Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 241/01

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Urteil vom 28.05.2003 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Osnabrück S 3 KR 142/94
  • Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 241/01

 

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme bzw Kostenbeteiligung an den der Klägerin entstandenen Aufwendungen (einschließlich Fahrkosten) für den Aufenthalt in der Breakspear-Klinik, London, in der Zeit vom 7. bis 27. März 1994 in Höhe von 18.663,71 DM.

Die im Jahre 1955 geborene Klägerin, die bei der Beklagten pflichtversichert ist, erblindete 1975 wegen Amaurose. Ab 1980 litt die Klägerin in zunehmendem Maße an Beschwerden der oberen Atemwege, die anfangs als wiederkehrende Nasennebenhöhlenentzündungen, ab 1991 als Halsenge mit Kloßgefühl, später als Stimmbandentzündung mit Stimmverlust auftraten. Darüber hinaus litt die Klägerin unter begleitenden Befindlichkeitsbeschwerden, wie zB migräneartige Kopfschmerzen, Juckreiz der Ohren, Ohrgeräusche, Trockenheit des Mundes, Durst- und Völlegefühl, Aufstoßen, geblähtem Bauch, Reizbarkeit und Angstgefühlen. Die Beschwerden traten am Arbeitsplatz der Klägerin auf, die als Phonotypistin an einem Computer-Arbeitsplatz für Sehbehinderte beschäftigt ist. Die Beschwerden verbesserten sich nach Verlegung des Arbeitsplatzes in andere Räume. Nach Rückverlegung in die alten Räume traten sie von Neuem auf. Die Klägerin beschrieb das Auftreten der Beschwerden, insbesondere in Verbindung mit Kontakten am Arbeitsplatz zu Druckerschwärze, Kopiertinte, frischen Kopien, Farben, Prospekten bzw Druckereierzeugnissen. Darüber hinaus traten die Beschwerden im Zusammenhang mit dem Verzehr von säurehaltigen Lebensmitteln, zB Orangensaft oder Quark, auf. Infolge dessen war die Klägerin ab Oktober 1991 bis Januar 1992, von Februar bis April 1992 und sodann ab Mai 1992 arbeitsunfähig. Die Behandlung erfolgte Anfang der 80er Jahre durch den Hausarzt, später durch einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten und stationär durch die C … In der Zeit vom 10. März bis 7. April 1992 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Kurklinik D … Um den Stimmverlust zu behandeln, nahm die Klägerin in der Zeit vom 4. Februar bis 4. März 1993 an einer stationären Stimmtherapie in Bissendorf teil. Sie wurde dort wegen einer psychogenen Aphonie (Stimmstörung als Reaktion auf psychische Belastung, Stress oder Schreckerlebnisse, die sich als Tonlosigkeit oder Schonstimme manifestiert) behandelt. Begleitend fanden ambulante logopädische Therapien sowie eine langfristige psychotherapeutische Betreuung statt.

Am 24. Mai 1993 begab sich die Klägerin in Behandlung bei Dr E., der erstmals die Diagnose “Multiple Chemische Sensibilität” (MCS) mit sinusaler, parlyngialer und dysphonischer Ausprägung stellte. In seinem Bericht vom 28. Mai 1993 führte Dr F. aus, dass sich innerhalb der letzten Jahre zunehmend eine MCS entwickelt habe. Hierbei handele es sich um eine Störung, deren Ausmaß bisher noch nicht erkannt worden sei. Gängige Laboruntersuchungen führten zu keiner Absicherung der klinischen Diagnose. Nach Auffassung von Dr F. sei es sinnvoll, eine entsprechende Austestung nach der modifizierten Miller-Technik vorzunehmen und darauf aufbauend ein Hyposensibilisierungsprogramm zu entwickeln. Im Zusammenhang mit den Nahrungsmittelunverträglichkeiten sei eine vorsichtige diätische Überprüfung im klinischen Versuch möglich. An Stelle der von Dr G., Rehabilitationsklinik H. vorgeschlagenen stationären und langfristig ambulanten psychotherapeutischen Versorgung solle die Klägerin in der Breakspear-Klinik, London, behandelt werden, die spezifische Testungen und die Einstellung auf einen umfassenden Therapieplan vornehmen würde.

