgeführt hat, nicht ausschließen, dass das Mittel bei einem Gebrauch außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (§ 25 Abs 2 Satz 1 Nr 5 AMG). Bei einer Erweiterung der Anwendungsgebiete müssen deshalb der Nutzen und das Risikopotential des Arzneimittels von Grund auf neu bewertet werden. Entsprechend sieht das Arzneimittelrecht in der Einbeziehung neuer Indikationen eine so gravierende Änderung des Zulassungsstatus, dass es sich nicht – wie bei Veränderungen der Dosierung, der Art oder Dauer der Anwendung oder anderen geringeren Modifikationen – mit einer bloßen Anzeigepflicht und gegebenenfalls einem Zustimmungserfordernis (§ 29 Abs 1 und Abs 2a AMG) zufrieden gibt, sondern eine vollständige Neuzulassung verlangt.

Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos.

In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Dieser Befund wird durch zahlreiche Veröffentlichungen in der Tages- und Fachpresse sowie Initiativen im politischen Raum bestätigt (vgl statt vieler: Hopf, Arzneiverordnung außerhalb der offiziellen Indikation, in: Rheinisches Ärzteblatt 2000, 21; Zylka-Mehnhorn, Den schwarzen Peter hat der Arzt, in: Deutsches Ärzteblatt 2001, A-3413). Betroffen sind insbesondere die Kinderonkologie und allgemein pädiatrische Erkrankungen, bei denen Präparate verwendet werden müssen, die für die betreffende Altersgruppe nicht zugelassen sind (siehe dazu die im Deutschen Bundestag eingebrachten Entschließungsanträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Januar 2001 – BT-Drucks 14/5083 sowie der Fraktion der CDU/CSU und mehrerer Abgeordneter vom 23. Januar 2001 – BT-Drucks 14/5136). Aber auch für einen Gebrauch außerhalb der zugelassenen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa wenn andernfalls eine ernste, lebensbedrohende Krankheit wie Krebs oder AIDS oder ein mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Schmerzen verbundenes Leiden mangels therapeutischer Alternativen nicht wirksam behandelt werden könnte.

Durch Vorschriften des AMG wird dem Arzt in den angesprochenen Fällen eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht verboten. Dem Arzneimittel fehlt zwar für einen Einsatz außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Anwendungsgebiete die Verkehrsfähigkeit. Denn es darf, wie sich aus § 21 Abs 1 Satz 1 AMG und dem Zusammenhang mit den übrigen Zulassungsvorschriften ergibt, nur für die Zwecke und mit den Merkmalen in Verkehr gebracht werden, die Gegenstand des Zulassungsverfahrens gewesen sind. Für ein anderes Anwendungsgebiet darf es demgemäß nicht “zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe vorrätig gehalten, feilgehalten, feilgeboten oder an andere abgegeben” werden (§ 4 Nr 17 AMG). Der Hersteller darf in der Fachinformation für die Ärzte und in der Gebrauchsinformation (Beipackzettel) für die Patienten nur die zugelassenen Anwendungsgebiete nennen und das Arzneimittel bei Apotheken, Ärzten und – soweit zulässig – Verbrauchern nur für die von der Zulassung erfassten Indikationen bewerben. Der Apotheker seinerseits darf es nicht für andere Zwecke anbieten oder verkaufen. Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens sind strafbar (§ 96 Nr 5 AMG). Die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels beinhaltet aber nicht zugleich ein Anwendungsverbot, da die unmittelbare Anwendung am Patienten keine Abgabe im Sinne des AMG darstellt (BVerfGE 102, 26, 34 – Frischzellen; Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, Stand: 2001, § 4 AMG Anm 58, jeweils mwN). Der einzelne Arzt ist somit weder arzneimittelrechtlich noch berufsrechtlich gehindert, bei seinen Patienten auf eigene Verantwortung ein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel für eine Therapie einzusetzen, für die es nicht zugelassen ist.

