Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 99/01

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 15.10.2002 (rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 44 KR 231/00
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 99/01
  • Bundessozialgericht B 3 KR 38/02 R

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Behandlung.

Die bei der Beklagten versicherte Frau C … G … (Versicherte) befand sich vom 08.02. bis 23.02.2000 in stationärer Behandlung in dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus. Wegen einer schweren Drei-Gefäß-Erkrankung wurde sie am 23.02.2000 in die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil – Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie – deren Trägerin die Beigeladene ist – verlegt. Am gleichen Tag wurde eine aortokoronare Zweifachbypass- Operation durchgeführt. Anschließend wurde die Versicherte bis 29.02.2000 in den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken weiterbehandelt. Im Entlassungsbericht vom 29.02.2000 wird ausgeführt, der postoperative Verlauf sei weitgehend komplikationslos gewesen. Bei Verlegung sei die Patientin beschwerde- und fieberfrei gewesen, operationsspezifische Komplikationen habe es nicht gegeben. Die Wundverhältnisse seien unauffällig, die Wundheilung sei p(er)p(rimam) erfolgt. Es werde gebeten, das Fadenmaterial der Thorax- und Extremitätenwunde am 12. postoperativen Tag zu entfernen. Die Versicherte wurde am 29.02.2000 wieder in die Klinik der Klägerin verlegt und dort bis zum 24.03.2000 behandelt.

Die Klägerin machte in der Rechnung vom 13.06.2000 für die Behandlung ab 29.02.2000 zum einen die sog. B-(Weiterbehandlungs-)Fallpauschale (FP) Nr. 9.022 der Anlage 1.1 zu § 11 Abs. 1 der Bundespflegesatzverordnung in der Fassung der 5. Verordnung vom 09.11.1997 (BGBl. I, 2874 – BPflV) geltend. Zugleich berechnete sie wegen Überschreitung der Grenzverweildauer der B-Pauschale (20 Tage) zusätzlich für 5 Tage Pflegesätze in Höhe von insgesamt 2.877,30 DM. Die Beklagte beglich den Betrag der FP 9.022 (4.852,20 DM), lehnte jedoch die Bezahlung der Pflegesätze ab. Sie vertrat die Auffassung, die Grenzverweildauern der A-(Akutbehandlungs-)FP Nr. 9.021 und der B-Pauschale seien auch dann zusammenzurechnen, wenn die Behandlung in zwei verschiedenen Krankenhäusern erfolge.

Zur Begründung der auf Zahlung der Pflegesätze gerichteten Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Leistungsbereich der jeweiligen FP ende, wenn der definierte Behandlungsfall vor Erreichen der Grenzverweildauer abgeschlossen sei. Im vorliegenden Fall sei bei der Verlegung am 29.02.2000 eine komplikationslose Wundheilung erreicht gewesen, so dass definitionsgemäß die A-Pauschale geendet und anschließend die B-Pauschale eingegriffen habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehe keine Kooperation mit der Klinik der Beigeladenen, die die A-Pauschale abgerechnet habe. Demgegenüber hat die Beklagte eingewandt, eine Wundheilung könne grundsätzlich nicht vor dem 10. postoperativen Tag eintreten, so dass hier frühestens am 04.03.2000 die A-Fallpauschale geendet habe. Zudem müsse von einer Kooperation ausgegangen werden, so dass die bei der einheitlichen Erbringung der von der A- und B-Pauschale erfassten Leistungen durch ein Krankenhaus die Grenzverweildauern beider FP zusammenzuzählen seien.

Mit Urteil vom 30.05.2001 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Da die Beklagte nicht ausreichend substantiiert eine Wundheilung bei Verlegung bestritten habe, sei davon auszugehen, dass zum Verlegungszeitpunkt die A-Fallpauschale geendet habe.

Die Beklagte rügt im Berufungsverfahren, das Sozialgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Zeitpunkt der Wundheilung von Amts wegen festzustellen. Unter Bezugnahme auf ein in einem anderen Verfahren erstattetes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 02.07.2001 (Dr. F …) vertritt sie die Auffassung, die Wundheilung könne grundsätzlich nicht vor dem 10. postoperativen Tag erreicht werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und sieht sich in ihrer Auffassung, dass die Wundheilung bei Verlegung abgeschlossen gewesen sei, durch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten bestätigt.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an; sie hat sich zur Sache nicht geäussert.

