Sozialgericht Aachen S 2 (15) KN 115/08 KR

Sozialgericht Aachen

Urteil vom 11.03.2010 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Aachen S 2 (15) KN 115/08 KR
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 KN 131/10 KR

 

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2008 verurteilt, der Klägerin die für die Lucentis-Injektionen am 05.09.2008, 02.10.2008 und 31.10.2008 bislang aufgewandten Behandlungskosten in Höhe von 1.005,45 EUR zu erstatten und die Klägerin von etwaig offenen Arzneimittelkosten für diese Behandlungen in Höhe von 2.235,00 EUR (3 x 745,00 EUR) durch die Universitäts-Augenklinik Aachen freizustellen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Behandlung der bei der Klägerin bestehenden neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (sog. “feuchte AMD”) am rechten Auge mit dem ausgeeinzelten Arzneimittel Lucentis® durch die Universitäts-Augenklinik Aachen in Höhe von insgesamt 1.005,48 EUR für die ärztliche Behandlung sowie 2.235,00 EUR für das Arzneimittel verpflichtet ist.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte am 05.03.2007 über die Universitäts-Augenklinik Aachen einen Antrag auf Kostenübernahme ambulant durchzuführender, intravitrealer Injektionen von Ranibizumab (Handelsname: Lucentis®) bei feuchter AMD. Der Visus auf dem rechten Auge betrug zum damaligen Zeitpunkt 0,2. Am gleichen Tag schloss die Klägerin mit der Universitäts-Augenklinik eine Vereinbarung über die Durchführung der intravitrealen Injektion mit Lucentis®. Mit Bescheid vom 03.04.2007 bewilligte die Beklagte die Übernahme der damit verbundenen Kosten in Höhe von 5.814,63 EUR als “Probetherapie” in Ergänzung zu der bereits durchgeführten Behandlung mit Macugen®. Sofern nach dreimaliger Anwendung eine Weiterführung der Lucentis®-Therapie fachärztlich empfohlen werde, sei ein entsprechender Kostenantrag erneut zur Genehmigung einzureichen.

Am 14.08.2008 beantragte die Klägerin – nach einer weiteren Verschlechterung der Sehkraft auf dem rechten Auge (Visus 0,1) – über die Universitäts-Augenklinik Aachen die Übernahme der Kosten für eine Weiterbehandlung mit ausgeeinzeltem Lucentis® in Höhe von 3.240,45 EUR. Diese Summe setzte sich zusammen aus dem Abgabepreis in Höhe von dreimal 745,00 EUR = 2.235,00 EUR sowie ärztlichem Honorar für die intravitreale Injektionen in Höhe von dreimal 335,15 EUR = 1.005,45 EUR.

Mit Bescheid vom 15.08.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Sie wies darauf hin, mit dem Berufsverband der Augenärzte im Rheinland sei rückwirkend zum 01.01.2008 eine pauschalierte Kostenvergütung von 450,00 EUR für alle mit den Medikamenteneinspritzungen einhergehenden Aufwendungen (Arzt- und Arzneikosten) je Behandlung vereinbart. Die augenärztliche Nachbehandlung sei laut Vertrag mit zusätzlich 50,00 EUR abrechnungsfähig.

Am 05.09.2008 wurde gleichwohl durch die Universitäts-Augenklinik die erste Injektion gesetzt. Die ärztlichen Behandlungskosten hierfür in Höhe von 335,15 EUR zahlte die Klägerin am 05.11.2009.

Mit Schreiben vom 20.09.2008, eingegangen bei der Beklagten am 23.09.2008, legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung bezog sie sich auf ein Schreiben ihres nunmehrigen Prozessbevollmächtigten. Sie halte das Vorgehen der Beklagten für rechtswidrig, da 1. die Behandlung der feuchten AMD mit Lucentis® eine Leistung sei, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sei und sie 2. einen Anspruch auf freie Arztwahl habe, der durch Verträge der Krankenkasse mit anderen Ärzten nicht beschränkt werden könne.

