LSG Nordrhein-Westfalen L 16 KR 508/21 KH

Kernpunkte:

  • Dieses Urteil bestätigt das erstinstanzliche Urteil vom SG Aachen (Urteil vom 28.04.2021, Az.  S 1 KR 431/18), allerdings mit einer etwas anderen Begründung.
  • Eine „angeborene Infektion“ darf nur kodiert werden, wenn es Hinweise gibt, dass die Infektion vor oder während der Geburt erworben wurde. Das kann z. B. durch Hinweise auf einen Amnioninfekt oder durch Infektionszeichen, die schon bei der Geburt vorliegen, geschehen.
  • Das „72-Stunden-Kriterium“ für das Auftreten von Symptomen einer angeborenen Infektion ist dabei aus mehreren Gründen nicht anzuwenden:
    •  Das zitierte Supplement zum Epidemiologischen Bulletin Nr. 42 des Robert-Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Neo_Monographie.pdf) beschreibt Kriterien für eine Neugeborenen-Sepsis und kann nicht auf jede Art von Infektion verallgemeinert werden.
    • DIMDI widerspricht das Zeit-Kriterium und setzt auf Bekanntheit des Erregers als Kriterium ab. So gibt es widersprüchliche Meinungen und keinen einheitlichen Sprachgebrauch.
    • Die einschlägigen Regelwerke (ICD-Katalog und Kodierrichtlinien) definieren „angeboren“ nicht.
  • Allein die antibiotische Behandlung eines Neugeborenen wegen des Verdachts auf Infektion berechtigt schon zur Kodierung einer nicht näher bezeichneten Infektion (Verdachtsdiagnosenregelung D008).
  • Im vorliegenden Fall hätte nicht eine angeborene Infektion (P37.9)  sondern nur eine Infektion kodiert werden sollen (P39.9).

 

Urteil vom 01.09.2022

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung. 

Die Beklagte betreibt ein nach §108 SGB V zugelassenes Krankenhaus, wo der am 31.07.2014 geborene und bei der Klägerin versicherte N (im Folgenden Versicherter) vom 31.07.2014 bis 02.09.2014 auf der Intensivstation stationär behandelt wurde. Der Versicherte wurde als Frühgeborener in der 32. Schwangerschaftswoche (+ 5 Tage) am 31.07.2014 durch einen Kaiserschnitt bei einer akuten Blutung durch eine vorgelagerte Plazenta mit einem Geburtsgewicht von 2.150 g entbunden. Aufgrund einer pulmonalen Anpassungsstörung bei ansonsten stabilem Allgemeinzustand wurde eine Atemunterstützung mittels CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) bis einschließlich 05.08.2014 durchgeführt. Unabhängig davon bestand trotz atemstimulierender Medikamente am Aufnahmetag ein ausgeprägtes Apnoe-Bradykardie-Syndrom. Aufgrund des Verdachts auf eine Infektion als Auslöser dieser Erkrankung (bei unklarer Abgrenzung zur „bloßen“ Unreife des Atemzentrums) wurde der Versicherte ab dem 2. Lebenstag 7 Tage antibiotisch behandelt. Ein Erregernachweis konnte nicht erbracht werden. Am 02.09.2014 wurde der Versicherte nach 33 Tagen entlassen.

Die Klägerin beglich die Rechnung der Beklagten vom 15.09.2014 für die Behandlung des Versicherten in Höhe von 30.935,36 € zunächst vollständig und leitete sodann eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) hinsichtlich der angegebenen Beatmungsstunden (137) sowie zweier Nebendiagnosen (P28.5 und P37.9) ein. Dieser gelangte in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 08.07.2015 zu der Einschätzung, dass die Voraussetzungen der von der Beklagten abgerechneten DRG P05A („Neugeborenes, Aufnahmegewicht 2000 – 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden mit mehreren schweren Problemen, mit >120 Stunden oder mit mehrzeitigen komplexen OR-Prozeduren“) unter Berücksichtigung von 112 Beatmungsstunden nicht erfüllt und die von der Beklagten kodierten Nebendiagnosen P28.5 („Respiratorisches Versagen beim Neugeborenen“) und P37.9 („Angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet“) mangels entsprechender Befundlage nicht korrekt seien. Infolgedessen sei der Rechnung die DRG P05C („Neugeborenes, Aufnahmegewicht 2000 – 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme, ohne mehrzeitige komplexe OR-Prozeduren“) zugrunde zu legen. Mit Schreiben an die Beklagte vom 13.07.2015 schloss sich die Klägerin der Auffassung des MDK an. Die Nebendiagnosen P28.5 und P37.9 seien zu streichen, die Beatmungsstunden von 137 auf 112 Stunden zu reduzieren. Es resultiere die DRG P05C. Bis zum 24.08.2015 werde um Übermittlung korrigierter Datensätze gebeten.

