Sozialgericht Bremen S 4 KR 272/14

Kernpunkte:

  • Wenn ein Patient zur Behandlung mit ECMO in eine Spezialklinik verlegt wird, darf davon ausgegangen werden, dass ein ECMO-Gerät vorgehalten wurde. Das gilt auch wenn es keine schriftliche Dokumentation darüber gibt.
  • Auch nach zwei Jahren ist eine Zeugenaussage des behandelnden Arztes hinsichtlich der Verfügbarkeit eines ECMO-Gerätes glaubwürdig.

Sozialgericht Bremen

S 4 KR 272/14

In dem Rechtsstreit … hat die 4. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 20. Juni 2019 …  für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 17.686,08 Euro nebst Zinsen In Höhe von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 9.5.2014 sowie eine Aufwandspauschale von 300,00 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens sind von der Beklagte zu tragen.

Der Streitwert wird auf € 17.986,08 festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für eine stationäre Behandlung einer Versicherten der Beklagten in einem Krankenhaus der Klägerin.

Das bei der Beklagten versicherte, am 30.12.2012 geborene Kind wurde vom 13. – 19.4.2013 im Klinikum, dessen Trägerin die Klägerin ist, stationär behandelt. Die Klägerin stellte am 26.4.2013 Rechnung in Höhe von insgesamt 23.954,99 Euro. Dabei wurde auf der Basis der Hauptdiagnose ICD J96.00 und der Nebendiagnose J12.1 sowie des Prozedurenkodes OPS 8-852.1 die DRG A13D mit einem Relativgewicht von 7,691 angesteuert. Die Beklagte beglich die Rechnung. Sie leitete das MDK-Prüfverfahren ein und vertrat unter Berufung auf die Auffassung des MDK, es hätte lediglich DRG A13G (Relativgewicht 1,995) abgerechnet werden dürfen; als Hauptdiagnose hätte die RSV-Pneumonie kodiert werden müssen. Die OPS 8-852.1 sei fraglich. Mit Schreiben vom 7.5.2014 erklärte die Beklagte mit einer unstreitigen
Rechnung wegen der Behandlung eines anderen Versicherten Aufrechnung. Sie erklärte, ihr stünde ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 17.686,08 Euro aus der Behandlung der zu.

Die Klägerin hat am 1.10.2014 Klage erhoben, mit der sie ihren Anspruch weiter verfolgt. Sie sieht sich durch das vom Gericht eingeholte Gutachten des Dr. R bestätigt. Sie hat eine Erklärung des leitenden Oberarztes der Pädiatrischen Intensivmedizin Dr. P vom 20.8.2015 eingereicht (144). Eine Dokumentation der freien Verfügbarkeit des ECMO sei nicht vom Sachverständigen gefordert worden. Die kleine Patientin wäre nicht von Osnabrück nach Bremen verlegt worden, wenn ein ECMO-Gerät nicht konkret frei gewesen wäre. Da die Verlegung nach Rücksprache der Ärzte erfolgt sei, stehe fest, dass das Gerät bei Bedarf zur Verfügung gestanden hätte.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 17.686,08 Euro nebst Zinsen in Höhe von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 9.5.2014 sowie eine Aufwandspauschale von 300,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, der OPS 8-852.1 sei nur für die Vorhaltung einer einsatzfähigen ECMO ohne anschließende Durchführung einer Therapie mit einer ECMO abrechenbar. Soweit der Sachverständige Dr. R ausgeführt habe, dass sich die Vorhaltung der ECMO aus den Verlegungskriterien ergäbe und auch nicht in Abrede gestellt worden sei, treffe
dies nicht zu. Der MDK habe die Prozedur gestrichen, weil eine Vorhaltung eben nicht nachgewiesen sei. Der Sachverständige habe selbst ausgeführt, dass der Nichteinsatz bzw. die Vorhaltung der ECMO in der Patientendokumentation nicht dokumentiert sei. Zugleich betätige sich der Sachverständige als Juris, wenn er meine, dies sei hier nicht zu fordern, da es sich nicht um eine patientenbezogene Behandlung handele. Zugleich habe der Sachverständige empfohlen, von der Klinik einen entsprechenden Nachweis darüber zu fordern, dass die ECMO im fraglichen Zeitraum wirklich zur Verfügung gestanden habe. Die Klägerin habe diesen jedoch nicht erbracht. Daher sei zu bezweifeln, dass die ECMO wirklich vorhanden, technisch einsatzfähig und auch nicht bei einem anderen Patienten im Einsatz war. Allein die Erklärung des leitenden Oberarztes der Pädiatrischen Intensivmedizin Dr. P vom 20.8.2015 reiche nicht aus. Hierdurch sei die Verfügbarkeit des ECMO nicht dokumentiert. Die Klägerin wolle doch damit wohl nicht allen Ernstes behaupten, ein Oberarzt könne sich noch mehr als zwei Jahre nach einer Behandlung daran erinnern, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten die ECMO im Einsatz und verfügbar gewesen sei. Wenn — wie behauptet — die ECMO für die kleine Patientin verfügbar gewesen sei, müsse sich dies aus den Unterlagen ergeben. Der OPS verlange die Vorhaltung einer einsatzfähigen ECMO; hierfür werde vergütet. Es sei
absurd, wenn die Klägerin meine, sie könne den OPS auch dann abrechnen, wenn eine Vorhaltung nicht erfolgt sei bzw. nicht erwiesen sei. Ein Zeugenbeweis sei unbrauchbar. Zum einen stehe der Oberarzt im Lager der Klägerin. Zum anderen sei nach dem Zeitablauf von mehreren Jahren niemand mehr in der Lage, sich an derartige Fragen zu erinnern. Die Kammer hat das Gutachten des Dr. R vom 29.5.2015 eingeholt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte das Gericht im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vor Erlass ordnungsgemäß angehört wurden.