Am 02.10.2008 erfolgte die zweite und am 31.10.2008 die dritte Injektion.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte sie den Wortlaut des Ausgangsbescheides und wies darauf hin, die vertragsärztliche Versorgung sei durch Dr. G. in Herzogenrath, sowie die Dres. T., X. und T. in Aachen gewährleistet. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin erfolgte nicht.

Hiergegen richtet sich die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, mit ihrer am 29.12.2008 erhobenen Klage. Sie vertritt die Auffassung, die Erstattung der Behandlungs- und Arzneimittelkosten der feuchten AMD der Klägerin mit Lucentis® sei zu Unrecht abgewiesen worden, da diese zur Leistungspflicht der Beklagten gehöre. Soweit die Beklagte der Klägerin eine Versorgung zu einem Pauschalpreis von 450,00 EUR pro Behandlung angeboten habe, sei dies ebenfalls rechtswidrig. Die von der Beklagten mit dem Berufsverband der Augenärzte geschlossene Vereinbarung sei rechtswidrig. Sie beschränke zum einen zu Unrecht das Recht der freien Arztwahl, zum anderen stehe zu befürchten, dass die von der Beklagten vorgeschlagene Behandlungen auf die Verwendung von Avastin® abziele. Dies sei der Klägerin aber nicht zuzumuten. Die Klägerin hat die ärztlichen Behandlungskosten für die zweite und dritte Injektion am 13.02.2009 ebenfalls bereits gezahlt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom vom 15.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die für die Lucentis-Injektionstherapie am 05.09.2008, 02.10.2008 und 31.10.2008 entstandenen und bislang aufgewandten Behandlungskosten in Höhe von 1.005,45 EUR zu erstatten und die Klägerin von noch bestehenden Forderungen in Höhe von dreimal 745,00 EUR gegenüber der Universitäts-Augenklinik Aachen freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der Verwaltungsakten. Darüber hinaus sei der angesprochene Vertrag zur Kostendämpfung und damit aus Wirtschaftlichkeitsgründen notwendig. Selbstverständlich sperre sich die Beklagte nicht gegen die medizinisch notwendige Versorgung der Klägerin. Diese sei aber auch durch ein Vorgehen entsprechend der Pauschalvereinbarung gewährleistet. Im Übrigen handele es sich bei der Verwendung von ausgeeinzeltem Lucentis® um einen “Off-label-use”, der nicht von der Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin ist durch die Ablehnung der beantragten Versorgung mit einer dreimaligen Lucentis®-Injektion durch die Universitäts-Augenklinik, bzw. durch die Ablehnung der Übernahme der hierfür entstehenden Kosten, in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, da diese Ablehnung rechtswidrig ist.

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) erhalten Versicherte die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen. Hierbei ist stets gemäß § 12 Abs. 1 SGB V das Wirtschaftlichkeitsgebot zu berücksichtigen. Die Erstattung von Kosten ist demgegenüber gemäß § 13 Abs. 3 SGB V nur in engen Grenzen möglich. So kommt Kostenerstattung etwa dann in Betracht, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringt oder sie eine Leistung zu Unrecht ablehnt und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die vertragsärztliche Versorgung der Klägerin durch die Universitäts-Augenklinik mit den begehrten Lucentis®-Injektionen abgelehnt. Sie hat ihr demgegenüber eine Behandlung bei verschiedenen Augenärzten in Herzogenrath bzw. Aachen zu einem Pauschalpreis von 450,00 EUR pro Injektion angeboten. Genauere Angaben darüber, worin diese Behandlung bestehen sollte, hat sie gegenüber der Klägerin nicht gemacht.

Nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Bei der feuchten AMD handelt es sich um eine Erkrankung der Netzhaut, bei der kleine Gefäße in die Netzhaut sprießen. Als Folge hiervon kommt es zu Beeinträchtigungen der Makula, was bei den Betroffenen regelmäßig zu einem schnellen Verlust des zentralen Sehens führt und bis zur Erblindung führen kann. Als Ursache für die Gefäßneubildungen werden “vascular endothelial groth factor” (VEGF) genannte Proteine verantwortlich gemacht (vgl. hierzu etwa die Erläuterungen des Bundesverbandes des Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) und der Deutschen Ophthalmologien Gesellschaft (DOG) zur altersabhängigen Makuladegeneration, abrufbar unter http://www.augeninfo.de/patinfo/amd.pdf; Schmucker et al., Evidenzbericht zur Therapie der altersabhängigen Makuladegeneration, S. 7 ff., abrufbar unter: http://www.hta.uni-bremen.de/uploads/Evidenzbericht%20Therapie%20der%20AMD%2025.09.09 final.pdf). Die Klägerin bedarf, dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig, zur Verhütung des Fortschreitens ihrer Erkrankung einer Behandlung mittels Gabe von monoklonalen VEGF Antikörpern (sog. VEGF-Hemmer). Als erster VEGF-Hemmer wurde zur Behandlung der feuchten AMD der Wirkstoff Pegaptanib (Handelsname Macugen®) verwendet. In der Zwischenzeit kommen die Wirkstoffe Bevacizumab (Handelsname Avastin®) und Ranibizumab (Handelsname Lucentis®) in der Praxis zum Einsatz (vgl. hierzu auch Schmucker et al., a.a.O.; Aktuelle Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der Augenärtzte Deutschlands “Neue Aspekte in der Therapie der neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration, Stand: März 2009, abrufbar unter http://www.dog.org/publikationen/Stellungnahme Makuladegeneration 200903.pdf). Zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die Chancen für eine Verbesserung des Sehvermögens bei einer Behandlung mit Macugen® schlechter sind als bei den beiden anderen VEGF-Hemmmern (vgl. dazu auch Anlage 1a zum Vertrag über die Behandlung der feuchten, altersabhänigen Makuladegeneration mittels intravitrealer Eingabe von VEGF-Hemmern, zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, der Knappschaft und dem VOA Nordrhein/BDOC). Von diesen beiden ist allerdings lediglich Lucentis® in Deutschland für die Behandlung der feuchten AMD zugelassen (vgl. dazu Schmucker et al., a.a.O.; Rote Liste; Fachinformation Lucentis®). Das Arzneimittel Avastin® (Wirkstoff Bevacizumab) ist demgegenüber lediglich zugelassen – in Kombination mit anderen Wirkstoffen – zur Behandlung von Patienten mit metastasierendem Kolon-, Rektum-, Mamma-, oder Bronchialkarzinom (vgl. Schmucker et al., a.a.O.; Rote Liste). Es besteht damit weder eine Zulassung für die konkrete Applikation (Einspritzung in den Glaskörper, d.h. intravitreale Anwendung) noch für die Behandlung der feuchten AMD überhaupt.

Die Beklagte beruft sich bei Ihrer Weigerung, die Kosten für die drei Injektionen durch die Universitäts-Augenklinik zu übernehmen darauf, sie habe mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und dem VOA Nordrhein/BDCO einen Vertrag zur Behandlung der feuchten, altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) mittels intravitrealer Eingabe von VEGF-Hemmern, geschlossen, weswegen letztlich die Behandlung mit Lucentis® als Sachleistung der Krankenkasse zur Verfügung gestanden habe.

Hierauf muss ich die Klägerin im vorliegenden Fall aber nicht verweisen lassen.

