Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 KR 54/00

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 05.04.2001 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Düsseldorf S 34 KR 234/97
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 16 KR 54/00

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17. Februar 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten einer Refertilisationsoperation.

Die am xx.xx.19xx geborene Klägerin hat 12 Kinder geboren, wovon 3 per Kaiserschnitt entbunden worden sind. Im Zusammenhang mit der Kaiserschnittgeburt ihrer jüngsten Tochter am 19.07.1996 wurde eine beidseitige Tubenteilresektion durchgeführt (vgl. Operationsbericht der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des xxxxxxx- xxxxx-Krankenhauses Exxxxxxx, Chefarzt Prof. Dr. Bxxxxxx). Die Klägerin hatte der Sterilisation laut vorliegender Erklärung schriftlich zugestimmt.

Unter Vorlage ärztlicher Atteste beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Wiederherstellung ihrer Empfängnisfähigkeit. Der Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. Stxxx bescheinigte der Klägerin unter dem 27.11.1996, bei ihr sei es nach der Tubenteilresektion zu erheblichen psychischen und ehelichen Problemen gekommen, so dass eine Refertilisierung indiziert sei. Der Nervenarzt Dr. Mxxxxxx führte in seinem Attest vom 19.02.1997 aus, es handele sich diagnostisch um eine Anorgasmie mit depressiver Verstimmung nach einer Sterilisation. Die Klägerin habe zu ihrem Leidwesen und dem ihres Mannes feststellen müssen, dass sie nach der Sterilisation keine Freude mehr am Beischlaf habe. Ihre Libido sei erloschen. Offenbar sei ihre Libido daran geknüpft, dass sie, wenigstens solange sie noch fortpflanzungsfähig sei, die Chance einer Empfängnis habe. Auch ihr Ehemann leide darunter, dass seine Frau “nichts mehr empfinde”. Die Ehe sei dadurch in eine Krise geraten, was angesichts der sie ben im Hause lebenden Kinder ein grosses Problem, auch ein grosses soziales Problem, werden könne. Die Klägerin legte ferner ein Schreiben der Beratung für Schwangere und ihre Familien des Caritas-Verbandes vor, worin die Diplom-Sozialpädagogin Sxxxxxx in dem Wunsch der Klägerin, die Sterilisation rückgängig zu machen, den einzig Erfolg versprechenden Weg sieht. Eine Paartherapie sei für dieses Paar nicht angemessen und erfolgversprechend, auch unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein ein. Der Arzt für Anästhesieologie Dr. Lxxxxx konnte eine medizinischen Indikation nicht erkennen. Eine fachärztliche Behandlung der psychischen Probleme oder der genannten Eheprobleme sei nicht dokumentiert. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.03.1997 ab. Am 03.04.1997 ging bei der Beklagten ein Schreiben des behandelnden Nervenarztes Dr. Mxxxxxx ein (verschlossene Arztsache vom 27.03.1997), worin er wiederholt, die sexuelle Zufriedenheit der Klägerin sei von erheblicher Wichtigkeit für den Zusammenhang ihrer Familie bzw. für das familiäre Klima. Die Beklagte schaltete daraufhin erneut den Medizinischen Dienst der Krankenkassen ein. Das Gutachten wurde von Frau Dr. Txxxxxx unter psychiatrischen/ psychotherapeutischen Gesichtspunkten und von der Ärztin für Gynäkologie Dr. Bxxxxxxxxx erstellt. Frau Dr. Bxxxxxxxxx diagnostizierte auf ihrem Fachgebiet den Verdacht auf Libidoverlust im Rahmen von Wechseljahrsveränderungen. In dem Gutachten ist ein mit dem behandelnden Gynäkologen Dr. Sxxxx geführtes Telefonat