Die dargestellte Situation zeigt, dass das geltende Arzneimittelrecht seiner Aufgabe, “im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen” (§ 1 AMG), teilweise nicht gerecht wird. Zwar haben die auf dem Markt befindlichen Arzneimittel regelmäßig ausreichende Kontrollen durchlaufen; es fehlen aber Vorkehrungen, die eine den Kriterien des § 1 AMG entsprechende Patientenversorgung auch dann ermöglichen, wenn das zugelassene Arzneimittel sich in weiteren Anwendungsgebieten als therapeutisch nützlich erwiesen hat. Nach dem Gesetz obliegt es ausschließlich dem pharmazeutischen Unternehmer, die Neuzulassung seines Medikaments für weitere Anwendungsgebiete zu beantragen (§ 29 Abs 3 iVm § 21 Abs 3 Satz 1 AMG). Wird ein solcher Antrag trotz positiver Forschungsergebnisse oder anderweitiger Hinweise auf einen therapeutischen Nutzen nicht gestellt, etwa weil der Hersteller den Aufwand und die Kosten eines weiteren Zulassungsverfahrens scheut oder bei seltenen Krankheiten kein wirtschaftliches Interesse an einer Vermarktung hat, bleibt es dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament – oftmals ohne ausreichendes pharmakologisches Wissen und ohne Kenntnis des genauen Zulassungsstatus – in eigener Verantwortung und mit dem Risiko der Haftung für daraus entstehende Gesundheitsschäden außerhalb der Zulassung anzuwenden. Findet der Off-Label-Use – durch unterschwellige oder verdeckte Werbung gefördert – in der Praxis Verbreitung, erübrigt sich ein Antrag des Herstellers.

Bestrebungen, einer ungeregelten und undifferenzierten Verordnung von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen unter faktischer Umgehung der einschlägigen Verkehrsverbote entgegenzuwirken und andererseits die Zulassung für neue Anwendungsgebiete zu erleichtern und gegebenenfalls für eine Übergangszeit Regularien für einen kontrollierten Off-Label-Gebrauch (engl: compassionate use) zu schaffen, gibt es bisher allenfalls in Ansätzen. Das deutsche Arzneimittelrecht enthält dazu keine Vorschriften. Auf europäischer Ebene sind durch die Verordnung (EG) Nr 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 (ABl L 18 vom 22. Januar 2000, S 1) und die Verordnung (EG) Nr 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 (ABl L 103 vom 28. April 2000, S 5) Anreize für die Entwicklung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln geschaffen worden, die für die Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von seltenen Krankheiten bestimmt sind (sog Orphan Drugs). Für den Bereich der Krankenversicherung hatte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 1999 eine Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien beschlossen, nach der mit Zustimmung der Krankenkasse eine Verordnung außerhalb zugelassener Indikationen auf der Basis wissenschaftlichen Erkenntnismaterials als Heilversuch im Einzelfall zulässig sein sollte. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte in diesem Zusammenhang dem MDK aufgegeben, eine Aufstellung über die nach aktuellem medizinischen Standard sinnvollen Indikationen für einen Off-Label-Gebrauch zu erstellen, um die Krankenkassen bei der Entscheidung über die Arzneimittelversorgung zu unterstützen und vor allem in der Krebstherapie, der AIDS-Therapie und der Kinderheilkunde eine Patientenbehandlung nach dem aktuellen medizinischen Standard sicherzustellen (Pressemitteilung des BMG Nr 17 vom 12. März 1999). Die geänderten Richtlinien sind jedoch wegen kartellrechtlicher Einwände nicht in Kraft getreten.

Die aufgezeigten Defizite des Arzneimittelrechts dürfen nicht dazu führen, dass den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten bleiben, obwohl die betreffenden Medikamente außerhalb der Krankenversicherung in der nicht zugelassenen Indikation verordnet werden und verordnet werden dürfen. Solange diese Defizite bestehen, kann deshalb die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine die Zulassungsgrenzen überschreitende Anwendung eines Arzneimittels nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Diesem Ergebnis stehen die grundsätzlichen Erwägungen des Senats zur Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht entgegen. Zwischen der vorliegenden und den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fallgestaltungen besteht ein rechtlich bedeutsamer Unterschied insofern, als beim gänzlichen Fehlen der Zulassung das Arzneimittel vom Hersteller unter Verstoß gegen das Verbot des § 21 Abs 1 AMG in Verkehr gebracht wurde, während im anderen Fall ein bereits im Handel befindliches Medikament außerhalb des Zulassungsrahmens verwendet wird. Die Anwendung eines gar nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der Krankenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Senats schon deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparats auf einem strafbaren Verhalten aufbaut und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen kann (BSGE 82, 233, 236 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 17 f). Außerdem wäre die Behandlung wegen des Fehlens jedweder Qualitätskontrolle mit einem unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden behaftet, dessen Auswirkungen nicht der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden können. Das ist bei einem Off-Label-Use anders, denn dort ist das Mittel zulässig in den Verkehr gebracht worden, nachdem die pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften des Wirkstoffs zunächst im Tierversuch und sodann im Rahmen einer klinischen Prüfung am Menschen geprüft und dokumentiert wurden. Zwar hat sich die klinische Prüfung nur auf die im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete bezogen, so dass unerwünschte Wirkungen bei anderen Indikationen nicht ausgeschlossen sind und eine Prüfung der Wirksamkeit insoweit nicht stattgefunden hat; doch ist damit zumindest die Basis für eine ausreichende Arzneimittelsicherheit geschaffen und damit einem Grundanliegen des AMG und auch des Krankenversicherungsrechts Rechnung getragen. Allein mit der fehlenden Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels für zulassungsüberschreitende Anwendungen lässt sich bei dieser Sachlage ein absolutes Verbot solcher Anwendungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen.