Auf den Widerspruch der Beklagten stellte der MDK unter dem 29.07.2016 fest, es hätte als Nebendiagnose P39.9 („Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist, nicht näher bezeichnet“) kodiert werden müssen, denn die Entzündung sei unter der Geburt aufgetreten und nicht – wie es die Kodierung des P37 voraussetze – eine angeborene, transplazentar übertragende Erkrankung. Hier sei eine nicht nachgewiesene, sondern angenommene Neugeboreninfektion antibiotisch behandelt worden, so dass die Kodierung der Nebendiagnose P37.9 weiterhin nicht nachvollziehbar sei. Die Klägerin schloss sich dieser Auffassung an und machte gegenüber der Beklagten einen Erstattungsbetrag in Höhe von 13.173,96 € zuzüglich korrigierter Zu- und Abschläge geltend.

Die Beklagte machte dagegen geltend, vorliegend seien Zeichen einer Neugeborenen-Infektion innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt und damit im zeitlichen Rahmen der durch Ziff. 1602a der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) definierten Perinatalperiode aufgetreten. In der Regel sei der Infektionsweg schwer nachzuweisen, es sei denn, es gelinge sowohl bei der Mutter als auch beim Neugeborenen der Nachweis des gleichen Keims. Lediglich im letzteren Fall wäre die Infektion nachweislich angeboren. Im Übrigen sei unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Nr. 24/2008 „Bakterielle Infektionen von Neugeborenen“ und im Supplement zum Epidemiologischen Bulletin Nr. 42 des Robert-Koch-Instituts von einer angeborenen Infektion auszugehen, wenn sie sich innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt durch erhöhte Infektionsparameter im Blut, durch Fieber, Keimnachweise oder andere klinische Symptome offenbare. Im vorliegenden Falle seien Zeichen der Neugeboreninfektion innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt aufgetreten und eine entsprechende antibiotische Therapie eingeleitet worden. Daher sei der Fall mit der Diagnose P37.- zu verschlüsseln und daraus resultiere die DRG P05A.

Der erneut mit der Angelegenheit befasste MDK stellte unter dem 17.09.2018 fest, aus sozialmedizinischer Sicht könne der Argumentation der Beklagten nur teilweise gefolgt werden. Die Beatmungsdauer (von der Beklagten mit 137 Stunden angegeben) sei anhand der zwischenzeitlich vorgelegten Unterlagen „mit Beatmung seit Geburt und Weaning bis 06.08.2014 – 1 Uhr“ nunmehr nachvollziehbar. Als Nebendiagnose sei aber P39.9 zu verschlüsseln. Hier liege der Verdacht auf eine unter der Geburt erworbene Infektion vor, ein spezifischer Erreger sei jedoch nicht diagnostiziert und eine empirische antibiotische Therapie durchgeführt worden, weshalb sowohl seiner, des MDK, Interpretation als auch den Ausführungen des nach dem Auftreten spezifischer oder unspezifischer Erreger differenzierenden DIMDI zufolge P39.9 statt P37.9 zu kodieren sei.

