Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 118/10

Hessisches Landessozialgericht

  • L 8 KR 118/10
  • S 10 KR 155/09 (Sozialgericht Darmstadt)

Verkündet am 29. November 2012

I m   N a m e n   d e s   V o l k e s

U r t e i l

In dem Rechtsstreit

A. gGmbH,

vertreten durch den Geschäftsführer,

Klägerin und Berufungsbeklagte,

g e g e n

AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen – Justitiariat -, vertreten durch den Vorstand,

Basler Straße 2, 61352 Bad Homburg vor der Höhe,

Beklagte und Berufungsklägerin,

 

hat der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter am

Landessozialgericht Dr. Schuler, den Richter am Sozialgericht Brändle und den Richter am Landes-sozialgericht Dr. Offczors sowie die ehrenamtlichen Richter Müller und

Bertrand für Recht erkannt:

  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. März 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
  • Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
  • Die Revision wird zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Beteiligten streiten um die Entrichtung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Höhe von 100,00 € nebst Zinsen.

Die Klägerin betreibt das Stadtkrankenhaus A-Stadt, das in den Landeskrankenhausplan des Landes Hessen aufgenommen ist. In diesem Krankenhaus war die 1919 geborene Frau D. D., die bei der Beklagten krankenversichert ist (im Folgenden: Versicherte), am 08.10.2007 aufgenommen und bis zum 23.10.2007 stationär in der geriatrischen Abteilung behandelt worden. Unstreitig bestand bei der Versicherten eine Humerusfraktur (Bruch im Bereich des Oberarms). Am 07.11.2007 ging bei der Beklagten die Krankenhausrechnung der Klägerin vom 06.11.2007 ein, welche nach dem G-DRGSystem (German Diagnosis Related Groups-Systems) erstellt worden war. Die Klägerin hatte unter Zugrundelegung der G-DRG Version 2007 den Code I41Z angesetzt, der für „Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen an Muskel-Skelett-System und Bindegewebe“ steht.

Voraussetzung für die Eingruppierung der stationären Behandlung eines Versicherten in eine DRG-Fallgruppe ist die Verschlüsselung einer Hauptdiagnose und ggf. von behandlungsrelevanten Nebendiagnosen nach dem ICD-Schlüssel für die Diagnosen nach der deutschen Anpassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme für die Zwecke des § 275 SGB V sowie der wesentlichen am Patienten durchgeführten Leistungen (Prozeduren). Für Letzteres ist der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) für die Zwecke des § 301 SGB V anzuwenden. Zur Gewähr einer einheitlichen Verschlüsselung ist auf das Regelwerk Deutsche Kodierrichtlinien (DRK) zurückzugreifen. Dieses gibt vor, wie aus den Diagnosen und Prozeduren sowie dem Alter, Geschlecht, Gewichtsangabe bei Neugeborenen, Zahl der Stunden maschineller Beatmung, der Krankenhausverweildauer und der Entlassungsart die DRG-Ermittlung über einen vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) erstellten und veröffentlichten Algorithmus (festgelegt in Definitionshandbüchern) zu erfolgen hat. Dieser Algorithmus ist in EDV-Programmen, so genannten DRG-Groupern implementiert, die vom InEK zertifiziert werden und über Schnittstellen von Krankenhäusern und Krankenkassen in die EDV-Systeme eingebunden werden können.

Als DRG-Hauptdiagnose hatte die Klägerin in ihrer Rechnung M81.45 (Arzneimittelinduzierte Osteoporose: Beckenregion und Oberschenkel (Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk)) und unter den Nebendiagnosen S42.21 (Fraktur des proximalen Endes des Humerus: Kopf) aufgeführt. Weiter war nach dem OPS die Kodierung 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung: Mindestens 14 Behandlungstage und 20 Therapieeinheiten) ausgewiesen. Am 16.11.2007 hatte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) mit der Überprüfung der Krankenhausrechnung unter der Fragestellung „Überprüfung der Kodierqualität sowie Notwendigkeit und Dauer (der Krankenhausbehandlung)“ beauftragt. In seinem „Koqua-Gutachten“ vom 18.04.2008 führte der Facharzt für Innere Medizin Dr. E. für den MDK nach Auswertung von Auszügen aus der Krankenakte, welche das Krankenhaus der Klägerin erstellt hatte, aus, es liege zwar eine fehlerhafte Kodierung der Hauptdiagnose vor. Statt der von dem Krankenhaus angegebenen DRG-Ziffer M81.45 müsse als Hauptdiagnose richtigerweise S42.21 stehen. Dies führe jedoch nicht zu einer Veränderung des angesetzten DRGCodes. Auch die Liegedauer sei nachvollziehbar; die Leistungen der angesetzten Komplexbehandlung seien erbracht worden. Hierauf zahlte die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachte Krankenhausrechnung in voller Höhe.

