Sozialgericht Aachen S 13 KR 109/08

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 03.03.2009 (rechtskräftig)

Sozialgericht Aachen S 13 KR 109/08
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 55/09
 

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf (mindestens drei) ambulante Therapeutische Apheresen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Kosten pro Behandlung belaufen sich auf ca. 1.650,00 EUR.

Die 0000 geborene Klägerin leidet an einem Zustand nach Infektion mit Borrelia burgdorferi (Lyme-Borreliose). Diese Diagnose wurde im Jahre 2002 per Zufallsbefund gestellt. Die Klägerin wurde deshalb bisher mit Antibiotika therapiert. Sie klagt über Schwindel, Kopfschmerzen/Migräne, Tinnitus, Sehstörungen, Müdigkeit, Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, starke Schmerzen im Kreuzbein bis ins Steißbein, erhöhte Laborwerte, Gelenkschmerzen, Vergesslichkeit, Gewichtszunahme, Libidioverlust, Haarausfall sowie Konzentrations-/Wortfindungsstörungen.

Am 29.01.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für (mindestens) drei Therapeutische Apheresen im INUS Medical Center in Furth im Wald. Sie legte hierzu eine ärztliche Bescheinigung des Leiters der “Internationalen Apheresestation” im INUS Medical Center, Dr. T, vom 09.01.2008 vor. Dieser bescheinigte, dass die Klägerin an einer seltenen und schweren Erkrankung einer “Chronischen Multisystem Erkrankung (CMI nach WHO)” leide. Im Hintergrund dieser Erkrankungsform stünden genetische Defekte in den Mitochondrien, die als Enzymopathien bekannt seien; diese Form der Erkrankung sei mit den bekannten Strategien der Medizin so nicht mehr thera- pierbar. Dr. T. vertrat die Auffassung, der Einsatz der Therapeutischen Apherese als Ultima-ratio-Therapie zur Wiederherstellung der Gesundheit und körperlichen Unversehrt-heit sei unumgänglich und dringend notwendig; indiziert sei der Einsatz der “Doppelme- branfiltrationsapherese” in der Form einer “Chemopherese”. Die Klägerin fügte dem Antrag einen Kostenvoranschlag des INUS Medical Centers bei, aus dem sich ergibt, dass der Gesamtbetrag für das Leistungspaket “Therapeutische Apherese und Orthomolekulare Therapie” (eine Behandlung) ca. 1.650,00 EUR beträgt. Weiterhin fügte die Klägerin dem Antrag eine vierseitige Information des INUS Medical Center über die Therapeutische Apherese bei. In einer ärztlichen Bescheinigung vom 06.03.2008 teilte Dr. N. mit, die Klägerin befinde sich seit dem 01.03.2007 in seiner beratenden Sprechstunde wegen “chronischer Borreliose mit Ehrlichien Coinfektion”. Die bestehenden schwerwiegenden Krankheitssymptome seien mit Doxycyclin, Tetracyclin und Colestyramin behandelt worden, ohne dass eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Dr. N. hielt die Behandlung der Beschwerden mittels Apherese für dringend angezeigt.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dessen beratender Arzt Dr. O stellte am 30.04.2008 fest, es handele sich bei einer Borreliose nicht um eine seltene und lebensbedrohliche, sondern um eine relativ häufig auftretende Erkrankung, für die Standardtherapieverfahren zur Verfügung stünden; überwiegend erfolge die Behandlung medikamentös, je nach Ausprägung der Beschwerden komme eventuell ergänzend eine symptomatische Behandlung (z.B. Heilmittelbehandlung, Schmerztherapie) in Frage. Die Behandlung der Borreliose mittels Therapeutischer Apherese sei zur Zeit als experimentelles Therapieverfahren einzuordnen. Kontrollierte Studien, die einen indikationsbezogenen Nachweis der Wirksamkeit erbringen, lägen bisher nicht vor. Lediglich für Patienten mit schwerer familiärer Hypercholesterinaemie oder mit aktiver rheumatoider Arthritis habe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Durchführung einer Apherese positiv bewertet und in die Anlage A der einschlägigen Richtlinien aufgenommen. Für die überwiegende Anzahl der überprüften potenziellen Indikationsgebiete sei eine negative Bewertung hinsichtlich der Wirksamkeit, medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Therapieform abgegeben worden.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für drei Therapeutische Apheresen durch Bescheid vom 08.05.2008 ab. Den dagegen am 05.06.2008 eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 25.07.2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, Borreliose gehöre nicht zu den Krankheiten, welche sich gut oder gar einfach behandeln ließen. Die Behandlung mit Antibiotika sei das einzige Standardtherapieverfahren, nicht – wie die Beklagte meine – ein Verfahren von mehreren. Die bei ihr auftretenden Symptome seien bezeichnend für das Stadium III der Borreliose-Erkrankung. Die Antibiotika-Therapie sei bisher erfolglos durchgeführt worden. Eine Heilmittelbehandlung oder eine Schmerztherapie würden nur Symptome behandeln, jedoch keine Heilung bringen. Die Klägerin ist der Auffassung, sie leide an einer seltenen und schweren Erkrankung, für die der Leistungskatalog der GKV keine Behandlung zur Verfügung stelle. Sie meint, nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – Anspruch auf die beantragte Therapeutische Apherese zu Lasten der GKV zu haben.