Daraufhin verordnete der die Klägerin behandelnde Hausarzt Dr I. am 19. Juni 1993 Krankenhausbehandlung wegen MCS auf Kassenverordnungsvordruck in der Breakspear-Klinik, London. Dem Antrag auf Kostenübernahme durch die Beklagte vom 22. Juni 1993 waren das ärztliche Attest des Dr I. vom 15. Juni 1993, das anonymisierte sozialmedizinische Gutachten des MDK Schleswig-Holstein vom 14. Juni 1993 sowie der Bericht des Dr F. vom 28. Mai 1993 beigefügt. Die Beklagte zog daraufhin die Stellungnahme nach Aktenlage des Dr J., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN), vom 26. Juli 1993 bei. Dieser vertrat die Auffassung, dass nach Würdigung des Krankheitsverlaufes und vor dem Hintergrund der bloßen Verdachtsdiagnose einer MCS keine hinreichende Aussicht bestehe, der Klägerin unter den geschilderten Bedingungen zur Gesundung zu verhelfen. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme einer Behandlung in der Breakspear-Klinik, London, mit Bescheid vom 24. September 1993 ab.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und berief sich auf das beigefügte Attest des Dr I. vom 23. September 1993. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch Dr K., MDKN, der feststellte, dass bei der Klägerin der begründete Verdacht auf Allergieprobleme bestünde. Eine ausreichende Abklärung der Allergien sei noch nicht durchgeführt worden. Im Hinblick auf die MCS sei festzustellen, dass es sich hierbei lediglich um eine Hypothese handele. Die geplanten Therapiemaßnahmen seien nicht geeignet, eine Exkretion von Pestiziden zu erreichen. Alternativ könne eine stationäre Behandlung in einer allergologisch ausgerichteten Klinik, zB der L. für Atemwegserkrankungen und Allergie, empfohlen werden.

Dr I. hielt die Behandlung in der Breakspear-Klinik nach wie vor für notwendig. Auf seine Anfrage teilte die Beklagte mit, dass das Auguste-Viktoria-Cäcilienstift in Bad Lippspringe, die Karl-Hansen-Klinik in Bad Lippspringe sowie die Klinik Aprath in Wülfrath zugelassene Krankenhäuser nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien.

Die Klägerin führte die Behandlung vom 7. bis 27. März 1994 in der Breakspear-Klinik, London, durch. Mit ihrem am 3. Juni 1994 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben begehrte die Klägerin Kostenerstattung unter Vorlage des weiteren Attestes des Dr I. vom 19. Mai 1994. Der therapeutische Erfolg der Behandlung in London spräche für sich. Es habe sich eine wesentliche Besserung des Befindens eingestellt. Dr I. führte weiter aus, dass die Klägerin seit drei Wochen wieder arbeitsfähig und bei weiterer Fortführung der Therapie von dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit auszugehen sei. Zur Begleichung der Kosten für den Krankenhausaufenthalt in London gewährte das Diakonische Werk der Ev-reformierten Kirche der Klägerin ein zweckgebundenes Darlehen in Höhe von 10.000,- DM. In dem am 21. Juni 1994 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben nebst Anlagen bezifferte die Klägerin die Kosten auf 18.663,71 DM.

Der Widerspruch wurde von der Widerspruchsstelle bei der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 1994 zurückgewiesen. Würden sich Versicherte zur Behandlung ins Ausland begeben, könne die Kasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich sei. Diagnostik und Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung seien auch im Inland möglich gewesen. Eine Abklärung der vermuteten Allergien sei nicht erfolgt.