Der Senat hat zur Frage der Wundheilung ein Gutachten von Prof. Dr. K … (Chefarzt der Klinik für Thorax- und Kardiovaskulärchirurgie des Herzzentrums D …) eingeholt. Wegen des Inhalts des Gutachtens wird auf das Gutachten vom 14.03.2002 und die ergänzende Stellungnahme vom 25.06.2002 Bezug genommen. Ferner hat der Senat eine Auskunft vom Bundesministerium für Gesundheit zur Abgrenzung der A- und B-Fallpauschalen eingeholt; insoweit wird auf die Auskunft vom 06.08.2002 verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten und der die Versicherte betreffenden Behandlungsunterlagen der Klägerin und der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, denn entgegen der Auffassung des Sozialgerichts steht der Klägerin kein über die gezahlte B-Pauschale hinausgehender Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten zu.

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Versicherte auch im Zeitraum zwischen dem 29.02.2000 und 24.03.2000 stationärer Behandlung (§ 39 Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) bedurfte und die Beklagte insoweit eine Zahlungsverpflichtung gegenüber der Klägerin trifft. Diese Vergütung richtet sich nach den Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und der BPflV. Die aufgrund der Ermächtigung des § 16 Satz 1 KHG erlassene BPflV sieht in Ausführung der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des § 17 Abs. 2a KHG, eine Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen durch FP (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 BPflV) und Sonderentgelte (§ 11 Abs. 2 BPflV), einen Gesamtbetrag (Budget) nach § 12 BPflV und tagesgleiche Pflegesätze (§ 13 BPflV) vor. Die FP und Sonderentgelte sind zum 01.01.1995 vom Verordnungsgeber in der Anlage zu § 11 BPflV festgelegt worden; sie gelten gemäß § 17 Abs. 2a Satz 7 KHG seit dem 01.01.1998 als zwischen den Trägern der Selbstverwaltung vertraglich vereinbart.

Nach § 11 Abs. 1 BPflV (in der Fassung der 5. Änderungsverordnung) werden mit den FP die allgemeinen Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet, für den ein Entgelt in den Entgeltkatalogen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 oder § 16 Abs. 2 BPflV bestimmt ist. Eine FP wird für die in den Entgelt katalogen bestimmten Behandlungsfälle berechnet (§ 14 Abs. 4 BPflV). Daneben können – von den hier ersichtlich nicht einschlägigen Fällen des § 14 Abs. 6 BPflV abgesehen – gemäß Abs. 7 des § 14 BPflV Pflegesätze nur bei Überschreiten der in den Entgeltkatalogen bestimmten Grenzverweildauern berechnet werden.

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben kann die Klägerin für die streitige Behandlung nur die FP Nr. 9.022 berechnen. Der als Anlage 1.1 zu § 11 Abs. 1 BPflV bekannt gemachte FP-Katalog (in der hier maßgeblichen Fassung der 5. Änderungsverordnung) enthält zu den Nrn. 9.021 und 9.022 “koronare Herzkrankheit” folgende Leistungsbeschreibungen:

“Nr. 9.021 Herzoperation (Coronarchirurgie) unter Einsatz der Herz-Lungenmaschine unter Verwendung autologer arterieller Grafts kombiniert mit aortocoronarem Venenbypass oder sonstiger Arterie, ggf. kombiniert mit TEA ab Aufnahme/Verlegung in die Herzchirurgie;

Versorgung bis Abschluss Wundheilung (z.B. Entfernung von Fäden/Klammern), mindestens jedoch bis Abschluss der Behandlung indikationsspezifischer Komplikationen” (A-Pauschale),

“Nr. 9.022 Weiterbehandlung im Anschluss an FP 9.021 bis zum Erreichen der Rehabilitationsfähigkeit; Mindestaufenthalt 7 Belegungstage” (B-Pauschale).

