Verrechnung von Aufwandspauschalen zu Weihnachten

Seit langem schauen die Krankenhäuser mit Sorge auf die Rückforderungswelle bestimmter Krankenkassen; sie drohen mit der Verrechnung von Aufwandspauschalen aus lang vergangenen Zeiten (siehe diesen Beitrag über ein erfreuliches Urteil dazu aus Aachen).

Die Situation verunsichert und verärgert viele Krankenhäuser:  Die 300 € – Regelung, die vom Gesetzgeber völlig unmissverständlich in § 275 Abs. 1c SGB V formuliert wurde, hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts ad absurdum geführt. Im Juli 2014 wurde ein Prüfregime für “sachlich-rechnerische” Prüfungen erfunden. In der Konsequenz sollen bei Prüfungen der Kodierung die Regeln der MDK-Prüfung nicht gelten. Dazu gehört auch die Aufwandspauschale.

Um der irrigen Rechtsprechung des ersten Senats BSG Einhalt zu gebieten hat der Gesetzgeber hat den Paragraphen neu formuliert. Seit dem 01.01.2016 gilt die neue Fassung des § 275 SGB V. Der Spuk könnte also vorbei sein. Aber nicht mit dem ersten Senat BSG!

Statt die Irrfahrt mit dem “sachlich-rechnerischen Prüfregime” still zu beerdigen, bäumt sich der Senat noch einmal auf.

Vertrauensschutz für Krankenhäuser?

Ein besorgter Richter eines Landessozialgerichts fragte, ob die Rückforderungen von Aufwandspauschalen rückwirkend – in Einzelfällen bis zum Jahr 2011 – erlaubt sein sollen.  Ob man nicht einen Vertrauensschutz für Krankenhäuser in Erwägung ziehen solle, so fragte man sich. Immerhin sind auch die Kassen durch Urteile des BSG vor späten Rechnungsänderungen der Krankenhäuser geschützt. Prof. Hauck, vorsitzender Richter des 1. Senats BSG, antwortet wie folgt:

“Das ist ein grundsätzliches Problem, das sich bei einer Änderung der Rechtsprechung stellt. Die Änderungen wirken in dem Sinne zurück, dass sich die Betroffenen mit der neuen Rechtslage auseinandersetzen müssen. Es sei denn es gibt ganz spezielle Vertrauenstatbestände, die generell nicht dadurch erzeugt sind, dass man hofft, dass eine Rechtsprechung so bleibt. … Und das gilt in allen Konstellationen. Das ist ein Grundprinzip; das gilt nicht nur für eine Seite, sondern für alle Seiten.”

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So erklärt Prof. Hauck die Gültigkeit seiner Rechtsprechung. Keineswegs vertritt er die Meinung, dass der erste Senat BSG Gesetze beliebig interpretiert und verändert. Anders als hoch kompetente Gutachter sieht er keine rechtswidrigen Urteile.

Das BSG interpretiert das Sozialgesetz. Diese Interpretation kann sich sehr weit vom Gesetzestext entfernen; wir Bürger werden dadurch Zeugen eines transzendenten Geschehens: Der erste Senat legt die eigentliche Wahrheit hinter dem Gesetzestext für jeden sichtbar frei.

Diese Wahrheit mag manchmal überraschend oder sogar enttäuschend sein; aus der Sicht des Herrn Prof. Hauck war sie aber schon immer da. Sie war nur noch nicht für den normalen Sterblichen erkennbar. Deshalb gelten die Urteile von Prof. Hauck, anders als Gesetzesänderungen, rückwirkend.

Der Satz aus § 275 SGB V: “Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten.” wurde von den Bürgern dieses Landes völlig falsch verstanden.

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Zeitschiene “sachlich rechnerische Prüfung”

Inzwischen wissen wir, wie dieser Satz eigentlich zu verstehen ist. In etwa so: “Falls eine Prüfung nicht zu einer Änderung des Rechnungsbetrages führt, ist eine Aufwandspauschale in Ausnahmefällen zu bezahlen, nämlich dann, wenn die Prüfung die Notwendigkeit der (Dauer der) vollstationären Behandlung betraf, das Krankenhaus nicht durch Abrechnungsfehler Anlass zu der Prüfung gegeben hat und die Kasse die Prüfung rechtsmissbräuchlich eingeleitet hat.

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Die Konsequenzen

  1. Alle Rückforderungen von Auf­­wands­­pauschalen, die noch nicht verjährt sind, werden beim Bundessozialgericht wahrscheinlich als recht­­mäßig bestätigt.
  2. Verjährt sind schon jetzt Auf­­wands­pauschalen, die vor dem Jahr 2013 in Rechnung gestellt wurden. Hinweis: Hier geht es um das Datum, an dem die Auf­wands­pauschale berech­net wurde und nicht um das Rechnungs­datum für die Kranken­haus­leistung!
  3. Forderungen aus dem Jahr 2013 verjähren am Jahresende.
  4. Für Fallprüfungen ab dem Jahr 2016 (und hier gilt: Aufnahmedatum im Jahr 2016 oder später) dürfen ggf. wieder ganz normal Auf­wands­pauschalen berech­net werden.

Allerdings ist bei den Instanzgerichten Widerstand spürbar; nicht jeder Sozialrichter ist bereit, der BSG-Willkür zu folgen. Das kann für die Krankenhäuser Aufschub bedeuten.

Eine größere Hilfe könnte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes hier sein: Verschiedene Urteile zur “sachlich-rechnerischen Richtigkeit” sind Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde (1 BvR 318/17). Große Hoffnungen machen uns Juristen in diesem Zusammenhang nicht, aber es ist für die Krankenhäuser die einzige Chance auf Gerechtigkeit, scheint es.

Empfehlungen

Die Juristen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft haben eine aktuelle Empfehlung zum Umgang mit Rückforderungen der Krankenkassen abgegeben:

Forderungen, die noch nicht verjährt sind, müssen wohl tatsächlich erstattet werden, sofern das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des erstens Senats BSG nicht als verfassungswidrig erkennt. Daher sollten Krankenhäuser darauf hinwirken, dass die Erstattung / Verrechnung vorerst aufgeschoben wird. Dazu kann man der Kasse eine Verzichtserklärung hinsichtlich der Einrede der Verjährung anbieten.

Sollte die Kasse sich darauf nicht einlassen wollen, oder die Verrechnung schon vollzogen haben, sollten Sie das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde abwarten. Wir hoffen, dass das Verfassungsgericht im kommenden Jahr urteilt. Wir werden berichten.
Foto: © alphaspirit – Fotolia

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