Sozialgericht Aachen S 13 KR 139/10

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 03.08.2010 (nicht rechtskräftig)

Sozialgericht Aachen S 13 KR 139/10
 
 

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Brustverkleinerungsoperation (Mamma-Reduktionsplastik) in Höhe von 5.219,92 EUR.

Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin bestand bis November 2009 eine ausgeprägte Mammahyperplasie/Mammahypertrophie/Makromastie. Sie wog bei einer Körpergröße von 1,68 m 70 kg; das entsprach einem Body-Mass-Index (BMI) von 24,8. Sie trug BH-Größe 80 E, nach anderen Angaben sogar F – G.

Im September 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Brustverkleinerungsoperation. Sie legte ärztliche Bescheinigungen ihres behandelnden Orthpäden L vom 09.09.2009 und der Chefärztin des Brustzentrums M Prof. Dr. M, vom 19.08.2009 vor. Die Ärzte berichteten von orthopädischen Beschwerden (BWS-Kyphose, statische Beschwerden im BWS- und LWS-Bereich). Der Orthopäde L meinte, dass diese durch die Größe der Brüste hervorgerufen worden seien; er hielt den operativen Eingriff für notwendig, zweckmäßig und indiziert. Wegen der Rückenschmerzen war die Klägerin bis dahin weder vom Orthopäden noch vom Hausarzt noch krankengymnastisch oder sonst physiotherapeutisch behandelt worden. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dr. M stellte im Gutachten vom 05.10.2009 fest, im Vordergrund stünden die orthpädischen Beschwerden, nicht die Brustgröße; konservative Therapiemöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft; er könne eine Mamma-Reduktionsplastik zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht empfehlen.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 08.10.2009 (ohne Rechtsmittelbelehrung) ab.

Am 24.11.2009 ließ die Klägerin die begehrte Brustverkleinerungsoperation auf eigene Kosten durchführen; sie befand sich hierzu vom 23. bis 30.11.2009 in stationärer Krankenhausbehandlung. Die Kosten des Krankenhauses in Höhe von 4.280,63 EUR und von Prof. Dr. O. in Höhe von 1.019,29 EUR (insgesamt: 5.299,92 EUR) bezahlte die Klägerin am 06.01. bzw. 26.04.2010.

Am 18.02.2010 legte die Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein unter Vorlage einer Bescheinigung von Prof. Dr. O. vom 01.02.2010. In dieser hat die Operateurin dargelegt, dass die Reduktionsplastik durchgeführt worden sei; das Resektionsgewicht habe rechts 574 g, links 478 g betragen; es bestehe weiterhin eine “Körbchengröße D”.

Nach Einholung einer weiteren MDK-Stellungnahme (Dr. Fietz) wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.05.2010 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 25.05.2010 Klage erhoben. Sie verweist darauf, dass die Sozialgerichte Düsseldorf und Gelsenkirchen in nach ihrer Ansicht vergleichbaren Fällen die Krankenkasse verurteilt habe, die Kosten einer Brustverkleinerungsoperation zu erstatten. Sie ist der Auffassung, die konservativen Behandlungsmaßnahmen zur Bekämpfung der orthopädischen Beschwerden seien bei ihr erschöpft gewesen; Krankengymnastik zur Verstärkung des Rückens sei kontraproduktiv gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2010 zu verurteilen, ihr 5.219,92 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihr selbst beschafften stationär im Krankenhaus durchgeführten Brustverkleinerungsoperation (Mamma-Reduktionsplastik).

Allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine selbst beschaffte Leistung, wenn diese Kosten dadurch entstanden sind, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) hat, soweit die Leistung notwendig war.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlivch sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Klägerin hatte für die Selbstbeschaffung dieser Leistung keinen Anspruch auf Durchführung einer Mamma-Reduktionsplastik, weil diese nicht notwendig und zweckmäßig im Sinne der genannten Vorschriften war; deshalb besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten in Höhe von 5.299,92 EUR abzüglich der nach § 61 Satz 2 SGB V als Zuzahlung zu der stationären Maßnahme zu leistenden 10,00 EUR je Kalendertag (für die 8 Kalendertage vom 23. bis 30.11.2009, insgesamt 80,00 EUR), also 5.219,92 EUR.

Form, Größe und Gewicht der Brüste der Klägerin haben für sich genommen keinen Befund von Krankheitswerten dargestellt, der eine operative Behandlung für erforderlich gemacht hätte. Zwar bestand für die Kammer keine Möglichkeit mehr, sich anhand von Fotos ein Bild vom präoperativen Aussehen der Brüste zu machen; jedoch hat auch die Klägerin nie über die Größe ihrer Brüste an sich (als psychisch belastend oder gar entstellend) geklagt. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Brustgröße der Klägerin vor der Operation noch innerhalb des Normbereichs der bei jeder Frau anders gearteten Brust lag (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 9/04 R).

Krankheitswert konnten allerdings die orthopädischen Befunde und Beschwerden (BWS-Kyphose, statische Beschwerden im BWS- und LWS-Bereich) haben, wie sie der Orthopäde L. mitgeteilt hat. Diese begründeten jedoch keinen Anspruch auf Durchführung der Brustverkleinerungsoperation zu Lasten der GKV. Es begegnet bereits erheblichen Zweifeln, ob eine Kausalität zwischen Rückenbeschwerden und Größe der weiblichen Brust besteht und ob Brustverkleinerungsoperationen überhaupt geeignet sind, zu einer Besserung von Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen, weil es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 26.04.2006 – L 11 KR 24/05 unter Bezugnahme auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2002 – L 4 KR 4692/01 und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.06.2003 – L 5 KR 93/02). Entscheidend ist, dass vor Durchführung einer Brustverkleinerungsoperation sämtliche Behandlungsalternativen durchzuführen sind; die chirurgische Behandlung im Bereich der Brust darf stets nur die “ultima ratio” sein (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.04.2004 – L 11 KR 1886/03). Dies war jedoch bei der Klägerin vor der Operation entgegen ihrer Behauptung und anders als in den von ihr erwähnten Urteilen der Sozialgerichte Düsseldorf und Gelsenkirchen nicht der Fall. Die Klägerin war präoperativ wegen der Rückenschmerzen weder orthopädisch noch hausärztlich noch krankengymnastisch oder sonst physiotherapeutisch behandelt worden. Soweit sie darauf hinweist, intensiv Sport getrieben zu haben und durchtrainiert gewesen zu sein, ersetzt dies nicht gezielte Krankengymnastik zur Bekämpfung von Rückenbeschwerden. Stand nach alledem vor der Operation nicht zweifelsfrei fest, dass die Wirbelsäulenbeschwerden auf die Schwere der Brüste zurückzuführen waren und konservative Maßnahmen nicht zum Erfolg führen würden, so hat die Beklagte die seinerzeit beantragte Brustverkleinerungsoperation zu Recht abgelehnt. Wenn sich die Klägerin daraufhin die Leistung selbst beschafft hat, besteht kein Anspruch auf Erstattung der ihr dadurch entstandenen Kosten. Denn die Operation war zu diesem Zeitpunkt ganz offensichtlich auch nicht unaufschiebbar (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alternative SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.