Die als sog. echte Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 5 SGG zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte weitere Zahlung.

Anspruchsgrundlage für die Vergütung stationärer Behandlungen ist § 109 Abs. 3 S. 3 SGB V i.V.m. der entsprechenden Pflegesatzvereinbarung. Nicht fraglich ist vorliegend die Frage der stationären Behandlungsbedürftigkeit an sich; diese war im konkreten Behandlungsfall zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht streitig und auch das Gericht hat insofern keine Bedenken. Die Klägerin vorliegend auch zutreffend abgerechnet; auch die Berücksichtigung des OPS 8-852.1 („Vorhaltung einer
einsatzfähigen ECMO oder minimalisierten Herz-Lungen-Maschine ohne anschließende Durchführung einer Therapie mit einer ECMO oder minimalisierten Herz-Lungen- Maschine”) ist zutreffend und nicht zu beanstanden. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass während der Behandlung der am 30.12.2012 geborenen in der Zeit vom 13. – 19.4.2013 im Klinikum – ein einsatzfähiges ECMO vorgehalten wurde. Diese Bewertung folgt zum einen aus der Erklärung des leitenden Oberarztes der Pädiatrischen Intensivmedizin Dr. P vom 20.8.2015. Darin hat dieser nachvollziehbar und eindeutig erklärt, das Frühgeborene sei mit respiratorischem Versagen verlegt worden, da es unter konventioneller Therapie In zunehmende Lebensgefahr geraten sei. Die Verlegung sei unter der Option einer extracorporalen Membran-Oxygnation als ultima-ratio-Therapie erfolgt. Die Kinderklinik habe die Patientin nur deshalb aufgenommen, weil dort zum damaligen Zeitpunkt ein freier ECMO-Platz zur Verfügung gestanden hätte, der dann auch für die Patientin vorbereitet werden konnte. Es sei dann aber gelungen, die Krise zu überwinden und die Patientin am 19.4.2013 zurückzuverlegen. Es sei ihm unverständlich, wie man auf den Gedanken kommen könne, dass die Kinderklinik lebensbedrohte Kinder übernehmen könne, ohne eine entsprechende Therapie einsatzbereit zur Verfügung stellen zu können.Diese Ausführungen sind eindeutig, klar und unmissverständlich. Wie die Beklagte zu der Einschätzung kommt, dass sich ein Oberarzt nach mehreren Jahren an die Behandlung (eines lebensbedrohlich erkrankten) Frühchens nicht mehr erinnern könne, erschließt sich der Kammer nicht. Ohne Zweifel kann eine solche generelle Aussage nicht getroffen werden. Jedenfalls im vorliegenden Verfahren hat der die Ausführungen tätigende Oberarzt sich ausweislich der obigen Darstellung deutlich an die Behandlung erinnern können. Es entspricht auch den Erfahrungen der Kammer mit der Befassung von Krankenhausstreitigkeiten, dass sich Ärzte offenbar gut an vergangene Behandlungsfälle erinnern können. Die Kammer schließt es unabhängig davon aus, dass eine Kinderklinik ein lebensbedrohlich krankes Frühchen aus einer anderen Stadt wegen einer als ultima ratio angesehenen Therapie zu sich verlegen lässt, wenn die Therapie dann dort wegen fehlender Verfügbarkeit nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Hiervon geht ersichtlich auch das vom Gericht eingeholte Gutachten aus. Das Gericht stimmt mit dem Gutachten auch insofern überein, als es die Dokumentation einer letztlich nicht durchgeführten Behandlung — also das ledigliche Vorhalten einer potentiellen, aber letztlich nicht angewandten Behandlungsmöglichkeit — für nicht notwendig hält.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.