dokumentiert, wonach die Hormonwerte der Klägerin im Bereich der beginnenden Wechseljahrsveränderungen lägen, was dem biologischen Alter der Versicherten entspreche. Sie werde jetzt mit Hormontabletten behandelt. Frau Dr. Bxxxxxxxxx kam aufgrund der vorgelegten Unterlagen bzw. des Gesprächs mit der Klägerin zu der Beurteilung, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Refertilisierungsoperation eine Besserung des Sexualverhaltens eintrete. Frau Dr. Txxxxxx erhob aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht folgenden Befund: Die Klägerin vermittele den Eindruck eines dysphorisch-depressiven Syndroms mit Anzeichen von Überforderung und Belastungsminderung, wobei äthiologisch durchaus hormonelle Faktoren bei beginnender klimakterischer Umstellung von Bedeutung sein könnten. Beide Gutachterinnen empfahlen die Kostenübernahme für den geplanten Eingriff nicht. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.1997 zurück. Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Refertilisation sei eine Sterilisation, die aufgrund einer Krankheit durchgeführt worden sei. Die Klägerin habe jedoch vor ihrer letzten Entbindung ihr Einverständnis hierzu gegeben und die Sterilisation auf eigenen Wunsch durchführen lassen. Ob durch die Sterilisation eine Libido-Verminderung oder der -Verlust verursacht und hierdurch eine psychologisch behandlungsbedürftige Krankheit begründet werde, beurteilten die Ärzte des Medizinischen Dienstes. Der Beratungsarzt Dr. Lxxxxx habe die Refertilisation mit der Begründung abgelehnt, es läge kein organisches Problem vor, und eine Partnertherapie empfohlen. Die bei der persönlichen Untersuchung anwesenden Ärztinnen Dr. Txxxxxx und Dr. Bxxxxxxxxx hätten die Ablehnung damit begründet, die Libido- Einbußen stünden nicht im kausalen Zusammenhang mit der Sterilisation. Die für die Libido-Einbußen verantwortlichen Gründe könnten vielmehr durch eine hormonelle Therapie und nervenärztliche Mitbehandlung sowie eine Paartherapie behandelt werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.12.1997 Klage erhoben. Sie sei über die körperlichen und psychischen Folgen einer Sterilisation nicht aufgeklärt worden. Thema sei für sie nur die Vermeidung weiterer Schwangerschaften gewesen. In der Folge seien erhebliche Störungen aufgetreten. Sie habe ca. 20 kg an Körpergewicht zugenommen, die Brust sei schwerer geworden. Sie leide an einem Ziehen an der Seite und im Rücken. Des weiteren hätten sich erhebliche Beeinträchtigungen in ihrem Sexualleben ergeben. Ziel der Operation zur Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit solle sein, “dass die aufgetretenen körperlichen wie psychischen Folgen behoben” würden und “sich ihr Zustand wieder normalisiere”. Über ihren Bevollmächtigten hat die Klägerin vorgetragen, ihr behandelnder Nervenarzt Dr. Mxxxxxx verneine das Vorliegen einer psychischen Störung. Die Klägerin hat hervorgehoben, sie habe vor der Sterilisation weder körperliche noch psychische Probleme gehabt und die Ehe mit ihrem Mann sei durchaus als gut zu bezeichnen gewesen. Erst danach hätte sich ein Verlust der Libido eingestellt und seien in der Ehe massive Probleme aufgetreten. Insofern spreche vieles für eine Kausalität zwischen der Operation und den weiteren Folgen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1997 zu verurteilen, ihr eine Refertilisierungsoperation zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer bislang vertretenen Auffassung festgehalten.