Gegen den ihr am 11. Oktober 1994 zugestellten Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit ihrer am 17. Oktober 1994 bei dem Sozialgericht (SG) Osnabrück eingegangenen Klage gewandt. Der Behandlungserfolg spreche für sich. In der Breakspear-Klinik seien individuelle Impfstoffe, sog Vakzine, entwickelt worden, die ihr täglich injiziert worden seien. Dies habe zu einem Abklingen der Allergieproblematik geführt. Vergleichbare Behandlungsmethoden habe es seinerzeit in Deutschland nicht gegeben.

Das SG Osnabrück hat den schriftlichen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr I. vom 28. August 1995 nebst Anlagen beigezogen sowie das schriftliche fachinternistische Gutachten nach Aktenlage des Prof Dr Dr M., N., vom 27. Februar 1996 nebst ergänzender Stellungnahmen vom 4. Februar 1997 und 1. Juli 1997 eingeholt. Bei der MCS handele es sich um eine Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Stoffen. Eine Austestung exaktester Art sei in Deutschland nicht erfolgt. Derartige Testungen wären bei niedergelassenen Dermatologen oder Allergologen möglich gewesen. Es gebe zudem besondere Zentren, die sich mit der Problematik seltener allergischer Reaktionen beschäftigten, zB bei Prof Dr O., Dermatologische Klinik und Poliklinik der P … Diagnostik und Therapie der MCS wären auch in Deutschland möglich gewesen.

Auf Antrag der Klägerin wurde das schriftliche nervenärztliche Gutachten des Dr F., Fachkrankenhaus Q., vom 27. August 1996 eingeholt. Dr F. kam zu dem Ergebnis, dass die in der Breakspear-Klinik durchgeführte Austestung nach der modifizierten Miller-Technik erst seit Herbst 1995 in einem Vertragskrankenhaus in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich dem Fachkrankenhaus Q., möglich gewesen sei. Eine dringende Behandlungsindikation habe für die Klägerin jedoch bereits spätestens Anfang 1994 bestanden.

Das SG Osnabrück hat die Klage mit Urteil vom 17. Dezember 1997 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG Osnabrück im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stünde nicht fest, das eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich gewesen sei. Die Behandlung von Umwelterkrankungen habe sich in Deutschland zwar noch in einem gewissen Versuchsstadium befunden. In Deutschland würden ganz überwiegend andere Behandlungsmöglichkeiten als die in der Breakspear-Klinik bevorzugt. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. April 1997 – L 1 SB/KR 29/95 – müsse davon ausgegangen werden, dass MCS noch nicht einmal eine gesicherte Diagnose sei. Die in der Breakspear-Klinik angebotene Therapie stelle keine effektive Entgiftungsbehandlung dar.

Gegen das ihr am 9. Januar 1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Januar 1998 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Bei ihrer Erkrankung handele es sich nicht um eine Allergie im klassischen Sinne. Die Problematik bestünde in fehlenden eindeutigen laborchemischen Nachweisen in Abgrenzung gegen genuine psychiatrische Krankheitsbilder wie zB Somatisierungsstörungen oder Neurasthenie ua. Ein eindeutiger Labornachweis hätte in keiner deutschen Klinik erbracht werden können. Dies ergebe sich auch aus dem Ergebnis früherer Untersuchungen, bei denen kein Allergie-Typ hätte nachgewiesen werden können. Die bei der Klägerin durchgeführte Austestung nach der modifizierten Miller-Technik würde erst seit Herbst 1995 auch in dem Fachkrankenhaus Q. angewandt. Seitdem gehöre die Methode zu den Leistungen, die die Beklagte im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung übernehme. So seien die Nachtestungen im Fachkrankenhaus Q. ab 1996 und zuletzt 1999 ohne Beanstandung von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden. Die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat praktizierenden Einrichtungen seien ebenso qualifiziert wie inländische Leistungserbringer. Vor dem Hintergrund der Freizügigkeit des EU-Binnenmarktes komme es nicht mehr darauf an, ob die Leistung im Inland nicht rechtzeitig erbracht werden könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. Dezember 1997 und den Bescheid der Beklagten vom 24. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 1994 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten der Behandlung in der Breakspear-Klinik, London, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil und den erlassenen Bescheid für zutreffend.

