Dramatische Umdeutung: Konkurrierende Hauptdiagnosen

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Seit Einführung der DRG ist die Regel unverändert: Konkurrierende Hauptdiagnosen. Die Definition steht in DKR D002:

Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersuchungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behandelnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat.

Jetzt hat das BSG am 29.08.2023 ein Urteil gesprochen (B 1 KR 25/22 R), das die bisher als selbstverständlich geltende Interpretation dieser Regelung komplett auf den Kopf stellt. Welche Hauptdiagnose würden Sie für den folgenden Fall kodieren?

Akutes Subduralhämatom

  • Ein Patient wird vom Notarzt mit neurologischen Ausfallserscheinungen eingeliefert: Verdacht Hirninfarkt.
  • In der Bildgebung werden keine Infarktzeichen gesehen. Dafür fällt ein Subduralhämatom auf.  Eine sofortige Entlastungs-OP wird vorbereitet.
  • Angehörige berichten über einen Sturz kurz vor Einsetzen der Symptome. Verdacht auf Synkope wird geäußert.
  • Nachdem der Patient kraniotomiert wurde und das Hämatom ausgeräumt ist, erfolgt weitere Diagnostik.
  • Dabei wird eine hochgradige Aortenstenose entdeckt und mit minimalinvasivem Klappenersatz (TAVI) behandelt.

Subduralhämatom oder Aortenstenose?

Die Kodierer in der Klinik erkannten hier konkurrierende Hauptdiagnosen. Die Aortenstenose hatte die meisten Ressourcen verbraucht und wurde zur Hauptdiagnose. Die Kostenträgerseite sah die Situation jedoch anders: Die Aortenstenose wurde erst lange nach der stationären Aufnahmesituation entdeckt und konnte daher kein Grund für die Aufnahme gewesen sein. Immerhin soll laut Hauptdiagnosendefinition die Diagnose HD sein, die für die Veranlassung der stationäre Aufnahme verantwortlich ist. Eine Diagnose, von der man bei Aufname noch nichts wusste, kann nicht der Grund für die Aufnahme und folgerichtig keine Hauptdiagnose sein.

Die Sicht des BSG

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In seinem (kurzen) Terminbericht erklärte der erste Senat eine überraschende Auslegung dieser Regeln, die den Umgang mit konkurrierenden Hauptdiagnosen grundlegend ändert. Es kommt nicht darauf an, welche Leiden bei der Aufnahmeuntersuchung erkannt wurden oder erkennbar waren!

„Liegen – ex-post betrachtet – schon bei Aufnahme ins Krankenhaus mehrere Leiden objektiv vor, die stationär behandlungsbedürftig sind, sind diese allein nach dem Grad ihres Ressourcenverbrauchs zu gewichten.“

Die Veranlassung des stationären Aufenthalts ist nicht subjektiv ex ante, sondern objektiv ex post zu verstehen. Das heißt dass im vorliegenden Fall das Krankenhaus Recht behält: Die Hauptdiagnose ist “Aortenstenose”.

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Praktische Bedeutung

Konkurrierende Hauptdiagnosen müssen also nicht mehr in der Aufnahmesituation gefunden / beschrieben werden. Jede Diagnose, die im Verlauf gefunden und behandelt wird, könnte Hauptdiagnose sein. Voraussetzung ist, dass sie schon vor der Aufnahme vorgelegen hat.

Ein praktisches Beispiel:

Ein Patient wird zur Durchführung einer ERCP wegen eines präpapillären Verschlusssteins  stationär aufgenommen. Weil der Patient blutigen Stuhl absetzt wird eine Koloskopie durchgeführt und ein Dickdarmkarzinom entdeckt. Es wir eine Hemikolektomie mit Schutz-AP durchgeführt.

Hauptdiagnose ist hier das Karzinom und nicht der Gallenstein!  Die Argumentation (gemäß BSG) ist: Es ist egal, ob wir den Tumor schon bei Aufnahme entdeckten oder vermuteten. Im Nachhinein war der Tumor sicher schon bei Aufnahme vorhanden und kommt deswegen als HD in Frage.

Hinweis: Die Auslegung von Regeln durch ein Gericht ist grundsätzlich rückwirkend gültig. Das Gericht erklärt uns, wie die Regelung zu verstehen ist und immer schon war…

Wir sind auf die ausführliche schriftliche Begründung des Gerichts gespannt!

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