Mit Nachtragsrechnung vom 28.05.2008 verlangte die Klägerin von der Beklagten eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 €. Die Beklagte lehnte die Zahlung am 02.06.2008 mit dem Hinweis ab, die Klägerin habe ihre Pflichten verletzt. Sie habe eine falsche Kodierung der Hauptdiagnose vorgenommen, weshalb der MDK zur Prüfung eingeschaltet worden sei.

Hiergegen richtete sich die am 09.06.2008 beim Sozialgericht Darmstadt erhobene Klage, mit der die Klägerin beantragte, die Beklagte zu verurteilen, an Sie 100,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.06.2008 zu zahlen.

Mit Urteil vom 24.03.2010 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Aufwandspauschale von 100,00 Euro nebst Zinsen und ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage sei begründet. Der Anspruch der Klägerin ergäbe sich aus § 275 Abs. 1 c SGB V in der Fassung vom 01.04.2007 (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.03.2007 – GKV – WSG) wonach im Falle der Prüfung einer Krankenhausbehandlung durch den MDK im Auftrag der Krankenkasse diese dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 € zu entrichten habe, wenn die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt habe. Unstreitig habe die Beklagte aufgrund besonderer Zweifel an der Notwendigkeit und der Dauer der stationären Behandlung vom 08.10. – 23.10.2007, der verwendeten Abrechnungsziffern (hier: DRG I41Z) und damit an der Berechtigung des abgerechneten Krankenhausaufenthaltes der bei der Beklagten Versicherten im April 2008 den MDK eingeschaltet. Dieser habe in seiner Stellungnahme vom 18.04.2008 die stationäre Behandlung und auch die Verweildauer als notwendig angesehen. Dabei könne es dahingestellt bleiben, ob die Beklagte nach über 6-wöchigem Zeitablauf noch zu einer Prüfung berechtigt gewesen sei (vgl. § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V). Denn letztlich habe die Beklagte die Rechnung in vollem Umfang beglichen. Somit sei gerade keine Minderung des Rechnungsbetrages vorgenommen worden, weshalb die Beklagte zur Entrichtung der in § 275 Abs. 1c SGB V geregelten Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € verpflichtet sei. Soweit die Beklagte dem Anspruch entgegenhalte, die Klägerin habe bei der Übermittlung der Daten fehlerhaft gehandelt, könne dies auf den hier geltend gemachten Anspruch keinen Einfluss haben. Weder die gesetzliche Regelung noch die dazu vorliegende Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 16/3100 vom 24.10.2006 – Seite 93 und 171) sprächen für eine solche Einschränkung. Im vorliegenden Fall lasse sich auch nicht erkennen, dass allein eine möglicherweise fehlerhaft erfolgte Nummern-Klassifizierung einer Hauptdiagnose seitens der Klägerin Anlass für die von der Beklagten veranlassten Überprüfung gewesen sei. Es komme hinzu, dass die stationäre Behandlung der Versicherten nicht in der chirurgischen sondern in der geriatrischen Abteilung des Krankenhauses der Klägerin erfolgt sei, wenn auch ursprünglicher Anlass die Humeruskopf-Fraktur gewesen sei. Auch sei für die Kammer nicht erkennbar, weshalb die fehlerhaft verschlüsselte Hauptdiagnose angesichts des zutreffenden, für die Rechnungsstellung maßgeblichen DRG-Codes für die Einschaltung des MDK maßgeblich bzw. ursächlich gewesen sein sollte. Sowohl der Diagnoseschlüssel für die durchgeführte Operation wie auch die DRG-Ziffer als Grundlage der Abrechnung hätten sich als richtig erwiesen. Dies habe der MDK in seiner Stellungnahme ausdrücklich bestätigt. Der Zinsanspruch ergäbe sich aus § 291, 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wobei die Rechnung am 08.05.2008 (richtig 28.05.2008) der Beklagten zugeleitet worden sei und eine Zahlungsverpflichtung innerhalb von 30 Tagen bestanden habe.