Der benannte Vertrag wurde ausweislich seiner Präambel mit dem Willen geschlossen, Regelungen für eine wirtschaftliche und qualitativ hochwertige Versorgung von Versicherten der Beklagten für die Erkrankung der feuchten AMD mittels Einbringens eines VEGF-Hemmers in den Glaskörper des Auges durch intravitrealer Injektion zu schaffen. Die Vergütung sollte dabei übergangsweise in Form von Behandlungspauschalen erfolgen, da nach Auffassung der Vertragspartner ein Systemversagen im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V vorliegt, solange es auf Bundesebene zu keiner Verständigung über die Bewertung und Aufnahme dieser Leistungen in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und dadurch zu einer Überführung in das vertragsärztliche Sachleistungssystem gekommen ist. Die Vertragspartner waren sich weiter darüber einig, dass die Therapie mit VEGF-Hemmern eine neue Therapieform darstellt, bei nur begrenzte Erfahrungen vorliegen. Die im Rahmen dieser Vereinbarung erfolgten Behandlungsverläufe sollten – quasi als Nebengewinn – einer Sekundärdatenanalyse zur Verfügung gestellt werden. Schließlich ist man übereingekommen, jede Initiative, die dem Erkenntnisgewinn durch eine vergleichende klinische Studie dient, zu unterstützen. Schon die Präambel macht – vor dem Hintergrund, dass klinische Studien zur Wirksamkeit des zugelassenen Arzneimittels für die Behandlung mit Lucentis® vorliegen – deutlich, dass es der Beklagten daran gelegen, ist – aus wirtschaftlich sicherlich nachvollziehbaren Erwägungen – einen preiswerteren VEGF-Hemmer zum Einsatz zu bringen, als das zugelassene, aber teurere, Lucentis®. Diese Intention ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts ebenfalls aus der dem Vertrag als Anlage 1a beigefügten Patienteninformation. So wird zwar dargelegt, dass eine Verwendung von Avastin® “off-label” erfolgt. Es wird indes darauf verwiesen, dass dies nicht bedeute, dass das Mittel nicht verwendet werden dürfe. Insoweit komme es entscheidend auf das ärztliche Urteil über die Wirksamkeit der Therapie und die Einwilligung des Patienten an. Nicht dargelegt wird in diesem Zusammenhang allerdings, dass an die Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen “Off-label-Use” nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hohe Anforderungen zu stellen sind, die zu Recht von den gesetzlichen Krankenkassen in anderen Fällen angemahnt werden. So muss es sich 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung handeln, 2. keine andere Therapie verfügbar sein und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die bereits im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R, m.w.N.) Im vorliegenden besteht aber mit Lucentis® ein für die Behandlung zugelassenes Arzneimittel. Die strengen Voraussetzungen für einen “Off-label-use” eines anderen Arzneimittels, wie etwa Avastin®, liegen damit nicht vor. Diese Information wird indes bei der “Patienteninformation” ausgespart. Vor diesem Hintergrund erachtet die Kammer die Patienteninformation für tendienziös. Sie hegt insoweit auch Zweifel daran, dass die Anforderungen, die das Bundesversicherungsamt in seinem von der Klägerin in das Verfahren eingeführte Schreiben vom 08.05.2009 an den PRO RETINA Deutschland e.V. an die Patienteninformation gestellt wurden, tatsächlich erfüllt werden.

Unabhängig hiervon vermag die Kammer aber auch nicht zu erkennen, auf welcher Grundlage die freie Arztwahl der Klägerin im vorliegenden Fall eingeschränkt gewesen sein sollte. So lautet § 3 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages:

“Anspruch auf die Leistungen nach diesem Vertrag haben ausschließlich Versicherte, die ihre freiwillige Teilnahme an der Versorgung nach diesem Vertrag sowie die Abtretung der daraus resultierenden Ansprüche auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V in Höhe der Behandlungspauschale gemäß Anlage 3 an den behandelnden Arzt gemäß § 2 schriftlich erklärt haben”.