Die Klägerin beantragt ihrem schriftsätzlichen Vorbringen nach,

die Beklagter unter Aufhebung des Bescheides vom 08.05.2008 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 10.07.2008 zu verurteilen, die Koste für eine ambulante Therapeutische Apherese zu über- nehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass es sich bei der Therapeutischen Apherese um eine neue Behandlungsmethode handele, für die – jedenfalls zur Behandlung der Erkrankung der Klägerin – eine positive Empfehlung des G-BA bisher nicht vorliege. Die Therapeutische Apherese könne daher bei der Klägerin nicht zu Lasten der GKV erbracht werden.

Auf Anfrage des Gerichts hat das INUS Medical Center mitgeteilt, dass die Apheresebehandlung bei der Klägerin geplant, aber noch nicht durchgeführt worden sei. Die Apheresestation des INUS Medical Centers sei eine Privatstation, da für diese Therapie keine oder nur Teilzulassungen möglich seien.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Therapeutischen Apherese in der Form einer “Chemopherese” zu Lasten der GKV.

Maßstab für die Leistungsverpflichtung der Beklagten sind § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach die Krankenbehandlung u.a. die ärztliche Behandlung umfasst, und §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V. Danach haben die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung zu stellen, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig und unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Ergänzend hierzu regelt § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Bei der streitbefangenen Therapeutischen Apherese (in der Form der Chemopherese) handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode, weil sie als abrechnungsfähige ärztliche Leistung nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist. Sie kann als Sachleistung nicht zu Lasten der GKV erbracht werden, weil es für sie – jedenfalls zur Behandlung der bei der Klägerin bestehenden Krankheit – derzeit noch an der erforderlichen positiven Empfehlung des G-BA fehlt. Bisher hat der G-BA die ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren ausschließlich für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie in homozygoter Ausprägung mit schwerer Hypercholesterinämie, bei denen grundsätzlich mit einer über zwölf Monate dokumentierten maximalen diätetischen und medikamentösen Therapie das LDL-Cholesterin nicht ausreichend gesenkt werden kann, mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Norm- bereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herz- erkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) anerkannt (vgl. § 3 Ziffer 3.1 der Anlage I der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 17.01.2006 (BAnz. S. 1523), zuletzt geändert am 19.06.2008/01.12.2008 (BAnz 2008 S. 3017/S. 4731). Die Klägerin leidet jedoch an keiner dieser Krankheiten, sondern an einer Lyme-Borreliose mit – nach Auskunft von Dr. O. – Ehrlichien Coinfektion. Dieses Krankheitsbild wird von den positiven Empfehlungen des G-BA nicht erfasst.

Ein Anspruch auf Kostenübernahme ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des so genannten Systemversagens. Ungeachtet des in § 35 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/05 = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt ersichtlich nicht vor. Ausweislich der auf der Internetseite des G-BA einsehbaren Dokumente hat sich der Ausschuss von 2001 bis 2008 laufend mit der Apheresen-Behandlung beschäftigt und wird dies noch weiter tun.

Auch aus der Rechtsprechung des BVerfG vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zum Vorliegen einer notstandsähnlichen Krankheitssituation kann die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit einer ambulanten Therapeutischen Apherese nicht herleiten. Das BVerfG hat ausgeführt, dass eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei zu Lasten der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige G-BA diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt habe, gegen das Grundgesetz verstößt, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Er- krankung vor. Für diese Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Aufgrund der neuen Behandlungsmethode besteht eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung der Krankheit oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zum einen handelt es sich bei der Lyme-Borreliose nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche verlaufende Erkrankung; zum anderen steht für diese Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung – nämlich die Antibiotikatherapie – zur Verfügung (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, S. 1143 f. zu “Lyme-Borreliose”).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.