Der Mangel der fehlenden Zulassung des Arzneimittels für das im Streit befindliche Anwendungsgebiet kann allerdings mit dem Instrumentarium des Krankenversicherungsrechts nur in eng begrenzten Ausnahmefällen behoben werden. Das folgt daraus, dass es sich nicht um einen Mangel im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung handelt, sondern eine Versorgungslücke dadurch entsteht, dass das Arzneimittelrecht die ihm zugedachte Funktion nicht erfüllt.

Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegen zwar im Prinzip auch Pharmakotherapien der für vertragsärztliche Leistungen in § 135 Abs 1 SGB V vorgesehenen Qualitätsprüfung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Behandlung in der Gabe des Arzneimittels erschöpft oder ob weitere ärztliche Maßnahmen hinzukommen. Die Unterscheidung zwischen ärztlicher Behandlung und Versorgung mit Arzneimitteln in § 27 Abs 1 SGB V spielt entgegen der Auffassung des LSG in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für Arzneitherapien gilt der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V jedoch nur, soweit es sich um die Anwendung von Rezepturarzneien oder anderen Arzneimitteln handelt, die im Einzelfall auf besondere Anforderung hergestellt werden. Da solche Präparate keine Zulassung nach dem AMG benötigen, bliebe die Qualitätskontrolle in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung lückenhaft, wenn ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weder nach Arzneimittelrecht noch nach Krankenversicherungsrecht geprüft würden (BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 – Jomol; BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 – ASI). Soweit das Arzneimittelrecht eine Zulassung vorschreibt, ist der Nachweis der Unbedenklichkeit und der Wirksamkeit des Medikaments in dem neuen Anwendungsgebiet dagegen nach der Gesetzessystematik in dem Zulassungsverfahren und nicht im Wege der Zertifizierung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu führen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer nochmaligen, gesonderten Begutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung durch eine für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Empfehlung zu ergänzen oder zu ersetzen.

Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen erfordert nach deutschem wie nach europäischem Arzneimittelrecht eine neue, erweiterte Zulassung. Die Zulassungsvorschriften verlören zu einem erheblichen Teil ihre Bedeutung, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Erweiterung der Anwendungsgebiete eines Arzneimittels ohne Zulassung im Verfahren nach § 135 Abs 1 SGB V erreicht werden könnte. Der Hersteller könnte sich den Aufwand und die Kosten eines neuen Zulassungsverfahrens ersparen und stattdessen abwarten, bis sich der zulassungsüberschreitende Einsatz in der Praxis etabliert und von dritter Seite eine Anerkennung durch den Bundesausschuss beantragt wird. Zugleich wäre er von der Haftung für etwaige gesundheitliche Schäden nach § 84 AMG frei. Diese würde entweder den verordnenden Arzt oder – wenn eine Empfehlung durch den Bundesausschuss erfolgt – die Krankenversicherung bzw den Staat treffen. Die Anwendungsbezogenheit der arzneimittelrechtlichen Zulassung stünde nur noch auf dem Papier.

Wegen des dargestellten Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn es (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Im Fall des Klägers sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zwar gehört die Multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei denen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Es fehlen aber hinreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Sandoglobulin. Das gilt jedenfalls für die nach den Feststellungen des LSG beim Kläger bestehende primär chronisch-progrediente Verlaufsform dieser Erkrankung. Klinische Studien, die insoweit einen therapeutischen Nutzen belegen könnten, sind nach Auswertung der verfügbaren Publikationen bis heute nicht bekannt. Die zuletzt vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnisse eines internationalen Symposiums vom November 2001 (Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts vom 29. November 2001) machen deutlich, dass auch für die sekundär-progressive Multiple Sklerose, für die solche Studien vorliegen, der Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen kontrovers diskutiert wird, ein wissenschaftlicher Konsens hierzu also bisher nicht besteht. Hinzu kommt, dass bei dieser Verlaufsform mindestens seit 1999 eine Behandlungsalternative mit dem für die Therapie zugelassenen Betaferon zur Verfügung steht.