Die Klägerin hat indes die Teilnahme an der Versorgung nicht erklärt. Sie kann aber auch – anders als offenbar die Beklagte meint – zu dieser Teilnahme nicht – wenn auch nur mittelbar durch Verweigerung der Übernahme weiterer Kosten – gezwungen werden. Sonst wäre sie wohl kaum, wie von § 3 der Vereinbarung vorausgesetzt, freiwillig. Auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vertrags kommt es im vorliegenden Fall damit nicht an. Die Klägerin unterfiel diesem nicht. Es bleibt damit bei dem gesetzlichen Behandlungsanspruch der Klägerin, der sich auf eine Behandlung mit dem zugelassenen Arzneimittel Lucentis® bezieht. Soweit andere Sozialgerichte eine Verweisung auf Avastin® für zulässig erachtet haben (so jedenfalls Sozialgericht Köln im Rahmen einer einstweiligen Anordnung, Beschluss vom 02.07.2009, S 26 KN 24/09 KR ER ), schließt sich die Kammer dieser Auffassung nicht an. Es trifft zwar sicherlich zu, dass Avastin® gerade zur Behandlung von Therapie der feuchten AMD in großem Maße eingesetzt wird (Sozialgericht Köln, a.a.O.; vgl. auch Schmucker et al., a.a.O., S. 136). Dies erfolgt indes – wie oben bereits ausgeführt – “off-label” und diese Verwendung “off-label” ist eben – wie bereits oben ausgeführt wurde – zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nicht zulässig. Das Gericht sieht auch keine Veranlassung aus Kostengründen von der höchst-richterlichen Rechtsprechung zum “Off-label-use” abzuweichen. Dabei würdigt die Kammer durchaus das Bemühen der Beklagten – gerade in Zeiten wachsender Ausgaben im Bereich des Gesundheitswesens – die Kosten für die Versicherten gering zu halten. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit ist schließlich auch im Gesetz verankert. Indes dient die restriktive Rechtsprechung zur Anwendung von Medikamenten außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsbereiches auch dem Schutz der Patienten (vgl. etwa Bundessozialgericht, a.a.O.). Insoweit ist auch zu beachten, dass die mit dem Wirkstoff Bevacizumab durchgeführten Studien – anders als die im Zulassungsverfahren für Ranibizumab vorgelegten – allesamt eine hohe Ergebnisunsicherheit aufweisen (vgl. Schmucker et al., a.a.O., S 124 ff.). Die Datenlage hinsichtlich unerwünschter Effekte bei Bevacizumab wird daher auch teilweise als unzureichend bewertet, wenngleich freilich für Ranibizumab ebenfalls eine Unsicherheit hinsichtlich der Höhe des Risikos arterieller thromboembolischer Ereignisse besteht (Schmucker, et al., a.a.O., S. 133). Die Bewertung des Risikos und der Wirksamkeit mag durch weitere Studien eindeutiger werden. So sind diverse “head-to-head” Studien zum Vergleich der Wirksamkeit von Bevacizumab und Reanibizumab in Planung. Das Institut für Pharmakologie des Klinikums Bremen-Mitte plant etwa eine randomisierte, doppelverblindete wissenschaftliche Vergleichsstudie, die untersuchen soll, ob beide Medikamente gleich gut bei Patienten mit altersbedingter feuchter Makuladegeneration wirken (vgl. dazu auch http://www.pharmakologie-bremen.de/index.php/klinische-forschung/vibera). Auch in den USA (Comparison of AMD Treatments Trials (CATT): Lucentis – Avastin Trial; http://www.nei.nih.gov/CATT) und Großbritannien (A randomised controlled trial of alternative treatments to inhibit VEGF in age-related choroidal neovascularisation (IVAN), http://www.controlled-trials.com/ISRCTN92166560) sollen ähnliche Studien durchgeführt werden. Ergebnisse hierzu liegen indes noch nicht vor.

Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die Preisgestaltung des Herstellers von Lucentis® sei überzogen, so mag sie dies – ggf. im Zusammenschluss mit anderen Krankenkassen – auf politischer Ebene anfechten und eine diesbezüglich Regulierung anstreben. Die konkrete Vorgehensweise im Fall der Klägerin ist hierzu nach Auffassung der Kammer nicht geeignet.