Gegen das ihr am 31.03.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.04.2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie beruft sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.06.2010 (B 1 KR 1/10 R) und vertritt die Auffassung, die Einleitung der MDK-Prüfung sei durch eine fehlerhafte Datenübermittlung der Klägerin veranlasst worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Überprüfung durch den MDK sei nicht ausschließlich durch eine von ihrem Krankenhaus vorgenommene fehlerhafte Codierung veranlasst worden. Letztlich liege gar keine Fehlcodierung der Hauptdiagnose vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Patientenakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und vom Sozialgericht nach § 144 SGG zugelassene Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat der nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigerweise in Gestalt einer Leistungsklage erhobenen Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte ist nicht zur Zahlung der von der Klägerin beanspruchten Aufwandspauschale nebst Zinsen verpflichtet.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale ist § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V. Nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen. In Bezug auf die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V ist diese Prüfung nach der durch Art. 1 Nr. 185 Buchst. a des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG) vom 26.3.2007 mit Wirkung zum 01.04.2007 eingeführten Regelung des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V “zeitnah” durchzuführen. Nach Satz 2 dieser Regelung ist die Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, bestimmt § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, dass die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 (ab dem 25.3.2009: 300) Euro zu entrichten hat. Die Krankenhausbehandlung hatte auch am 08.10.2007 und damit nach dem 31.03.2007 begonnen, so dass die Anspruchsgrundlage grundsätzlich zur Anwendung kommen kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.06.2010, B 1 KR 29/09 R).

Aus dem Wortlaut dieser Norm ergeben sich drei Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V. Zwingend ist zunächst, dass der Krankenkasse eine Schluss- oder auch Zwischenrechnung des Krankenhauses vorgelegen hat (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012, B 3 KR 12/11 R, juris Rn. 15; vgl. dazu auch die Terminsberichte zu den Entscheidungen des BSG vom 13.11.2012, B 1 KR 10/12 R, und vom 22.11.2012, B 3 KR 20/12 R). Des Weiteren muss eine Abrechnungsprüfung erfolgt sein, also eine Prüfung, die auf eine potentielle Verminderung der Höhe der Krankenhausrechnung gerichtet ist. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn der dem MDK erteilte Prüfauftrag bei objektiver Betrachtungsweise eine Herabsetzung der im Raume stehenden Krankenhausvergütung zur Folge haben kann. Insoweit ist ohne Bedeutung, ob die Mitarbeiter der Krankenkasse vom Eingang der (Zwischen-)Rechnung bereits Kenntnis hatten oder ob sie dem MDK auch ohne Rechnungsstellung seitens des Krankenhauses einen Prüfauftrag hätten erteilen wollen (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012, B 3 KR 12/11 R, juris Rn. 17). Schließlich muss die Prüfung des MDK zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages geführt haben.

Diese drei Grundvoraussetzungen sind vorliegend zwar erfüllt. Die Schlussrechnung lag der Beklagten vor, als sie den MDK beauftragte. Die Prüfung wurde seitens der Krankenkasse zeitnah eingeleitet, da der Prüfauftrag am 16.11.2007 dem MDK erteilt worden war, mithin am 9. Tage nach Eingang der Krankenhausrechnung und damit innerhalb der 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1c SGB V. Der MDK hatte am 20.11.2007 Krankenbehandlungsunterlagen von dem Krankenhaus der Klägerin angefordert und dadurch die Prüfung ebenfalls innerhalb dieser 6-Wochenfrist dem Krankenhaus angezeigt, wie es § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V fordert. Die Befundunterlagen gingen am 21.12.2007 beim MDK ein. Laut dem MDK-Gutachten vom 14.04.2008 hatte die Prüfung nicht zur Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Es kann hier dahin gestellt bleiben, ob der MDK das Prüfverfahren zeitnah im Sinne des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V durchgeführt und abgeschlossen hat. Krankenkassen müssen sich nämlich das Verhalten des MDK bei Abrechnungsprüfungen ausschließlich hinsichtlich der nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V gebotenen Prüfanzeige zurechnen lassen. Krankenhäuser können sich gegenüber Krankenkassen insoweit auf das Unterlassen oder die Verspätung der Prüfanzeige durch den MDK als rechtserhebliche Mängel des Prüfverfahrens berufen. Darüber hinaus können Krankenhäuser sozialrechtlich (§ 69 SGB V) aus einer zögerlichen Bearbeitung eines Prüfauftrags durch den MDK mit Blick auf die Krankenhausvergütung nichts für sich ableiten. Das verbietet die abschließende, abgestufte Regelungskonzeption der Norm. Diese sanktioniert lediglich die Missachtung der kurzen Sechs-Wochen-Frist (§ 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V), gelangt bei Abrechnungsprüfaufträgen ohne folgende Abrechnungskürzungen zu einer pauschalen Aufwandspauschale (§ 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V) und lässt nach erfolgter rechtskonformer Einleitung der Prüfung die kurze Verjährungsfrist (entsprechend § 45 SGB I) als Zeitgrenze eingreifen. Die Regelung des § 275 Abs. 1c SGB V eröffnet hingegen Krankenhäusern keinen Raum dafür, sich etwa wegen zögerlicher Prüfbearbeitung des MDK auf Verwirkung oder sonstige auf Treu und Glauben gestützte Einwendungen zu berufen (vgl. BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 6/12 R – zitiert nach dem Terminbericht Nr. 59/12, Nr. 4, juris; a.A. noch Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 21.03.2012 – L 2 KR 72/11 – juris).

