Sozialgericht Hannover S 10 KR 645/08

SOZIALGERICHT HANNOVER

  • S 10 KR 645/08

Verkündet am 16. Juli 2010

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

A.

In dem Rechtsstreit

B .

Prozess bevollmächtigter:

C.

gegen

D.

hat das Sozialgericht Hannover

– 10. Kammer-

auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2010

durch den Vorsitzenden, Richter E.,

sowie die ehrenamtlichen Richter F.,

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 574,73 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 27. Mai 2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung im Streit. Die Klagerin betreibt ein Krankenhaus, in das sie die bei der Beklagten krankenversicherte G., geboren am 21 . Dezember 1926, (Versicherte) am 11 . Juli 2005 zur stationären Behandlung einer Sehbehinderung bei Grauem Star aufnahm. Die Versicherte war im Zeitpunkt der Aufnahme an einer Harnwegsinfektion erkrankt, die mit Antibiotika behandelt wurde. Am Aufnahmetag fand die Kataraktoperation statt. Nach der Operation halte die Versicherte eine Körpertemperatur von 38 Grad. Nach den am 12. Juli 2005 vorgenommenen Messungen hatte die Versicherte um 7.00 Uhr eine Körpertemperatur von 37,5 Grad und um 14.30 Uhr 37,6 Grad. Das klägerische Krankenhaus entließ die Versicherte am 13. Juli 2005.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam in dem Gutachten vom 14. März 2007 zu dem Ergebnis, dass die Versicherte am 12. Juli 2005 hätte entlassen werden können, da postoperative Komplikationen laut den Unterlagen der Klägerin nicht verzeichnet seien. Die Beklagte forderte die Klägerin hieraufhin zur Rückzahlung von 580,54 € der erfüllten Forderung für die Behandlung der Versicherten in Höhe von 1.185,75 € auf. Die Klägerin widersprach der Einschätzung des MDK, der mit Gutachten vom 25.

April 2008 an seiner Auffassung fest hielt, da aus den vorgenommenen Überprüfungen der Temperatur keine therapeutischen oder pflegerischen Konsequenzen gezogen worden seien. Hierauf gestützt verrechnete die Beklagte am 27. Mai 2008 einen Betrag in Höhe von insgesamt 574,73 € (Verrechnung von 1.173,82 € und Zahlung von 599,09 €) mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin.

Die Klägerin forderte von der Beklagten mit Schreiben vom 2. Juli 2008 erfolglos die Zahlung des verrechneten Differenzbetrages, da die Versicherte nach der Operation anhaltend erhöhte Temperaturen hatte. Dieser abnorme Befund habe zu einer verlängerten Beobachtungsphase geführt, um sicher zu sein, dass sich keine behandlungsbedürftige Komplikation (z.B. Infektion) durch das Fieber ankündigte.

Mit der im September 2008 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des verrechneten Betrages in Höhe von 574,73 €.

Der MDK erstellte am 31. März 2009 ein Gutachten. in dem er darauf hinwies, dass die Ermittlung der subfebrilen Temperaturen zu keiner weiteren diagnostischen oder therapeutischen Konsequenz geführt hätte. Sondermessungen bzw. häufigerer Kontrollen seien nicht erfolgt. Die Entlassung hätte somit am 12. Juli 2005 erfolgen können.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die gesamte Krankenhausbehandlung aus der Sicht des behandelnden Arztes objektiv erforderlich gewesen sei. Die Patientin sei mit 79 Jahren hoch betagt gewesen und das aufgetretene Fieber sei ein Alarmsignal, dass auf eine Entzündung hindeute. Eine Entzündung eines operierten Auges kann zur Erblindung führen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen (BI. 52 -59 der Gerichtsakte).

Der Gutachter des MDK widersprach der Einschätzung des Sachverständigen in dem Gutachten vorn 18. Februar 2010 und hob hervor, dass spezielle Visiten des behandelnden Arztes nicht vorgenommen worden seien. Die behandelnden Ärzte hätten davon ausgehen können, dass das Fieber durch eine Harnwegsinfektion bedingt gewesen sei. Der Sachverständige gab eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme ab. in der er an dem Gutachtenergebnis festhielt, da nach einer frischen Augenoperation ein verantwortungsbewusster Augenarzt die Möglichkeit in Betracht hätte ziehen müssen, dass das Fieber durch eine Augeninfektion verursacht worden sein könnte. Die Klägerin ist der Auffassung. dass die Krankenhausbehandlung der Versicherten aus der ex-ante Sichte des behandelnden Arztes im gesamten Umfang erforderlich gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen. ihr 574,73 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Mai 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf die MDK-Gutachten zu dem streitigen Behandlungsfall. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Behandlungsunterlagen der Klägerin Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 24/08 R).