Am 31.10.2018 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben, mit der sie ihr auf teilweise Erstattung der Vergütung gerichtetes Begehren weiterverfolgt hat. Es seien – unter Bezugnahme auf eine weitere Stellungnahme des MDK vom 20.08.2019 – als Nebendiagnose P39.9 zu kodieren und in der Folge die DRG P05C zu verschlüsseln. Folge man der Auffassung der Beklagten, käme ein ICD aus P39 nur zum Tragen, wenn P37 nicht kodiert werden könne. Eine Rangfolge zwischen den beiden Kodes sei aber weder erkennbar noch nachvollziehbar. Vielmehr seien P37 und P39 als gleichwertig anzusehen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.279,36 € nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 25.08.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie habe korrekt abgerechnet, zumal der MDK die Zahl der Beatmungsstunden wiederholt bestätigt habe. Auch sei die Kodierung des P37.- aus den Gründen ihrer vorgerichtlichen Schreiben (Vorliegen einer „angeborenen“ Infektion u.a. bei einer Infektion, die sich innerhalb von 72 Stunden nach der Entbindung offenbare) zutreffend erfolgt.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Kinderheilkunde und Neonatologie Dr. Stute, Greifswald, vom 13.05.2020 eingeholt, der zusammenfassend unter Verschlüsselung der Nebendiagnose P39.9 und Berücksichtigung von 96 Beatmungsstunden ohne Durchführung eines planmäßigen Weanings (Entwöhnung) zur Kodierung der DRG P05C gelangt ist. Für die weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Urteil vom 28.04.2021 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung eines Teils der Vergütung in Höhe der Klageforderung. Die Beklagte habe zu Unrecht ihrer Abrechnung für die Behandlung des Versicherten die DRG P05A unter Kodierung der P37.9 zugrunde gelegt, was gegenüber der richtigen Kodierung der DRG P05C zu einer um 13.279,36 € überhöhten Rechnungsbetrag geführt habe. Richtigerweise sei die DRG P05C unter Berücksichtigung der P39.9 bei mehr als 95 Beatmungsstunden mittels CPAP abzurechnen gewesen. Zwar habe im Anschluss an das gerichtlich einholte Gutachten eine Infektion des Versicherten nicht ausgeschlossen werden können, so dass die behandelnden Ärzte aufgrund eines Verdachts (zumindest prophylaktisch) eine antibiotische Behandlung durchgeführt hätten. Damit seien zwar keine Infektion nachgewiesen, aber nach Maßgabe der DKR (2014) D008b die Kriterien einer Verdachtsdiagnose erfüllt, vorliegend eine Infektion, die für die Perinatalperiode (definiert in der DKR 1602a) „spezifisch“ sei. Soweit es die weitere Spezifikation der Gruppe angehe, sei die Kodierung einer „nicht näher bezeichneten“ Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch sei (P39.9), in Abgrenzung zu der „nicht näher bezeichneten angeborenen Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist“ (P37.9), einschlägig. Das Attribut „angeboren“ bedeute „zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden“, d.h. angeborene, biologisch prädeterminierte Merkmale, Krankheiten oder Defizitsyndrome seien kongenital, d.h. durch Schädigung bzw. Fehlerhaftigkeit des genetischen Materials entstanden, oder konnatal, also intrauterin (in utero) oder während des Geburtsvorgangs durch äußere Noxen entstanden. Dieser Definition folgend komme es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, ob und wann – innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt – während der Perinatalperiode „Zeichen“ einer Neugeborenen-Infektion erkannt worden seien. Die Unterscheidung sei allein danach zu treffen, ob die Infektion zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden gewesen sei oder nicht, d.h. der epidemische Grundvorgang zum Zeitpunkt des Austritts oder der Entwicklung des Kindes aus dem Mutterleib im Rahmen einer Spontangeburt, vaginaloperativen Geburt oder (wie vorliegend) Kaiserschnittgeburt vollendet gewesen sei. Dann liege eine angeborene Infektion im Gegensatz zu einer sog. nosokomialen Infektion vor, die erst nach der Geburt im Zuge eines Aufenthalts oder einer Behandlung in dem Krankenhaus auftrete. Hier liege zwar der medizinisch begründete Verdacht einer Infektion vor, nicht aber der – weitergehende – Verdacht einer angeborenen, also vor Geburt auf welche Weise auch immer erworbenen Infektion. Dafür hätten dem Inhalt der Patientenakte sowie den Ausführungen des Sachverständigen zufolge keine Anhaltspunkte bestanden.