Die Revision konnte danach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

 

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 08.08.2000 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 8 KR 275/98
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 80/99
  • Bundessozialgericht B 1 KR 37/00 R

Die Berufung des Klägers gegen des Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.07.1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung ihm entstandener Kosten für das Medikament Sandoglobulin sowie – für die Zukunft – die Verpflichtung der Beklagten, ihm dieses Arzneimittel zur Verfügung zu stellen.

Der am …1957 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Er leidet an einer primär chronisch-progredienten multiplen Sklerose (MS).

Im Namen des Klägers beantragte Prof. Dr. P … am 28.08.1997, die Beklagte möge die Kosten für einen Heilversuch mit intravenösen Immunglobulinen übernehmen. Es werde zunächst eine Dosis von 400 mg/kg x 30 g im Abstand von jeweils vier Wochen empfohlen. Für den primär chronisch-progredienten Verlauf der MS gebe es noch keine allgemein anerkannte Therapie. Da sich in auch von ihm beobachteten Fällen die Ataxie unter intravenösen Immunglobulinen gebessert habe und für die schubförmige Verlaufsform bewiesen sei, dass die Progredienz der Erkrankung und die Schubrate gemindert werden könnten, halte er diesen Heilversuch für gerechtfertigt.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Behandlung mit Immunglobuline durch den Bescheid vom 29.05.1998 nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit der Begründung ab, dass es sich bei der intravenösen Immunglobulinbehandlung um eine Therapie handele, die in der Schulmedizin noch nicht allgemein anerkannt sei. Nach den gültigen Heil- und Hilfsmittelrichtlinien dürfe diese Behandlung nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden.

Der Kläger legte am 02.06.1998 Widerspruch ein, den die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 31.08.1998 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte sie aus: Der Anspruch auf Krankenbehandlung gem. § 27 Abs. 1 SGB V umfasse u.a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMR) habe der Versicherte grundsätzlich einen Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem Arzneimittelgesetz verkehrsfähigen Arzneimitteln, soweit sie nicht aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien oder soweit sie nicht nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur eingeschränkt verordnet werden dürften. Für die Verordnung von Arzneimitteln sei der therapeutische Nutzen von besonderer Bedeutung. Deshalb seien Erprobungen zu Lasten des Versicherungsträgers unzulässig, auch wenn sie nach der Zulassung erfolgten. Der therapeutische Nutzen setze eine Risikoabwägung zwischen Kosten und Nutzen mit günstigem Ergebnis voraus; er bestehe in einem nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse relevanten Ausmaß der Wirksamkeit bei einer definierten Indikation. Die Kosten für ein Arzneimittel dürften also nicht übernommen werden, wenn für das jeweilige Anwendungsgebiet der Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werde. Dies gelte auch dann, wenn ein für bestimmte Indikationen zugelassenes Arzneimittel für andere Anwendungsgebiete erprobt werden solle. Bei dem Arzneimittel Sandoglobulin handele es sich zwar um ein zugelassenes Arzneimittel. Jedoch bestehe für die Behandlung von MS keine Indikation. Insoweit fehle es an dem Nachweis der Wirksamkeit. Eine Kostenübernahme könne daher nicht erfolgen.