Die weite Fassung der Anspruchsnorm des § 275 Abs. 1c SGB V bedarf jedoch einer einschränkenden Auslegung. Dies hat das BSG in seinem Urteil vom 22.06.2010 (B 1 KR 1/10 R, juris) für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt. Es hat darin einen Anspruch des Krankenhauses auf die Aufwandspauschale verneint, wenn das Krankenhaus die wesentlichen Gründe für die Einschaltung des MDK gesetzt hat. In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte das Krankenhaus die bei dem Versicherten bestehende Hauptdiagnose in der Abrechnung nicht richtig kodiert. Die anschließend vorgenommene Korrektur führte nicht zu einer Änderung des Rechnungsbetrages, gleichwohl verneinte das BSG den Anspruch auf eine Aufwandspauschale, da die Krankenkasse durch die fehlerhafte Abrechnung zur Einleitung des Prüfverfahrens veranlasst wurde.

Das BSG führt dazu in seinem Urteil vom 22.06.2010 (B 1 KR 1/10 R) aus: Das Vorgehen der Krankenkassen nach § 275 SGB V habe seinen Ursprung darin, dass es zu den elementaren Aufgaben einer Krankenkasse gehöre, auf die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 3, § 12 SGB V) Acht zu nehmen, welches uneingeschränkt auch im Bereich des Leistungserbringungsrechts (§ 70 Abs. 1 SGB V) einschließlich der Krankenhausbehandlung gelte. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verknüpfe die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung, ihre Vergütung und die Kontrolle des Vorliegens ihrer Voraussetzungen durch Krankenkassen und MDK untrennbar miteinander. Ein Anspruch auf Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V setze deshalb unter anderem voraus, dass die Behandlung notwendig bzw. erforderlich war. § 275 Abs. 1 SGB V verpflichte die Krankenkassen eben diese Voraussetzungen zu überprüfen und hierzu ggf. den MDK einzuschalten. Allein die Erfüllung dieser gesetzlichen Prüfpflicht mit Hilfe der dazu bereichsspezifisch vorgesehenen Verfahren und Prüfsysteme könne aber nicht einseitige Zahlungsansprüche eines Krankenhauses zu Lasten einer Krankenkasse auslösen, seien sie auch in das Gewand einer Aufwandspauschale gekleidet. § 275 Abs. 1c SGB V bedürfe zur Wahrung der Gleichgewichtigkeit der wechselseitigen Interessen von Krankenkassen und Krankenhäusern einer einschränkenden Auslegung. Die gänzliche Ausklammerung des Gesichtspunkts, dass ein Leistungserbringer wie das Krankenhaus selbst Gründe für die berechtigte Einleitung eines Prüfverfahrens gesetzt habe, widerspräche zudem in besonderem Maße den seit jeher bestehenden bereichsspezifischen Besonderheiten in den Leistungsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Krankenhaus, welche durch eine ständige professionelle Zusammenarbeit innerhalb eines dauerhaften Vertragsrahmens geprägt sind. Die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichteten in partnerschaftlicher Weise zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach dem Grundsatz von Treu und Glauben. Diese Sonderrechtsbeziehung könnten auch wechselseitig bestehende Ansprüche begrenzen (vgl. BSG <1. Senat> SozR 4-2500 § 109 Nr. 19 RdNr. 16; BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R – RdNr. 10). Es wäre gerade das Gegenteil des beschriebenen rücksichtsvollen Verhaltens, würde es das Gesetz ermöglichen, die Aufwandspauschale selbst dann zu beanspruchen, wenn eigenes Fehlverhalten des Krankenhauses – hier der Verstoß gegen die Pflicht zur korrekten Abrechnung – zu einer überflüssigen, nutzlosen Prüfung geführt habe. § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V ziele vielmehr nur auf die Einschränkung von Prüfungen ab, die Krankenkassen ohne berechtigten Anlass, ggf. gar durch “missbräuchliche” Prüfungsbegehren eingeleitet haben, nicht aber auf Verfahren, zu denen es nur durch ein Fehlverhalten des Krankenhauses gekommen ist.