Gegen dieses ihr am 19.05.2021 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 21.06.2021 (Montag) eingelegten Berufung. Welche DRG zur Abrechnung gelange, sei abhängig von der streitigen Nebendiagnose P39.9 oder P37.9. Zwar sei es entscheidend, ob der Infekt bei dem Versicherten im Zeitpunkt der Geburt vorhanden gewesen sei. Dem Sozialgericht sei aber nicht darin zu folgen, dass nicht entscheidend sei, zu welchem Zeitpunkt die Infektion erkannt worden sei. Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen der Geburt und der (Verdachts-)Diagnose des Infekts belege, dass dieser angeboren gewesen sei. Es handele sich nicht um unzulässige systematische Erwägungen; vielmehr sei entscheidend, ob die Infektion im Zeitpunkt der Geburt vorgelegen habe. Davon sei nach medizinischer Auffassung auch dann auszugehen, wenn diese kurz nach der Geburt, d.h. innerhalb eines Zeitraums von 72 Stunden, festgestellt werde. Beim Auftreten innerhalb dieses Zeitfensters sei medizinisch davon auszugehen, dass der Infekt nicht nur nosokomial erworben worden sei. Auch könne man sich nicht über die Ausführungen in dem von ihr angeführten Supplement zum Epidemiologischen Bulletin Nr. 42 des RKI hinwegsetzen, da dieses Aufschluss über den medizinischen Sprachgebrauch gebe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.04.2021 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe die streitigen Nebendiagnosen P37.9 und P39.9 korrekt abgegrenzt. Eine alleinige Abgrenzung über den Zeitfaktor komme nicht in Betracht. Die Kodierung von P37.9 scheide bereits deshalb aus, weil kein Erreger nachgewiesen worden sei. Dies werde durch die Mitteilung des DIMDI auf Anfrage des MDK bestätigt, wonach die Gruppe P37.- nur zu verwenden sei, wenn der Erreger bekannt sei. Sei dieser nicht nachgewiesen, bleibe es bei dem ICD P39.9. Im Übrigen werde bei Infektionen des Neugeborenen sowohl nach dem Wortlaut des ICD als auch in medizinischer Hinsicht zur Abgrenzung, ob diese angeboren seien, davon ausgegangen, dass eine entsprechende Keimübertragung vor oder während der Geburt ausgelöst werde. Dann könne die Ursache dieser Infektion nur in der Person der Mutter liegen. Im vorliegenden Fall hätten keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung der Mutter vorgelegen, so dass es sich um eine Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch sei, nicht näher bezeichnet, (P39.9) gehandelt habe, was schon aus diesem Grund zur Abrechnung der DRG P05C führe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Patientenakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Klägerin Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere statthafte und auch fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der von der Klägerin im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig erhobenen (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zu Recht stattgegeben, weil sie begründet ist. Die klagende Krankenkasse hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung überzahlter Vergütung in Höhe von 13.279,36 €.

Der Anspruch auf Rückzahlung des streitigen Betrages richtet sich nach Maßgabe der im Krankenhausvergütungsrecht zwischen den Krankenkassen und Krankenhausträgern geltenden Grundsätze des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs, die an die Stelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach den §§ 812 ff. BGB treten (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11.05.2017 – L 16 KR 523/14 -, Rn. 20 f., juris). Ein solcher Anspruch der Klägerin besteht hier. Denn die Beklagte hat für die unstreitig erforderliche stationäre Behandlung (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) des Versicherten vom 31.07.2014 bis 02.09.2014 einen Vergütungsanspruch gegen die Klägerin nur unter Ansteuerung der DRG P05C statt der DRG P05A, was eine zwischen den Beteiligten insoweit unstreitige Differenz in Höhe des geltend gemachten Erstattungsbetrages von 13.279,36 € ergibt. Insoweit hat die Klägerin ohne Rechtsgrund geleistet.

Rechtsgrundlagen der von der Beklagten als Trägerin des Krankenhauses geltend gemachten und von der klagenden Krankenkasse unstreitig dem Grunde nach zu zahlenden Vergütung sind § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 KHEntgG und § 17b KHG, die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2014 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2014. Die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet sich im Wesentlichen nach der mithilfe einer zertifizierten Software (Grouper) ermittelten DRG. Für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind maßgebliche Kriterien die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuell den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Code gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (das seit dem 26.05.2020 zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM] gehört) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI (bzw. BfArM) herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Codes wird dann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung eines Groupers die entsprechende DRG ermittelt (sog. Groupierung), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R BSGE 109, 236).

Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen. Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Codes und der DKR in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (st. Rspr., vgl. BSG SozR 3-5565 § 14 Nr. 2; BSG, SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 Rn. 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, Rn. 27, juris m.w.N.).

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das beklagte Krankenhaus die DRG P05A („Neugeborenes, Aufnahmegewicht 2000 – 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden mit mehreren schweren Problemen, mit >120 Stunden oder mit mehrzeitigen komplexen OR-Prozeduren“) abrechnen durfte, wobei die erforderliche Mindestzahl von 96 abrechnungsfähigen Beatmungsstunden zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig ist wie die die Nebendiagnose P28.5. Streitentscheidend ist hingegen, ob die Beklagte die Nebendiagnose P37.9 („Angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet“) kodieren durfte und über 120 Beatmungsstunden anrechenbar sind. Soweit jedoch die Nebendiagnose P39.9 („Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist, nicht näher bezeichnet“) zu kodieren war, kann nur die Fallpauschale DRG P05C („Neugeborenes, Aufnahmegewicht 2000 – 2499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme, ohne mehrzeitige komplexe OR-Prozeduren“) abgerechnet werden und kommt es auf die Anzahl der abrechnungsfähigen Beatmungsstunden, soweit sie über 95 liegen, nicht an.

Ein Fall der seitens der Beklagten kodierten (Verdachts-)Diagnose P37.9 liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Eine Kodierung der hier streitigen Diagnosen kommt nur als Verdachtsdiagnose in Betracht. Ob Diagnosen als (bloße) Verdachtsdiagnosen kodierfähig sind, richtet sich nach der DKR (2014) D008b. Danach sind Verdachtsdiagnosen im Sinne dieser Kodierrichtlinie Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthalts weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen sind. Verdachtsdiagnosen werden unterschiedlich kodiert, abhängig davon, ob der Patient – so wie hier – nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde. Im Falle der Entlassung nach Hause ist das Symptom zu kodieren, wenn Untersuchungen vorgenommen, aber keine Behandlung in Bezug auf die Verdachtsdiagnose eingeleitet wurde. Wenn eine Behandlung eingeleitet wurde und die Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig waren, ist die Verdachtsdiagnose zu kodieren. Hier konnte die Beklagte ausweislich des Entlassungsberichts vom 02.09.2014 eine „konnatale Infektion“ des Versicherten „nicht ausschließen“ und begann „primär eine antibiotische Therapie mit Ampicillin und Tobramycin“. Diese konnte bei unauffälligen Entzündungswerten nach sieben bzw. fünf Tagen beendet werden. Damit lag nach insoweit übereinstimmender Auffassung der Beteiligten sowie des Sachverständigen Dr. E im Gutachten vom 13.05.2020 sowie Auswertung der Patientenakte zumindest der hinreichend dokumentierte Verdacht einer nicht näher bezeichneten (s. DKR 2014 D009a) Infektion des Versicherten vor, die entsprechend der DKR 1602a für die Perinatalperiode spezifisch ist („Die Perinatalperiode beginnt mit Vollendung der 22.Schwangerschaftswoche [154 Tage; die Zeit, in der das Geburtsgewicht normalerweise 500 g beträgt] und endet mit der Vollendung des 7. Tages nach der Geburt“), was die Kodierung der (Verdachts-)Nebendiagnose P39.9 rechtfertigt. Denn es hat eine (leitliniengerechte) Behandlung mit einer antibiotischen Zweifachtherapie stattgefunden, ohne dass es ein eindeutiges Untersuchungsergebnis gegeben hätte.

Für die Kodierung der Nebendiagnose P37.9 fehlt es hingegen nach den aktenkundigen Unterlagen an jeglicher tragfähigen Tatsachengrundlage, die für eine solche Kodierung auch als Verdachtsdiagnose zu fordern ist. Hierbei kommt es zuvorderst darauf an, was der Diagnoseschlüssel ICD-10-GM (ggf. i.V.m. der DKR) bei Infektionen, die für die Perinatalperiode spezifisch sind (P35 bis P39), unter „angeboren“ versteht. Zwar taucht der Begriff „angeboren“ in diesem Kapitel an mehreren Stellen bzw. Kodes auf, ohne dass dieser durch normative Vorgaben definiert wird. Auch die DKR schweigen sich hierüber aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind die Abrechnungsbestimmungen eng am Wortlaut orientiert und nur unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Fehlt es an einem von den Abrechnungsbestimmungen (ICD-10-GM, OPS) ausdrücklich oder implizit in Bezug genommenen, normativ determinierten Begriffsverständnis oder faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlichmedizinischen Sprachgebrauch, ist der allgemeinsprachliche Begriffskern maßgeblich (so für den OPS 8-550 hinsichtlich des Begriffes „Geriatrie“ zuletzt BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R -, Rn. 24 ff., juris). Hinsichtlich des Begriffes „angeboren“ ist ein durch den ICD-10-GM oder die DKR normativ determiniertes Begriffsverständnis nicht zu erkennen. Eine normative Definition besteht lediglich für Infektionen, die für die Perinatalperiode spezifisch sind (DKR 1602a), die aber vor- und nachgeburtliche Zeiträume gleichermaßen umfasst und damit nur einen äußeren Rahmen für die Kodierung der P35 bis P39 absteckt. Anders als die Beklagte, der MDK, das DIMDI und auch der Sachverständige meinen, kann dem Begriff „angeboren“ aber auch kein „eindeutiges fachliches Verständnis“ (so BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R -, Rn. 24, 25, juris) im Sinne eines faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlichmedizinischen Sprachgebrauchs beigemessen werden. Dass sich hier kein eindeutiges fachliches Verständnis herausgebildet hat, zeigt bereits der Umstand, dass sich die Beklagte eine wissenschaftliche Abhandlung zu eigen macht, nach der (angeblich, s.u.) die Abgrenzung zwischen einer angeborenen und sonstigen Infektion des Neugeborenen danach erfolgt, ob sich innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt erhöhte Infektionsparameter im Blut, durch Fieber, Keimnachweise oder andere klinische Symptome offenbaren. Dagegen nehmen, der MDK, das von ihm befragte DIMDI sowie letztlich auch der Sachverständige die Abgrenzung danach vor, ob die Infektion durch einen „spezifischen“ oder „bekannten“ Erreger (dann P37-) hervorgerufen worden oder dies nicht der Fall ist (dann P39-). Diese Ansätze (Zeitmoment einerseits, Art und Bekanntheit des Erregers andererseits) sind dermaßen unterschiedlich, dass man von einem „einheitlichen wissenschaftlichmedizinischen Sprachgebrauch“ bezogen auf den Begriff „angeboren“ nicht sprechen kann, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in der Wissenschaft hierzu eine eindeutige Auffassung finden lässt.

Ferner ist das von der Beklagten zur eigentlichen Stützung ihres Rechtsschutzziels hervorgehobene „72-StundenKriterium“ auch in systematischer Hinsicht nicht geeignet, einen für den Begriff „angeboren“ allgemeingültigen wissenschaftlichmedizinischen Sprachgebrauch abzugeben. Da die DKR für verschiedene Zustände, so etwa auch die Dauer der Perinatalperiode, durchaus feste Zeiträume für die Berechtigung einer Kodierung vorsehen, spricht das Fehlen eines solchen Zeitraums für die Feststellung (oder zumindest widerlegliche Vermutung), ob eine „angeborene“ Infektion vorliegt, gerade gegen das „72-Stunden-Kriterum“ bei der Kodierung der P35 ff., soweit sie das Kriterium „angeboren“ enthalten. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf Ausführungen in der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Nr. 24/2008 „Bakterielle Infektionen von Neugeborenen“ und im Supplement zum Epidemiologischen Bulletin Nr. 42 des Robert-Koch-Instituts vom 21.10.2013 beruft, gibt sie diese in ihrer entscheidenden Passage nur verkürzt wieder. Diese lautet: 

„Die neonatale Sepsis ist eine systemische bakterielle Infektion des Neugeborenen. Sie geht mit einer überschießenden Inflammationsreaktion (systemisch inflammatorisches Responsesyndrom, SIRS) einher, die aufgrund klinischer Befunde auf eine Infektion zurückzuführen ist (klinische Sepsis) oder durch den Nachweis eines Erregers diagnostiziert wird (gesicherte Sepsis). Während die Early-Onset-Sepsis (Beginn vor 72 Lebensstunden) durch Keimübertragung vor oder während der Geburt ausgelöst wird, ist aus krankenhaushygienischer und infektionspräventiver Sicht vor allem die nosokomiale Late-Onset-Sepsis (nosokomiale Sepsis des Neugeborenen) entscheidend (Beginn später als 72 Stunden nach der Geburt).“

Diese Ausführungen beziehen sich eindeutig auf einen speziellen lebensbedrohlichen Zustand, nämlich die Sepsis, wie sie inklusive der angeborenen Sepsis auch speziell durch die Diagnosen P36- kodiert werden kann. Da es sich bei der bakteriellen Sepsis beim Neugeborenen jedoch nur um eine Infektionsart unter vielen handelt, wenn auch derjenigen, die zu den schwersten Komplikationen von Infektionskrankheiten gehört, verbietet sich eine pauschale Übertragung des dargestellten zeitlichen Abgrenzungskriteriums auf sämtliche „angeborenen“ Infektionen von Neugeborenen ohne entsprechende normative Klarstellung.

Ergibt sich mithin kein eindeutiges fachliches Verständnis des Begriffes „angeboren“, ist der Begriffskern des Wortes maßgeblich, wie er sich nach allgemeinem Sprachgebrauch bei Vorrang einer engen Wortlautauslegung ergibt (s. BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R -, Rn. 24, 25, juris). Danach bedeutet angeboren: „Zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden. Angeborene, biologisch prädeterminierte Merkmale, Krankheiten oder Defizitsyndrome sind kongenital, d.h. durch Schädigung bzw. Fehlerhaftigkeit des genetischen Materials entstanden, oder konnatal, also intrauterin oder während des Geburtsvorgangs durch äußere Noxen entstanden.“ (Pschyrembel online, Stand: 4/2016, Pschyrembel Online | angeboren). Eine „angeborene Infektion“ kann nach diesem allgemeinsprachlichen Begriffskern nur dann vorliegen, wenn eine Keimübertragung von der Mutter auf das Kind vor oder während der Geburt stattgefunden hat.

Für eine entsprechende, quasi „doppelte“ Verdachtsdiagnose gibt es nach Aktenlage nicht den geringsten Hinweis. So fehlt es bereits an einer entsprechenden Dokumentation in der Patientenakte. Demensprechend hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass bei dem Versicherten mangels entsprechender Symptomatik der Mutter kein erhöhtes Risiko für ein Anmioninfektionssyndrom (AIS), also eine Infektion der Eihöhle, Plazenta, Eihäute und evtl. des Fetus während der Schwangerschaft oder Geburt mit Gefahr der Sepsis für das Kind bestanden habe. Ergeben sich aber keine wie immer gearteten Tatsachengrundlagen für das Vorliegen einer „angeborenen“ Infektion (anders als die Infektion selbst), liegen auch die Voraussetzungen des P37.9 als kodierfähiger Verdachtsdiagnose DKR (2014) D008b nicht vor. Es ist zwar zutreffend, dass ein durch gewisse Mindesttatsachen unterlegter Verdacht hierfür schwer zu begründen ist, erst recht der Nachweis. Dies ist aber hinzunehmen, solange die Vertragsparteien insoweit keine klarstellenden normativen Vorgaben getroffen haben.

Der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin folgt aus der analogen Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 4 des Landesvertrags NRW nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 21.04.2015 –B 1 KR 7/15 R – Rn. 21, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf §197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.