Hessisches Landessozialgericht L 14 KR 1069/96

Hessisches Landessozialgericht

Urteil vom 29.01.1998 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Darmstadt S 10 Kr 808/95
  • Hessisches Landessozialgericht L 14 KR 1069/96

 

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. Juli 1996 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Kläger über den 1. Oktober 1993 hinaus das Recht der Kostenerstattung auch für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte haben.

Der 1917 geborene Kläger und die 1922 geborene Klägerin waren bei der Beklagten ab 1959 freiwillig krankenversichert, ließen sich privatärztlich behandeln und erhielten von der Beklagten entsprechende Kostenerstattungen. Später wurden sie krankenversicherungspflichtige Mitglieder im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Mit Schreiben vom 28. August 1982 teilte die Beklagte den Klägern mit, daß sie weiterhin das Kostenerstattungsverfahren praktizieren könnten.

Mit einem allgemeinen Informationsblatt vom September 1993 informierte die Beklagte die Kläger dahingehend, daß aufgrund des am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) Kostenerstattung nur noch bei freiwilligen Mitgliedern und nur für Leistungen im Rahmen der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser möglich sei. Eine Kostenerstattung für rein privatärztlich tätige Ärzte sei ausgeschlossen. Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch. Mit weiterem Schreiben vom 19. September 1994 teilte die Beklagte den Klägern mit, daß sie irrtümlich davon ausgegangen sei, daß der Kläger freiwillig versichert sei und seiner Ehefrau Anspruch aus der Familienversicherung zustände. Aufgrund der vorliegenden eigenständigen Pflichtmitgliedschaft im Rahmen der KVdR bestünden keinerlei Kostenerstattungsansprüche mehr.

Die Kläger begründeten ihren Widerspruch dahingehend, daß sie eine ausdrückliche Zusage von der Beklagten hätten, sich privatärztlich behandeln zu lassen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung dieser Zusage lägen nicht vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 1995 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte u.a. aus, daß die Kläger am 27. Januar 1995 die Kostenerstattung im Rahmen der Erprobungsregelung rückwirkend zum 1. Januar 1994 beantragt hätten. Diesem Antrag sei mit Schreiben vom 3. Februar 1995 entsprochen worden. Die Kostenerstattung für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte oder Nichtvertragszahnärzte sei aufgrund fehlender Rechtsgrundlage nicht möglich.

Am 24. Mai 1995 haben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Sie haben die Ansicht vertreten, daß weiterhin Kostenerstattung für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte möglich sein müsse. Sie hätten dieses Verfahren jahrelang praktiziert und hätten jetzt nicht die Möglichkeit des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung. Die bisherige Praxis dürfe die Beklagte gemäß § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) aufgrund der 10-Jahresfrist nicht ändern.

Mit Urteil vom 18. Juli 1996 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Feststellungsklage sei zwar zulässig, aber unbegründet. In den Entscheidungsgründen heißt es: Durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 sei eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten. Der Gesetzgeber habe bei freiwillig versicherten Mitgliedern die Kostenerstattung und Behandlung durch nicht zugelassene Vertragsärzte ausgeschlossen. Die Beklagte habe die Entscheidungen gesetzmäßig nur für die Zukunft abgeändert. Bei der 10-Jahresfrist sei nicht auf die Dauer eines bisher praktizierten Verfahrens abzustellen, sondern sie beginne vom Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse an zu laufen. Ein weitergehender Vertrauensschutz zugunsten der Versicherten kenne das Gesetz nicht.

Gegen das am 8. August 1996 zugestellte Urteil haben die Kläger am 18. August 1996 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Kläger sind der Ansicht, daß sie Vertrauensschutz genießen. Die Beklagte habe zu einem Zeitpunkt, als sie noch hätten Privatpatienten werden können, ihnen eine Zusage gegeben, daß sie den Status des Privatpatienten hätten. Die jahrzehntelange Praxis, die immer gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen habe, müsse erhalten bleiben. Hätte die Beklagte die schon seinerzeit gesetzeswidrige Praxis unterlassen, wären sie zu einem privaten Krankenversicherer gewechselt. Dies sei jedoch jetzt nicht mehr möglich.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. Juli 1996 sowie den formlosen Bescheid der Beklagten vom September 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1995 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den 1. Oktober 1993 hinaus Kostenerstattung auch für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Im übrigen verweist sie darauf, daß die Kläger nunmehr unbefristet an der Erprobungsregelung teilnehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung der Kläger ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Kläger haben über den 1. Oktober 1993 hinaus grundsätzlich keinen Anspruch auf Kostenerstattung, insbesondere nicht für die durch Inanspruchnahme von Nichtvertragsärzten bzw. Nichtvertragszahnärzten entstehenden Kosten.