Der Kläger hat am 07.09.1998 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen: Die Behandlung der MS mit Immunglobulinen habe sich in der medizinischen Praxis inzwischen durchgesetzt. Es werde in medizinischen Fachkreisen ernsthaft über diese Therapie diskutiert. Es sei deshalb unerheblich, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sich bislang nicht mit dieser Behandlungsmethode befasst habe und keine Empfehlung in den von ihm aufgrund von § 135 Abs. 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) erlassenen Richtlinien ausgesprochen habe. Auch sei ohne Bedeutung, dass das Medikament “Sandoglobulin” für die Behandlung der Multiplen Sklerose keine arzneimittelrechtliche Zulassung besitze.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.08.1998 zu verurteilen, ihm die Kosten der Behandlung mit dem Medikament Sandoglobulin zu erstatten und künftig entstehende Kosten zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen untergesetzliche Rechtsnormen. Nur dann, wenn eine neue Behandlungsmethode von den auf § 135 Abs. 1 SGB V gestützten Richtlinien empfohlen werde, dürften die gesetzlichen Krankenkassen die entsprechenden neuen Behandlungsmethoden als Sachleistung zur Verfügung stellen bzw. im Rahmen des § 13 SGB V eine Kostenerstattung vornehmen. Von einem Systemmangel könne ebenso wenig die Rede sein, denn nach einer Stellungnahme der antragstellenden Klinik lägen kontrollierte klinische Studien über die Therapie mit Immunglobulinen bei MS bisher nicht vor. Lediglich in einzelnen Fällen sei eine Verbesserung beobachtet worden.

Das Sozialgericht hat eine – unter dem 18.01.1999 erteilte – Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, Arbeitsausschuss Arzneimittel, Köln, eingeholt: Hiernach sind weder der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen noch seine vorbereitenden Arbeitsausschüsse “Arzneimittel” bzw. “ärztliche Behandlung” bisher mit der Beurteilung der fraglichen Behandlungsmethode betraut gewesen. Anträge zur Entscheidung über eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen seien bisher nicht gestellt worden. Den Arbeitsausschüssen lägen keine Informationen zum fraglichen Behandlungsansatz vor, die über Publikationen in verschiedenen Fachzeitschriften hinausgingen. Das Paul- Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera- und Impfstoffe, Langen, teilte unter dem 26.03.1999 auf Anfrage des Sozialgerichts folgendes mit: Die Indikation “chronische-progrediente Encephalomyelitis” sei für Immunglobuline nicht zugelassen. Es liege auch bisher kein Zulassungsantrag für ein Immunglobulin mit dem genannten Anwendungsgebiet vor.

Durch Urteil vom 20.07.1999 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 31.07.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.08.1999 Berufung eingelegt. Zur Begründung bringt er vor: Das Arzneimittel Sandoglobulin sei in einem mehr oder weniger unregelmäßigen Rhythmus durch den Neurologen von S, Hamm, in Absprache mit P (insbesondere für Multiple Sklerose) im Zeitraum Oktober 1997 bis März 2000 intravenös verabreicht worden. Anschließend sei eine Behandlung mit Kortisonpräparaten erfolgt. Im Zeitraum vom 16.10.1997 – 24.08.1998 seien für die Behandlung mit Sandoglobulin Kosten in Höhe von 28.832,06 DM angefallen. Das Fehlen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung der Immunglobuline für eine Behandlung von MS stehe der Leistungspflicht der Beklagten nicht entgegen. §§ 2, 70, 72 SGB V beinhalteten vielmehr das maßgebliche Leistungsprinzip, wonach alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dem anerkannten Stand des medizinischen Wissens zu entsprechen hätten. Hinsichtlich der Behandlung der MS mit Immunglobulinen liege keineswegs ein nur geringer wissenschaftlicher Erkenntnisstand vor, wie sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen ergebe. Die Entscheidung, ob die Behandlung mit Immunglobulinen von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erfaßt werde, sei von den Sozialgerichten eigenverantwortlich zu treffen; die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen könnten auch deshalb nicht maßgeblich sein, weil die Versicherten in diesem Gremium nicht ausreichend repräsentiert seien. Es könne nicht sein, dass er trotz einer schwerwiegenden Erkrankung nur deshalb nicht behandelt werde, weil das Arzneimittel, dessen Wirksamkeit durch Studien belegt sei, keine arzneimittelrechtliche Zulassung für diese Indikation besitze. Dies stelle jedenfalls einen Verstoß gegen das Grundgesetz, insbesondere Artikel 2, dar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.07.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.05.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 31.08.1998 zu verurteilen, ihm die Kosten der Behandlung mit dem Medikament Sandoglobulin in Höhe von 28.832,06 DM zu erstatten und das Arzneimittel Sandoglobulin nach jeweiliger ärztlicher Verordnung zu künftig als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert, das fragliche Medikament befinde sich, was die Therapie von multipler Sklerose betreffe, noch in der Erprobungsphase; bislang sei auch ein entsprechender Antrag durch die Herstellerfirma auf Erweiterung der Zulassung nicht gestellt worden. Ferner habe der 16. Senat des LSG NRW in einem gleichgelagerten Fall entschieden, dass ein Anspruch auf Behandlung MS-Kranker mit Immunglobulinen nicht bestehe.

