Sozialgericht Speyer S 13 KR 686/11

Aktenzeichen:
S 13 KR 686/11

ABSCHRIFT

SOZIALGERICHT
SPEYER
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigter:


Rechtsanwalt Friedrich W. Mohr,
c/o Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz e. V.,
Bauerngasse 7, 55116 Mainz

gegen

– Beklagte –

hat die 13. Kammer des Sozialgerichts Speyer ohne mündliche Verhandlung am 19. September 2012 durch


die Richterin am Sozialgericht Blatt
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau Abshagen und Herr Kühn


für Recht erkannt:


1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 880,93 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 11.11.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand


Die Beteiligten streiten um die weitere Vergütung einer Krankenhausbehandlung.


Die Klägerin ist Trägerin des nach §108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zugelassenen

In dem Krankenhaus wurde vom 24.08.2010 bis 25.08.2010 der bei der Beklagten versicherte (im Folgenden: Versicherter) stationär behandelt.

Der Versicherte leidet an einer dialysepflichtigen chronischen Niereninsuffizienz. Für die Dialyse war am linken Unterarm ein Cimono-Shunt angelegt worden. Bei dem Versicherten lag ein Shuntverschluss vor. Er wurde am 24.08.2010 wegen des Shuntverschlusses links zur Neuanlage eines Shunts am rechten Arm aufgenommen. Der neue Shunt rechts wurde angelegt und der Versicherte am 25.08.2010 entlassen.


Am 01.09.2010 stellte die Klägerin der Beklagten eine Rechnung über insgesamt 2.620,40 €. Hierbei brachte sie die Fallpauschale (Diagnosis Related Group
<DRG>) F54Z (komplexe oder mehrfache Gefäßeingriffe ohne kompliz. Konstell.,
ohne Revision, ohne kompliz. Diagn., Alter > 2 J., ohne bestimmte beidseitige Gefäßeingriffe od. mäßig kompl. Gefäßeingr. m. kompliz. Diagn., ohne äuß. schw. CG, ohne Rotationsthrombektomie) mit einem Abschlag wegen des Unterschreitens der unteren Grenzverweildauer zum Ansatz. Dem lag die Verschlüsselung der Hauptdiagnose mit T82.5 des ICD-10 German Version 2010 (im Folgenden: ICD-10; mechanische Komplikation durch sonstige Geräte und Implantate im Herzen und in den Gefäßen) zugrunde. Als Nebendiagnose wurde N18.5 des ICD-10 (chronische Nierenkrankheit, Stadium 5) kodiert.
Die Beklagte zahlte 2.620,40 € an die Klägerin und leitete zur Hauptdiagnose eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein.

Der MDK ging in seinem Gutachten vom 05.10.2010 davon aus, dass als Hauptdiagnose die N18.5 des ICD-10 zu verschlüsseln sei. Es sei keine Revision des liegenden Shunts, sondern eine Neuanlage am anderen Arm erfolgt. Diese Hauptdiagnose führt zur DRG L09D (andere Eingriffe bei Erkrankungen d. Harnorgane, Alter < 2 J. od. mit äußerst schw. CC, mit Anlage eines Dialyseshunts od. Alter > 1 J., ohne äußerst schw. CC, ohne Anl. eines Dialyseshunts bei akuter Niereninsuff. od. bei chron. Niereninsuff. m. Dialyse) und einer Vergütung von insgesamt 1.739,47€.


Am 11.11.2010 verrechnete die Beklagte den Differenzbetrag von 880,93 € mit einer anderen Vergütungsforderung der Klägerin.


Die Klägerin hat am 07.11.2011 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass die Diagnose T82.5 des ICD-10 den Organbezug und die Komplikation spezifischer abbilde, weshalb sie in der vorliegenden Konstellation die Hauptdiagnose sei. Die stationäre Aufnahme sei wegen einer Komplikation (Verschluss) am vorhandenen Shunt erfolgt. Die Grunderkrankung sei vergleichsweise unspezifisch.


Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,


die Beklagte zu verurteilen, an sie 880,93 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.11.2010 zu zahlen.


Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

die Klage abzuweisen.


Sie macht geltend, dass die Verrechnung zu Recht erfolgt sei. Da der Versicherte nicht zur Revision des Shunts, sondern zur Neuanlage eines Shunts aufgenommen worden sei, sei die dialysepflichtige Nierenerkrankung als Hauptdiagnose zu kodieren. Das entspreche der Kodierempfehlung Nr. 245 des
MDK.

 

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakteder Beklagten Bezug genommen.

 


Entscheidungsgründe


Die Klage, über die das Gericht gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig und in der Sache begründet.


Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 880,93 € gegen die Beklagte. Die unstreitig bestehende andere Vergütungsforderung der Klägerin ist durch die am 11.11.2010 erfolgte Verrechnung nicht in dieser Höhe erloschen. Der Beklagten stand kein Erstattungsanspruch gegen die Klägerin betreffend die Behandlung des Versicherten vom 24.08.2010 bis 25.08.2010 zu.


Die Klägerin hatte für die stationäre Behandlung des Versicherten, deren Erforderlichkeit nicht angezweifelt wird, Anspruch auf Vergütung in Höhe von insgesamt 2.620,40 €. Die Zahlung von 2.620,40 € war somit nicht teilweise rechtsgrundlos. Zutreffend hat die Klägerin die Behandlung unter Ansatz der DRG F54Z abgerechnet.


Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Behandlung der Versicherten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit (iVm) § 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz <KHEntgG>), der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 (FPV2010) und dem am 01.01.2000 in Kraft getretenen Krankenhausbehandlungsvertrag (KBV) nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Rheinland-Pfalz.


Nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V sind zugelassene Krankenhäuser im Rahmen ihres Versorgungsauftrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Inanspruchnahme der Behandlung durch den Versicherten löst – unabhängig von einer Kostenzusage – einen Vergütungsanspruch des Leistungserbringers gegenüber dem gesetzlichen Krankenversicherungsträger aus, wenn die Versorgung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Die Krankenhausleistungen werden nach § 7 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG unter anderem mit Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 9 KHEntgG) abgerechnet (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 24/08 R -, BSGE 104, 15). Dieser umfasst gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG insbesondere den Fallpauschalen-Katalog nach § 17b Abs. 1 Satz 10 KHEntgG.


Der im Jahr 2010 maßgebliche Fallpauschalen-Katalog ist in der Anlage 1 der FPV 2010 enthalten. Die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalls zu einer in der Anlage 1 der FPV 2010 enthaltenen Fallgruppe (DRG) erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen verschlüsselt (kodiert). Dabei werden zum einen die Diagnosen nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der jeweiligen vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10 German Version; vgl. § 301 Abs. 2 Satz 1 SGB V) und zum anderen die Operationen und sonstigen Prozeduren mit einem Schlüssel (Kode) nach dem “Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V” des DIMDI
verschlüsselt (OPS; vgl. §301 Abs. 2 Satz 2 SGBV). Die Kodierung erfolgt ausschließlich anhand dieser beiden Klassifikationen sowie der zugehörigen Kodierrichtlinien (hier: Kodierrichtlinien 2010), die streng nach ihrem Wortlaut anzuwenden sind. Im zweiten Schritt werden die so verschlüsselten Diagnosen und Prozeduren durch den automatisierten Prozess der Groupierung einer DRG zugeordnet, die dann abgerechnet wird (vgl. ausführlich BSG, Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R -, BSGE 107, 140; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2).


Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin auf der Basis der DRG F54Z einen Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 2.620,40 € erworben, so dass der Beklagten kein Erstattungsanspruch in Höhe des Differenzbetrages zu einer Vergütung auf der Basis der DRG L09D zustand. Die Klägerin hat zutreffend im ersten Schritt die Hauptdiagnose mit T82.5 des ICD-10 verschlüsselt und die N18.5 des ICD-10 als Nebendiagnose kodiert, so dass – unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Kodes für Nebendiagnosen und Prozeduren – im zweiten Schritt die DRG F54Z angesteuert wird.


