Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 (5) KR 195/08

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 24.09.2009 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Düsseldorf S 9 KR 162/06
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 (5) KR 195/08

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. September 2008 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit dem zur Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie (SKAT) bestimmten Arzneimittel Caverject weiterhin zu versorgen.

Der 1958 geborene Kläger ist seit 1987 (ab 1994 als Rentenbezieher) bei der Beklagten versichert. Er leidet an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer seit 1989 bestehenden Querschnittslähmung aufgrund eines Privatunfalls. Nachdem sich der Kläger mit vertragsärztlichen Verordnungen vom 06. September und 22. Dezember 2004 auf Kassenrezept das Arzneimittel beschafft hatte, nahm die Beklagte eine Rechnungsbeanstandung gegenüber der ausgebenden Apotheke vor, die daraufhin den Kläger um Zahlung der Arzneimittelkosten in Höhe von 513,36 Euro ersuchte (Schreiben der L-Apotheke vom 21. Januar 2006). Der Kläger beantragte sodann eine Kostenübernahme der Beklagten. Diese teilte ihm mit, Caverject gehöre zu den Handelspräparaten, die seit 01. April 2004 nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen -KK- verordnet werden dürften (Bescheid vom 06. Februar 2006). Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, aufgrund seiner Behinderung (Querschnittslähmung) müsse das Medikament als ein Hilfsmittel, vergleichbar den ihm zur Verfügung stehenden (Rollstuhl, Badewannenlifter etc.), betrachtet werden, welches seine Lebensqualität erhalte. Es sei unmenschlich und damit grundgesetzwidrig, ihm einen Verzicht auf ein normales Sexualleben zuzumuten. Zudem berufe er sich auf Gewohnheitsrecht, weil er das Medikament seit ca. 10 Jahren verschrieben bekommen habe. Er beantrage deshalb die weitere Versorgung.

Dem Widerspruch wurde vom Widerspruchsausschuss der Beklagten mittels Widerspruchsbescheid vom 21. September 2006 lediglich hinsichtlich der beantragten Kostenübernahme mit der Begründung stattgegeben, der Kläger habe auf die Richtigkeit der ärztlichen Verordnungen vertrauen dürfen. Eine weitere Versorgung mit dem betreffenden Arzneimittel sei jedoch gemäß § 34 Absatz (Abs) 1 Satz 7 Sozialgesetzbuch 5. Buch -SGB V- in Verbindung mit den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in der Fassung vom 16. März 2004 ab 01. April 2004 mangels Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 16. Oktober 2006 Klage erhoben und zu deren Begründung insbesondere geltend gemacht, der generelle Ausschluss von Arzneimitteln zur Anwendung bei erektiler Dysfunktion sei rechtswidrig. Beruhe die Dysfunktion nicht auf natürlichen Alterserscheinungen, sondern -wie bei ihm- auf einer Erkrankung, müsse eine Verordnung des Arzneimittels zu Lasten der Beklagten möglich sein. Zudem stelle das Arzneimittel eine “nichtoperative therapeutische Maßnahme” im Sinne des Operationen- und Prozedurenschlüssels -OPS- (zur Ziffer 8 – 976.2) dar, denn es handele sich um eine Behandlung aufgrund lebenslanger Nachsorge bei Querschnittslähmung.

Mit Urteil vom 23. September 2008 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, über den 22. Dezember 2004 hinaus die Kosten für das Arzneimittel Caverject Impuls bzw. ein gleichwertiges zugelassenes Arzneimittel nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die erektile Dysfunktion, unter der der Kläger leide, sei eine behandlungsbedürftige und behandlungsfähige Krankheit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar habe der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 34 SGB V insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Versorgung ausgeschlossen. Auch wenn der Gesetzgeber damit habe erreichen wollen, dass unterschiedslos jegliche Behandlung dieser Erkrankung mit Arzneimitteln ausgeschlossen werde, sei die Kammer jedoch der Auffassung, das es Ausnahmefälle gebe, die auch als solche behandelt werden müssten. Der Kläger habe zu Recht darauf hingewiesen, dass er als Behinderter aus anderen Gründen als die Mehrheit der Bevölkerung (gemeint wohl: Mehrheit der Erkrankten) auf dieses Medikament angewiesen sei. Diese wohl auch vom G-BA übersehene Problematik bei Behinderten hätte von der Beklagten im Rahmen einer Einzelfallentscheidung berücksichtigt werden müssen. Insbesondere vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips bedürfe es einer besonderen Rechtfertigung, wenn gesetzlich Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit vorenthalten werden. Dies müsse bei einer verfassungskonformen Auslegung von § 34 SGB V berücksichtigt werden. Es könne deshalb offen bleiben, ob sich ein Anspruch auch aus § 33 SGB V ergebe.

Gegen das ihr am 29. Oktober 2008 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 14. November 2008 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht sie geltend, es sei bereits wiederholt gerichtlich entschieden worden, dass Arzneimittel zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion unabhängig von den Ursachen einer solchen Erkrankung einem nicht gegen Verfassungsrecht verstoßenden Leistungsausschluss unterlägen. Berufung sei aus Gründen der Gleichbehandlung und um sich nicht dem Vorwurf willkürlichen Verwaltungshandelns ausgesetzt zu sehen von der Beklagten eingelegt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. September 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Die den Vorgang betreffenden Versichertenakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Düsseldorf zum Aktenzeichen S 9 KR 162/06 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf ist nicht rechtmäßig und deshalb abzuändern. Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion besteht seit der Anfügung von § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (Bundesgesetzblatt (BGBl) I 2190) mit Wirkung vom 01. Januar 2004 nicht mehr.