Die Klage ist zulässig gewesen. Die Kläger machen zwar keine einzelnen Erstattungsbeträge von Behandlungskosten geltend, sondern vielmehr steht im Streit, ob über den 1. Oktober 1993 hinaus im Rahmen des Pflichtversicherungsverhältnisses der Kläger eine Kostenerstattungspflicht der Beklagten auch von Kosten für die Behandlung durch Nichtvertragsärzte besteht. Die Kläger haben ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Erstattungspflicht durch die Beklagte sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft. Die fehlende Bezifferung des Antrags steht wegen § 130 Satz 1 SGG der Zulässigkeit der Klage auch nicht entgegen (BSG, Urteil vom 15. April 1997 – 1 RK 4/96 – in: NZS 1998, 27 ff.).

Die Beklagte war gemäß § 48 SGB X berechtigt und verpflichtet, wegen einer Änderung der Rechtslage eine eventuelle Zusage zurückzunehmen. Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt eine vorbehaltslose Zusage gemäß § 34 Abs. 3 SGB X vorlag. Durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 2266) trat bei § 13 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) eine Gesetzesänderung zum 1. Januar 1993 ein. Mittlerweile ist durch das 2. Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz in BGBl. I, S. 1220) § 13 Abs. 2 SGB V weiter konkretisiert worden und ausdrücklich gesetzlich normiert, daß Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung nur für Leistungen wählen können, die sie von den im Vierten Kapitel des SGB V genannten Leistungserbringern in Anspruch nehmen. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95 b Abs. 3 Satz 1 SGB V im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen.

Da die Kläger durch die Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) in einen anderen Kreis der Versicherten einbezogen worden waren, können sie sich auf das Recht der freiwilligen Mitglieder, denen zuletzt allein gemäß § 13 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit zur Kostenerstattung eingeräumt worden war, nicht mehr berufen. Mit der Gesetzesänderung bereits zum 1. Januar 1993 war die früher geübte und satzungsrechtliche Praxis der Beklagten, auch Pflichtmitgliedern die Möglichkeit zur Kostenerstattung einzuräumen, unzulässig geworden, weshalb die Beklagte gehalten und verpflichtet war, den nach dem Gesetz geänderten Zustand, der eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X darstellt, auch gegenüber den Klägern ausdrücklich festzustellen. Das Bundessozialgericht (vgl. u.a. zuletzt BSG, Beschluss vom 15. April 1997 – 1 BK 31/96) hat wiederholt auch am Sachleistungsprinzip festgehalten und entschieden, daß eine Verpflichtung der Krankenkasse zur Kostenerstattung ausgeschlossen ist, wenn der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft. Den Klägern war deshalb die Möglichkeit zur Kostenerstattung generell verwehrt, was sich lediglich durch die zwischenzeitlich eingeführte Erprobungsregelung auch für Pflichtversicherte wieder geändert hat. Die Möglichkeit zur Kostenerstattung im Rahmen der Erprobungsregelung hat die Beklagte – wie im Berufungsverfahren nochmals bestätigt – den Klägern auch eingeräumt (§ 64 a.F. SGB V).

Die Versicherten – hier die Kläger – haben aber immer nur die freie Arztwahl unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten (Vertragsärzte bzw. Vertragszahnärzte). Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen (vgl. § 13 Abs. 3 a.F. SGB V) in Anspruch genommen werden. Wie das BSG (vgl. u.a. Urteil vom 10. Mai 1995 – 1 RK 14/94), dessen Rechtsprechung der Senat wiederholt gefolgt ist, ausgeführt hat, ergibt sich dies insbesondere aus § 76 Abs. 1 SGB V. Danach können die Versicherten (auch freiwillig Versicherte) nur unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen, den ermächtigten Ärzten, ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72 a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, sowie den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in gesetzlich normierten Notfällen in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Regelung gilt, wie der Wortlaut (“Die Versicherten”) deutlich macht, sowohl für Pflichtversicherte als auch für freiwillig Versicherte, und zwar nicht nur, soweit die Krankenkassen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V den Versicherten die im 3. Kapitel genannten Leistungen zur Verfügung stellen, also bei der Gewährung von Sachleistungen, sondern auch für die Kostenerstattung (z.B. bei der Erprobungsregelung). Eine freie Wahl unter allen approbierten Ärzten ließe sich auch nicht mit dem bisherigen System der sozialen Krankenversicherung vereinbaren (vgl. BT-Drucksache 12/3608, S. 76), denn nicht zugelassene Ärzte unterliegen nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte auch für die Kläger kein Vertrauenstatbestand entstehen, denn bei den vorliegenden Gesetzesänderungen gibt es keinen Vertrauensschutz für die Zukunft.

Im übrigen wird – auch hinsichtlich evtl. Fristen gemäß §§ 45 und 48 SGB X – zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Sozialgerichts genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.