Sozialgericht Dortmund S 8 KR 291/01

Sozialgericht Dortmund

Urteil vom 23.09.2002 (nicht rechtskräftig)

  • Sozialgericht Dortmund S 8 KR 291/01

 

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Behandlung der Frau A., geb. am …, 2909,60 EUR nebst 2 % Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 03.10.2001 zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Kosten einer stationären Behandlung der bei der Beklagten versicherten Frau A. (Versicherte) streitig.

Die am … geborene Versicherte befand sich vom 11.06. bis zum 21.6.2001 aufgrund einer Verordnung ihres Hausarztes Dr. zur Behandlung einer Schilddrüsenerkrankung im Knappschaftskrankenhaus Dortmund, einem Eigenbetrieb der Klägerin. Am 11.06.2001 wurde die sog. Radioiodtherapie durchgeführt.

Diese (Bestrahlungs-) Therapie wird weltweit zur Behandlung gut- und bösartiger Schilddrüsenerkrankungen eingesetzt. Sie wird als “innere” Bestrahlung bezeichnet, bei der das Radioiod als Kapsel eingenommen, im Magen rasch aufgenommen und über die Blutbahn in die Schilddrüse geleitet wird. Die radioaktive Form des Iods wird vom Körper genauso aufgenommen wie das natürliche Spurenelement Iod, das in der Nahrung vorkommt. Nach 24 Stunden hat die Schilddrüse etwa 50% des radioaktiven Iods gespeichert, der Rest wird über die Nieren ausgeschieden. Radioaktives Iod zerfällt mit einer Halbwertzeit von acht Tagen (Betastrahlen werden von der Schilddrüse aufgenommen, Gammastrahlen treten aus dem Körper aus). In Deutschland werden derzeit etwa 35.000 Radioiodtherapien pro Jahr (Angaben der Empfehlung der Strahlenschutzkommission vom 5./6. Dezember 1996: Strahlenschutzgrundsätze für die Radioiodtherapie) durchgeführt.

Nach der “Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin” (Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: RdSchr. V. 14.10.1992, Durchführung der Strahlenschutzverordnung, Richtlinie für den Strahlenschutz bei der Verwendung radioaktiver Stoffe und beim Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen und Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen in der Medizin [GMBl. 1992, Nr. 40, S. 991]) darf die Therapie – anders als in der Mehrzahl der europäischen Länder, in den USA, Kanada und Australien – nur im Rahmen eines mindestens 48stündigen stationären Aufenthalts erfolgen. Die Entlassung darf danach erst bei Unterschreitung eines Wertes für die Strahlenexposition für Personen aus der Umgebung des Patienten von 1,5 mSv im Jahr erfolgen.

Die Entlassung der Versicherten erfolgte unter Berücksichtigung dieses Grenzwertes am 21.06.2001.

Die Beklagte erteilte eine Kostenzusage lediglich für den Aufnahmetag und zahlte von der mit Rechnung vom 12.09.2001 geltend gemachten Gesamtforderung einen Teilbetrag von 570, 77 DM, lehnte eine darüber hinausgehende Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass eine medizinische Indikation für die stationäre Behandlung nicht vorgelegen habe, diese vielmehr alleine wegen der zu beachtenden Strahlenschutzregelungen habe erfolgen müssen.