Die unstreitige Forderung der Klägerin ist nicht durch die Aufrechnung der Beklagten gemäß § 69 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch (8GB) erloschen. Die Beteiligten schuldeten einander nicht Leistungen. die ihrem Gegenstand nach gleichartig im Sinne des § 387 BGB waren und die gefordert und bewirkt werden konnten, weil der Beklagten kein Rückzahlungsanspruch in Höhe der Klageforderung für anlässlich der Behandlung der Versicherten geleistete Vergütung zusteht.

Rechtsgrundlage des Rückzahlungsanspruchs ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 812 ff BGB).

Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor. denn die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind öffentlich-rechtlicher Natur. vgl. § 69 Satz 3 SGB V. Die Beklagte hat im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses die ihr in Rechnung gestellten Kosten der Behandlung der Versicherten im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 11 . Juli 2005 bis zum 13. Juli 2005 nicht ohne Rechtsgrund geleistet.

Rechtsgrundlage des von der Beklagten erfüllten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem am 1. November 1992 in Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2. 4 und 5 SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhauser i.S. des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 28GB V erforderlich war.

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Die Krankenhausbehandlung (1) war erforderlich (2). Die Höhe des Anspruchs ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

1.

Eine Krankenhausbehandlung fand vom 11 . Juli 2005 bis zum 13. Juli 2005 statt. Eine Krankenhausbehandlung ist gekennzeichnet durch den kombinierten Einsatz personeller (Ärzte. Therapeuten, Pflegepersonal) und sächlicher (Arzneien. technische Apparaturen) Mittel zu Behandlungszwecken. Zum Einsatz müssen die besonderen Mittel eines Krankenhauses kommen. Dies sind insbesondere ärztliche Behandlung durch einen jederzeit präsenten oder rufbereiten Arzt, geschultes und jederzeit rufbereites Pflegepersonal und deren der ärztlichen Behandlung untergeordnete pflegerische Tätigkeit, technisch apparative Mindestausstattung.

Nach der Operation der Versicherten am 11 . Juli 2005 führte das klägerische Krankenhaus eine postoperative Behandlung mittels der besonderen Mittel eines Krankenhauses zur Sicherstellung des Operationserfolges durch. Wesentlich waren hierbei, das jederzeit rufbereit Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt. die ohne zeitliche Verzögerung auf Symptome einer Augeninfektion hätten reagieren können.

2.

Eine Krankenhausbehandlung ist erforderlich, wenn das Behandlungsziel nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Das Behandlungsziel der Sicherstellung des Operationserfolges konnte im streitigen Behandlungsfall nicht auf anderer Weise erreicht werden.

Der Gutachter hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass ein verantwortungsbewusster Arzt aus der ex-ante Perspektive davon ausgehen musste, dass die erhöhte Temperatur der Versicherten ihre Ursache in einer Augeninfektion haben könnte. Die Infektion hätte zeitnah und ohne das Eintreten einer unmittelbaren Gefahr der Erblindung nicht ambulant behandelt werden können.

Entgegen der Einschätzung des MDK ist hierbei unerheblich, dass keine häufigeren Temperaturmessungen und ärztliche Visiten stattfanden. da nach den Ausführungen des Mediziners H. in der mündlichen Verhandlungen eine Augeninfektion mit weiteren Symptomen wie Schmerzen und geröteten Augen verbunden ist. Ohne das Auftreten eines solchen Symptoms waren zusätzliche Maßnahmen medizinisch nicht geboten. Denn das Auftreten von Fieber alleine hätte keinen Aufschluss darüber geben können, ob die Harnwegsinfektion oder eine Augeninfektion ursächlich waren. Ausreichend war es, die Mitteilung von Beschwerden durch die Versicherte abzuwarten und erst hierauf zu reagieren anstatt häufigerer Visiten vorzunehmen, wie sie der Gutachter des MDK, ein Chirurg, forderte.

Das Sachverständigengutachten durfte für die Entscheidungsfindung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 202 SGG i.V.m. § 286 Zivilprozessordnung (ZPO) herangezogen werden. Der Sachverständige war entgegen dem Einwand der Beklagten nicht befangen.

Ein Sachverständiger kann gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 60 Abs. 3 SGG aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt. wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist, entscheidend ist vielmehr, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise Bedenken gegen dessen Unparteilichkeit haben kann (Bundessozialgericht SozR 1500 § 60 Nr. 3).

Ausgehend hiervon lag kein Grund vor, der geeignet wäre. Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. In der mündlichen Verhandlungen blieben die gesellschaftsrechtlichen Verbindungen des klägerischen Krankenhauses und des zwischen den Beteiligten im Streit. Selbst wenn es die von der Beklagten behauptete Verbindung gäbe. kann eine Parteilichkeit des Sachverständigen ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, die dem Inhalt des Gutachtens zu entnehmen sein müssen, nicht unterstellt werden. Das Gutachten enthält keine Ausführungen oder Unrichtigkeiten, die auf eine Parteilichkeit schließen lassen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Berufung war nicht zuzulassen, da kein Berufungszulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt.