Sozialgericht Aachen S 13 KR 105/10

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 13.07.2010 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Aachen S 13 KR 105/10
 
 

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für funktionsanalytische Maßnahmen zur Behandlung einer Kiefergelenkerkrankung in Höhe von 773,46 EUR.

Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin besteht eine Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD), das ist eine Funktionsstörung des Kiefergelenks. Seit 08.01.2010 befindet sie sich deshalb in Behandlung bei dem Zahnarzt T …

Am 15.01.2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für funktionsanalytische Maßnahmen zur Behandlung der CMD unter Vorlage eines privatärztlichen Heil- und Kostenplanes (HKP) des Zahnarztes T. vom 08.01.2010 über 773,46 EUR nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ).

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15.01.2010 ab mit der Begründung, Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) würden grundsätzlich als Sachleistung zur Verfügung gestellt; die Versicherten könnten unter den zugelassenen Ver- tragsärzten frei wählen. Die Leistungen würden direkt über Versichertenkarte abgerechnet. Eine Möglichkeit zur Beteiligung der gesetzlichen Krankenkasse an Privatrechnungen oder -plänen bestehe nicht.

Dagegen legte die Klägerin am 21.01.2010 Widerspruch ein. Es gehe um die Behandlung der CMD; dies sei eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse; um die Kiefergelenkserkrankung behandeln zu können, könne auf eine Funktionsanalyse nicht verzichtet werden. Auch wenn die Funktionsanalyse weder zuschuss- noch erstattungsfähig sei, könne eine gesetzliche Krankenkasse im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht entscheiden.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31.03.2010 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 26.04.2010 Klage erhoben. Sie meint, eine Funktionsanalyse, nach der eine entsprechende Schiene gefertigt werden müsse, sei zur Behandlung der CMD medizinisch notwendig. Auch wenn eine solche Maßnahme durch Gesetz als Leistung der GKV ausgeschlossen sei, sollte der Gesetzgeber seine Entscheidung im Hinblick auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung überarbeiten. Am 18.06.2010 hat der Zahnarzt die nach dem privatärztlichen HKP durchgeführte Behandlung in Rechnung gestellt; am 01.07.2010 hat die Klägerin die Rechnung über 773,46 EUR beglichen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2010 zu verurteilen, ihr 773,46 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführten funktionsanalytischen Maßnahmen. Nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) kann Kostenerstattung nur verlangt werden, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind; in einem solchen Fall sind Kosten in der entstandenen Höhe nur zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraus- setzungen liegen nicht vor. Dass es sich bei funktionsanalytischen Maßnahmen nicht um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 handelt, bedarf keiner näheren Darlegung und ist weder von der Klägerin noch von ihrem Zahnarzt behauptet worden. Die Beklagte hat die Leistung aber auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Zahn- ärztliche Behandlung wird grundsätzlich als Sachleistung erbracht (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V), ggf. aufgrund eines vertragszahnärztlichen HKP, nicht aber aufgrund eines privatärztlichen HKP als privatärztliche Behandlung auf der Grundlage der GOZ. Die Klägerin hat zwar darauf hingewiesen, dass es um die Behandlung der CMD gehe; die entsprechenden vertragsärztlichen Leistungen in Zusammenhang mit der CMD sind jedoch von der Beklagten nach den vertragsärztlichen Abrechnungsbestimmungen mit dem behandelnden Zahnarzt abgerechnet worden. Hier geht es allein um die Kosten für die funktionsanalytische Maßnahme. Unabhängig von deren medizinischer Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit, die als gegeben unterstellt werden kann, enthält § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V einen Leistungsausschluss der zahnärztlichen Behandlung für funktionsanalytische Maßnahmen. Dies bedeutet, dass solche Maßnahmen der Krankenbehandlung nicht zu den von der Krankenkasse zu gewährenden zahnärztlichen Leistungen gehören und auch nicht bezuschusst werden dürfen. Damit ist auch eine nur teilweise Kostenübernahme von vornherein ausgeschlossen (LSG NRW, Urteil vom 11.08.2005 – L 5 KR 72/04; LSG NRW, Urteil vom 22.11.2006 – L 11 KR 29/05; LSG Bayern, Urteil vom 15.11.2007 – L 4 KR 287/05).

Die Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; sie verletzt keine Grundrechte der Klägerin (aus Artikel 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Grundgesetz) und ist auch mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005 – B 1 KR 20/03 R m.w.N.) ergibt sich aus der Verfassung kein Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Festlegung des Umfangs des Krankenbehandlungsanspruchs einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.12.1997 – 1 BvR 1953/97).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.