Der Senat hat eine weitere Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 30.11.1999 eingeholt: Ein Antrag auf Zulassung mit der Indikation der Multiplen Sklerose liege nach wie vor nicht vor. Anfragen der Krankenkassen, der Sozialgerichte und von Privatpersonen zeigten, dass Ärzte Immunglobuline intravenös bei der Indikation Multiple Sklerose anwenden würden bzw. dass Patienten diese Anwendung verlangten. Die derzeit vorliegenden Studien und Fallberichte erfüllten jedoch noch nicht die Anforderungen, die an Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit der Immunglobulinbehandlung bei Multipler Sklerose gestellt würden. Eine Vielzahl von Fragen sei noch offen. Es sei bekannt, dass derzeit zumindest eine größere kontrollierte Studie zu diesem Thema durchgeführt werde.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in der Auskunft vom 29.02.2000 an seiner Auffassung festgehalten, dass gegenwärtig kein Anlass für eine Befassung mit der intravenösen Immunglobulintherapie gesehen werde. Ferner hat er ausgeführt: Die intravenöse Immunglobulintherapie habe bisher weder eine wissen schaftliche Resonanz gefunden noch sei für den Ausschuss eine Verbreitung in der ärztlichen Praxis erkennbar.

Der Senat hat einen Artikel aus der Ärztezeitung vom 14.02.2000 beigezogen, dem u.a. zu entehmen ist, dass in einer multizentrischen Phase-IV-Studie zur Zeit geprüft werde, ob die Behandlung mit Immunglobulinen die Progredienz der MS verzögern und viel leicht sogar schon bestehende Behinderungen verbessern könne. Aus einer vom Senat beigezogenen Presseerklärung der Bayer AG, Leverkusen, vom 07.04.1999 ergibt sich, dass die Behandlung mit intravenösem Immunglobulin G (IVIG) ein vielversprechender neuer Therapieansatz bei der MS sei. Mit Unterstützung der Bayer AG werde eine Studie in Kanada und Europa durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.08.1998 ist rechtmäßig. Weder kann der Kläger von der Beklagten die Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel “Sandoglobulin” in Höhe von 28.832,06 DM verlangen noch die zukünftige Gewährung dieses Arzneimittels als Sachleistung beanspruchen.

Als Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch kommt nur § 13 Absatz 3 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind dem Versicherten von der Krankenkasse Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Alternative), und sich der Versicherte die Leistung deshalb selbst beschafft hat. Die Voraussetzungen der 1. Alternative liegen nicht vor, denn eine unaufschiebbare Leistung ist nur in den Fällen anzunehmen, in denen eine vorherige Einschaltung der Krankenkassen, insbesondere aus Zeitgründen nicht erwartet werden kann (vergl. BSG, Urteil vom 16.09.1997, SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr.4). Hier ist die beklagte Krankenkasse jedoch bereits vor Beginn der Behandlung mit “Sandoglobulin” um Gewährung der Leistung ersucht worden. Auch die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Absatz 3 SGB V sind nicht erfüllt, weil die Beklagte die Gewährung der Leistung “Sandoglobulin” nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Der Kläger hatte nämlich keinen Anspruch auf Behandlung mit diesem Medikament.

Dahingestellt bleiben kann, ob es sich bei der von der Beklagten verweigerten Leistung um Krankenhandlung in Form der ärztlichen Behandlung (§ 27 Absatz 1 Satz 2 Nr.1, 28 Absatz 1 Satz 1 SGB V) oder aber um die Versorgung mit einem Arzneimittel (§ 27 Absatz 1 Satz 2 Nr.3, 31 Absatz 1 Satz 1 SGB V) handelt. Für die letztgenannte Alternative spricht, dass es in der Hauptsache um die Frage geht, ob das Fertigarzneimittel “Sandoglobulin” dem Kläger auf Kosten der Beklagten zur Verfügung zu stellen gewesen wäre. Allerdings sind wegen der Schwere der Erkrankung des Klägers und der Art der Verabreichung (intravenös) auch ärztliche Dienstleistungen (Spritzen, ständige Kontrolle und Beobachtung des Krankheitsverlaufs), die unmittelbar mit der Verabreichung des Medikaments zu sammenhängen, in nicht unerheblichem Umfang erbracht werden. Dies spricht dafür, dass es hier um einen Anspruch auf ärztliche Behandlung unter Anwendung dieses Medikamentes geht. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf ärztliche Behandlung mittels “Sandoglobulin” noch kann er verlangen, von der Beklagten mit diesem Arzneimittel versorgt zu werden.