Mit der am 17.10.2001 erhobenen Klage macht die Klägerin Kosten in Höhe weiterer 2.909, 60 EUR geltend.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Empfehlung der Strahlenschutzkommission (a.a.O.), wonach die erbrachte Therapie in Deutschland nur unter stationären Bedingungen erlaubt sei. Das durch die in Deutschland geltenden Strahlenschutzbestimmungen vorgeschriebene Verfahren könne nur im Rahmen einer stationären Behandlung eingehalten werden. Sie verweist auf die Gefahren für die Umwelt und Dritte, die eine ambulante Behandlung mit sich bringen würde. Im Übrigen verweist sie auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 9.10.2001 – B 1 KR 26/99 R), wonach eine Kostenerstattung für eine im Ausland durchgeführte ambulante Radioiodbehandlung wegen der in Deutschland geltenden strengeren Strahlenschutzbestimmungen mit dem Erfordernis einer stationären Behandlung nicht beansprucht werden könne.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.909, 60 EUR nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 03.10.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die besonderen Mittel des Krankenhauses nicht erforderlich gewesen seien. Zwar bestünden keine Zweifel an der Notwendigkeit der Behandlung mit Radioiod. Die Krankenhausbehandlung bezwecke aber lediglich den Schutz der Allgemeinheit vor radioaktiver Strahlung und trage den Strahlenschutzbestimmungen Rechnung. Im Ergebnis liege daher eine Verwahrung vor. Sie bezieht sich zur weiteren Begründung auf ein Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21.01.2000 (S 9 KR 195/97), wonach eine Erstattung der Krankenhausbehandlungskosten nicht in Betracht kommen soll, wenn die stationäre Aufnahme lediglich dem Schutz Dritter und somit der Gefahrenabwehr diene.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als sogenannte echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, da die Beteiligten einander im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.08.1996 – 3 RK 2/96 – ). Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung weiterer 2.909,60 EUR aus Anlass der stationären Behandlung der … Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs, dessen Höhe zwischen den Beteiligten unstreitig ist, ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen und den Landesverbänden der Krankenkassen abgeschlossenen Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V ist das zugelassene Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet; Satz 3 dieser Vorschrift verpflichtet die Krankenkassen, mit den zugelassenen Krankenhäusern Pflegesatzverhandlungen zu führen und setzt damit die Vergütungspflicht als selbstverständlich voraus.

Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten (Urteile des Senats vom 21. August 1996 – 3 RK 2/96 – SozR 3-2500 § 39 Nr. 4 und vom 17. Mai 2000 – B 3 KR 33/99 R – BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 109 Nr. 6).

Die Beklagte ist zur Leistung verpflichtet, weil die Klägerin als Krankenhausträger die stationäre Behandlung ordnungsgemäß erbracht hat. Die Versicherte hatte im streitigen Zeitraum einen Anspruch gemäß § 39 Abs. 1 SGB V auf vollstationäre Krankenhausbehandlung gegen die Beklagte.

Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit besteht bei einem Krankheitszustand, dessen Behandlung aus medizinischen Gründen den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses (geschultes Pflegepersonal, apparative Mindestausstattung, intensive Behandlung durch rufbereite Ärzte) erforderlich macht (BSG SozR 2200 § 184 Nr. 11, 22, 28).

Diese Voraussetzungen lagen hinsichtlich der Versicherten und grundsätzlich in Fällen der Radioiodtherapie vor. Auch die Beklagte zweifelt nicht an der Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten mit Radioiod. Die Versicherte wurde alleine zum Zweck der Krankenbehandlung vom Vertragsarzt in das gemäß § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin eingewiesen. Anders als im vom SG Duisburg (a.a.O.) zu entscheidenden Fall war primäres Ziel der stationären Aufnahme die Krankenbehandlung und nicht die Gefahrenabwehr. Die Versicherte wurde nicht zur Verwahrungaufgenommen, sondern zur Behandlung.

Aufgrund der maßgeblichen Strahlenschutzbestimmungen (Strahlenschutzverordnung [StrlSchV] i.d.F. der Bekanntmachung vom 30.07.1989 (BGBl. I 1926) und der “Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin” [s.o.] kann die unbestritten medizinisch indizierte Radioiodtherapie in Deutschland nur unter stationären Bedingungen erbracht werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.2001 – B 1 KR 26/99 R mit Darlegungen zur Vereinbarkeit dieser vor allem auch im europäischen Vergleich strengen Strahlenschutzbestimmungen mit EG-Recht).