Hauptdiagnose ist die mit T82.5 des ICD-10 zu verschlüsselnde mechanische Komplikation durch sonstige Geräte und Implantate im Herzen und in den Gefäßen, worunter ausdrücklich auch der Verschluss eines operativ angelegten arteriovenösen Shunts fällt. Das beruht auf der maßgeblichen Definition der Hauptdiagnose in D002f der Kodierrichtlinie 2010 einschließlich der dortigen
Vorgaben für die spezifische Verschlüsselung von Erkrankungen bzw. Störungen nach medizinischen Maßnahmen. Nach der Definition ist Hauptdiagnose die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Der Begriff
„nach Analyse” bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war.


Die Kodes der Kategorien T80 bis T88 des ICD-10 “Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen und medizinischer Behandlung, andernorts nicht klassifiziert” sind dabei nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln, wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiert oder wenn die Verschlüsselung dieses spezifischeren Kodes durch ein Exklusivum ausgeschlossen ist.

Nach diesen Regelungen ist der Shuntverschluss (T82.5 des ICD-10) die Hauptdiagnose, weil der Shuntverschluss für den stationären Krankenhausaufenthalt hauptsächlich verantwortlich war. Die zur Aufnahme führende mechanische Störung des Shunts wird durch den Kode T82.5 des ICD- 10 spezifischer abgebildet als durch den auf die zugrunde liegende chronische Nierenkrankheit bezogenen Kode N18.5 des ICD-10.


Bei der Aufnahme war der vorhandene Shunt am linken Unterarm verschlossen. Die Aufnahme erfolgte gerade wegen dieses Verschlusses. Zweck der Aufnahme war es, den ausgefallenen Shunt am linken Arm durch die Neuanlage eines Shunts am rechten Arm zu ersetzen. Es sollte nicht hauptsächliche eine sonstige Behandlung der chronischen Nierenkrankheit vorgenommen werden. Die mechanische Komplikation “Shuntverschluss” wird spezifisch durch die T82.5 des ICD-10 abgebildet. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es für die Kodierbarkeit der T82.5 des ICD-10 bei einem Shuntverschluss nicht darauf an, ob bei Aufnahme die Revision des vorhandenen Shunts oder eine Neuanlage geplant ist. Nach dem maßgeblichen Wortlaut der Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Erkrankungen bzw. Störungen nach medizinischen Maßnahmen (D002f der
Kodierrichtlinie 2010) ist für die Kodierbarkeit der T-Kodes nicht darauf abzustellen, welche Behandlung während des Krankenhausaufenthalts bei Aufnahme beabsichtigt war oder vorgenommen wird. Demgemäß kommt es nicht darauf an, ob der Kode die Behandlung “spezifischer abbildet”. Maßgeblich ist nur, ob der T-Kode die die Aufnahme veranlassende Erkrankung bzw. Störung spezifischer abbildet als der auf die Grunderkrankung bezogene Kode. In Bezug auf die Störung “Shuntverschluss” gibt es zwischen der vorliegenden Fallkonstellation und der Aufnahme zur Revision eines verschlossenen Shunts keine Unterschiede. Die T82.5 des ICD-10 ist demgemäß als Haupt- und die N18.5 des ICD-10 als Nebendiagnose zu kodieren.

Ob die sich aus dieser Kodierung von Haupt- und Nebendiagnosen sowie Prozeduren ergebende DRG F54Z die Krankenhausleistung adäquat abbildet, ist unerheblich.


Hat die Klägerin nach alledem Anspruch auf Zahlung von 880,93 €, so war der
Klage insoweit wie auch hinsichtlich der geltend gemachten Verzugszinsen stattzugeben. Der Zinsanspruch beruht auf § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V iVm § 288 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 9 Abs. 7 KBV.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).