Mit Urteil vom 17.02.2000, auf das Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 02.03.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31.03.2000 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei eine Rückgängigmachung der Sterilisation sinnvoll. Nach Aussagen ihres Frauenarztes befinde sie sich noch nicht in den Wechseljahren. Frau Sxxxxxx von der Beratungsstelle für Schwangere beim Caritas-Verband habe die gewünschte Operation befürwortet. Zudem habe man ihr die Kostenübernahme der gewünschten Operation mündlich zugesagt; als Bürger müsse man sich auf mündliche Zusagen der zuständigen Sachbearbeiter verlassen können.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17. Februar 2000 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1997 zu verurteilen, eine Operation zur Wiederfruchtbarmachung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe überzeugend dargelegt, dass sich bei psychischen Störungen der Heilbehandlungsanspruch auf eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie beschränke und operative Eingriffe nicht einschließe. Dies müsse umsomehr gelten, wenn der operative Eingriff das medizinische Beschwerdebild, nämlich die hormonelle Umstellung, nicht rückgängig machen könne.

Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1997 ist rechtmäßig. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer Refertilisationsoperation.

Rechtsgrundlage ist § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), wonach Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Abs. 1 Satz 1). Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Empfäng nisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war (Abs. 1 Satz 4).

Auch zur Überzeugung des Senats erfüllt die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Empfängsnis fähigkeit nicht. Dem Anspruch der Klägerin steht die gesetzgeberische Entscheidung in § 27 Abs. 1 Satz 4 SGB V entgegen, wonach die Kostenübernahme einer Refertilisierung für den Fall ausgeschlossen ist, dass der Zustand der Unfruchtbarkeit bewusst und gewollt herbeigeführt worden war (so auch schon die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum früheren Rechtszustand, vgl. Urteil vom 11.10.1988 – 3/8 RK 20/87 -, festhaltend am Urteil vom 12.11.1985 – 3 RK 48/83 – SozR 2200 § 182 Nr. 101). Denn die Klägerin hat ausweislich der von ihr eigenhändig unterzeichneten Einverständniserklärung ihrer Sterilisation zugestimmt. Allerdings gilt nach dem Gesetzeswortlaut der Ausschluss aus der Leistungspalette der gesetzlichen Krankenversicherung dann nicht, wenn die Empfängnisfähigkeit wegen “einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation” verlorengegangen war. Ob dies vorliegend, etwa im Hinblick auf die dritte Geburt bei Kaiserschnitt, der Fall war, ist zwar nicht aufgeklärt. Selbst wenn aber deswegen die Sterilisation angezeigt gewesen sein sollte, hätte sich an dieser Situation nichts geändert. Es gibt, erst recht im Hinblick auf das vorangeschrittene Lebensalter der Klägerin, keinen vernünftigen Anhalt für die Annahme, dass zum damaligen Zeitpunkt möglicherweise relevante medizinische Gründe für eine Sterilisation – nämlich zur Vermeidung weiterer Schwangerschaften mit dem Risiko einer erneuten Kaiserschnittentbindung – zwischenzeitlich entfallen sein sollten. Sollte die Sterilisation somit wegen einer Krankheit erforderlich gewesen sein, wäre ihre Rückgängigmachung aus medizinischen Gründen kontraindiziert.

Unabhängig davon kann zur Überzeugung des Senats nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin und ihr Ehemann erklärt haben, sie wollten künftig keine Kinder mehr haben. Auch die behandelnden Ärzte, der Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. Sxxxx wie auch der Nervenarzt Dr. Mxxxxxx, sowie die beratende Diplom-Sozialpädagogin des Caritas-Verbandes bescheinigen, dass die Sterilisation im Erleben der Klägerin zu erheblichen psychischen und ehelichen Problemen geführt habe. Dementsprechend hat der Nervenarzt Dr. Mxxxxxx in seinem Attest vom 19.02.1997 auch ausgeführt, es handele sich diagnostisch um eine Anorgasmie mit depressiver Verstimmung nach einer Sterilisation. Die Klägerin habe keine Freude mehr am Beischlaf, ihre Libido sei erloschen. Offenbar sei ihre Libido daran geknüpft, dass sie, wenigstens solange sie noch fortpflanzungsfähig sei, die Chance einer Empfängnis habe. Sofern bei der Klägerin aber eine psychische Störung vorliegt, ist diese mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts umfasst die Leistungspflicht der Krankenkassen nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelrechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern (Bundessozialgericht, Urteil vom 09.06.1998 – B 1 KR 18/96 R – SozR 3-2500 § 39 SGB V Nr. 5 im Anschluss an BSG, Urteil vom 10.02.1993 – 1 RK 14/92 – SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 14). Die von den Kassengeschuldete Krankenbehandlung umfasst grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzen. Im Hinblick auf die psychische Störung beschränkt sich der Heilbehandlungsanspruch der Klägerin deshalb auf eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie. Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, in welchem der Anspruch auf Leistungen zur Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit selbst aus den vorgenannten Gründen ausgeschlossen ist.

Das Sozialgericht durfte auch offen lassen, ob der Klägerin, wie sie behauptet, von Bediensteten der Beklagten mündlich zugesagt worden ist, die Kosten der gewünschten Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit würden von der Kasse übernommen. Denn eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen (Zusicherung) bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form, § 34 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs – SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.