Der Senat hat zur Frage, ob im Jahre 1993 eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der bei der Klägerin ua vorliegenden MCS nicht im Inland, sondern nur im Ausland möglich war, die schriftlichen Auskünfte des Dr F., Fachkrankenhaus Q., vom 7. Juli 1997, des Dr R., S., vom 11. November 1998 und des Arztes T., Institut für Umweltkrankheiten, U., vom 18. Dezember 1998 sowie die schriftliche Auskunft des Arztes V., MDKN, Referat Arzneimittel, vom 14. Januar 1999 eingeholt. Ferner hat der Senat das schriftliche fachdermatologische Gutachten nach Aktenlage des Prof Dr W. vom 20. Juli 1999 eingeholt. Prof Dr W. kommt zu dem Ergebnis, dass eine angemessene Diagnostik und Therapie auf der Basis des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse zum damaligen Zeitpunkt auch in Deutschland möglich gewesen wäre, zB in den Hautkliniken Bremen, Oldenburg und Münster, dem Dermatologischen Institut der Universität Osnabrück oder dem Institut für Arbeitsmedizin bzw der Klinik für Pulmologie der Medizinischen Fakultät Münster. In der Breakspear-Klinik in London sei bis auf die Provokations-Neutralisierungsmethode nebst anschließender Desensibilisierung nach Miller im Prinzip nichts anderes gelaufen als in jeder allergologisch ausgerichteten Institution in der Bundesrepublik Deutschland. Die Miller-Methode sei zwar der anerkannten allergologischen Hyposensibilisierung “ähnlich”, aber nicht validiert. Sie gehöre zu den sog alternativen Heilmethoden und habe sich bis heute nicht in der schulmedizinischen Fachdiskussion durchsetzen können. Die Methode werde nur von wenigen Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland angewandt.

Vor den Berichterstattern des Senats haben mit den Beteiligten Erörterungstermine stattgefunden. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften vom 1. März 2000 und 27. März 2003 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie ein Heft Kopien “Validation of Environmental Medicine” des Breakspear-Hospitals, London, Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143 f statthafte Berufung ist zulässig.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für ihre Behandlung in der Breakspear-Klinik in London. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts (SG) sind nicht zu beanstanden. Dementsprechend bleibt der Antrag der Klägerin, über ihren Antrag auf Übernahme der Kosten der Behandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, erfolglos.

Der Anspruch ist weder aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht (EG-Recht), das in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt und den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften vorgeht, noch aus dem innerstaatlichen Recht zu begründen.

Grundlage für die Beurteilung des Anspruchs nach EG-Recht ist die Verordnung über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71). Nach Art 22 Abs 1c EWGV 1408/71 hat ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines Mitgliedsstaates zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen, die der Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für das Recht des zuständigen Trägers gewährt (sog Leistungsaushilfe). Die erforderliche Genehmigung darf nach Art 22 Abs 2 Satz 2 EWGV 1408/71 nicht verweigert werden, wenn die Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.

Vorliegend hat die Klägerin den formalen Beschaffungsweg eingehalten, denn sie hat den Antrag auf Kostenübernahme gegenüber der Beklagten rechtzeitig vor Durchführung der beabsichtigten stationären Behandlung in London gestellt. Die Beklagte hat den am 22. Juni 1993 eingegangenen Antrag mit Bescheid vom 24. September 1993 abgelehnt; die Klägerin hat die streitige Behandlung am 7. März 1994 begonnen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist der Regelungsgehalt des Art 22 Abs 1 EWGV 1408/71 allerdings auf den Fall der Sachleistungsaushilfe in einem anderen Mitgliedsstaat zu den Bedingungen dieses Staates beschränkt. Alleiniges Ziel der Regelung ist es danach, dem Versicherten die erforderliche Auslandsbehandlung als Sachleistung, also kostenfrei, zur Verfügung zu stellen. Allerdings wird eine Erstattung der Kosten dann nicht ausgeschlossen, wenn das nationale Recht eine derartige Erstattung vorsieht oder sich die Verpflichtung dazu aus dem EG-Vertrag als dem primären Gemeinschaftsrecht ergibt (vgl BSG, Urteil vom 9. Oktober 2001 – B 1 KR 26/99 R = SozR 3-2500 § 18 Nr 8 = BSGE 89, 34 f unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 28. April 1998, Rechtssache C-158/96, (Kohll), EuGHE 1988, I-1931 Rdnr 28 f = SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 S 9; Urteil vom 12. Juli 2001, Rechtssache C-368/98, (Vanbraekel), NJW 2001, 3397 Rdnr 36 f).