Das Bundessozialgericht hat zur weiteren Stützung seiner einschränkenden Auslegung des § 275 Abs. 1c SGB V auf die Gesetzesmaterialien verwiesen und Folgendes ausgeführt: „Anlass zur Schaffung des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V bot ausweislich der Gesetzesbegründung der Umstand, dass einzelne KKn die Prüfungsmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V “in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise” zur Einzelfallsteuerung genutzt hatten; bei einzelnen KKn hatten sich Prüfquoten bis zu 45 % aller Krankenhausfälle ergeben. Dies führe – so die Gesetzesbegründung – insbesondere bei nicht zeitnahen Prüfungen zu “unnötiger Bürokratie”, nämlich zu einer teilweise erheblichen Belastung der Abläufe in den Krankenhäusern mit zusätzlichem personellen und finanziellen Aufwand sowie zu in der Regel hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen mit Unsicherheiten bei Erlösausgleichen und Jahresabschlüssen. Um vor diesem Hintergrund “einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken”, wurde eine Aufwandspauschale von 100 Euro (ab 25.3.2009 durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.3.2009, BGBl. I 534, erhöht auf 300 Euro) eingeführt. Mit dieser Pauschale sollten unter dem Blickwinkel eines angestrebten Bürokratieabbaus Anreize gesetzt werden, Einzelfallprüfungen “zukünftig zielorientierter und zügiger” einzusetzen (so zum Ganzen: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf des GKV-WSG, BTDrucks. 16/3100 S. 171 zu Nummer 185 <§ 275> zu Buchst. a). Dem wird die unter a) dargestellte Auslegung gerecht.

Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich dagegen nicht herleiten, dass eine KK die Aufwandspauschale auch “unabhängig davon” entrichten muss, ob sie selbst oder das Krankenhaus die wesentlichen Gründe für die Einschaltung des MDK gesetzt hatte. In den Materialen werden vielmehr auf der Grundlage der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen erkennbar nur die typischen unbefriedigend verlaufenen (“Bürokratie verursachenden”) Verfahren angesprochen und zum Regelungsgegenstand gemacht, in denen es aus der Initiative der KKn heraus zu einer übermäßig starken, “streufeuerartigen”, stark zeitversetzten und/oder verzögernden Inanspruchnahme der Prüfmöglichkeit gekommen war. Ein solches Vorgehen einer KK konnte etwa durch das Bestreben motiviert gewesen sein, eigene Liquiditätsgewinne durch eine hinausgezögerte Rechnungsbegleichung zu erzielen (vgl. aber zum Ausschluss von Einwendungen einer KK nach Treu und Glauben in solchen Fällen z.B. schon: BSGE 89, 104, 110 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 2 – “Berliner Fälle”; BSG SozR 4-2500 § 112 Nr. 6 RdNr. 13 ff; BSGE 102, 182 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 15, RdNr. 42). Während der Gesetzgeber bei missbräuchlichem Vorgehen von KKn bzw. bei nahezu routinemäßig erfolgender Prüfungseinleitung im Grenzbereich hin zum Rechtsmissbrauch die Zahlung einer Aufwandspauschale als gerechtfertigt angesehen hat, kann dies schon im Ansatz nicht gleichermaßen für die Sachverhaltskonstellationen der hier vorliegenden Art angenommen werden.