Beurteilt man das klägerische Begehren als Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der ärztlichen Behandlung gemäß § 27 Absatz 1 Satz 2 Nr.1, 28 Absatz 1 Satz 1 SGB V, so scheitert dieser daran, dass die Behandlung der MS mittels Immunglobulinen, zu denen auch “Sandoglobulin” zählt, nicht eine von der Beklagten geschuldete Leistung darstellt. Sie gehört nicht zu den Methoden, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standesder medizinischen Erkenntnisse (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 28 Abs. 1, 70 Abs. 1 und 72 Abs. 2 SGB V) erforderlich ist. Das ergibt sich aus § 135 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (“BUB- Richtlinien”).

§ 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V schreibt vor, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur dann erbracht werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr.5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestimmt diese Vorschrift zugleich auch Umfang und

Inhalt der Leistungsansprüche der Versicherten: Nur Leistungen, die der Leistungserbringer gegenüber den Krankenkassen abrechnen kann, gehören gegenüber den Versicherten zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (vergl. BSG, Urteil vom 16.09.1997, aaO; BSG, Beschluss vom 08.02.2000, Az B 1 KR 18/99 B mwN). Alle anderen Behandlungsmethoden zählen dagegen zu denjenigen, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht erforderlich sind. Den BUB-Richtlinien kommt dabei die Bedeutung untergesetzlicher Rechtsnormen zu, die verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen sind. Dies bedeutet, dass der artige Behandlungsmethoden grundsätzlich so lange nicht von den Krankenkassen erbracht werden dürfen, bis eine Anerkennung der betreffenden Methode durch den Bundesausschuss vorliegt (BSG, Urteil vom 16.09.1997, aaO; BSG, Urteil vom 28.03.2000, Az B 1 KR 18/98 R). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in vollem Umfang an. Er teilt auch nicht die gegen die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf den Bundesausschuss vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken (vergl. hierzu BSG, Urteil vom 16.09.1997, aaO). Es ist insbesondere auch entgegen der Auffassung des Klägers nicht geboten, dass die Versicherten im Bundesausschuss vertreten sind.

Bei der Behandlung der MS mittels des Einsatzes von Immunglobulinen handelt es sich um eine derartige neue Behandlungsmethode, die bislang zu Lasten der Krankenkasse nicht erbracht werden kann. Denn der Bundesausschuss hat bisher eine Empfehlung hinsichtlich der Therapie der MS mittels Immunglobulinen nicht abgegeben.

Ein Anspruch des Klägers ist hier auch ausnahmsweise nicht etwa deshalb gegeben, weil der Bundesausschuss das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für eine Überprüfung erforderlichen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt hat (Urteil vom 16.09.1997, aaO). Die inhaltlichen Voraussetzungen einer Anerkennung liegen nicht vor. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Nachweis der Wirksamkeit der Anwendung von Immunglobulin bei MS noch nicht erbracht worden ist. Dies ergibt sich zum einen aus den vom Senat eingeholten Auskünften des Bundesausschusses und des Paul-Ehrlich-Instituts. Hierin ist nachvollziehbar und überzeugend dargelegt worden, dass den Wirksamkeitsnachweis führende Studien bisher nicht vorliegen. Auch die vom Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen belegen lediglich, dass in der medizinischen Wissenschaft über die Behandlung der MS mittels Immunglobulinen und deren Erfolgsausichten diskutiert wird. Die vom Senat beigezogenen Artikel aus der Ärztezeitung vom 14.02.2000 sowie die Presseerklärung der Bayer AG vom 07.04.1999 zeigen ebenfalls, dass dieser Behandlungsansatz das Stadium der Erprobung bislang nicht verlassen hat. Wird aber eine neue Methode erst erprobt, so kann dem Bundesausschuss ein Abwarten der Ergebnisse der verschiedenen Studien nicht als fehlerhaftes Verhalten angelastet werden. Bei dieser Sachlage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Behandlung der MS mittels Immunglobulinen eine bereits weit verbreitete Behandlungsmethode darstellt, der der Bundesausschuss bisher nicht die erforderliche angemessene Beachtung gewidmet hätte.