Die A-Pauschale umfasst nach ihrer Definition somit die Versorgung des Patienten bis zum Abschluss der Wundheilung, mindestens jedoch bis zum Abschluss der Behandlung indikationsspezifischer Komplikationen, während die anschließende Behandlung von der B-Pauschale erfasst wird. Diese beginnt nach dem gewählten Abgrenzungskriterium ab dem Zeitpunkt der Wundheilung. Die Wundheilung im Sinne der Leistungsbeschreibung der FP Nr. 9.021 ist hier aber erst mit der Entfernung der Fäden am 06.03.2000 eingetreten und nicht schon am Tag der Rückverlegung am 29.02.2000. Unabhängig davon, ob der Tag der Wundheilung noch zur A-Pauschale zählt (so der 16. Senat des LSG NRW im Urteil vom 07.03.2002 – L 16 KR 192/00 -) oder die B-Pauschale bereits ab dem Tag der Wundheilung rechnet (so BSG SozR 3-5565 § 14 Nr. 1), übersteigt die Weiterbehandlung der Versicherten nach dem Fädenziehen am 06.03.2000 bis zur Entlassung am 24.03.2000 nicht die Grenz-Verweildauer der B-Pauschale, so dass die Klägerin keinen Anspruch auf die geforderten Pflegesätze hat.

Der Senat hat bereits im Urteil vom 27.05.2002 (L 5 KR 46/01) entschieden, dass der Zeitpunkt der Wundheilung stets durch das Entfernen von Fäden/Klammern bestimmt ist, soweit Fäden/Klammern verwandt worden sind. An dieser Auffassung, zu deren Begründung auf das genannte Urteil verwiesen wird, hält er auch in Kenntnis des – nach seinem Standpunkt nicht entscheidungserheblichen – Gutachtens von Prof. Dr. K … fest. Zwar mag es aus medizinischer Sicht in Abhängigkeit von der individuellen Verfassung des Patienten vertretbar sein, die Fäden bereits ab dem 7. postoperativen Tag zu ziehen, wenn klinischer Befund und Laborparameter dem nicht widersprechen. Der Sachverständige räumt aber gleichzeitig selbst ein, dass die Frage nach dem idealen Zeitpunkt für das Entfernen der Fäden kontrovers diskutiert wird. Dr. F … zitiert in dem MDK-Gutachten vom 02.07.2001 Meinungen, die für ein Entfernen der Fäden ab dem 10.Tag plädieren.

Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Entfernung der Fäden/Klammern wird schließlich durch die Auskunft des BMG nahegelegt. Das BMG führt in seiner Auskunft vom 06.08.2002 aus, in Abstimmung mit den medizinischen Fachgesellschaften sei als Teilungspunkt der früher einheitlichen FP in eine A- und B-FP die “Wundheilung” bestimmt worden. Das Kriterium hierfür habe das “Fädenziehen” sein sollen. Dies erfolge dann, wenn die Wunde ausreichend verheilt sei und der Patient üblicherweise entlassen werden könne. Die Formulierung “z.B.” sei gewählt worden, weil es auch selbstauflösendes Nahtmaterial gebe, bei dem keine Fäden mehr gezogen werden müssten. In diesen Fällen müsse eine dem Fädenziehen entsprechende Verweildauer angenommen werden. Demnach sollte mit der A-Pauschale die Behandlung des Patienten von der Aufnahme in die herzchirurgische Einheit bis zur üblichen Entlassung vergütet werden, wobei davon ausgegangen wurde, dass dieser Zeitpunkt der Wundheilung entspricht und konkreter durch das Entfernen der Fäden bzw. Klammern beschrieben werden kann. Der Zusatz “z.B.” ist nur wegen des möglichen Einsatzes resorbierbaren Fadenmaterials gewählt worden und bedeutet nicht, dass – bei Verwendung nicht resorbierbarer Fäden – das Ziehen der Fäden nur beispielhaft für die Wundheilung stehen soll, also auch schon früher – vor dem Fädenziehen – eingetreten sein kann. Vergütungsregelungen sind streng nach ihrem Wortlaut auszulegen sind, da sie andernfalls ihren Zweck, die routinehafte Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen zu ermöglichen, nicht erfüllen können (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 21.02.2002 – B 3 KR 30/01 R -). Dies spricht dafür, bei Verwendung nicht resorbierbaren Nahtmaterials grundsätzlich auf das Fädenziehen als Zeitpunkt des Abschlusses der Wundheilung abzustellen. Dies gilt umso mehr, als offenkundig unter Medizinern keine Einigkeit darüber besteht, wann die Fäden entfernt werden sollen. Vor diesem Hintergrund entstünden in der Praxis kaum lösbare Probleme, wenn jeweils im Einzelfall geprüft werden müsste, wann ggf. vor dem Fädenziehen schon die Wundheilung abgeschlossen gewesen sein soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der hier entschiedenen Rechtsfrage, ob der Zeitpunkt der Wundheilung regelmäßig durch das Entfernen von Fäden/Klammern bestimmt wird, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).