Hinzu kommt, dass in den Gesetzesmaterialien Umstände, die für die Pflicht einer KK zur Zahlung der Aufwandspauschale irrelevant sein sollen, durchaus angesprochen werden, allerdings nur unter dem Blickwinkel, “die Verpflichtung zur Zahlung einer Aufwandspauschale durch die Krankenkasse … (entstehe) grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Rechnung bereits beglichen ist oder nicht”. Eine vergleichbare Wendung enthält die Gesetzesbegründung in Bezug auf die vorliegend streitige Frage nicht. Die Gesetzesbegründung (a.a.O.) gibt für die Ansicht des LSG auch unter einem weiteren Gesichtspunkt nichts her. Darin ist zwar davon die Rede, dass mit der Pauschale “eine vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt” werde, die “deshalb keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten” könne, zumal “aufgrund von Umfang und Komplexität der Kodierregeln Fehlabrechnungen mit zu hohen oder zu niedrigen Rechnungsbeträgen grundsätzlich nicht auszuschließen” seien. Diese Ausführungen stehen der aufgezeigten zutreffenden Auslegung des § 275 Abs. 1c SGB V jedoch nicht entgegen. Denn die Begründung bringt insoweit nur zum Ausdruck, dass keine Streitigkeiten gewollt sind, in denen die Beteiligten – bürokratieverursachend – nun mittelbare Auseinandersetzungen über die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Kodierung des Krankenhauses führen, indem möglicherweise Rechtsschutz zu der Frage in Anspruch genommen wird, ob das Krankenhaus nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles von der KK die ihm entstandenen Kosten in Form der Aufwandspauschale des § 275c Abs. 1c Satz 3 SGB V beanspruchen kann. Um eine solche Auseinandersetzung geht es jedoch vorliegend nicht, weil positiv feststeht, dass die Klägerin tatsächlich eine von ihr zu verantwortende Falschkodierung vorgenommen hatte. Hätte der Gesetzgeber auch in derartigen Fällen eine umfassende Zahlungspflicht der KKn und einen Ausschluss von Einwendungen gegen die Erhebung der Aufwandspauschale anordnen wollen, hätte es auf der Hand gelegen, sich an bereits existierenden Regelungsmodellen zu orientieren und die Aufwandspauschale ähnlich den für das sozialgerichtliche Verfahren geltenden Kostenregelungen als erfolgs- und verursacherunabhängige Pauschgebühr (vgl. § 184 SGG) auszugestalten“ (BSG, Urteil vom 22.06.2010 – B 1 KR 1/10 R, zitiert nach juris Rz. 22 ff.).

Diese vom 1. Senat des BSG vorgenommene einschränkende Auslegung des § 275 Abs. 1c SGB V muss zur Wahrung ihres Ausnahmecharakters jedoch auf diejenigen Fälle beschränkt werden, in denen die der Krankenkasse zum Zeitpunkt der Beauftragung des MDK vorliegenden Unterlagen, d.h. die vom Krankenhaus nach § 301 Abs. 1 SGB V übermittelten und die weiteren in der Krankenhausrechnung enthaltenen Daten einen nachvollziehbaren Anlass zur Einleitung einer MDK-Einzelfallprüfung geben konnten. Davon kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn die übermittelten Diagnosen insbesondere die Hauptdiagnose und die Nebendiagnosen nicht zueinander passen oder die angeführten Nebendiagnosen sich widersprechen oder in sonstiger Weise die Daten auf Inkohärenzen hindeuten. Entsprechendes gilt, wenn die als durchgeführt mitgeteilten Prozeduren nicht mit den durch Haupt- und Nebendiagnosen ausgewiesenen Krankeitsbildern harmonieren. Die wenigen verfügbaren Daten und Informationen müssen also insbesondere den medizinisch nur bedingt geschulten Kontrollkräften der Krankenkassen einen Krankenhausbehandlungssachverhalt nahelegen, der auf Ungereimtheiten schließen lässt. Auch für die isolierte Einleitung einer MDK-Prüfung zwecks Klärung, ob eine stationäre Behandlung überhaupt erforderlich war bzw. eine ambulante Behandlung medizinisch ausreichend gewesen wäre, sind konkrete Anknüpfungspunkte für Zweifel an der Notwendigkeit der stationären Behandlung erforderlich, um im Falle der Bestätigung der Richtigkeit der Krankenhausrechnung durch den MDK das Anfallen der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V abzuwenden. Gleiches gilt für die Veranlassung von MDK-Prüfungen zur Klärung der notwendigen Krankenhausverweildauer. Es müssen bei objektiver ex-ante Betrachtung Gesichtspunkte vorliegen, die die Dauer der stationären Behandlung als nicht angemessen erscheinen lassen, z.B. weil die Diagnosen nur auf einen nicht schwergradigen Behandlungsfall hinweisen, für den erfahrungsgemäß ein kürzerer stationärer Aufenthalt ausreichend ist.