Die Durchführung der Radioiodtherapie setzt besondere personelle Fachkunde (Anwesenheit des ärztlichen Strahlenschutzbeauftragten, Personal mit Fachkunde im Strahlenschutz), räumlich-apparative Mindeststandards (bauliche Maßnahmen, Rückhaltevorrichtungen für Abwasser und Abluft, Messgeräte) und eine Genehmigung nach § 3 StrlSchV voraus. Diese Voraussetzungen erfüllt das Krankenhaus der Klägerin. Sie sind besondere Mittel des Krankenhauses, unabhängig davon, dass sie erst aufgrund der Rechtsordnung (hier der Strahlenschutzbestimmungen) dazu gemacht werden. Der Umfang der sich aus dem SGB V ergebenden Leistungsverpflichtungen und -ansprüche kann grundsätzlich nicht losgelöst von weiteren gesetzlichen Rahmenbedingungen bestimmt werden.

Daher kommt es auch nicht darauf an, welche Ziele mit den Strahlenschutzbestimmungen im Einzelnen verfolgt werden (vgl. zu den Zielen BSG vom 9.10.2001 a.a.O.). Maßgeblich ist alleine, zu welchem Zweck die Einweisung der Versicherten erfolgt. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist daher zu bejahen. Behandlungsalternativen im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V bestehen in Deutschland, und nur darauf kommt es an, auch nach Auffassung der Beklagten nicht.

Die Kostenerstattung ist auch nicht auf den Tag der Einweisung oder die gegebenenfalls gesondert zu berechnenden Kosten allein für die Verabreichung der Radioiodkapsel und anschließende Kontrollen beschränkt. Der weitere stationäre Aufenthalt war zwingende Konsequenz der durch die Beklagte aufgrund gesetzlichen Auftrags sicherzustellenden Krankenbehandlung mit Radioiod. Ärztliche Kontrollen insbesondere der Strahlenexposition (s.o.) aber auch des körperlichen und psychischen Zustandes der Versicherten waren zu gewährleisten. Der Gesamtaufenthalt bis zur Unterschreitung des zwingend zu beachtenden Grenzwertes von 1,5 mSv ist daher als untrennbare Behandlungseinheit zu betrachten und von der Beklagten zu vergüten.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem maßgeblichen Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Forderungen sind nach dessen § 15 Abs. 1 Satz 4 mit 2 v.H. über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen. Ab 1. Januar 1999 ist die Vertragsbestimmung aufgrund der geänderten währungsrechtlichen Rechtslage in modifizierter Weise anzuwenden. Seit dem 1. Januar 1999 gibt es keinen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank mehr. Der Diskontsatz ist durch § 1 Diskontsatz-Überleitungs-Gesetz (DÜG = Art 1Euro-Einführungsgesetz (EuroEG) vom 9. Juni 1998, vgl. BGBl 1998 I S 1242 und BGBl 2000 I S 901) zum 1. Januar 1999 durch den sog Basiszinssatz ersetzt worden, der von der Deutschen Bundesbank – ebenso wie bis dahin der Diskontsatz – jeweils im Bundesanzeiger veröffentlicht wird (§ 1 Abs. 1 Satz 6 DÜG). Jede Bezugnahme auf den Diskontsatz der Deutschen Bundesbank im Rahmen von Regelungen über Zinsen oder andere Leistungen wird ab 1. Januar 1999 durch eine Bezugnahme auf den Basiszinssatz von Gesetzes wegen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 DÜG) ersetzt. Bezugsgröße für den Basiszinssatz ist nach der Basiszinssatz-Bezugsgrößen-Verordnung vom 10. Februar 1999 (BGBl I 139) der Zinssatz für längerfristige Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (LRG-Satz); vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl. 2000, § 245 RdNr. 9.

Der Kostenentscheidung ergibt sich aus den § 193 SGG.