Der grundsätzlich gemäß § 27 Abs 1 in Verbindung mit § 31 Abs 1 SGB V bestehende Anspruch auf Krankenbehandlung durch Versorgung mit Arzneimitteln ist insoweit ausdrücklich ausgeschlossen. Zu den vom Ausschluss erfassten Arzneimitteln gehört auch Caverject (§ 34 Abs 1 Satz 9 in Verbindung mit (iVm) § 92 Abs 1 Satz 2 Nummern (Nrn) 6 SGB V und den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 16. März 2004 zu F18.2 und F18.3 sowie der dazu ergangenen Anlage 8).

Wie vom Senat bereits entschieden wurde (Urteil vom 24.02.2005 zum Aktenzeichen L 16 KR 313/04 – veröffentlicht bei juris ) hat der Gesetzgeber nach dem eindeutigen und einer anderen Auslegung nicht zugänglichem Wortlaut der Neufassung von § 34 Abs 1 SGB V nicht hinsichtlich der Ursachen einer erektiven Dysfunktion unterschieden, so dass eine Verordnung der ausgeschlossenen Arzneimittel entgegen der Auffassung des Klägers und des Sozialgerichts auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Beschwerden Folge einer Erkrankung sind, die eine uneingeschränkte Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach den allgemeinen Bestimmungen begründet.

Das Bundessozialgericht – BSG – hat die gegen das bereits benannte Urteil des Senats eingelegte Revision zurückgewiesen (Urteil vom 18.07.2006, B 1 KR 10/05 R, – wie auch alle im Folgenden benannten Urteile zitiert nach juris -). Es hat ausgeführt, nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck unterliege es keinem Zweifel, dass Caverject als Arzneimittel von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Der gezielte gesetzliche Ausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog lasse keinen Raum dafür, § 34 Abs 1 Satz 7 – 9 SGB V teleologisch einzuschränken. Gerade weil der Gesetzgeber den umfassenden Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe, sicherstellen wollte, habe er dies detailliert im Gesetz geregelt. Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung sind – soweit ersichtlich – die Instanzgerichte uneingeschränkt gefolgt und haben den Leistungsausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktionen unabängig von deren Ursachen bestätigt (siehe LSG NRW Urteil vom 29.03.2007- L 11 KR 93/06 [ebenfalls einen Querschnittsgelähmten betreffend]; LSG NRW Urteil vom 17.01.2007- L 11 KR 66/06 [erektile Dysfunktion nach schweren Verletzungen – multiple Knochenbrüche im Beckenbereich]; sowie LSG NRW Urteil vom 14.02.2007- L 11 KR 21/06, LSG Thüringen Urteil vom 01.07.2008 – L 6 KR 507/07 und Urteil vom 21.04.2009 – L 6 KR 158/0 [erektile Dysfunktion nach Prostatektomie]). Das vorliegende Verfahren weist keine Besonderheiten auf, die Anlass geben könnten, eine von dieser gefestigten Rechtsprechung abweichende Entscheidung zu treffen.

Der uneingeschränkte Ausschluss von Arzneimitteln für die genannte Anwendung aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch dies entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats sowie des BSG in den bereits benannten Urteilen. Aus den Bestimmungen des Grundgesetzes folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Hinsichtlich des Umfangs der dazu bereitzustellenden medizinischen Versorgung hat der Gesetzgeber jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn aufgrund beschränkter finanzieller Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen sind, die jenseits lebensbedrohlicher Zustände in erster Linie eine Steigerung der Lebensqualität bezwecken. Die gesetzlichen Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zu Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Sie sind deshalb berechtigt, den Versicherten Leistungen nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung zu stellen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), vergleiche (vgl) Beschluss vom 06. November 2005, 1 BvR 347/98).

Sonstige Rechtsgrundlagen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch sind nicht ersichtlich.

Aus dem OPS kann der Kläger schon deshalb keine Rechte zu seinen Gunsten herleiten, weil es sich dabei lediglich um ein Verfahren zur Verschlüsselung von allgemein medizinischen Prozeduren im Krankenhaus und damit nicht um eine Rechtsgrundlage für Leistungsansprüche handelt.

Die vom SG offenbar zumindest erwogene Versorgung mit Caverject als Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V ist eher fernliegend, denn Hilfsmittel sind bewegliche Sachen, die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen sollen (siehe Höfeler in Kasseler-Kommentar, Stand April 2009, § 33 SGB V Rd. 3 e). Caverject gehört jedoch zweifellos zu den Arzneimitteln, weil es sich dabei um Substanzen handelt, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden durch Anwendung am oder im menschlichen Körper zu heilen oder zu bessern (vgl Nolte in Kasseler-Kommentar, Stand April 2009, § 31 SGB V Rd. Nr 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG -.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die in § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 genannten Gründe dafür nicht vorliegen. Die dem Verfahren zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich hinreichend geklärt, so dass der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Senat ist zudem nicht von einer Entscheidung eines Bundesgerichts abgewichen, sondern befindet sich damit in Übereinstimmung.