Beurteilt man die von dem Kläger beantragte Behandlung mit Sandoglobulin nach den Vorschriften über die Versorgung mit einem Arzneimittel gemäß §§ 27 Absatz 1 Satz 2 Nr.3, 31 Absatz 1 Satz 1 SGB V, so scheitert dieser daran, dass das Arzneimittel Sandoglobulin keine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Indikation MS besitzt; es kann deshalb nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.

Nach den genannten Vorschriften haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind. Diese Verpflichtung der Krankenkassen unterliegt den Einschränkungen aus § 2 Absatz 4 SGB V und aus § 12 Absatz 1 SGB V. Sie umfasst nur solche Leistungen, die für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf und die Zulassung nicht erteilt worden ist (BSGE 82, 233ff). Zwar besitzt im vorliegenden Fall das Arzneimittel Sandoglobulin eine derartige Zulassung, jedoch erstreckt sich diese nicht auf das Anwendungsgebiet der MS. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist im Falle der Anwendung eines Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Bereichs eine Leistungspflicht der Krankenkassen hinsichtlich eines Arzneimittels – wie bei dem gänzlichen Fehlen der arzneimittelrechtlichen Zulassung – nicht gegeben.

Nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts hat der Hersteller auf der Grundlage einer von ihm vorzulegenden vollständigen Dokumentation Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments nachzuweisen (vergl BSG, Urteil vom 30.09.1999, Az B 8 KN 9/98 KR R mwN). Diese Nachweispflicht bezieht sich nur auf die vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete im Sinne des § 22 Absatz 1 Nr. 6 Arzneimittelgesetz (AMG). Eine darüber hinausgehende Prüfung durch die zulassende Behörde findet nicht statt (BSG, aaO). Ist aber im Rahmen der Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels die arzneimittelrechtliche Zulassung entscheidend, so kann in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die arzneimittelrechtliche Zulassung immer nur auf bestimmte Anwendungsgebiete erstreckt. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments und damit auch seine krankenversicherungsrechtliche Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit können nur in Abhängigkeit von den jeweiligen Anwendungsgebieten beurteilt werden (vergl. BSG, aaO). Eine andere Beurteilung würde es zudem dem Hersteller ermöglichen, die Zulassungsvorschriften des Arzneimittelrechts zu umgehen, indem der Zulassungsantrag auf ein bestimmtes – unproblematisches – Anwendungsgebiet beschränkt und erst später gegenüber Ärzten die Anwendung des Arzneimittels auch für andere Indikationen propagiert würde (BSG, aaO). Bedenken gegen dieses Ergebnis lassen sich nach Auffassung des Senat aus dem Grundsatz der ärztlichen Therapiefreiheit nicht herleiten. Diese wird nicht berührt, weil es ausschließlich darum geht, die leistungsrechtlichen Grenzen des Anspruchs des Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln zu bestimmen.

Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf Therapien, die sich erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befinden und noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ist gesetzlich auch bei schweren und sogar vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheiten ausgeschlossen (so BSG, Urteil v. 28.03.2000, B 1 KR 18/98 R). Da das SGB V die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse fordert, kann ein individueller Heilversuch mit einer nicht anerkannten Methode nicht zu Lasten der Beklagten erbracht werden (so BSG, aaO).

Die Beschränkung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf die Behandlungsmethoden, deren therapeutischer Nutzen ausreichend gesichert ist, verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen Artikel 2 des Grundgesetzes (GG). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass aus dieser Vorschrift des Grundgesetzes kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen hergeleitet werden kann (BVerfG NJW 1997, 3085; MedR 1997, 318; NJW 1998, 1775). Vielmehr erfüllt der Gesetzgeber seine aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz folgende objektiv rechtliche Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Rechtsgut Leben bzw. körperliche Unversehrtheit zu stellen, durch die Bereitstellung von Leistungen, die dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen. Soweit der Versicherte auch die Bereitstellung von nicht ausreichend erprobten Methoden begehrt, steht dem das öffentliche Interesse am Schutz des Versicherten vor unbekannten Nebenwirkungen sowie am Erhalt der finanziellen Stabilität der Krankenversicherung entgegen.

Aus den vorgenannten Gründen kann der Kläger auch für die Zukunft von der Beklagten nicht verlangen, ihm das Arzneimittel Sandoglobulin nach ärztlicher Verordnung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Absatz 2 Nr.1 SGG). Ob die vorgenannten Grundsätze auch auf Fertigarzneimittel zu übertragen sind, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden worden.