Auf die Einleitung einer anlassbezogenen Prüfung seitens der Krankenkasse kann zwanglos geschlossen werden, wenn in dem an den MDK gerichteten Prüfauftrag Auffälligkeiten der oben beschriebenen Art konkret benannt wurden, um eine Prüfung derselben ersucht und damit ein solcher Prüfanlass aktenmäßig dokumentiert wurde. Bei einer solchen Sachlage entsteht ein Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung der Aufwandspauschale auch dann nicht, wenn die Prüfung durch den MDK unter Auswertung von medizinischen Behandlungsunterlagen die Widersprüche aufklären kann und es letztlich bei dem angesetzten DRG-Code und dem angesetzten Rechnungsbetrag bleibt. Allerdings obliegt es der Krankenkasse in einem solchen Fall darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass objektiv bestehende Ungereimtheiten in den vom Krankenhaus übermittelten Daten und Informationen Grund für die Einschaltung des MDK waren. Etwas anderes mag dann gelten, wenn die übermittelten Daten auf das Vorliegen eines offensichtlichen Codierfehlers hinweisen, dessen Ursache wahrscheinlich in einem bloßen „Zahlendreher“ liegt. In einem solchen Fall liegt es nahe, durch schlichte Nachfrage bei dem Krankenhaus vor Einschaltung des MDK zu klären, ob es sich – wie naheliegend – verhält.

Im vorliegenden Fall ist für den Senat ein nachvollziehbarer Anlass zur Einleitung einer MDK-Prüfung ersichtlich. Aus den nach § 301 Abs. 1 SGB V übertragenen Daten und der Abrechnung lassen sich die von der Beklagten an den MDK gestellten Prüffragen nachvollziehen. Die vom Krankenhaus mitgeteilten verschlüsselten Diagnosen waren nicht kohärent; sie ließen auf das Vorliegen von Unstimmigkeiten schließen und gaben objektiv Anlass, in eine Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einzutreten. Die angegebene Hauptdiagnose M81.45 besagte nämlich, dass bei der Versicherten eine arzneimittelinduzierte Osteoporose im Bereich Beckenregion und Oberschenkel vorgelegen habe. Dazu im Widerspruch stand die übermittelte Nebendiagnose S42.21, die eine Fraktur des Oberarmkopfes auswies. Es verhielt sich auch nicht so, dass der für die Nebendiagnose anzuwendende ICD-Schlüssel für die von den Krankenhausärzten angenommene arzneimittelinduzierte Osteoporose keine Möglichkeit der Differenzierung nach der befallenen Körperregion bereithielt. Vielmehr hätte mittels des ICD 10 Codes M81.42 auch eine arzneimittelinduzierte Osteoporose im Oberarmbereich (Humerus, Ellenbogengelenk) ausgewiesen werden können. Bei der vorliegenden Ungereimtheit in den Angaben hinsichtlich der behandlungsbedürftigen Körperregion bestand für die Krankenkasse Veranlassung, den Abrechnungsvorgang durch den MDK medizinisch aufklären zu lassen. Das Krankenhaus der Klägerin hat letztlich durch Übermittlung der unstreitig fehlerhaften Hauptdiagnose die MDK-Prüfung ausgelöst.

Damit steht der Klägerin, obwohl die Prüfung zu keiner Rechnungskürzung führte, keine Aufwandspauschale zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197 a, 183 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war zuzulassen; die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfrage, ob und in welchen Fällen eine Einschränkung des Anspruchs nach § 275 Abs. 1 c SGB V vorzunehmen ist, bedarf auch in Ansehung der Entscheidung des BSG vom 22.06.2010 (Az. B 1 KR 1/10 R) weiterer Klärung.