Das nationale deutsche Recht lässt bei Auslandsbehandlungen eine Kostenerstattung nur ausnahmsweise zu. § 16 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – SGB V – bestimmt als Grundsatz, dass der Anspruch auf Leistungen bei Auslandsaufenthalt ruht. Lediglich dann, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist, kann die Krankenkasse gemäß § 18 Abs 1 SGB V ausnahmsweise die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. § 18 Abs 1 SGB V knüpft die Kostenübernahme an zwei Bedingungen, die kumulativ erfüllt sein müssen: Die im Ausland angebotene Behandlung muss dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse genügen, und im Inland darf keine diesem Standard entsprechende Behandlung der beim Versicherten bestehenden Erkrankung möglich sein.

Anknüpfungspunkt für die Beurteilung, ob eine Krankenbehandlung nur im Ausland möglich ist, ist der individuelle Krankheitszustand des betroffenen Versicherten (Urteil des Senats vom 31. Mai 2000 – L 4 KN 5/98 KR mwN). Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung richtet sich allein nach medizinischen Erfordernissen (BSGE 49, 216, 218). Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat nach inhaltlicher Prüfung anschließt, reicht es für die Anwendung des § 18 Abs 1 SGB V nicht aus, dass die konkrete, vom Versicherten gewünschte Therapie nur im Ausland durchgeführt werden kann. Die Krankenkasse darf die Kosten dieser Therapie vielmehr nur übernehmen, wenn für die betreffende Krankheit im Inland überhaupt keine, also auch keine andere Behandlungsmethode, zur Verfügung steht, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt. Diese Einschränkung ist bereits im Wortlaut der Vorschrift angelegt. Wenn dort der umfassende Begriff der “Behandlung einer Krankheit” verwendet wird, so grenzt das die Regelung in terminologischer Hinsicht von anderen Bestimmungen ab, in denen das Gesetz in einem engeren Sinne von “Leistungen” (§ 2 Abs 1 und 2, § 12 Abs 1 SGB V), “Behandlungsmethoden” (§ 2 Abs 1 Satz 2, § 135 Abs 1 SGB V), “Maßnahmen” (§ 27 a, § 28 Abs 2 Satz 8, § 40 Abs 1 SGB V) oder “Therapierichtungen” (§ 2 Abs 1 Satz 2, § 34 Abs 2 Satz 3 SGB V) spricht. Die Wortwahl ist nicht zufällig, sondern folgt dem Zweck der Regelung. Denn die Auslandsbehandlung stellt – ebenso wie eine ggf im Wege der Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V zu ermöglichende Behandlung durch nichtzugelassene Ärzte und Krankenhäuser im Inland – einen bloßen Notbehelf für den Fall dar, dass der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Mitteln des Sachleistungssystems nicht erfüllt werden kann. Die in § 18 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Notwendigkeit, mit Hilfe der Auslandsbehandlung eine Lücke in der medizinischen Versorgung in Deutschland zu schließen, besteht aber nur, wenn eine im Geltungsbereich des SGB V nicht behandelbare Krankheit im Ausland mit der erforderlichen Erfolgsaussicht behandelt werden kann. Eine Notwendigkeit liegt nicht vor, wenn das im Ausland angebotene Leistungsspektrum lediglich andere medizinische Maßnahmen umfasst, ohne im Ergebnis die Behandlungsmöglichkeiten für die beim Versicherten bestehende Krankheit entscheidend zu verbessern (BSG, Urteil vom 16. Juni 1999 – B 1 KR 4/98 R = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 = BSGE 84, 90 – 98). Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und den Gesetzesmotiven sowie aus dem systematischen Zusammenhang mit den §§ 16 und 17 SGB V – so das BSG (ebenda) – ergibt sich, dass der Anwendungsbereich des § 18 Abs 1 SGB V eng zu ziehen ist. Daraus folgt, dass die Notwendigkeit einer Auslandsbehandlung zu verneinen ist, wenn zwar eine bestimmte, vom Versicherten bevorzugte Therapie nur im Ausland erhältlich ist, im Inland aber andere, gleiche oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Nur wenn die im Ausland praktizierte Methode den im Inland bestehenden Behandlungsangeboten eindeutig überlegen ist, wenn etwa eine Krankheit im Inland nur symptomatisch behandelt werden kann, während im Ausland eine kausale, die Krankheitsursache beseitigende Therapie möglich ist, kommt eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse in Betracht, weil dann allein die Auslandsbehandlung dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Die Krankenkassen schulden den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik; sie haben die Leistungen zu gewähren, die zur Heilung und Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend sind (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1, § 27 Abs 1, § 70 Abs 1 SGB V). Auf eine optimale, über den beschriebenen gesetzlichen Standard hinausgehende Versorgung besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch (BSG ebda unter Hinweis auf BSG SozR 5520 § 29 Nr 3 S 8 f).

Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 18 Abs 1 SGB V nicht gegeben.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der vorgelegten bzw beigezogenen medizinischen Unterlagen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die in der Breakspear-Klinik durchgeführte Diagnostik und Behandlung auch zum damaligen Zeitpunkt in einer allergologisch ausgerichteten Klinik in der Bundesrepublik Deutschland hätte durchgeführt werde können. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof Dr W. in seinem Gutachten vom 20. Juli 1999 an. Danach sind in der Breakspear-Klinik im Prinzip keine anderen Maßnahmen ergriffen worden, die nicht auch in jeder allergologisch ausgerichteten Institution in der Bundesrepublik Deutschland hätten durchgeführt werden können. So hat sich nach den Bekundungen des Sachverständigen für die Klägerin in der Breakspear-Klinik kein spezifisches Ergebnis betreffend MCS ergeben. Die in London objektiv erhobenen Befunde hätten zum damaligen Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland vielmehr in gleicher Weise an jeder entsprechend allergologisch orientierten Institution – an den Kliniken für Dermatologie oder Pulmologie, Institute für Arbeitsmedizin – ermittelt werden können. Der Sachverständige benennt für den näheren Bereich des Wohnortes der Klägerin beispielhaft die Hautkliniken in Bremen, Oldenburg und Münster, das Dermatologische Institut der Universität Osnabrück, das Institut für Arbeitsmedizin und die Klinik für Pulmologie der Medizinischen Fakultät Münster.

Auch soweit die Klägerin vorträgt, es sei in der Breakspear-Klinik eine spezielle Untersuchungsmethode durchgeführt worden (Provokations/Neutralisations-Testung nach Miller) kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Denn nach dem Gutachten des Prof Dr W. bestand eine gleichwertige Untersuchungsmethode in Deutschland. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist die Provokations/Neutralisations-Methode nebst anschließender Desensibilisierung nach Miller außerdem umstritten. Sie ist – so der Sachverständige – zwar der allergologischen Hyposensibilisierung methodisch ähnlich, jedoch nicht validiert. Sie hat sich bis heute in der schulmedizinischen Fachdiskussion nicht durchsetzen können und wird in der Bundesrepublik Deutschland nur von einzelnen Klinikärzten angewandt.