Soweit die Beklagte ausführt, die Ausstellung einer privatärztlichen Verordnung stehe einer Anerkennung der Kostenübernahme entgegen, erschließt sich dies der Kammer nicht. Die Beklagte hat in der Präambel zum Vertrag – entgegen ihren späteren Ausführungen in der Klageerwiderung vom 10.03.2010 – selbst zum Ausdruck gebracht, dass im Hinblick auf die Behandlung mit VEGF-Hemmern ein Systemversagen bestehe, da eine Aufnahme in den einheitlichen Bewertungsmaßstab nicht erfolgt sei. Legt man dies aber zugrunde so ist die vorgenommene Abrechnung der Augenklinik nur folgerichtig. Die Aussage, bei Ausstellung einer Verordnung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung (Verordnung auf Muster 16) und bei Bezug über eine zugelassene Apotheke hätte man die Kosten für die Lucentis®-Behandlung “selbstverständlich im üblichen Abrechnungsverfahren beglichen” vermag vor dem Hintergrund der übrigen Argumentation der Beklagten in ihrer ersten ausführlicheren Klageewiderung vom 08.03.2010 nicht zu überzeugen. Sie steht nach Auffassung der Kammer auch evident im Widerspruch zum Vortrag der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung. Bedenken hinsichtlich der Höhe der abgerechneten Leistungen ergeben sich nicht. Die von der Universitäts-Augenklinik in Ansatz gebrachten Werte der Gebührenordnung für Ärzte sind nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Es wurde zwar – hierauf weist die Beklagte zur Recht hin – mit der intravitrealen Injektion keine Vitrektomie (Operation bei der Teile des Glaskörpers entfernt werden; vgl. dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl, 2007) durchgeführt. Indes erachtet die Kammer die intravitreale Injektion durchaus gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ hiermit für vergleichbar. Soweit die Beklagte auf die Gebührenziffer 256 abstellt (Injektion in den Periduralraum), sieht die Kammer diese Vergleichbarkeit nicht.

Schließlich verwundern die Ausführungen der Beklagten, eine Übernahme der Kosten der Klägerin komme nicht in Betracht, weil die Universitäts-Augenklinik – aus Kostengründen – ausgeeinzeltes Lucentis® verwendet habe (zur Praxis des Auseinzelns vgl. auch Kuhrt, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.02.2010, S. N 1 f.). Die Beklagte selbst verweist ihre Mitglieder auf den Pauschalvertrag, der – wie bereits oben dargelegt – nach Auffassung der Kammer erkennbar auf einen “Off-label-use” mit Avastin® ausgerichtet ist. In Anlage 1a zum Vertrag (Patienteninformation) wird auch auf die Möglichkeit einer Auseinzelung von Lucentis® hingewiesen. In Ihrer Klageerwiderung vom 08.03.2010 führt die Beklagte ebenfalls aus, dass Einwendungen gegen das Auseinzeln von Lucentis® nicht bestünden. Insoweit erachtet die Kammer die Verweigerung der Übernahme der Kosten im Fall der Klägerin durch Beklagten unter Berücksichtigung des allgemeinen Rechstgedankens des Venire contra factum proprium für treuwidrig. Darüber hinaus bestehen nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der Verwendung eines für die Behandlung der feuchten AMD zugelassenen Arzneimittels bei einer Entnahme von Teilmengen – lege artis und entsprechend den arzneimittelrechtlichen Vorgaben bei sofortigem Verbrauch- keine Bedenken (so auch das Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg in seinem Schreiben vom 19.11.2008 am verschiedene Krankenkassen [Anlage K 9 zur Klageschrift]; kritisch hierzu indes, das Paul-Ehrlich-Institut [Anlage K 14 zur Klageschrift]; Sozialgericht Halle, Beschluss vom 21.12.2009, S 25 KR 277/09 ER). Hiervon geht die Kammer im vorliegenden Fall bei der Verwendung durch die Universitäts-Augenklinik Aachen aus. Die Gefahr, dass auch bei Entnahme der Teilmenge unter Reinraumbedingungen, Verunreinigungen entstehen können, verkennt die Kammer zwar nicht, indes hält sie diese Gefahr bei einer Auseinzelung lege artis für gering, zumal nicht völlig auszuschließen sein dürfte, dass es auch bei der Verwendung von nicht ausgeeinzeltem Lucentis® zu Verunreinigungen kommen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.