Eine die Kostenerstattung rechtfertigende Kapazitätslücke für die Behandlung bei der Klägerin hat ab 1993 in Deutschland somit nicht vorgelegen. Die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen hätten nach Auffassung des Senats ohne nennenswerte Wartezeit auch in deutschen Kliniken durchgeführt werden können. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 SGB V nicht vor. Damit scheitert der Kostenerstattungsanspruch am nationalen Recht, so dass sich kein Anspruch aus Art 22 Abs 1 EWGV 1408/71 ergeben kann.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dieses Ergebnis mit EG-Recht vereinbar. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH lässt das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt (vgl ua EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll); EuGH Rs. C – 120/95 (Decker). Aus dieser nationalen Kompetenz ergibt sich jedoch keine Bereichsausnahme von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – insbesondere der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts – für die mitgliedsstaatlichen Sozialversicherungssysteme. Der EuGH hebt deutlich hervor, dass die Mitgliedsstaaten gleichwohl “bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten” müssen (EuGH, aaO). Diese Grundsätze, die in den Urteilen Kohll und Decker unterstrichen wurden, sind in dem neueren Urteil vom 12. Juli 2001 (Geraets/Peerboom = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 = EuGHE I 2001, 5473 – 5545 = NJW 2001, 3391 – 3397) bestätigt worden.

Eine Ausnahme von dem Recht auf freien Dienstleistungsverkehr (Art 49 und 50 EG-Vertrag) kommt nach der Rechtsprechung des EuGH allerdings in Fällen stationärer Behandlung in Betracht. Das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr ist nicht verletzt, wenn die Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung in einem anderen Mitgliedsstaat davon abhängig gemacht wird, dass eine vorherige Genehmigung zur Behandlung im Ausland erteilt wird. Der EuGH hält hier das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung für zulässig. Denn nur so können – so der EuGH – bei Krankenhäusern die Rentabilität der langfristigen Investitionen gesichert, die Vorhaltekosten amortisiert, damit das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit stabilisiert und eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung und ihr qualitatives Niveau sichergestellt werden (Urteil Rs C – 157/99 – Geraets/Peerbooms). Unter welchen Voraussetzungen die Genehmigung zu erteilen ist, richtet sich danach, ob die im Ausland zu erbringende betreffende Behandlung als in der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt betrachtet werden kann und ob die für den Versicherten medizinisch notwendige Behandlung nicht rechtzeitig in einer Vertragseinrichtung im Inland erbracht werden kann. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich nach Auffassung des EuGH im Inland ein ausreichendes, ausgewogenes und ständiges Angebot an Krankenhausversorgung aufrecht erhalten und die finanzielle Stabilität des Systems der Krankenversicherung gewährleisten. Das rechtfertigt es, die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs für Krankenanstalten in anderen Mitgliedsstaaten, die sich aus der Anwendung dieser Voraussetzungen ergeben kann, nicht als Verstoß gegen Art 59 des Vertrages (nunmehr Art 49 EG-Vertrag) zu werten (EuGH, aaO Rdziff 97).

Scheidet somit ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Kostenübernahme aus europäischem Gemeinschaftsrecht aus, gilt dasselbe für einen Anspruch aus innerstaatlichem Recht. Wie bereits ausgeführt, ist ein Anspruch nach § 18 Abs. 1 SGB V nicht gegeben. Der Klägerin steht auch kein Herstellungsanspruch gegen die Beklagte zu.

Ein Herstellungsanspruch läge dann vor, wenn die Beklagte die Klägerin nicht oder falsch beraten hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Auf den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme hat die Beklagte das Gutachten des MDK vom 1. Dezember 1993 eingeholt und dem die Klägerin behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr I. Behandlungsmöglichkeiten in dem X., in der Y. und in der Klinik Z. benannt. Dr I. hat daraufhin bei der Beklagten angefragt, ob sie die Kosten für eine stationäre Behandlung in der Y. tragen würde; er würde eine solche Behandlung sodann schnellstmöglich veranlassen (Schreiben vom 23. Dezember 1993). Damit hat die Beklagte ohne Pflichtverletzung alles Erforderliche getan, um die Klägerin angemessen zu beraten (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. August 1996 – L 4 Kr 143/95 -).

Die Berufung ist demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision haben nicht vorgelegen, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.